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Am 21. August 1820 erhob der Attorney-General im Hause der Lords folgende Anklage des Königs gegen die Königin Karoline:
»Wie bekannt, reiste die Königin im Jahre 1814 aus England fort. Am 9. Oktober desselben Jahres kam sie in Mailand an, wo sie als Kurier einen gewissen Bartolomeo Bergami in ihre Dienste nahm, der damals gerade dienstlos, früher aber als Kammerdiener bei dem General Pino gewesen war. Es war in den ersten vierzehn Tagen des Aufenthaltes der Königin in Mailand, als sie den Bergami in ihre Dienste nahm. Bereits am 8. November kam die Königin in Neapel an, und folglich war damals Bergami höchstens drei Wochen im Dienste von Ihro Majestät. Wer könnte aber wohl glauben, daß in einer so kurzen Zeit sich schon ein vertrautes Verhältnis zwischen einer Person von so hohem Range und einem Domestiken anknüpfen konnte! Und dennoch läßt es sich durch Zeugen beweisen, daß der ehebrecherische Umgang der Königin mit dem Bergami bereits am Abend des 9. November seinen Anfang nahm. Schon am Tage ihrer Ankunft in Neapel hatte die Königin befohlen, daß der Knabe William Austin, ihr Adoptivsohn, nicht mehr wie bisher in ihrem Zimmer schlafen sollte. Am Abend des 9. November bemerkte eine der Kammerfrauen der Königin, daß diese bei ihrer Rückkehr aus der Oper ganz ungewöhnlich bewegt war. Unfern des Schlafkabinetts hatte sie ein anderes Kabinett, welches mit dem ihrigen in direkter Verbindung stand, einrichten und ein Bett hineinsetzen lassen. Man glaubte, dieses Gemach sei für William Austin bestimmt. Aber keineswegs, Bergami erhielt es. Die Kammerfrau, welche wie gewöhnlich, Ihro Majestät bedienen wollte, wurde zu ihrem großen Erstaunen abgewiesen, verwunderte sich aber noch mehr, als sie am andern Morgen sah, wie das Bett der Königin ungebraucht war, während das von Bergami aufs unverkennbarste zeigte, daß es zwei Personen zum Lager gedient hatte.
Dieser einzige Umstand würde schon vor einem Geschworenengericht den Ehebruch außer Zweifel stellen. Allein es ist meine Pflicht, die weiteren Umstände dieses unsittlichen Lebenswandels in ein noch näheres Licht zu setzen. Obschon Bergami noch immer bei der Tafel die Dienste eines Domestiken verrichtete und auf der Reise die eines Kuriers, so bemerkten doch die andern Dienstleute sehr wohl die unschickliche Vertrautheit, welche zwischen ihm und der Königin herrschte. Er frühstückte z. B. mit ihr allein in ihrem Kabinette, und man sah sie verschiedentlich mit ihm auf der vor ihrem Hause befindlichen Terrasse sich ergehen und ihm den Arm geben. Bei einem großen Feste, welches die Königin dem Murat und den Großen von Neapel gab, erschien sie unter verschiedenen, für eine ehrbare Frau unschicklichen Verkleidungen, und so oft sie diese wechselte, zog sie sich allein mit Bergami, ohne daß eine ihrer Kammerfrauen ihr folgen durfte, in das zum Umkleiden bestimmte Kabinett zurück. Lassen sich aber solche Vertrautheiten einer Dame von hohem Stande gegen einen Diener anders erklären, als durch die Voraussetzung eines ehebrecherischen Lebens?
Ich werde aber einen noch gewichtigeren Beweis aufstellen. Bergami wurde durch das Ausschlagen eines Pferdes verwundet und erhielt während seiner Krankheit die Erlaubnis, zu seiner Verpflegung einen seiner Bekannten ins Haus nehmen zu dürfen. Dieser Mensch schlief nahe bei Bergamis Zimmer und hörte mehrmals die Königin, wenn schon alles zur Ruhe gegangen war, vorsichtig und leise über den Korridor nach Bergamis Stube hinschleichen. Er legte sein Ohr an die Tür und hörte nun genau, wie die Königin und Bergami sich umarmten (bei dieser Anführung ließ sich durch die ganze Versammlung der Ausdruck des Unwillens vernehmen). Der Kläger, dies bemerkend, fuhr fort: Ich fühle, daß die Details, zu welchen ich gezwungen bin, von einer Art sind, daß ich in Gefahr komme, mir Euren Unwillen zuzuziehen. Aber ich muß Eure Herrlichkeiten bitten, nicht zu vergessen, daß es meine Pflicht ist, klar, obschon mit möglichster Dezenz, die Sachen, wie sie sind, darzulegen.
Ihro Majestät blieb bis März des folgenden Jahres in Neapel und setzte während dieser ganzen Zeit ihren ehebrecherischen Umgang mit Bergami fort. Von Neapel reiste sie nach Rom, Civitavecchia und Genua. Durch Zeugen läßt sich beweisen, daß in Genua die Königin den Bergami stets in einem mit dem ihrigen in Verbindung stehenden Zimmer wohnen ließ, daß die Kammerfrauen alle Morgen das Bett der Königin ungebraucht fanden, so daß sie nur die Decke desselben ein wenig wieder in Ordnung zu bringen hatten, und daß sich in Bergamis Bette die unverkennbaren Spuren davon zeigten, daß zwei Personen darin übernachtet hatten. –
Auf dem Schiffe Leviathan, mit welchem sie die Überfahrt nach Sicilien machte, spazierte sie häufig mit Bergami auf dem Verdeck umher und gab ihm überhaupt viele Beweise ihrer Zuneigung. In Messina, wo sie bis zum 6. Januar blieb, dauerten die gegenseitigen Vertraulichkeiten fort. Hier sahen sie die Kammerfrauen im tiefsten Negligé aus Bergamis Zimmer kommen und hörten, wie sie ihn mit den zärtlichsten Benennungen, z. B. »mein Herz, mein Freund« usw. ansprach.
Als Kapitän Peachell, der die Klorinde führte (auf welchem Schiffe die Königin sich am 6. Januar einschiffte), sich weigerte, den Bergami mit an seinen Tisch zu nehmen, fragte ihn die Königin um die Ursache, und Peachell antwortete: »Weil er noch im vorigen Jahr hinter meinem Stuhle stand.«
In Syrakus und in Catania sah man die Königin im Negligé aus Bergamis Zimmer kommen, unter dem Arm ein Kopfkissen tragend, auf welchem sie gewöhnlich zu ruhen pflegte. Hier verschaffte sie dem Bergami das Malteserkreuz.
Von Catania begab sich die Königin nach Augusta. Hier mietete sie eine Polacre und begann ihre Seereise. Auf dem Schiffe ließ sie ihr Schlafkabinett so einrichten, daß sie, wenn sie sich in ihrem Bett befand, Bergami in dem seinen sehen konnte. In Tunis und Utica kam der Bergami sehr häufig in das Kabinett der Königin, noch ehe diese sich erhoben hatte. In Savona, wo die Königin am 12. April 1816 ankam, hat man die überzeugendsten Beweise von der Fortsetzung ihres ehebrecherischen Umganges mit Bergami gesammelt. Sie schlief daselbst niemals in ihrem Bette, und das von Bergami zeigte fortwährend die Spuren, daß immer zwei Personen darin geschlafen hatten.
Von Afrika begab sich Ihro Majestät nach Athen und hielt sich einige Zeit in Milo auf. Von Athen begab sich die Königin über Konstantinopel nach Epheus. Hier bereitete man ihr ein Schlafzimmer in der Vorhalle einer alten, mit Bäumen umgebenen Kirche. Hier speiste sie auch mit Bergami und saß gewöhnlich auf einem kleinen Reisebette, Bergami aber neben demselben auf der Erde. Nach Tische blieb er immer eine geraume Zeit mit ihr allein. Von Epheus reiste Ihro Majestät nach Aume in Syrien. Hier ergaben sich noch mehrere Beweise für den strafbaren Lebenswandel der Königin. Man errichtete ein Zelt für Ihro Majestät und setzte ein Bett hinein. Auf diesem lag die Königin halb ausgezogen, und Bergami, gleichfalls im Negligé, saß daneben und blieb beträchtliche Zeit bei ihr. Von hier ging der Weg nach Jerusalem und von da nach Jaffa. Da es sehr heiß war, so wollte Ihro Majestät nicht in der Kajüte schlafen und ließ sich daher auf dem Verdeck ein Zelt aufschlagen, in welchem ihr Bett ganz nahe und ohne Zwischenwand bei dem von Bergami stand. So schliefen sie beide ohne Unterbrechung alle Nächte bis zur Rückkehr nach Italien. Am Tage wurde das Zelt gewöhnlich geöffnet, um frische Luft einzulassen. Aber zuweilen ließ sie es am hellen Tage zumachen und blieb dann geraume Zeit mit Bergami allein in demselben. An Bord des Schiffes nahm die Königin zuweilen ein Bad, und dann war Bergami der Einzige, der sie dabei bedienen und bei ihr bleiben durfte.«
Am 19. Juli hatte die Krönung des Königs in der von Glanz und Herrlichkeit funkelnden großen Festhalle von Westminster stattgefunden.
Auch Königin Karoline kam angefahren und versuchte, begleitet von Lord Hood, ihrem Kammerherrn, in die Halle zu dringen. Aber man wies sie zurück, weil sie keine – Eintrittskarte vorzeigen konnte. Keine Hand und keine Zunge rührte sich für die Unglückliche. Wo waren denn die Tausend und Hunderttausenden, die wenige Monate zuvor nicht hatten müde werden können, zu brüllen: »Die Königin für immer!« Ach, sie waren auch heute wieder da, aber sie gafften stumm und teilnahmslos.
Das war zu viel für die arme Frau. Am Abend des 30. Juli erkrankte sie plötzlich in ihrer Loge im Theater. Sie hatte ein Glas Limonade getrunken, und es wird erzählt, ohne jedoch verbürgt zu sein, daß sie, als schon am Morgen darauf ihre Krankheit den bedenklichsten Charakter angenommen, ausgerufen habe: »Der König hat mich vergiften lassen!« Sterbend verzieh sie ihren Feinden, setzte ihren Adoptivsohn Austin zum Haupterben ein und verordnete, daß man sie daheim in Braunschweig begraben sollte. So verschied sie am 7. August 1821. Für die Tote erwachte die Teilnahme des Volkes wieder. Es zwang den Leichenkondukt statt um die City herum, mitten durch diese zu gehen, und noch bei der Einschiffung des Sarges zu Harwich umbrüllte die Menge denselben mit dem wütenden Ruf: »Die Königin! Die gemordete Königin!« Georg IV. überlebte seine Frau fast noch um volle neun Jahre, die er, ziemlich menschenscheu geworden, im Kreise seiner männlichen und weiblichen Günstlinge meist in Windsor verbrachte.« (Scherr, Karoline von England.)
Es ist hier nicht der Platz, festzustellen, wie weit diese unglückliche Königin, die Gattin eines monströsen Narren, wirklich »gefehlt« hat. Es gilt hier nur zu sagen, daß die Hörigkeit der Frau in der Tat manchmal die schrecklichsten Formen annahm – (und annimmt) – der Zivilisation zum Trotz, die bekanntlich schon 1820 zitiert wurde.
Man erinnert sich unwillkürlich der anmutigen Schwester König Georg III. von England, der Prinzessin Karoline Mathilde, nachmaliger Königin von Dänemark, Gattin des verrückten Christian VII. 1766 berichtete der englische Gesandte seiner Regierung über die Ankunft der »fünfzehnjährigen« Braut: »Die Prinzessin gewinnt, wo sie sich zeigt, Beifall und Liebe. Ihre nähere Umgebung preist übereinstimmend und aufs höchste ihre Gemütsart und ihr Benehmen.«
Im Herbst desselben Jahres wird die – betonen wir es: – fünfzehnjährige Engländerin die Gattin des Königs. Der französische Gesandte berichtet nach Paris:
»Die Prinzessin hat auf das Herz des Königs fast gar keinen Eindruck gemacht. Wäre sie noch liebenswürdiger, sie hätte dasselbe Schicksal. Denn wie könnte sie einem jungen Fürsten gefallen, der allen Ernstes glaubt, es gehöre nicht zum guten Ton (n'est pas du bon air), seine Frau zu lieben?«
(Vielleicht muß man hier bemerken, daß Christian diese Sitte aus Paris übernommen hat. Im übrigen war das die Zeit, in der Ludwig XV. kleine Mädchen in Frankreich zusammenkaufen und zusammenrauben ließ, um sich an ihren jungen Körpern zu »erwärmen«. Diese armen Sexualhörigen wurden im königlichen »Hirschpark« für den »Sohn des göttlichen Ludwig« zurechterzogen.)
Nachdem die Königin lange Jahre hindurch dem König die Treue gehalten hatte, obgleich sie zusehen mußte, daß er im Verkehr mit Maitressen unter wüsten Bacchanalen immer mehr verblödete, lernte sie Struensee, den Leibarzt des Gatten, kennen und lieben. Struensee war nicht unsympathisch, die Königin mehr als liebenswert. Aber schließlich siegte die Hofkabale, eine Palastrevolution entstand, Struensee, der inzwischen Minister geworden war, wurde verhaftet, und nun lassen wir Johannes Scherr das Wort, dem Autor der »Menschlichen Tragikomödien«:
»Aus dem Schlafzimmer des Königs eilt Ranzau (einer der Verschworenen) nach dem der Königin. Eickstedt und andere Offiziere begleiten ihn auf diesem Gang. Es hat aber im Schlosse schon Lärm genug gegeben, um die arme Mathilde zu wecken. So wurde sie wenigstens nicht im Schlafe überfallen, und sie hat bei der jetzt folgenden abscheulichen Szene, einen Mut entfaltet, welcher Zeugnis gibt, daß in dieser Frau etwas von dem Stoffe gewesen, aus welchem Heldinnen gemacht sind. Aber sie war ja nicht in einer Epoche des Heroismus geboren, sondern in einer Epoche gewissenloser Intrige und erzstirniger Brutalität. Es hat auch die letztere in dieser ganzen Zeit sicherlich nie brutaler sich geoffenbart als zu dieser Stunde, wo der wüste Ranzau und seine Spießgesellen die unglückliche Königin gefangen nahmen.
Als sie Geräusch in ihrem Vorzimmer hört, ruft Mathilde nach ihren Kammerfrauen. Bleich, verstört, nur halb angezogen drängen sich die Dienerinnen herbei. Die Königin springt aus dem Bett und fragt, was der nächtliche Lärm bedeute, was denn vorgehe. Man sagt ihr, daß Graf Ranzau sie im Namen des Königs sprechen wolle und mit einer Anzahl von Offizieren im Vorzimmer harre.
»Graf Ranzau? Im Namen des Königs? Ruft eilends den Grafen Struensee!« –
»Ach, Majestät, der Herr Minister ist verhaftet –«
Da schlägt die Königin in der bitteren Gewißheit ihres Unterganges die Hände vor das Gesicht und ruft aus: »Verraten und verloren! Auf ewig verloren!« Aber rasch wieder Meisterin ihrer selbst, wirft sie einen Pudermantel über ihr Schlafgewand und sagt: »Laßt sie eintreten, die Verräter! Ich bin auf alles gefaßt.«
Sie geht den Eintretenden entgegen. Ranzau verbeugt sich zeremoniös und liest der Königin den von dem König unterzeichneten Verhaftungsbefehl vor. »Geben Sie her, ich will es mit eigenen Augen lesen.«
Der Graf reicht ihr das Papier. Sie liest es vom Anfang bis zum Ende durch, wirft es dann zu Boden, setzt den Fuß darauf und sagt, vor Verachtung zitternd: »Daran erkenne ich die Verräter und den König.«
Darauf Ranzau: »Majestät, ich bitte Sie, die Befehle des Königs zu respektieren.«
Mathilde wieder: »Die Befehle des Königs? Befehle vielmehr, wovon er nichts weiß, und welche nur die infamste Verräterei seiner Torheit entrissen hat. Nein, solchen Befehlen gehorcht keine Königin!« ...
Man sieht, diese zwanzigjährige Frau benahm sich ebenso mannhaft, wie Struensee sich weibisch benommen hatte. Sie tat noch mehr: sie, die arme schwache, verlassene Frau, versuchte sogar physische Gegenwehr gegen die Gewalt.
Ranzau erklärt ihr, daß er seinen Auftrag vollziehen müsse, und daß derselbe kein Zögern vertrage. Worauf die Königin: »Ich verweigere Rede und Fügsamkeit, bevor ich den König gesehen und gesprochen habe.« Und sie eilt der Tür zu.
Der Graf vertritt ihr den Weg und stößt eine Drohung aus. »Sie sind ein Elender! Wie, ziemt dieser Ton einem Diener gegen seine Königin? Sie sind der verächtlichste Mensch, ein Schmachbeladener, den ich niemals fürchten werde.« Ranzau murmelt: »Man muß ein Ende machen –« und winkt einem der Offiziere mit den Augen. Ein Auftritt hebt an, von dessen Schmach alles Wasser der Ostsee die dänische Aristokratie nicht rein waschen kann.
Der Offizier packt mit roher Faust die Königin. Sie entreißt sich seinem Griff und stößt einen markdurchdringenden Hilferuf aus. Nun umringen alle die Memmen und Verräter die Unglückliche und werfen sich alle auf sie. Sie durchbricht die Kette, springt zum Fenster, reißt es auf und will sich hinausstürzen. Da faßt sie wieder einer der Schurken. Vom Paroxismus der Wut erfüllt, packt sie den Elenden bei den Haaren und schleudert ihn zu Boden, ebenso einen zweiten, bis sie endlich, von allen zugleich angefallen, nach einem schrecklichen Ringen atemlos, mit aufgelösten Haaren, halbnackt und ohnmächtig zu Boden sinkt ...
Ranzau zwingt die notdürftig wieder zu sich Gekommene sich anzukleiden, während er sie mit wüsten Schimpfreden überschüttet. Dann schleppt man sie in den Hof hinunter, verschließt sie in die Kutsche und fährt sie nach der Festung Kronburg ins Gefängnis. Und doch war diese furchtbare Stunde noch nicht die bitterste ihrer Leidensgeschichte. Diese kam erst dann, als sie erfahren mußte, daß auch der sie verraten habe, dem sie vertraut, dem sie Ehre, Ruf und Krone geopfert hatte.
Die arme Mathilde durfte auf Betreiben ihres Bruders, Georg III., nach Deutschland gehen, wo ihr in Celle eine Zufluchtsstätte bereitet wurde. Am 30. Mai 1772 schiffte sie sich zu Kronburg auf einer englischen Fregatte ein und verließ gebrochenen Herzens ein Land, wo ihre Kinder zurückblieben, und wo ihre Jugend durch den grausamsten Schicksalssturm geknickt worden war. In Celle gewann sie die aufrichtigste Bewunderung und Anhänglichkeit aller, welche ihr nahekamen. Ohne Bitterkeit, doch mit inniger Reue blickte sie auf das zurück, was ihr Irrtum, ihre Verschuldung und ihr Verderben gewesen war. Schlicht, sanft und geduldig trug sie ihr Los. Sie hatte es nicht allzu lange zu tragen. Der Tod war milder gegen sie, als das Leben gewesen: schon am 10. Mai 1775 starb sie, noch nicht vierundzwanzig Jahre alt.
Wurde je ein Mann ähnlich bestraft, der eine unebenbürtige Frau zu seiner Geliebten gemacht hatte? Ludwig XIV.? Ludwig XV. von Frankreich? August der Starke von Sachsen? Ludwig I. von Bayern? Wer zählt die Namen?
Es ist begreiflich, daß das Weib alles aufgeboten hat, sich aus diesem Zustand zu befreien. Aber es ergeht der »befreiten« Frau wie jenem Spartakus, der im Alten Rom die Fesseln der Sklaverei abwarf und nun nicht nur frei sein, sondern die beherrschen wollte, die ihn bis dahin beherrschten.
So mußte er alles, was er errungen hatte, wieder seinen Händen entgleiten sehen.
Es scheint die Stellung des Weibes nicht sowohl von der Zeit als von dem Charakter des Volkes, der natürlich den Charakter beider Geschlechter umschließt, abzuhängen. Manche, die davon gehört haben, daß für die Artentwicklung sehr lange Zeit in Anspruch genommen wird, mögen erwidern, was sollen uns ein paar tausend Jahre, die bisherige Geschichte beweist gar nicht, daß die Entwicklung nicht doch noch kommt. Solche mögen ihres Glaubens leben, aber sie müssen uns auch gestatten, anzunehmen, daß in den nächsten Jahrtausenden keine wesentliche Veränderung zu erwarten sei. – –