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Die Witwe

Hörige sind getreu bis in den Tod! Unzählige Fälle ließen sich anführen. Der drastischste Ausdruck der absoluten Hörigkeit, ja der förmlichen Introduktion des Weibes in den Mann ist die Sitte der Witwenverbrennung oder Witwentötung. Das Weib ist geboren, »um dem Manne mit seinem Körper zu dienen«. (Chu-hi, 12. Jahrh.) »Die Witwe ist die noch nicht Tote. Sie wartet nur noch auf ihren Tod und dürfte nie den Wunsch haben, das Weib eines anderen zu werden!« Chu-hi war Chinese. Will man den tieferen Sinn des Witwenschicksals bei den asiatischen Völkern verstehen, so muß man sich vor Augen halten, daß die Asiaten, ob sie nun an Confuzius oder Brahma glaubten, im Tode nur eine Reise in ein anderes Land sahen. Der Tod trennte nicht für immer. Daher war auch die Wiederverheiratung einer Witwe Untreue. Aber es ist wichtiger für uns und interessanter, festzustellen, daß der Feuertod der Weiber in den meisten Fällen ein freiwilliger war. Herodot berichtet, daß thrakische Weiber sich gestritten haben, welche dem geliebten Manne ins Grab nachfahren sollte. Bei vielen anderen Völkern haben gewissenhafte Autoren das gleiche unbedingte Hörigkeitsverhältnis der Frau festgestellt. Das klassische Land der Witwenverbrennung ist Indien, und wir wissen von Cicero und dem Dichter Plutarch, daß seit Urzeiten die Indierin ihrem Mann in das Grab gefolgt ist. »Das Leben ist nichts, alles ist mein Geliebter,« sagte die Indierin, ehe sie den Holzstoß betrat. »Ich will mit meinem Gatten das Glück des Himmels finden und meine Ahnen und die Ahnen meines Gatten heiligen.

Selig mit meinem Gatten besteige ich den Scheiterhaufen als Sühne für die Sünden meines Gatten, mag er einen Brahmanen ermordet, die Bande der Dankbarkeit zerrissen oder einen Freund erschlagen haben. Sonne, Mond und Luft, Feuer, Erde und Äther und Wasser rufe ich als Zeugen an: Ich folge meinem Gemahl!« Danach steigt die Witwe auf den Holzstoß, der von dem Sohne oder einem Verwandten in Brand gesetzt werden muß, umarmt die Leiche ihres Mannes und überläßt sich den Flammen.

Mandelslo hat im 17. Jahrh. einer Verbrennung beigewohnt und schildert sie folgendermaßen:

siehe Bildunterschrift

Rokoko
»Le Rire«

»Den Anfang der Prozession machten Spielleute mit Pauken und Schalmaien, danach folgten etliche Jungfern und Weiber, welche vor der lebendigen Leiche herspielten und tanzten. Hinter ihr gingen auch viel Manns- und Weiber-Volkes, neben etlichen Kindern. Sie, die Witwe, war mit köstlichen Kleidern angetan. Als sie zum Holzhaufen kamen, nahm sie Abschied von allen ihren Freunden, teilte ihre Gewänder und Geschmeide unter sie. Danach setzte sie sich auf den gar hoch getürmten Holzhaufen, welcher aus Aprikosen- und Morellenholz mit Zimmet und Sandel durchleget und mit Öl begossen, wie solches auf ihren Kleidern entzündet ward, dann goß sie über ihren Kopf aus einem großen Krug ein köstlich duftendes Öl, welches die Flammen des Feuers vermehrten, daß sie also ohne einigen Geruch und Gebärden von Qual, in einem Blitz getötet werde. Einige ihrer Freunde hatten auch Öl zu der Glut gegossen, damit der Brahma willfähriger alles auffraß.«

siehe Bildunterschrift

Die Kniende
Gerhard Windisch

Einer der bekannten Forscher, Schlagintweit, hat beobachtet, daß eine Witwe, nachdem sie sich neben der Leiche ihres Mannes niedergelassen hatte, von den Brahmanen mit langen Stangen in die Flammen niedergedrückt und dadurch, daß eine dieser Stangen ihr über den Hals ging, gehindert wurde, zu fliehen.

Die Engländer haben Witwenverbrennungen streng verboten. Aber sie können das tiefe Hörigkeitsverhältnis der indischen Weiber nicht ausrotten.

In einem Roman, in dessen Mittelpunkt eine Indierin steht, findet sich folgender Dialog: der Europäer spricht vom Glück der Ehe, der Liebe, des Lebens. Die Indierin antwortet:

»Glücklich werden ... was ist das? Glücklich werden ... ich bin eine Frau. Ich habe viele, viele Jahre geträumt in dem dumpfen Bewußtsein meines Seins. Meine Pflicht ist, einem Manne zu dienen. Es ist meine Pflicht, ihn zu lieben!«

»Gibt es eine Pflicht, einen anderen Menschen zu lieben?«

»Ja,« erwidert sie. »Liebe ist Güte. Savitri wählte ihren Gatten Satyavant, obgleich der Himmelsbote Starada ihr mitteilte, daß über ein Jahr der Todesgott ihn holen würde. So war's ihm vom Schicksal beschlossen.

»Wehe!« sprach Asspawati, ihr greiser Vater. »Willst du das Los der Witwe wählen? In der Blüte der Jugend dem Gatten zum Todesgotte folgen?«

Savitri antwortete

»Wie einmal nur des Vaters Besitz geteilt wird, so wählt das Herz eines Weibes nur einmal. Wer mißt das Glück nach Jahren?«

So ward sie das Weib des Todgeweihten.

Und kennt ihr die Geschichte von der treuen Sajvi?

Sie war die Gemahlin des Königs Haristschandra, der wegen eines Vergehens gegen einen heiligen Büßer besitzlos durch fremde Länder wandern mußte, um eine Summe zusammenzubetteln, mit der er sich vom Fluche des Beleidigten erlösen konnte.

siehe Bildunterschrift

Die Fünfzehnjährige

Aber er brachte die Summe nicht zusammen.

Da sprach Sajvi, die Tugendreiche:

»Mein Geliebter, du darfst nicht fremden Menschen dienen und Knecht sein, denn du bist mein Herr! – Verkaufe mich! – Ich gab dir einen Sohn, meine Pflicht als Weib habe ich erfüllt. Verkaufe mich – und sei du frei! Gehst du aber in die Knechtschaft, bin ich mit dir ehrlos!«

So sprach die treue Sajvi.

»Und was tat der König?«

»Der König verkaufte Sajvi, um sich und sie vom Fluche zu lösen.«

»Und Sajvi?«

»Sajvi segnete ihn. Auch dann segnete sie ihn, als sie ihr einziges Söhnchen in schrecklicher Gefangenschaft verlor.«

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Die Midinette
Tobis

» Unsere Frauen, die weißen Frauen, fühlen nicht so. Ich meine, die Liebe, von der du sprichst, gleicht eher ererbter Sklaverei als dem heiligsten Gefühle der Menschen.«

»Du irrst. Der Heilige, der mir diese Geschichte erzählte, hat mich gelehrt: Lieben heißt dienen.

Liebe ist Ehrfurcht, Unterwerfung. Die Frau gibt sich auf, sie ist nichts, um alles für den Gatten zu sein. Sie ist der Teppich für seine Füße. Der König Duschjanta verstieß Sakuntala, sein Weib, in die Dschungeln. Eines Tages fand er sein Söhnchen, das mit einem Löwen spielte. Und so traf er die Verstoßene. Er bat sie um Vergebung seiner Sünde gegen sie.

Sie sprach nur:

›O Herr, wie wehe hast du mir getan.‹

Aber selig war die so hart Geprüfte, denn sie liebte ihren Gatten trotz aller Schmerzen, die er ihr bereitet hatte.

Bharata, ihr Söhnlein, wurde der erste Kaiser Indiens.«

»Leid also ist Liebe. Aber doch Liebe. Was aber ist Liebe?«

»Leid. Du sagst es.«

*

Die Engländer bedrohen jeden Zuschauer oder Urheber einer Witwenverbrennung mit dem Tode. Jetzt ist an die Stelle des Feuertodes die »kalte Verbrennung« getreten, d. h. die Witwe wird bei dem Tode ihres Gatten aller Schmucksachen beraubt, ihre guten Gewänder gegen minderwertige umgetauscht, ihre Mahlzeiten auf das Notwendigste beschränkt. Daß aber gelegentlich doch wieder auf den alten Brauch zurückgegriffen wird, beweist ein Vorfall aus Allahabad, wo eine junge Witwe unter wütendem Protest einer nach tausenden zählenden Volksmenge von der Polizei befreit werden konnte.

Auch da, wo sich die Lage der Witwen besser gestaltet hat, haftet der Wiederverheiratung noch ein Odium an.

Auf den Salomoinseln, berichtet Ribbe, wird die Lieblingsfrau eines Mannes ihm freiwillig ins Grab folgen. Erhängen, Ersticken und Ertränken sind die beliebtesten Selbstmordarten. Auf den Fidjiinseln werden die Witwen erwürgt, bei den Basutos mit Knüppeln auf dem Grabe des Gatten erschlagen.

siehe Bildunterschrift

Das Mädchen ohne Heimat
»Schweizer Spiegel« Hugo Lauti

Tylor berichtet, bei den Indianerstämmen Nordamerikas sei die Witwe verpflichtet, sich neben der Leiche des Gatten auf den Scheiterhaufen zu legen. Im letzten Augenblick, ehe die Flammen sie erreichen, wird sie aus dem Feuer gezogen.

Hörige sind aus einem inneren Zwange treu bis in den Tod.

Es ist falsch, in solchen Sitten nichts als Barbarei zu sehen. Sie sind der Ausdruck unbedingter Treue und Hörigkeit des Weibes. Es sind selten unkultivierte Völker, bei denen diese Sitten herrschen, und es ist durchaus kein Beweis von Zivilisation, wenn der Begriff der Witwentreue aufgehört hat, Bedeutung zu haben.

Plutarch berichtet uns von der Gattin des gallischen Fürsten Ortiagontes: »Um die Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. fiel Chiomara einem römischen Centurio in die Hände, der sie vergewaltigte. Ortiagontes, der ihr in Liebe anhing, sandte ein Lösegeld für sie. Als die Abgesandten ihres Mannes im römischen Lager anlangten, sagte sie ihnen, sie selber fordere ein Lösegeld von dem Centurio. Sie lockte ihn in einen Hinterhalt und ließ ihm das Haupt abschlagen. Sie brachte Ortiagontes den Kopf des Erschlagenen mit den Worten:

»Ich habe zwar das Völkerrecht verletzt, aber ich konnte es nicht über mich bringen, einen Mann außer dir leben zu lassen, der sich rühmen könnte, mich besessen zu haben.« –

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Inserat zu einem Film über den Mädchenhandel

Dies ist die Geschichte von Mallonia.

Mallonia war eine Römerin und einem Jüngling zugesprochen, den sie liebte. Und sie hatte dem Cäsar den Leib versagt, welcher Tag und Nacht seine Sinne umgaukelte.

Denn ihre Jugend war rosig wie die lustbetaute Eros, und auf ihren Brüsten begannen die Knospen zu blühen.

Ihre Stirn aber leuchtete wie Alpschnee im Schmelze der Unschuld.

Der römische Wüstling ließ sie auf das Forum schleppen und beschuldigte die tugendhafteste Römerin der Gottlosigkeit.

Denn der Kaiser von Rom kannte seinen Senat. Als die Väter das Todesurteil aussprachen, da lächelte Mallonia. Nicht anders wußte sie sich zu verteidigen.

Mallonia lächelte schmerzlich, denn die Brautnacht war herbe. Rote Rosen wanden sich um ihren zuckenden Leib. Sie starb als Braut und Römerin.

In die einsame Finsternis ihres Kerkers stieg der kaiserliche Greis.

Man hatte ihr die Kleider geraubt, und sie stand nackt im Lichte ihrer herben Keuschheit.

Der Cäsar lächelte.

Die Wache lauerte vor der Zelle auf seinen Wink.

Er aber hielt die kleine Lampe über ihren Nacken und zitterte heftig.

Mallonia trat einen Schritt zurück und schützte mit ihrem üppigen Haar den Leib gegen den giftigen Atem des Greises. Er legte seinen Purpur unter ihre taubenweißen Füße und weinte.

Und Leben und Tod schaukelten in dem Schwingen der Sekunde. Und siehe! Blitzschnell fuhr die Hand der Jungfrau nach dem blitzenden Gehänge des Tyrannen, und sie gab dem kalten Stahle, was sie dem Cäsar verweigerte.

Der aber entfloh samt seinen Knechten.

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Zwischenakt

Es lebte einmal eine Witwe, die die Asche ihres Gatten in sich aufnahm um so die Wiedervereinigung mit dem Geliebten für alle Zeiten zu vollziehen. –

Die Gräfin von Houdetot, die 1813 starb (Frau von Remusat schildert sie in ihren Memoiren), vermachte ihrem letzten Geliebten, dem Nachfolger Saint Lamberts, Baron von Sommariva, ihr Herz in einer Urne. Er trug die Reliquie bis an das Ende seines Lebens bei sich.

Unserer materiellen Zeit blieb ein Prozeß vorbehalten, den ein italienischer Staatsangehöriger mit den deutschen Behörden führte – um eine Mumie. Diese Mumie war seine Frau.

Als sie fast zwei Jahre vor Ausbruch des Konfliktes zwischen dem liebenden Gatten und der Staatsbehörde starb, ließ der Mann, der sie bis zum Wahnsinn geliebt hatte, den leblosen Leib einbalsamieren und lebte von nun an in seiner abgeschlossenen Wohnung zusammen mit der Toten!

Die Liebe hatte den Tod besiegt, aber die Liebe konnte das Bestattungsgesetz nicht überwinden. Die Polizei nahm diesem tapfersten und treuesten aller Gatten die Mumie mit Gewalt fort, um sie der Erde zu übergeben.

siehe Bildunterschrift

Garrani: »Je länger ich dich ansehe, desto mehr liebe ich ihn«
(Aus Eduard Fuchs, Garrani, Albert Langen Verlag, München)

Denn es besteht natürlich ein Unterschied zwischen der Liebe über den Tod hinaus und den Vorschriften des B.G. u. R. St. G.

Gedenken wir auch der rührenden Gestalt der Gattin Harry Waldens, des genialen Schauspielers, der das gleiche Leiden, an dem der Dichter Fritz Reuter fast zugrunde ging, mit sich herumschleppte. Er war unheilbarer Quartalsäufer. Aber so, wie Reuters Louise alle die Schrecknisse, die mit den Ausbrüchen dieser Krankheit einhergingen, tapfer und ohne Murren ertrug, wie sie ihr Kreuz auf sich nahm, diesem vom Genius wie vom Teufel Alkohol gleich Gezeichneten Stab und Stütze war, Engel des Lebens, so die Frau, die als Lebensgefährtin jenes unsteten Bühnenkünstlers vor keiner Demütigung zurückschreckte, um das Los des geliebten Mannes zu erleichtern. Sie hat nicht viel Dank geerntet. Sie verschwand ebenso unter den Ruhmlosen, wie die Gallmeyer, die Mitte des 19. Jahrhunderts Wien durch ihre Kunst berauschte und als Bettlerin gestorben ist.


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