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Dr. Karl Abraham gibt in einem interessanten Versuch eine Entwicklungsgeschichte der libido psychoanalytische Erklärungen für den – nach der Wissenschaft anormalen – Zustand nach dem Objektverlust, also nach dem Verlust des geliebten Menschen. Er schürft – mit Freud – in tiefsten Untergründen der Seele – und findet, ohne gerade Witwenverbrennungen zu erwähnen, eine seltsame Ideenverbindung mit der sadistischen Veranlagung des Menschen, der das geliebte Objekt in sich aufzunehmen wünscht, der eine Vereinigung zu vollziehen sucht, die das geliebte Objekt einfach eins mit ihm werden läßt. Er schlingt das Objekt in sich hinein, und der vulgäre Ausdruck »Ich habe dich zum Fressen gern« gewinnt eine barbarische Bedeutung. Doch auch die Vereinigung Liebender im Tode findet so eine weit über das gewöhnliche Gleichnis hinausgehende Auslegung.
»Sind sowohl der Verlust als die Introjektion des Objekts in gewissen Fällen ohne Schwierigkeit zu erkennen, so ist doch darauf hinzuweisen, daß eine Einsicht, wie die vorstehend gegebene, durchaus oberflächlichen Charakter trägt, denn sie läßt jede Erklärung des Vorganges vermissen. Der Zusammenhang des Objektverlustes mit den Tendenzen des Verlierens und Vernichtens auf der früheren anal-sadistischen Stufe wird erst durch regelrechte Psychoanalyse ersichtlich, ganz ebenso wie der Charakter der Introjektion als orale Einverleibung. Ja, der ganze, der Melancholie innewohnende Ambivalenzkonflikt bleibt einer solchen flüchtigen Betrachtungsweise verborgen. Ich hoffe, mit Hilfe des später mitzuteilenden Tatsachenmaterials diese Lücke unserer Kenntnis einigermaßen ausfüllen zu können.
Zunächst aber muß hier bemerkt werden, daß uns tiefere Einblicke auch in den Vorgang der normalen Trauer insofern noch fehlen, als von der direkten psychoanalytischen Erforschung dieses Seelenzustandes bei Gesunden oder Neurotischen (die Bezeichnung hier im Sinne der Übertragungsneurosen gebraucht!) nichts bekannt geworden ist. Wohl hat Freud uns den wertvollen Hinweis gegeben, daß der schwere Ambivalenzkonflikt des Melancholikers dem Gesunden fehlt. Aber in welcher Weise die »Trauerarbeit« im Gesunden sich vollzieht, bleibt im einzelnen noch eine offene Frage. Eine Erfahrung der jüngsten Zeit hat mir nun den langentbehrten Einblick in den normalen Vorgang der Trauer gegeben und mir gezeigt, daß auch dieser auf den realen Objektverlust eine zeitweise Introjektion der geliebten Person folgen läßt.
Einer meiner Analysanden hatte das Unglück, daß seine Ehefrau während seiner Behandlung schwer erkrankte. Sie befand sich in Erwartung ihres ersten Kindes. Die schwere Erkrankung machte schließlich die Unterbrechung der Gravidität durch Kaiserschnitt notwendig. Mein Analysand, der eiligst hinzugerufen wurde, kam nach geschehener Operation an. Die Operation rettete aber weder der Frau noch dem zu früh geborenen Kinde das Leben. Mein Analysand kehrte nach einiger Zeit nach Berlin zurück. Die Fortsetzung der Psychoanalyse, besonders aber ein Traum aus der folgenden Zeit ließen keinen Zweifel daran bestehen, daß sich an den schmerzlichen Verlust ein Introjektionsvorgang von oral-kannibalischem Charakter angeschlossen hatte.
Eine der auffälligsten seelischen Erscheinungen beim Analysanden bestand zu jener Zeit in einer wochenlangen Unlust zur Nahrungsaufnahme. Sie stand mit seinen sonstigen Lebensgewohnheiten in auffälligem Widerspruch, erinnerte dagegen an die Nahrungsverweigerung der Melancholiker. Eines Tages löste sich die Eßunlust, und am Abend hielt der Analysand eine ausgiebige Mahlzeit. In der nun folgenden Nacht träumte er, er wohne der Sektion der jüngst Verstorbenen bei. Der Traum hatte zwei miteinander kontrastierende Szenen. In der einen wuchsen die zerschnittenen Leichenteile wieder zusammen, die Tote begann wieder Lebenszeichen von sich zu geben, und der Träumer liebkoste sie unter Gefühlen höchsten Glückes. In der anderen Traumszene änderte der Anblick der Sektion seinen Charakter, und der Träumer wurde an geschlachtete Tiere in einem Fleischhauerladen erinnert.
Die im Traum zweimal dargestellte Sektion knüpfte an die Operation (sectio Caesarea) an. In dem einen Traumbild geht sie in die Wiederbelebung der Toten über, in dem anderen verknüpft sie sich mit kannibalischen Assoziationen. Unter den vom Träumer gegebenen erläuternden Einfällen ist besonders bemerkenswert, daß sich an den Anblick der Leichenteile die Erinnerung an die Mahlzeit des Vorabends assoziierte, besonders an ein genossenes Fleischgericht.
Wir sehen also einen Vorgang im Traum zwei verschiedene Ausgänge nehmen, die nebeneinander gestellt sind, wie wir es so häufig finden, wenn der Traum ein »Gleichwie« zum Ausdruck bringen will. Das Verzehren des Fleisches der Verstorbenen wird mit ihrer Wiederbelebung gleichgesetzt. Nun haben wir aus Freuds Untersuchungen des melancholischen Introjektionsprozesses erfahren, daß durch diesen das verlorene Objekt tatsächlich wiederbelebt wird: Es wird im Ich wieder aufgerichtet. In unserem Falle hatte der Trauernde sich eine Zeitlang dem Schmerz überlassen, als ob es keinen Ausweg aus diesem gäbe. Die Unlust zur Nahrungsaufnahme schließt ein Spielen mit dem eigenen Tod in sich, als ob nach dem Tode des Liebesobjektes das eigene Leben seinen Reiz verloren hätte. Die Schockwirkung des Verlustes wird ausgeglichen durch den unbewußten Vorgang der Introjektion des verlorenen Objekts. Während dieser Prozeß sich vollzieht, wird der Trauernde wieder in den Stand gesetzt, sich wie früher zu ernähren, und zugleich kündigt sein Traum das Gelingen der »Trauerarbeit« an. Die Trauer enthält den Trost: Das Liebesobjekt ist nicht verloren, denn nun trage ich es in mir und kann es niemals verlieren!
Wir erkennen hier das gleiche psychische Geschehen wie im melancholischen Krankheitsprozeß. Es wird später darauf einzugehen sein, daß die Melancholie eine archaische Form der Trauer darstellt. Die vorstehende Beobachtung läßt uns darauf schließen, daß die Trauerarbeit des Gesunden sich in tiefen psychischen Schichten ebenfalls in der archaischen Form vollzieht.
Und an anderer Stelle:
Der Impuls zur Koprophagie scheint mir eine für die Melancholie typische Symbolik zu enthalten. Nach meinen übereinstimmenden Erfahrungen bei verschiedenen Patienten ist das Liebesobjekt die Zielscheibe bestimmter Impulse, wie sie der tieferen anal-sadistischen Organisationsstufe entsprechen. Es sind die Antriebe zum (analen) Ausstoßen und zum Vernichten (Ermorden). Das Produkt der Ermordung – die Leiche – wird mit dem Produkt der Ausstoßung – dem Kot – identifiziert. Wir verstehen nunmehr den Antrieb zum Kotessen als einen kannibalischen Impuls zum Verzehren des getöteten Liebesobjekts. Ich fand bei einem meiner Patienten die Vorstellung vom Kotessen verknüpft mit der Vorstellung der Strafe für schwere Schuld, und zwar mit psychologischem Recht, wie wir hinzufügen dürfen. Mußte er doch auf diesem Wege ein Verbrechen wieder gut machen, dessen Identität mit der Ödipustat wir noch verstehen lernen werden. (Nach einem Hinweis von Dr. J. Harnik findet sich auf ägyptischen Grabdenkmälern ein dem Toten zugeschriebenes Gebet: Es möge ihm die Strafe des Kotessens erspart bleiben. Vgl. Erman, Religion der Ägypter.)
Schon hier sei aber auf die bemerkenswerten Mitteilungen über Nekrophagie hingewiesen, welche Roheim auf dem Psychoanalytischen Kongreß 1922 machte. Sie legen uns die Auffassung nahe, daß die Trauer in ihrer archaischen Form im Verzehren des Getöteten ihren Ausdruck findet.
Wiederholt bin ich bei Melancholischen auf starke perverse Gelüste gestoßen, die in einer Verwendung des Mundes an Stelle des Genitales bestanden. Zum Teil wurden diese Wünsche in Gestalt des Cunnilinguus zur Erfüllung gebracht. Meist aber handelte es sich um äußerst lebhafte Phantasien, die sich auf kannibalische Regungen bezogen. Die Patienten phantasieren vom Beißen in alle möglichen Körperteile des Liebesobjekts (Brust, Penis, Arm, Gesäß usw.). In den freien Assoziationen begegnete ich viele Male der Vorstellung des Verschlingens der geliebten Person oder des »Abbeißens« von ihrem Körper, andere Male wieder einem Spielen mit nekrophagen Vorstellungen – dies alles bald in kindlich-ungehemmter Weise, bald versteckt unter Ekel und Schrecken.