Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

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XXXI. Das Stockholmer Blutbad

(1520)

Stockholm im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts

Die Krönung Christierns des Tyrannen

In einem Giebelhaus am großen Markt zu Stockholm wohnte ein Bürger, namens Klavus Boye, der so groß und breit war, daß er zu seinen Kleidern viermal so viel Stoff brauchte als ein anderer Mann. Das war sehr teuer, aber glücklicherweise war seine Frau dafür um so kleiner. Die Kinder schlugen ihr nach und waren auch klein; sie sahen aus wie zwei Reihen rotbackiger Puppen, als sie am Vormittag des 4. November 1520 auf des Vaters Knieen saßen.

Klavus liebte seine Kinder und seine Frau Metta über alles auf der Welt. Die kleine hellhaarige Frau war immer froh wie eine Lerche, und heute war sie es noch mehr. Jetzt eben streute sie feingehacktes Wacholderreis auf die sonnenbeschienenen Fliesen des Fußbodens und freute sich dabei, daß die Stadttore nach der langen Belagerung nun doch endlich wieder geöffnet waren. Hemming Gad und der Bischof Mats von Strängnäs hatten so viele Beispiele von der Güte Christierns des Tyrannen erzählt und wie freigebig er Salz und Heringe unter den Bauern verteile, daß die Stockholmer schließlich Mut gefaßt hatten, mit ihm zu verhandeln. Frau Christina Gyllenstierne war gegen viele schöne Versicherungen und Gelübde zur Übergabe der Stadt gezwungen worden, und eben jetzt wurde Christiern der Tyrann von Erzbischof Trolle im Dom gekrönt.

»Meinethalben mögen die Mächtigen streiten, so lange sie Lust haben,« sagte Klavus, »aber wir sollten uns eigentlich doch auch unter das Volk an der Kirchtür mischen und die Festlichkeit mit ansehen. Wir haben nichts zu fürchten, Klein-Metta, denn ich habe mich nie in die Fehden der Großen gemischt.«

Dann nahm er seine vier Puppenkinder und setzte sich die beiden jüngsten auf die Schultern. Die andern durften sich an den Mantelzipfeln festhalten, und vor ihm her trippelte Frau Metta fröhlich plaudernd und von Mutterstolz erfüllt.

Der Weg vom Schlosse nach der Kirche war mit rotem Tuch überdacht, und in dem offenen Zeltgang waren schon die letzten Krönungsgäste vorbeigezogen. Unser guter Klavus drängte sich bis zum Kirchenportal vor. Christiern des Tyrannen tiefe Stimme war sogar außen auf den Stufen vernehmlich. Mit drei Fingern auf einem Reliquienschrein legte er den Eid ab und schwur, »das Reich mit eingeborenen Männern zu regieren und Schwedens Gesetz und Recht in allem aufrecht zu erhalten.« Dann reichte ihm Trolle die Hostie; aber dänische Herren waren es, die die Krone, das Zepter, den Reichsapfel und das Schwert darreichten.

Nachdem König Christiern gekrönt war, setzte er sich auf einen Stuhl und erteilte Ritterschläge, jedoch nur dänischen Männern. »Schweden ist mit dem Schwert gewonnen worden,« rief ein Herold aus, »deshalb kann kein Schwede der Ritterehre teilhaftig werden.«

Danach stand der König auf und stützte sich mit dem Arm auf den Hochaltar. Ein Bote von seinem Schwager, Kaiser Karl V., trat heran und hängte ihm ein Band um den Hals mit einem Orden, der ein goldenes von Strahlen umgebenes Widderfell zeigte. Der Orden des goldenen Vließes war ein neues Zeichen von Christierns Macht, denn damit war er in den burgundischen Fürstenbund aufgenommen worden.

Mit einem Gefühl, das an Schauder grenzte, vermeinten in diesem Augenblick alle Anwesenden den gefürchteten Kaiser zu sehen, wie er bleich und mit vorgeschobenem Kinn in seinem Tragsessel einen Bergpfad im Süden hinaufgetragen wurde. Seine Herrschaft reichte so weit, daß die Sonne in seinem Reiche nie unterging, denn wenn sie an der westlichen Grenze versank, leuchtete schon die Morgenröte über der östlichen.

Stolz auf einen solchen Beschützer winkte Christiern der Tyrann mit seinem seidenen Handschuh den Bürgern am Portal zu. Unter solchen kleinen Leuten fühlte er sich am wohlsten. Vergnügt in seinen rotbraunen Bart hinein lächelnd, saß er oftmals bei ihren einfachen Mahlzeiten und trank von ihrem Biere. Heute aber umgaben ihn die Großen, und deshalb vielleicht blickten seine Augen so hart. Und wer konnte wissen, ob er nicht gerade in diesem Augenblick, mitten unter der Huldigung der Vornehmen, an Dyveke, sein Täubchen, dachte, deren Mutter nur eine gewöhnliche Wirtsfrau war. Ja, Dyveke hatte Christiern der Tyrann geliebt, das wußte das Volk recht wohl.

In Bergen, hoch droben in Norwegen, hatte er sie einstmals beim Tanz getroffen; sie war ihm dann in seine dänische Königsstadt gefolgt, und da hatte er ihretwegen seine eigene Königin vergessen. Aber jetzt war sie tot, und von der Stunde an, wo sie den Geist aufgegeben hatte, war alles in ihm wie erfroren. Jetzt war es die alte Sigbrit, Dyvekes Mutter, die ihm Gesellschaft zu leisten pflegte und ihm einflüsterte, einige der mächtigsten in Dänemark hätten Dyveke vergiftet. Sigbrit hatte auch einen Vetter, namens Didrich Slagheck, der früher Bartscherer gewesen war; der befand sich jetzt beständig in des Königs Nähe und stachelte ihn durch seine bösen Ratschläge zur Rachgier und zu grausamen Strafen auf. Darüber wußten indes die Großen besser Bescheid als das Volk.

Dachte der König heute wohl an die arme Dyveke, oder überlegte er schon, wie weit er verpflichtet sei, seine Gelübde den in Acht und Bann erklärten schwedischen Ketzern zu halten? Wahrend er so an der Ecke des Altars stand, schaute er bisweilen nach rechts und links. Rechnete er in Gedanken vielleicht aus, wie viele von den Köpfen, die hier um ihn versammelt waren, bald abgeschlagen draußen auf dem Markte liegen sollten? Oder stritt er den letzten Kampf mit den guten Vorsätzen seiner Jugendzeit?

Das Lied brauste durch die Kirche, und als Christiern dem Portale zuschritt, grüßte er das niedere Volk noch immer gleich freundlich.

Und die ganze Zeit über beleuchtete die Herbstsonne das Bildnis des heiligen Georg und glänzte auf dem Schwert, das der Heilige über dem Drachen schwingt. Ach, würde denn niemals wieder aus den Dörfern ein Mann hervorgehen, der stark genug wäre, das Racheschwert zu schwingen, die Bauern zu sammeln und sie aufs neue zu Sieg und Freiheit zu führen!

Auf dem Schlosse zu Stockholm

Drei Tage lang wechselten Turniere und Festgelage miteinander ab, und die Stockholmer Bürger schenkten Christiern dem Tyrannen einen vergoldeten mit sechshundert ungarischen Gulden gefüllten Pokal. Erzbischof Trolle, Diedrich Slagheck und der unternehmende Bischof von Odense, Jöns Beldenack hatten doch mitten unter den Festlichkeiten oftmals heimliche Unterredungen mit dem König, und am dritten Tage wurden ganz unerwartet eine Menge Bischöfe, Edelleute, Bürger und vornehme Frauen aufs Schloß entboten.

»Klavus, Klavus!« rief Mutter Metta und tanzte freudestrahlend in der Kammer umher. »Eine solche Ehre! Hier ist die Botschaft, daß du mit aufs Schloß sollst. Ziehe rasch deine neuen Kleider an, damit du nicht geringer aussiehst als die hochmütigen Jüten!«

Damals gab es eine schöne Tracht: das Tuch war an den Achseln bauschig zusammengerafft und da und dort geschlitzt, so daß das hellere Unterzeug herausquoll. Die Schuhe waren vorne breit wie ein Kuhmaul, der Mantel war mit Eichhornfell gefüttert und die Mütze mit Pelz verbrämt. Groß war Klavus ja schon vorher, aber jetzt sah er wie ein wirklicher Riese aus.

»Nimm dich ja zusammen,« ermahnte Frau Metta, »damit du, wenn du in den langen, langen Saal hineintrittst, nicht vergissest, also zu sprechen: ›Friede im Hause Euer Gnaden, dann wird es schon gehen. Wir sind ja alle Christen ...‹ Nun, wie heißt es also?«

Klavus wischte sich den Schweiß von der Stirne: »Friede mit deinem Ehgemahl, junger Christiern, dann ... Nein, das war falsch!«

Mutter Metta wurde ernst, aber sie konnte eine leichte hochmütige Regung doch nicht unterdrücken, denn vornehm war es jedenfalls, wenn man so viel Kleider auf dem Leibe hatte. »Du taugst ja recht dazu, mit vornehmen Leuten zu sprechen,« sagte sie. »Dann vergiß wenigstens nicht, mit Essen aufzuhören, sobald sich der König die Finger abwischt.«

Aber da wäre Klavus beinahe böse geworden. »Ei ja, das würde sich gerade schicken,« murmelte er, »wenn der König sehen müßte, daß ich keinen größeren Wert auf die guten Speisen legte. O nein! Der Mahlzeit werde ich sicherlich Ehre antun, wenn Seiner Gnaden auch einen Augenblick warten müßte.«

Erregt durchmaß Klavus das Zimmer mit langen Schritten, und seine Kinder umringten ihn voller Bewunderung. Er küßte sie auf die Wangen und strich seiner Frau übers Haar.

»Die Heiligen seien mit euch, ihr Lieben,« sagte er weich, während er sich die Handschuhe anzog. »Was werde ich alles zu erzählen wissen, wenn ich zurückkomme! Mutter, ich glaube, du solltest so ungefähr ums Abendläuten etwas Rheinwein im Kruge bereit halten.«

Als er auf die Straße hinauskam, grüßten ihn seine Bekannten mit tieferen Knicksen als gewöhnlich; da fühlte sich Klavus ganz zufrieden mit sich selbst und schritt ordentlich aus.

Aber man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, lautet ein altes Sprichwort. Als sich Klavus glücklich in dem prächtigen Saale des Schlosses befand, fand er es am geratensten, sich hinter dem Rücken der andern in eine Fensternische zu schmiegen.

Der König trat ein, setzte sich unter den Thronhimmel, und als alle versammelt waren, wurden die Türen geschlossen. Trocken und mager pflanzte sich Trolle vor dem Throne auf und verlangte Verhör und Urteil über alle, die bei seiner Absetzung und der Zerstörung seiner Burg mitgetan hatten. Heute war endlich sein Siegestag. Der Schimpf und die Niederlage brannten ihm noch in seinem hochmütigen Herzen, aber mit der äußeren Ruhe des kalten Hasses las er den schwedischen Herren die Bannbulle des Papstes vor.

Frau Christina Gyllenstierne antwortete, indem sie freimütig das von der Reichsversammlung unterschriebene Dokument vorwies. Doch da eilte Bischof Brask herbei, riß sein Siegel herunter, und zu aller Bestürzung wickelte er einen kleinen Zettel auf, auf dem geschrieben stand: »Ich bin dazu gezwungen worden.«

Zornig ballten viele die Faust unter dem Mantel, denn es war leicht zu erraten, daß der kluge Bischof dadurch frei ausgehen würde. Inzwischen wurde das lange, umständliche Verhör fortgesetzt. Und als der König schließlich den Saal verließ, war es schon so spät, daß man die Lichter anzünden mußte.

Klavus und die andern Bürger wagten die an sie gestellten Fragen kaum anders als mit einem undeutlichen Gemurmel zu beantworten. Aber in seinem Herzen redete er um so aufrichtiger. »Alter Klavus,« sagte er sich selbst, »nie hättest du geglaubt, daß du jemand unrecht getan habest. Du hast es gut mit allen gemeint auch mit den Schweden, obgleich du ein paar Tropfen ausländisch Blut in deinen Adern hast. Solltest du deshalb nun gestraft werden? König Christiern, von dir können wir etwas lernen. Wenn die Ungerechtigkeit zur Macht kommt, bekommt der, so das Rechte will, böse Tage.«

Er fühlte, wie er von festen, starken Fäusten gepackt und in das Gedränge hineingestoßen wurde. Sören Norby und andere Dänen, die vorhin bei der Krönung den Ritterschlag erhalten hatten, waren mit Wachen hereingedrungen und führten die Angeklagten zwischen Schwertern und Fackeln hinaus. Bestürzt und sprachlos stiegen die Gefangenen die schmale Treppe in den Turm hinunter. Dort wurden sie in das Gewölbe hineingeschleppt, wo die Mörder und Diebe, die im Lauf der Zeiten hier in ihren Ketten hin und her gewandert waren, grobe Zeichen und Namen in den Mauerkalk geritzt hatten. An dieselbe Wand lehnten sich jetzt die ernste Frau Cäcilia von Eka, Gustav Wasas Mutter, sowie Männer und Frauen aus den Familien der Lejonhuvud, Kurck, Bauér, Gyllenstierne, Brahe und solche aus anderen altansässigen Adelsgeschlechtern. Einige hielten trotzig den Mut aufrecht, und Herr Erik Johansson, Gustav Wasas Vater, speiste die Wächter mit Spott und beißenden Reden nach echter Wasaart ab.

Bald konnte das Gefängnis keine weiteren Gefangenen mehr fassen, und so wurden auch andere Gewölbe und Säle zu Gefängnissen abgesperrt. Die Bischöfe und die andern Geistlichen wurden in einem engen Gemach eingeschlossen und mußten sich da auf den Boden legen, wie es eben ging.

Die größte Mühe hatten die Soldaten mit Klavus, den der aufschäumende Zorn noch breiter zu machen schien, als er schon war. Trotz aller Anstrengung ging sein Riesenkörper nicht durch die enge Turmpforte. So sehr sie ihn auch stießen und pufften, sie konnten ihn nicht hindurchzwängen. Da stellten sie ihn vorläufig auf die Seite, und von da zog er sich vorsichtig weiter und immer weiter zurück, so daß er allmählich von den bleichen Gesichtern, die an ihm vorüberkamen, ganz verdeckt wurde und der Fackelschein nicht mehr bis zu ihm hinreichte. Dabei gelangte er schließlich auf eine verfallene Treppe, von der er nicht wußte, wohin sie führte. Und obgleich die Ziegelsteine klapperten, stieg er doch Stufe um Stufe hinauf.

Oben angekommen, merkte er, daß er sich auf einem Bodenraum des Schlosses befand. Durch das zertrümmerte Giebelfenster blinkten die Sterne herein, und aus der Schmiede drunten im Hof drang ein Ton zu ihm herauf, der ihn an warme Sommernächte erinnerte, wo die Heuschrecken im Grase sitzen und ihre Flügel gegeneinander reiben. Der wetzende Ton aber stammte von einer Schar rotgekleideter Henker, die bei Fackelschein ihre Richtschwerter schliffen.

Der Boden krachte unter Klavus' Füßen, und er hielt jäh an. Durch die Ritzen des Bretterbodens konnte er in ein Gemach hinuntersehen, und da sah er den König bei Tisch sitzen. Es ging eine Sage über den König, die behauptet, er habe bei seiner Geburt die eine Hand zur Faust geballt gehabt, und diese sei voller Blut gewesen.

Auch jetzt lag diese Faust auf dem Tisch, aber er sprach von einem Handelsvertrag und von klugen Zukunftsplänen, wobei er seine Worte ab und zu mit einem gutmütigen Scherz würzte. Dann versank er in Gedanken, und sein Gesicht nahm einen düsteren Ausdruck an. Halbschlafend drückte er seinen Bart tief in seinen schwarzen Mantel hinein und murmelte etwas von seinem königlichen Gelübde bei der Krönung. Da beugte sich Diedrich Slagheck über ihn, geschmeidig und schlau, die Ellenbogen in die Seiten gestemmt und die Finger gespreizt: »So lange Euer Gnaden mit den schwedischen Großen und mit ihrer Zwietracht nicht ein Ende macht, wird hier niemals Ruhe im Land,« sagte er sanft und leicht hingeworfen. »Wohl hat Euer Gnaden ihnen von sich aus großmütig Vergebung zusichern können, aber niemals von seiten der Kirche und dem Papst.«

»Sie sind Ketzer und müssen als Ketzer verurteilt werden,« schloß Trolle, der eben zur Tür hereintrat. Und um den König zur Entscheidung zu bringen, ließ er sich dreimal vor ihm auf die Kniee nieder.

Hinter ihm auf der Schwelle warteten seine Knappen. Vor Schrecken erstarrt betrachtete Klavus von seinem Versteck aus entsetzt Trolles Wappenschild, das in Gold und bunten Farben auf den Kleidern seiner Leute gestickt war. Im Schilde stand ein geköpfter Troll, dessen Blut hoch aufspritzte.

Das Blutbad

Donnerstag, den 8. November, graute ein düsterer Wintermorgen. Schon in aller Frühe, als der Pfeifer auf der Stadtmauer umherging und mit seinem Spiel die Leute weckte, wurde unter Trompetenklang kundgetan, daß vor dem zweiten Trompetenschall kein Bürger das Haus verlassen dürfe. Auch die Stadttore wurden verschlossen gehalten, so daß niemand hinaus konnte, weder mit Lärm noch mit guten Worten.

Verweint hielt Mutter Metta an ihrem Fenster, das auf den großen Markt hinausging, Wache. Sie konnte gar nicht begreifen, was geschehen war. Der Krug mit Rheinwein stand seit gestern abend bereit, aber kein Klavus war erschienen.

Gerade vor Mittag ertönte das zweite Trompetensignal. Mitten auf dem Markte bildeten nun die dort aufgestellten Soldaten eine breite Straße mit ihren Spießen, und man konnte von unten nicht leicht sehen, was sich innerhalb zutrug. Aber Mutter Metta fragte sich, ob sie denn den Verstand verloren habe, denn zwischen zwei Reihen Soldaten wurden Bischöfe und vornehme Herren dahergeführt, die sie nur allzugut kannte, obgleich sie sehr gebeugt und blaß aussahen. Nur Herr Erik Johansson Wasa hatte seine gewöhnliche rote Farbe. Ein Fähnrich eilte herbei und flüsterte ihm etwas ins Ohr, vielleicht, daß er Gnade erlangen könnte, denn Herr Erik antwortete laut und klar: »Meine Mitbrüder sind ehrliche Männer, und ich will im Namen Gottes mit ihnen sterben.«

Sein Schwiegersohn Jachim Brahe ging ebenso unerschrocken hinter ihm und sang einen Trostpsalm. Die Ratsherren Anders Karlsson und Anders Rut ermahnten die Schweden, sich nicht länger mit falschen Eiden betrügen zu lassen, sondern sich zu erheben und eine solche entsetzliche Gewalttat zu rächen. Ihre Stimmen wurden indes von dem Waffengeklirr, das die Soldaten aufschlugen, übertönt, und die Reihe der zum Tode Verurteilten war so lang, daß die letzten das Schloßtor noch nicht hinter sich hatten.

Mutter Metta zog ihre Kinder vom Fenster weg und hielt sich selbst die Augen zu. Aber da fiel ihr plötzlich ihr guter Eheherr ein. Wieder suchten ihre Blicke unter den Gefangenen, die, ein geistliches Lied singend, nun mit gefalteten Händen daherschritten. Sie sah, wie sie ihre Ringe und goldenen Ketten abnahmen und den Kopf unter das Schwert beugten. Der erste war der weißhaarige Bischof Mats von Strängnäs. Der fünfte war Herr Erik, der bis zuletzt den unüberwindlichen Wasageist aufrecht erhalten hatte. Als schließlich die Dämmerung hereinbrach, fing es heftig zu regnen an, und da lagen mehr als achtzig enthauptete Leichname auf dem Markte.

Mutter Metta zündete ein Wachslichtchen an und wachte unter heißem Flehen zu den Heiligen die ganze Nacht hindurch. Auch während der nächsten zwei Tage konnte sie noch mit niemand sprechen. Die Haustüren mußten verschlossen bleiben, denn Soldatenhaufen zogen plündernd umher, und die Hinrichtungen dauerten immer noch fort.

Hunger und Kälte nicht achtend hielt sich Klavus während dieser ganzen Zeit auf dem Bodenraum des Schlosses verborgen. Als er schließlich unter einigen alten Säcken gefunden wurde, war man des Mordens schon so überdrüssig, daß man ihn laufen ließ. Blutig gefärbtes Regenwasser rieselte von dem großen Markte die Abhänge hinunter. Wie um sich selbst einzubilden, daß er von nichts wüßte, fragte Klavus, ob die Dänen das große Weinfaß im Rathauskeller hätten auslaufen lassen? Aber die Leute antworteten ihm, was da durch die Straßen laufe, sei Schwedens edelstes Blut. Da konnte auch Klavus nicht länger schweigen, und er erzählte, daß er den König habe Befehl geben hören, die vornehmsten der gefangenen Frauen nach Kopenhagen zu führen, wo sie in den blauen Turm eingesperrt werden sollten.

Kurz nachher klopfte Klavus an seine Haustür und rief seinen Namen. Da lief Mutter Metta eiligst hinunter und warf sich ihm an den Hals; aber obgleich sie ihn wieder bei sich hatte, konnte sich keines von ihnen so recht darüber freuen. Die Erinnerungen verfolgten sie, von was sie auch redeten. Er konnte nicht wie früher mit seinen Kleinen scherzen und nicht mehr vergnügt und dankbaren Herzens über sein gutes Heim auf dem Herdrand sitzen; dagegen stand er oft sinnend vor einem Panzer und einem altmodischen Sturmhelm, die in früheren Zeiten von seinem Vater getragen worden waren und nun verrostet am Pfosten hingen. Klavus war ein geduldiger Mann, aber wo die Ungerechtigkeit herrschte, gab es keinen Frieden. Er drückte seiner Metta die Hände und schwur ihr, er werde mit in den Kampf ziehen, sobald sich nur ein einziger Mann fände, der die Schweden anführen könnte.

Draußen auf dem großen Markte balgten sich die Hunde um die halbnackten Leichname. Die Köpfe waren auf Spieße gesteckt worden. Nur Bischof Mats hatte man die Ehre angetan, ihm seinen Kopf zwischen die Füße zu legen. Des Landes Hochwald lag da von der Axt gefallt am Boden. Das waren die Männer, die kürzlich noch geherrscht und regiert und deren Ahnen in Karl Knutssons und Magnus Ladulås Ritterscharen gekämpft hatten.

Am nächsten Morgen wurden die Leichname und Köpfe in Fässer gesammelt, die man auf Kufen stellte, vor denen man dann Pferde spannte. Herrn Stens Leiche, sowie sein Söhnlein, das während der Belagerung gestorben war, wurden aus ihren Gräbern auf dem Gråmunkeholm herausgerissen und zwischen den andern Leichen auf einen Scheiterhaufen auf dem Södermalm geworfen. Kein Ketzer dürfe ein ehrliches Grab haben, sagte Trolle.

Auf den Brücken und an den Ufern stand das Volk und sah zu, wie die Rauchwolken hoch aufwirbelten. Im Strome spiegelte sich bis spät in der Nacht dieser brennende Scheiterhaufen, der ohnegleichen in der Geschichte des Nordens ist – wo uralte Zwietracht verbrannte, und mit ihr vieles, was edel und groß war, aber aus dessen Schein, der über die Fjorde und Berge hinleuchtete, endlich auch ein neuer Tag erstehen sollte.

Die Neujahrsnacht

Danach zog Christiern der Tyrann südwärts seinem eigenen Lande zu. Wo er sich unterwegs aufhielt, wurden Galgen und Rad errichtet. Der bejahrte Doktor Hemming Gad hatte vor kurzem in Finnland seine Tage auf dem Richtplatz beschließen müssen. In Jönköping wurde Herr Lindorm Ribbing hingerichtet, und gleich nach ihm wurden auch seine beiden Söhnchen hergeführt.

Der ältere wurde zuerst enthauptet; da fing der jüngere, der erst sechs Jahre alt war, zu weinen an. »Lieber Mann,« sagte er zu seinem Henker, »mach mein Hemd nicht blutig, sonst bekomme ich Schläge von meiner Mutter.«

Da warf der Henker empört das Schwert weg und sagte, da solle lieber sein eigenes Hemd blutig werden. Aber der König, der zusah, schickte einen seiner Soldaten hin und ließ den Henker mitsamt dem Kinde enthaupten.

Die Klosterleute waren im allgemeinen befriedigt, daß die Ketzer gestraft wurden, und die Nonnen im Kloster Vadstena begrüßten den König mit frommem Gesang. Mit den Mönchen im Nydala kam er dagegen nicht so leicht überein; der Abt und mehrere von den Brüdern wurden in den See geworfen, und wo sich auf den Herrenhöfen schwedisch gesinnte Männer und Frauen befanden, herrschte lähmende Sorge.

In den Kirchen wurde der Gemeinde ein altes Edikt vorgelesen, demnach ihnen verboten war, Waffen zu tragen – die Waffen, die ihnen so oft in der Stunde der Not am Gürtel gehangen hatten. Aber die Bauern murrten darüber und sagten, Eisen und Schwerter wollten sie nicht entbehren, so lange sie ihre Füße zur Verfolgung und ihre Hände zur Rache über ihre Feinde hatten.

Von der Sehnsucht entstammt, seinem Vaterlande zu dienen, war Gustav Wasa aus der Gefangenschaft in Dänemark entflohen und streifte nun landaufwärts durch die Dörfer. Er rief die Landbevölkerung auf, sich zu sammeln und ihm zu folgen, aber seine Zuhörer standen mißtrauisch abseits, und oft schossen sie mit Pfeilen auf ihn. Verkleidet suchte Gustav Wasa seine Verwandten auf; aber als diese hörten, daß er einen Aufruhr plane, erschraken sie.

Eines Morgens ging er auf Rävsnäs, einem seiner väterlichen Güter, auf die Jagd und begegnete zufällig einem von seinen Dienern, der ihm unter lautem Schluchzen von dem Stockholmer Blutbad berichtete. Da schwur der empörte Edelmann, sein Leben daran zu setzen, um seine Verwandten zu rächen und sein Volk zu befreien. In aller Eile raffte er seine Kostbarkeiten zusammen, stieg zu Pferd und ritt von einem einzigen Knechte begleitet von dannen. Der Knecht entwich jedoch bald, und so zog Gustav Wasa allein weiter auf unbekannten Wegen und Stegen durch jene Wälder, wo Engelbrechts Dalmänner noch wie früher beim offenen Feuerherd saßen und ihre breiten Pfeile schnitzten.

Die Weihnachtsdämmerung senkte sich auf Stockholm herab, und in tiefer Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung sahen die Bürger das düstere Jahr seinem Ende entgegengehen. In der Neujahrsnacht brannten unzählige Kerzen auf den verschiedenen Altären des Doms und nicht die wenigsten auf dem Altar des Heiligen Georg. Die Kirchentüren standen offen, und die Betenden knieten von der Schwelle bis zum Hochaltar.

Da wurde plötzlich ein Seitentürchen aufgeschlossen, und heraus trat ein Häuflein Priester mit brennenden Wachslichtern. Zwischen sich trugen sie einen offenen Sarg, in dem ein verdorbenes, wurmstichiges Heiligenbild in einem Atlaskleid und wie ein Leichnam verhüllt lag. Wenn eines der alten Heiligenbilder in Staub zerfiel und gegen ein neues vertauscht werden mußte, wurde das abgängige auf diese Weise in geweihter Erde begraben, so verlangte es die alte Sitte.

Einer der Zuschauer trat heftig ein Paar Schritte vor. Es war ein junger Schmiedsohn von Örebro, namens Olavus Petri. Er war bei Bischof Mats Kanzler gewesen und hatte sich den Magistergrad in Wittenberg erworben, bei Martin Luther, der gerade im letzten Sommer in den Bann getan worden war.

»Anderthalb tausend Jahre sind seit der Geburt Christi vergangen,« murmelte er halblaut, »und noch immer betet ihr Holzpuppen an, ganz wie früher die heidnischen Opferer auf den Hügeln zu Uppsala. Ich habe meine Bibel gelesen, und ich kenne eine neue, reinere Lehre.«

Einige aus dem Volke wollten ihm Schweigen gebieten, aber Klavus, der an der Pforte stand, hielt sie zurück. »Sprecht nur weiter, Meister Olof,« bat er mit glühenden Wangen.

Olavus Petri sah ihn an, schwieg aber, denn er wußte, daß die rechte Stunde noch nicht für ihn gekommen war. Und in demselben Augenblick ertönte vom Turme der erste Glockenschlag, dem die andern langsam folgten.

»Das neue Jahr,« sagte er. Da falteten alle Anwesenden ringsum die Hände, und die Ahnung großer Ereignisse zog durch ihre Herzen. »Das Jahr 1521 – was mag dieses Jahr für uns Schweden in seinem Schoße bergen?«

Wir haben nun gesehen, wie mitten in den verheerenden Stürmen doch alles allmählich heranwuchs und wie es Tag wurde in dem Lande, wo früher die Opferfeuer in den dunklen Wäldern brannten, an vielen grausamen Fehden haben wir teilnehmen müssen, und oft sind wir bei Zeiten angelangt, in denen das Meiste unbekannt oder unsicher ist. Manchen Aberglauben von den langen Winterabenden und von einsamen Pfaden, sowie viele altertümliche Vorstellungen haben wir gesammelt, um zu erfahren, wie man damals gedacht hat. Und wie leicht wird es einem, die Menschen zu lieben, wenn deren Leben abgeschlossen ist und nur aus weiter Ferne, aus der Welt der Sage, der Siegeslärm aus ihren Burgen und das Glockengeläute über ihrer Bahre zu uns herüberdringt!

Da steht nun im Winterschnee Meister Olof voller Erwartung, und ich glaube, wir wollen uns zu ihm hinschleichen und durch die Winternacht, so laut wir nur können, den Ruf erschallen lassen: »Gustav Wasa, kommst du nicht bald mit deinen Dalmännern?«

Ende des ersten Teiles


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