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»Das Land der kleinen heroischen Frauen«, nennt Dorothea Hauer die Anamitinnen in einem Aufsatz in der Nachtausgabe.
»Ein häufiges Bild ist das: vor einen plumpen, zweirädrigen Lastkarren hat sich eine schmale, schlanke Frau gespannt, zieht, zieht mit alleräußerster Kraft, daß der Oberkörper waagrecht sinkt, die Füße sich vor Überlastung kaum vom Boden lösen. Oben auf der Wagenladung thront unterdessen friedlich und gemütlich der Gatte, stopft umständlich seine faustdicke Bambuspfeife, pafft gemächlich drei Züge, träumt dann zufrieden und gedankenlos in die Ferne. Ein andermal sieht man sechs Weiber gemeinsam einen riesigen Lastwagen schleppen oder beobachtet auf den Landstraßen einen ununterbrochenen, niemals abreißenden Zug von Frauen und Mädchen, jede einzelne sich drehend, biegend und beugend unter zentnerschwerer Traglast. Ganz selten wandert in ihrer Reihe ein Mann. Er geht meist frank und frei, hat sich nur mit einem hübschen, außen weißen, innen grün gefütterten Sonnenschirm belastet, den er über sein kokettes Haarknötchen spannt.
Die anamitische Frau ist sanft und energisch, fügsam und beherrschend, arbeitsam und klug. Der Mann schafft ihr die Kinder und fühlt sich daraufhin berechtigt, als Gegenleistung zu verlangen, daß sie ihn und die Kinder ernährt. Wenn sie etwa dafür nicht ausreichen sollte, nimmt er sich eine zweite Ehefrau hinzu, oft genug eine dritte und mehr. Der Lieblingstraum des Anamiten, fünf Gattinnen sein Eigen zu nennen, fand im Volkslied poetische Verklärung: ›Bei jeder der fünf Nachtwachen steht eine meiner Frauen mir zur Seite: meine erste bereitet den Tee und den Betelpriem. Meine zweite breitet die Matten aus und verteilt die Spielkarten. Meine dritte schafft drinnen und draußen. Meine vierte macht das Bett und lüftet den Moskitoschleier. Meine fünfte – die Favoritin – erwacht, dem Weinen nah: sie kocht mir Bohnenbrei und reicht ihn schüchtern, indem sie spricht: ›Koste ein wenig, Liebster, du machst mich glücklich damit!‹.«
Nun, wir wissen, daß die Anamitin nur ein Symbol auf der Riesentreppe der libido ist, wo die Frauen dienend, arbeitend, segnend, gesteinigt, verachtet, von Gier umloht seit Jahrtausenden stehen, hörig dem Sexus. Ob Anamitin oder Europäerin – sie waren Eigentum des Mannes, sie sind es geblieben. Fast immer haben sie kurzes Glück teuer bezahlt, und die Messalinen und Katharinas sind so seltene Ausnahmen, daß sie nur die Regel bestätigen. Mit welcher Brutalität hat der Mann in Liebe oder in Haß das Weib verfolgt! In Kriegen und Fehden wurde es in die Sklaverei verschleppt, mußte dem Trieb jedes Mannes dienen, wurde hundertfach geschändet, entehrt und entweiht. Feldherren und Tyrannen, Sieger und Berauschte gaben das Weib der Lust ihrer Soldaten hin. Negerstämme marterten schiffbrüchige Weiber zu Tode.
Ein Rasender, wie Herzog Ernst von Bayern, ließ die schöne Agnes Bernauer, die sich sein Sohn Herzog Albrecht in Augsburg gefreit und zur Herzogin von Bayern erhoben hatte, als »Zauberin« von der Donaubrücke ins Wasser stürzen. Die Unglückliche erreichte schwimmend das Ufer. Die Henker aber wickelten das lange Goldhaar der Unglücklichen um eine Stange und hielten die Frau so lange unter Wasser, bis sie tot war. Die Folge war ein wüster Krieg zwischen Vater und Sohn ...
In Mantua kann man noch einen Käfig an der Torre della Gabbia sehen, in dem die wegen ihrer Schönheit berühmte Luigia Berlotti mit ihrem Geliebten eingeschlossen war – eine Grausamkeit ohnegleichen, zu der der Vater der Schönen sich hinreißen ließ, weil sie einen Edelknappen liebte und eines Kaisers Hand verschmäht hatte. Sie starb vor den Augen alles Volkes Hungers. – Überhaupt bietet die Geschichte der Renaissance ungeheuerliche Beispiele von Roheit gegen Frauen und Mädchen. Eifersüchtige Ehegatten martern ihre Liebste zu Tode. Fürsten erdrosseln mit eigenen Händen mißliebige Schwestern und Schwägerinnen. Ein Scheusal sandte einer Unglücklichen das Herz ihres Buhlen im Weinkelch. Und eine Megäre, die Gräfin Bathory, mordete mit eigener Hand hunderte ihrer Mägde, um ihr Blut als Schönheitsmittel zu verwenden.
Bei der Gerichtsverhandlung, die unter dem Vorsitze des Paladins Georg Thurzo gegen diese Elisabeth Bathory und ihre Helfershelfer durchgeführt wurde, gab eine Zeugin zu Protokoll, daß die Zahl der von der Blutgräfin Ermordeten mindestens sechzehnhundertfünfzig Mädchen umfassen müsse. Ob diese Angabe wahr ist, läßt sich nicht feststellen. Tatsächlich soll eine Aufzeichnung von der Hand der Gräfin Bathory in einer Kiste gefunden worden sein, die diese Zahl ergab. Dem standen allerdings die Aussagen der Zeugen und der Angeklagten gegenüber. Doch war es nicht natürlich, daß diese sich alle Mühe gegeben haben, die Zahl der Opfer herabzudrücken? Danach waren es »nur« siebenunddreißig gewesen, nach anderen fünfzig und mehr.
Schließlich konnte die Gräfin nicht mehr leben ohne Grausamkeiten. Endlich ereilte auch sie das Schicksal. Eine Gerichtskommission von ungarischen Adeligen reiste nach Schloß Sarvar, um eine Untersuchung einzuleiten. Sie förderte die Greueltaten der Gräfin zutage, und der Paladin berief in Preßburg einen Gerichtshof ein, der die Gehilfen der Gräfin zum Tode durch das Feuer verurteilte. Die Elenden wurden verstümmelt, ehe sie am Scheiterhaufen endeten. Elisabeth Bathory starb einige Jahre später in enger Haft auf Schloß Csejthe. –
Auch das jus primae noctis wurde lange Zeit mit teuflischer Brutalität ausgeübt – und die wirtschaftlich abhängige Frau des aufgeklärten 20. Jahrhunderts – unterliegt sie vielleicht nicht in überwältigender Mehrzahl einem Brauch, den das neue Strafrecht endlich als das, was es ist, kennzeichnet, als Vergewaltigung?