Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

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XXX. Der junge Herr Sten

(1512 – 1520)

Sten Stures Tod

In der Sakristei und im Bischofschloß

Am Neujahrsfeste des Jahres 1512 saß der junge Herr Sten in der Fensternische und ließ sich von der Sonne bescheinen.

Er hielt die Hände in die Höhe, damit die Sonne sie recht durchwärmen könnte. Die weihnachtliche Dämmerung war mit langen Schatten über die Felder hingekrochen, als aber das neue Jahr eingeläutet wurde, hatte sich das Wetter plötzlich aufgeklärt, und jetzt funkelte der Schloßgraben wie an einem Junitag.

»So ist es immer,« sagte der junge Herr Sten. »Januar, du bist der schöne Sommermonat des Winters, obgleich dir der Rauhreif im Bart sitzt.«

Jetzt trat über die Schwelle ein Mönch mit schneeigen Schuhen. Sein Mantel war fest zugezogen, und darunter klirrte ein Panzer.

»Im Januar ist das Jahr noch ein Kind,« sagte er, Herr Stens Gedanken gleichsam fortsetzend; »es meint, alles sei lauter Spiel. Aber dann kommt der Februar mit den ersten, bitteren Mahnungen und sticht wie Nadeln. So ist es auch bei dir, Herr Sten. Neunzehnjährig bist du, kaum mehr! Und schon Schloßhauptmann und Ritter! Aber ziehe die eisernen Handschuhe an, das Februarwetter ist da.«

Herr Sten erbleichte voll banger Ahnung. »Handelt es sich um meinen Vater, den Reichsverweser?« fragte er.

Der Mönch spähte nach allen Seiten, um sicher zu sein, daß ihn sonst niemand hörte.

»Unser Reichsverweser, Herr Svante, hat vor kurzem mit den Bergleuten in Västerås Rat gehalten,« flüsterte er und beugte sich zu Herrn Sten vor. »Als er eben vom Tisch aufstehen wollte, wankte er und fiel zu Boden, und als wir ihn aufzurichten versuchten, merkten wir, daß er tot war. Bis jetzt ist es noch Geheimnis. Aber hier ist keine Zeit mit Weinen zu verlieren. Bedenke, Herr, du bist die Hoffnung aller schwedischgesinnten Untertanen.«

Herr Sten strich sich über die Augen und erhob sich von seinem Sitz mit jener klugen Fassung, die alle aus dem Hause Sture auszeichnete.

»Wer bist du, und warum willst du mich nicht begleiten, sondern deines eigenen Weges ziehen?« fragte er den Mönch, der jetzt seinen grauen Bart von den Eisstücken befreite.

»Wer ich bin? Ein Eremit, der im Walde unter den Tannen wohnt und schweigen kann. Deshalb hat man mich geschickt, mein Weg führte mich eben hier vorbei. Nein, ich habe keine Lust, mit dir zu ziehen, Herr Sten. Ich bin selbst jung gewesen und kenne die Jugend: trommeln, Pfeifen, tanzen und allerlei Torheiten, sowie große Worte – das ist die Jugend.«

»Uns Sture kennst du aber doch nicht,« dachte Herr Sten, als er in den Sattel sprang. Freundlich und noch mit einem Anflug von Schüchternheit, ermahnte er seinen Diener, der schwedischen Sache treu zu bleiben falls es zu Kampf und Streit im Lande kommen sollte, und nicht nur zu streiten, um Geld und schöne Kleider zu gewinnen. Und es gab auch unter dem Gesinde keinen, der nicht lieber auf einem leeren Sack zu Pferde gesessen, als daß er einen solchen Herrn verlassen hatte. Aber es war keine Zeit zu verlieren; Herr Sten wählte rasch einige von seinen Mannen aus und ritt eilig von dannen.

Ohne Kampf fielen ihm allmählich die vornehmsten Bürger des Reiches zu. Aber die Großen sahen mit scheelen Augen die Macht der Sture, und so gaben sie ihre Stimme dem dänenfreundlich gesinnten Herrn Erik Trolle, damit dieser zum Reichsverweser gewählt werden sollte. Es wurden viele stürmische Versammlungen abgehalten und viel hin und her geritten, aber die Bürger schrieen, sie wollten ihren Herrn Sten haben, und um des lieben Friedens willen wurde er schließlich auch gewählt und ihm gehuldigt.

Während der ersten Jahre, die nun folgten, hatte Herr Sten nur selten Zeit, in irgend einer sonnigen Fensternische der Muße zu pflegen.

Eines Tages, als in Uppsala gerade der Jahrmarkt der Lichtmesse gehalten wurde, verbreitete sich das Gerücht, der Reichsverweser komme auf der Landstraße dahergezogen. Da banden die Kaufleute rasch ihre Beutel zu, die Höker verschlossen ihre Buden, und in den Weinstuben wurde es eben so leer, als es auf dem Platz vor dem Dome voll wurde.

»Er denkt an uns Bürgersleute und erlaubt den Vögten keine Übergriffe,« sagten die Bauern.

»Und wie einfach er in seinem braunen Wams auf dem Pferde sitzt!« riefen die Weiber. »Daß er einen schmalen Streifen Hermelin um den Ärmel trägt, ist wohl nicht mehr als billig.«

Herr Sten trat in die Sakristei. Er hatte runde Wangen und einen kleinen Kopf mit blondem aus der Stirne gestrichenem Haar; aber sein Handschlag war treu und ehrlich.

Tatendurstige und eigensinnige Männer waren es, die da drinnen in dem Dämmer des durch das hohe Fenster hereinfallenden Tagesscheins zusammentrafen. Hochgelahrt und schlagfertig stand auf der einen Seite des Tisches Doktor Hemming Gad, der Mann, der zu Lebzeiten des alten Herrn Sten als Botschafter in Rom gewohnt hatte und bei den wilden Festen des Papstes Borgia zugegen gewesen war. Er stützte das Kinn in die Hand, drückte seine lebhaften Augen zusammen und dachte sich in der Stille das Seine. Ihm gegenüber auf der andern Seite stand lächelnd der schlaue Herr Brask, der vor ein paar Jahren Bischof von Linköping geworden war. Und am weitesten drinnen thronte der Bischof Gustav Trolle, groß und schlank, mit vertrockneten, mageren Zügen und halbgeschlossenen Augen. Ratsherren und Domherren füllten die Sakristei, und hinter ihnen in den geöffneten Wandschränken glitzerten goldene Kelche mit Perlen und Saphiren, die Zeugnis von der vieljährigen Macht und dem alten Glanz der Kirche ablegten.

Herr Sten trat geradewegs auf Trolle zu und reichte ihm die Hand.

»Die Herren von der dänischen Art möchten lieber Euren Vater zum Reichsverweser als mich,« lauteten seine Worte. »Aber kommt, vergesset des alten Grolls und denkt daran, daß ich selbst mein Bestes getan habe, Euch den Erzbischofsstab zu verschaffen.«

»Unsere Geschlechter haben einander von jeher gehaßt,« erwiderte Trolle mit eisiger Verachtung und wendete sich ab. »Leget Eure um Gunst werbende Hand in die der Bauern! Wir Trolle haben eine weiße empfindliche Haut, denen solch herzlicher Händedruck nicht angenehm ist. Reitet heim in Euer Stockholm, ich reite nach Stäket. Dann mag es gut oder böse endigen!«

Obgleich die Türen geschlossen waren, wurde der Wortstreit doch in der Kirche vernommen. Die Schüler erkannten sowohl Stures deutliche, ruhige Stimme, als die langsame fast flüsternde des Erzbischofs. Trolle hatte eine Art zu flüstern, bei der jedes Wort klar durch einen ganzen Dom tönen konnte.

Bei Sonnenuntergang war Herr Sten schon wieder auf dem Heimweg nach Stockholm. Die Marktleute brummten, und der Zinnbecher wollte nicht mit der gewohnten Geschwindigkeit kreisen.

Im nächsten Herbst landeten eine Menge Boote in den Buchten um Stäket her, und Herrn Stens Leute belagerten die Burg des Erzbischofs.

»Ja, hier wohnt der Troll in seiner Höhle!« rief Trolle von der Fensterluke aus mit einem kalten Lachen. »Meint ihr denn, ihr Bauern, ihr könntet Stäkets Mauern mit euren hölzernen Pfeilen niederschießen?«

Hierauf setzte er sich ruhig zu Tisch unter einem Thronhimmel aus Goldbrokat. Die Söhne aus den vornehmsten Familien des Reiches warteten ihm auf, um Hofsitte zu lernen, und drunten im Burghof zähmten die Knappen seine Jagdfalken und übten sich im Waffenspiel.

Die Burg war reich mit Vorräten versehen, und in den langen Winterabenden, wenn der Kaplan vorlas, krachten die brennenden Holzscheite lustig auf der Feuerstelle. Trolle schaute ins Feuer und hatte die langen Finger ausgestreckt auf der Armlehne des Stuhls liegen.

»Viele kleine Flammenzungen flackern über das Holz hin, und viele kleine Kronen leuchten über dem schwedischen Volk. Aber keine von den Flammen ist hell genug, die andern zu verschlingen und eine einzige große Flamme zu werden,« sagte er. »Ich brauche ein gutes dänisches Schwert, um fünfzig oder achtzig Köpfe abzuschlagen, wenn die Herren hier es lernen sollen, wieder auf den Knieen mit ihrem Erzbischof zu reden.«

Erst als es abermals Sommer wurde, begann der Burgvogt verstohlen und ängstlich die letzten geräucherten und gesalzenen Speckseiten im Keller zu zählen. Eines Abends war man eben dabei, den Tisch zu decken, und der Erzbischof geruhte seine Festtagskleider anzuziehen. Der Kammerdiener eilte mit seines Herrn perlenbestickten Pantoffeln herbei, der Türknappe glättete die Spitzen um seine seidenen Handschuhe, im Saale spielten und quinkelierten die Spielleute, und der Vorschneider verbeugte sich schon unter der Tür vor dem noch leeren Stuhl des hochwürdigen Vaters.

Da vernahm man plötzlich ganz unvermutet Trolles kurze, hastige Schritte auf der Treppe. Er ging ebenso leise wie er sprach, aber gerade deshalb wußten auch alle sofort, daß er es war. Der Vorschneider erschrak so sehr, daß er umfiel und in seiner ganzen Länge auf dem gepflasterten Boden lag. Er war ein vornehmer Herr in seinem Beruf, in einem silbernen Panzer und mit dem Vorschneidemesser im Gürtel. Seine mit einem Federbusch gezierte Mütze rollte durch den halben Saal. Aber Trolle warf weder einen Blick auf den Vorschneider noch auf dessen Federschmuck, sondern eilte an ihm vorbei in die Rüstkammer; von dort hatte man die weiteste Aussicht ins Land hinein.

Die Rüstkammer wurde von einem roten Schein schwach erhellt, und der Widerschein in den dunklen Harnischen, Beinschienen und Eisenhüten glänzte wie das Licht in einer trüben Hornlaterne.

»Es brennt vor Stockholm,« sagte der Rüstmeister, der eben im Begriff war, eine mit Pfeilen gefüllte Tonne an die Tür zu rollen.

Trolle rieb sich vergnügt die Hände und sagte: »Soll ich es dir sagen, alter getreuer Diener? Das ist der tapfere Sören Norby, der mit seinen Dänen uns zu befreien kommt. Dort drüben plündern und brennen sie.«

»Wir wollen uns nicht zu zeitig freuen,« wendete der Rüstmeister ein, während er die Tonne zu der schmalen Tür hinausrollte. »Dort auf der Treppe stehen drei unbekannte Männer und schauen zu uns herauf. Sie haben gewiß etwas aus dem Herzen.«

Da stiegen die Fremden ein paar Stufen höher hinauf, deuteten auf ihre blutigen Kleider und wendeten sich an Trolle.

»Ehrwürdigster Vater,« riefen sie, »die Dänen sind geschlagen, und wir sind gefangen genommene Dänen! Herr Sten schickt uns, damit ihr sehen sollt, was seine Feinde zu erwarten hätten.« Ihre Worte wurden drunten im Burggraben vernommen, und die Mannschaft begann zu murren.

»Still, still!« gebot Trolle von der Fensterluke aus mit einer halb segnenden, halb befehlenden Handbewegung, aber mit aschgrauem Gesicht. »Ich werde mich nach Stockholm rudern lassen und mich den Herren selbst zur Verantwortung stellen. Und wie sie auch urteilen, sie sollen später schon merken, daß ich deshalb noch nicht in meinem Grabe liege.«

Hochmütiger, kaltblütiger als je trat er der Reichsversammlung in Stockholm entgegen.

»Du bist ein Mörder, denn du hast den Tod vieler verschuldet, nur um herrschen zu können!« riefen ihm die Großen entgegen. »Und wenn wir nachher zur Strafe auch in Acht und Bann getan werden sollten, so soll doch deine Burg dem Erdboden gleich gemacht und dir der Bischofsstab genommen werden. Für Schwedens Befreiung wagen wir Leben und Blut.«

Einer nach dem andern trat vor und drückte sein Siegel unter den schriftlichen Beschluß, demnach Trolle abgesetzt werden sollte. Aber der schlaue Bischof Brask beugte sich tiefer über das Pergament als die andern und verbarg unvermerkt unter dem Wachs einen kleinen Zettel, auf dem geschrieben stand: »Ich bin dazu gezwungen worden.«

Von den Verwünschungen der ganzen Versammlung verfolgt, ruderte Trolle heim auf sein Schloß Stäket.

Jetzt regneten nicht nur hölzerne Pfeile über die Mauern herein, sondern steinerne und eiserne Kugeln. Die Belagerer sahen, daß ein Wassertor angelehnt geblieben war, und so krochen sie, sobald es dunkel war, durch das Tor in die Mauer hinein. Sie gelangten in einen schmalen Gang und stürmten unaufhaltsam vorwärts. »Jetzt nehmen wir Trolles Nest aus!« riefen sie.

Aber der Gang führte nicht durch die Ringmauer hindurch, sondern immer im Kreis herum, immer enger werdend, bis er schließlich nur noch ein schmaler Spalt war. Da begriffen die Mannen, die sich ganz vorne befanden, daß sie in eine Falle gelockt worden waren. Angstvoll versuchten sie umzudrehen, aber die hintersten drängten immerfort nach, ohne eine Ahnung von der Gefahr zu haben. Als nun der ganze Gang voll war, ertönte plötzlich das Klirren eines rostigen Riegels, eine dicke eiserne Tür senkte sich von der Decke herab und versperrte den Ausgang. Da standen nun die Krieger im Halbdunkel und konnten weder vorwärts noch rückwärts; sie waren von der unheimlich gefürchteten Burg verschlungen. Ihre Hilferufe drangen kaum wie ein schwacher Windhauch durch die Mauer. Trolle aber sah zur Fensterluke über der Ringmauer hinaus und rief: »Mein alter Lindwurm, nun hast du dich auch für mehrere Tage satt gefressen!«

Durstig und ausgehungert wußten die Eingesperrten bald nicht mehr, ob es Tag oder Nacht war, und sie machten sich auf den Tod gefaßt. Da rief der vorderste von ihnen, er habe jenseits der Mauer schon lange Wasser herabtropfen hören und auch versucht, einige Steine auszubrechen, sich aber dabei die Hände so blutig gerissen, daß er nicht mehr weitermachen könne. Nun kroch der nächste Mann dem ersten zwischen den Knieen durch und fuhr in der Arbeit fort, bis auch er nicht mehr konnte. Hierauf machte es wieder der nächste genau ebenso, und so weiter, immer wieder der nächste, bis schließlich der, der von Anfang an ganz innen gestanden hatte, der äußerste geworden war, und da war auch das herausgebrochene Loch groß genug, daß ein Mensch hindurchkriechen konnte; außen aber befand sich ein tiefer Brunnen. Am nächsten Morgen in aller Frühe wurde jedoch ein Eimer ins Wasser hinuntergelassen, und da kletterte flugs einer der Soldaten in den Eimer hinein.

»Die Winde geht sehr schwer heute,« brummte der Wächter, der oben stand und sie drehte.

»Wenn dir dein Leben lieb ist, Alter, dann schweige!« flüsterte der Soldat und richtete sich von Wasser triefend in dem Eimer vor ihm auf. Der Wächter, der seinen Herrn haßte, half nun den Soldaten, die andern heraufzuwinden, und als sie damit fertig waren, schimmerte kaum das erste Morgengrauen. Jetzt zogen alle ihre Schwerter und eilten an die Turmpforte, und Trolles eigene Diener, die sich in dessen Schlafgemach versammelten, zwangen nun ihren Herrn, sich zu ergeben. Als er ins Lager hinausgeführt wurde, wollte das Volk ihn totschlagen; aber Herr Sten, der auch anwesend war, beschützte ihn edelmütig und schickte ihn ins Kloster zu Västerås.

Indessen waren die Schloßtore aus ihren Angeln gehoben worden, und die Bauern stampften mit ihren erdigen Holzschuhen über die eichenen Dielen. Der Mauerschutt stäubte um ihre Speere; diese Feste niederzureißen, von der so lange Unfriede und Unglück übers Land geflogen waren wie schwarze Raben, deuchte sie keine Mühe, sondern eine frohe Arbeit. Zwischen den Backsteinen fanden sie kleine Schachteln mit Reliquen von Heiligen, die sie küßten und unter ihren Kleidern verbargen. Bald war die ganze Burg dem Erdboden gleich gemacht, und wo sie gestanden hatte, trockneten später friedliche Fischer ihre Netze oder schleppten ihre Leinen über den Platz, wenn sie die Schiffe durch das spiegelklare Wasser des Sunds zogen.

Die Schlacht bei Brännkirka

»Noch einmal will ich es versuchen, Trolles Feinde zu zermalmen,« dachte König Christiern, der über die Dänen herrschte. Er war der Enkel jenes Fürsten, der so tapfer am Brunkeberg gestritten hatte. Und wie jener wollte auch der neue König Schweden erobern, und so erhielt er mit der Zeit den Beinamen, der Tyrann. Jetzt segelte er mit seiner großen Flotte nordwärts, und bei Brännkirka vor Stockholm kam es zur Schlacht.

Das schwedische Reichsbanner wurde von dem Bannerträger Gustav Eriksson Wasa getragen. Er war frisch und stürmisch wie ein Wirbelwind, der von Norden daherfegt, und verlockte den mißmutigsten Uppländer, mitten im Kampfgetümmel zu singen. Die Schweden begannen indes vor dem heftigen Überfall zurückzuweichen und wären beinahe geschlagen worden, aber Gustav Wasa schüttelte sein kurzgeschnittenes blondes Haar aus der Stirne und stürzte vorwärts und hielt das Banner wie das Bugspriet eines Schiffes halb gesenkt vor sich hin. Da griffen alle anstatt nach den Hackebüchsen nach Streitaxt und Schwert. Das Bannertuch flatterte, die Schar drängte sich um den Bannerträger und folgte ihm siegend den Waldessaum entlang, wo schließlich sechzehnhundert Bauern blutend am Boden lagen.

Während der nächstfolgenden Tage herrschte Siegesjubel in Stockholm, obgleich Christiern der Tyrann noch immer sein befestigtes Lager am Södermalm hatte. Der sehr durstige Gustav Wasa durfte an Herrn Stens eigenem Tische einen Krug leeren. Er hatte Schwielen an den Händen von der Fahnenstange und Narben auf der Stirne; aber darauf war er gerade stolz. Hier herrschten auch keine ausländischen Hofsitten; alles ging einfach zu, und die Krieger lachten aus Herzenslust über Doktor Hemmings spitzige Aussprüche, aber Herr Sten fragte doch einmal unwillkürlich: »Du wetzest deine Zähne, hast du im Sinn, mich damit zu beißen?«

Da lachte der siebzigjährige Greis, der frühere Kammerherr des Papstes Borgia, ein wenig und wackelte mit dem weißhaarigen Kopf. »Herr Sten,« sagte er, »du hast mir keine Ehrenämter anvertraut, wie dein Vater tat. Zu seiner Zeit war ich der schlimmste Feind der Dänen, aber du hast mir Zeit gelassen, mir die Sache zu überlegen. Und da habe ich allmählich einsehen lernen, daß alles nun einmal so ist, wie es ist. Deshalb verwundert mich auch das, was ich dir erzählen will, durchaus nicht. Wie ich gehört habe, will dich König Christiern in nächster Zeit auf seine Schiffe einladen, um dich auf die Wangen zu küssen und von brüderlichem Frieden mit dir zu reden. König Christiern ist also, wie du siehst, ein wohlwollender Herr.«

Da stellte Frau Christiane Gyllenstierne, die stattliche Gattin des Reichsverwesers, die eben ihrem Gemahl einschenkte, den Krug hart auf den Tisch.

»Das ist Verrat,« fuhr sie auf, und die Ratsherren stimmten ihr bei.

Aber der Doktor fuhr fort: »Im Notfall scheint Christiern sogar gewillt zu sein, in die Kirche zu Osthaninge zu reiten, um dich dort zu treffen, wenn du ihm mich und fünf andere als Geiseln schicken willst.«

Herr Sten sah seine Gattin strenger an, als es sonst seine Gewohnheit war, und sagte: »Es wäre unedel, einem Feind einen Verrat zuzutrauen, den man selbst nicht zu begehen imstande wäre. Und,« wendete er sich an die Anwesenden, »falls sich einige fänden, die den Mut haben, den Doktor zu begleiten, so tut es mir dadurch kund, daß ihr die Becher aufhebt!«

Mehrere streckten die Becher in die Höhe; der eifrigste von allen aber war der unerschrockene Fähnrich Gustav Wasa.

An einem Septembermorgen, wo das Laub schon golden glänzte, wurde der Doktor mit den fünf andern nach der Saltsjö hinaus gerudert. Hinter ihnen lag das mauerumschlossene Stockholm auf seiner Insel, und zwischen den Türmen glänzten in der Ferne die Wasser des Mälar. Plötzlich sauste verräterischerweise ein Ruderboot daher, das mit Dänen bemannt war, die sich sofort auf das schwedische Boot herüberschwangen, die Schweden ergriffen und sie als Gefangene mit sich zu der seeklaren dänischen Flotte führten. Das Königsschiff schwamm in der Mitte mit langen herabwallenden Fahnen und roten Zelttüchern, die von Bildstöcken mit natürlich gefärbten, teils Riesen, teils Meerjungfrauen darstellenden, Gesichtern getragen wurden.

Der Fähnrich, der ebenso heftig in seinem Zorn war, wie er zuvor in der Lustigkeit gewesen war, gelobte bei seinem Wasaschild, einer so gemeinen Treulosigkeit eingedenk zu sein und sie niemals zu vergessen. Aber Doktor Hemming blinzelte ihm weltklug zu, klopfte ihm auf die Schulter und ermahnte ihn, die Wahrheit des Wortes zu lernen, daß es nun so sei, wie es sei. Damit beugte der Doktor das Knie vor dem Königsschiff und schwang den Hut über die Ruderbrücke.

Zwei volle Tage wartete Herr Sten vor dem wärmenden Feuer des Pfarrers zu Osthaninge, ohne daß König Christiern sich hätte blicken lassen. Als dann Herr Sten nach Stockholm zurückritt, lichtete die dänische Flotte plötzlich ihre Anker und fuhr mit den Gefangenen nach Dänemark zurück.

Aber die Bauern umringten Herrn Sten, drückten ihm die Hände und riefen: »Nach einem solchen Verrat geht dem König Christiern kein Schwede mehr ohne Bogen und Pfeil entgegen. Jetzt wollen wir für unser von den Vätern ererbtes Land und für unseren geliebten Reichsverweser leben und sterben!«

Arcimboldus

Nicht lange darnach fuhr den Sund bei Stäket herauf ein prächtiges Schiff mit vielen schwedischen Herren und Ausländern an Bord. Der vornehmste unter den Fremden war der päpstliche Ablaßkrämer Arcimboldus. Er hatte dem Papst und Christiern dem Tyrannen versprochen, Trolle zu helfen; aber die Geschenke und Vorspiegelungen der Schweden hatten ihn so mürbe gemacht, daß er jetzt auf dem Wege nach Arboga war, um das Urteil über den abgesetzten Erzbischof zu bestätigen. Behaglich auf den Kissen ruhend saß er bei Herrn Sten im Achterzelt und stützte den Ellenbogen auf die mächtige Truhe mit den gesammelten Ablaßgeldern.

Er hatte keine Lust, auf Deck zu gehen, aber als er sah, daß eine ganze Schar Bürger auf den Ruinen der früheren Burg versammelt war, steckte er seine Habichtsnase zwischen den Zeltvorhängen hindurch und gab einen Befehl. Einen Augenblick zeigte sich sogar auch sein schmales milchweißes Gesicht und sein schwarzes krauses Haar. Ein beredter dicker Mönch lief darauf rasch an die Reling und schwang eine Fahne, auf der der heilige Petrus mit seinen Schlüsseln abgebildet war.

»Hierher ihr guten Bauern!« rief er ausgelassen. »Junge, Alte, lasset das Geld im Kasten klingen, daß eure Seelen aus dem Fegfeuer springen! Dieser Heilige hat, so wahr ich dastehe, schon viele Überläufer gemacht,« fuhr er spöttisch fort, »deshalb hat auch der Papst die Macht, einer Hand voll uppländischer Bauern ihre Schlechtigkeit zu verzeihen.«

Um durch den engen Sund hindurchkommen zu können, mußte das Schiff dicht am Ufer hinfahren. Da streckten sich die Bauern über den Schiffsrand und warfen das Geld für ihre Sünden in Arcimboldus Opferstock. Der Opferstock war, mit Ketten und Schlössern versehen, am Boden festgenagelt. Ein Bauer kaufte sich sogar von dem Mönch ein dichtbedrucktes Pergament, auf dem stand geschrieben, daß der Papst ihn aller Sünden ledig spreche und ihn in denselben unschuldigen Zustand versetze, wie an seinem Tauftag, und der einfältige Bauer glaubte wirklich, der Papst sei dazu imstande. Er war so glücklich über seinen Handel, daß er an Bord klettern wollte, um Arcimboldus die Hände zu küssen; aber der Sund war nicht lang, und schon fuhr das Schiff wieder ins breite Wasser hinaus.

Man war jetzt schon im Dezember, die Enten hielten Reichstag zwischen dem braunen Röhricht und schnatterten vom Fortziehen. Der Wald stand kahl und erfroren, seit die letzten gelben Blätter auf die Erde herabgewirbelt waren, und jeder Zweig schien zu zittern und zu schaudern. Aber die Mälarbuchten waren ebenso schön und spiegelglatt wie an einem Sommerabend.

Mit weicher einschmeichelnder Stimme erzählte Arcimboldus von Rom, wo die großen Künstler Raphael und Michelangelo eben den Palast des gelehrten Papstes schmückten und wie Fürsten geehrt würden. Man müsse einen tiefen Griff in die Schatzkammer tun, um zu bauen und ausschmücken zu lassen, und deshalb habe der Papst Arcimboldus ausgesandt.

»Überall stecken die Reichsherren etwas von den Ablaßgeldern in ihre eigene Tasche,« sagte Arcimboldus und nippte an einem Becher warmen Weins. »Ihr aber seid nicht wie die andern, Herr Sten, Ihr behaltet nichts für Euch, sondern schenkt noch aus Eurem eigenen Beutel dazu. Freuet Euch, freuet Euch! In Rom bauen wir jetzt über dem Grabe des heiligen Petrus einen Riesentempel, der die Hauptkirche der ganzen Christenheit werden soll. Dort wird dann eine marmorne Rose auf dem Dache rufen: Das Gold auf meinen Blättern ist das Gold aus dem fernen armen Schweden!«

Herr Sten saß still da und dachte an die Maler daheim, die, die Pinsel in der Tasche des Malerkittels, ihre Farben rieben und dabei leise vor sich hinpfiffen oder ein Liedchen summten. Obgleich sie in ihren geflickten Kleidern leben und sterben mußten, wußte er wohl, daß es auch ihnen warm ums Herz wurde, wenn sie ihre steifen Heiligen und Engel malten. Sein Blick glitt übers Wasser hin, und jetzt erklang heller Glockenton: in den kleinen Dorfkirchen weit draußen an den Ufern läutete man das Ave Maria.

Der erste Schuß auf den Åsund

Nachdem Trolle ordnungsmäßig abgesetzt war, verließ Arcimboldus das Land wieder. Aber Christiern der Tyrann der meinte, der Ablaßkrämer habe sich zu freundschaftlich gegen die Schweden benommen, und raubte ihm seine vollen Kisten. So kam es, daß die schwedischen Ablaßgelder, anstatt in dem ewigen Rom zu goldenem Kirchenschmuck oder melodischen Glocken umgeschmolzen zu werden, in dänische Lotbüchsen, Pulverfässer und Armbrüste verwandelt wurden. Und es dauerte auch gar nicht lange, bis die Geschütze vor Borgholm und Kalmar dröhnten. Neuangeworbene Schotten, Franzosen, Holsteiner und Mecklenburger hinter sich, zog das dänische Heer durch die smaländischen Wälder gen Ostgotland.

Herr Sten stellte seine Bauern auf dem gefrorenen See Åsunden in Reih und Glied auf. Zu beiden Seiten ließ er Waken aufhauen und hinter ihnen auf dem Strand aus Baumstämmen und Reisig eine Wehr aufschichten, damit sie im Rücken gedeckt wären. Die Bauern bliesen sich in die Hände und stampften aufs Eis, um sich warm zu erhalten, und voller Kampflust schwangen sie ihre zackigen Eisenkugeln, die mit Ketten an ihren Keulen festgemacht waren. Jenseits des Sees bauten die Feinde aus ihren Wagen eine Wagenburg; auf der standen sie breitspurig und spannten die Armbrust.

Herr Sten ritt mutig an der Spitze seiner Leute. Sein helles Pferd war aus weiter Ferne erkennbar, und ein Überläufer bezeichnete es den Feinden. Jetzt kam die erste Kugel über das Eis dahergesaust – und sie durchbohrte nicht allein das Pferd, sondern zugleich auch das Bein des Reichsverwesers.

Da sprang ein dänischer Priester mit einem erhobenen Kreuz auf die Wagenburg und rief: »Wisset, daß an den Kirchentüren schon eine Bannbulle gegen die schwedischen Herren, die des Erzbischofs Burg dem Erdboden gleich gemacht haben, angeschlagen ist! Und wir sind im Namen des römischen Vaters hier, um die Ketzer zu strafen.«

»Zum Kampf für unser gerechte Sache!« entgegneten die Bauern, und eine Weile verhüllte der Pulverdampf das Gefecht wie ein Nebel. Aber ihr Anführer lag blutend auf dem Eise, und einmal ums andere wurden die Schweden zurückgeworfen. Mit knapper Not gelang es ihnen, Herrn Sten auf einen Schlitten zu tragen, dann aber zerstreuten sie sich in wilder Flucht durch Wälder und über gefrorene Teiche.

Jenseits des Tiveden in Ramundeboda hielt der Schlitten vor dem letzten Kloster der Eremiten des heiligen Antonius. Es war ein moosbewachsenes kleines Haus, das fast ganz unter den Tannen verborgen war. Die Bäume streckten ihre Zweige durch das löcherige Dach und rauschten und dröhnten vor den leeren Fensterluken. In den gefährlichen Ramundebodaer Wald wagte sich kein Unbewaffneter hinein, und der Mönch, der jetzt aus dem Kloster trat, trug das Stahlhemd unter dem Mantel.

»Ich erkenne dich wieder, du hast mir an dem Trauertage von Örebro die Botschaft von dem Tode meines Vaters gebracht,« begrüßte ihn Herr Sten mit matter Stimme. »Du hattest damals keinen Glauben an die Jugend und wolltest nicht mit mir ziehen.«

»Junger Herr Sten, du hast mir allmählich einen andern Glauben beigebracht,« erwiderte der Mönch und setzte sich sogleich neben ihn auf den Schlitten, einen Schrein im Arm, dem ein starker Gewürzduft entströmte. »Wir Einsiedler kennen die Kunst, unter Gebet Heilmittel aus Kräutern zu kochen. Ich werde dich daher begleiten und mit dem Tode um dein Leben kämpfen, gerade wie ein Knappe bei einem Handgemenge für seinen Herren streitet.«

Der Schlitten eilte rasch dahin. Trotz seiner Schmerzen vergaß Herr Sten keinen Augenblick seine Pflichten. Wo er anhielt, teilte er zur Verteidigung des Landes Befehle aus, obgleich unaufhörlich Reiter mit beständig traurigeren Nachrichten dahersprengten.

In Strängnäs pflog Herr Sten noch eine lange Unterredung mit dem Reichskanzler, dem friedliebenden Bischof Mats, aber der Mönch, der fleißig nach der Wunde sah, merkte, daß sie allmählich brandig wurde.

»Noch einen Tag, und wir sind in Stockholm,« flüsterte Herr Sten, als man ihn am Morgen wieder auf den Schlitten hob.

Der Kutscher schwang die Zügel, um die Pferde aufzumuntern, und die abgehauenen Zweige zeigten ihnen den Weg über den verschneiten Björkfjord. Der Fischer saß an seiner Wake, der Holzfäller wanderte mit seiner Axt den Strand entlang, und keiner ahnte, was in diesem Augenblick in dem dahineilenden Schlitten auf dem Eise draußen vor sich ging. Aber der Mönch, der vor dem verwundeten Reichsverweser auf dem Stroh kniete und ihm die Hand auf der Brust hielt, fühlte, daß sein Herz zu schlagen aufhörte.

Spät am Abend öffnete Stockholm seine Torflügel, und der Schlitten fuhr in den Schloßhof hinein.

»Hast du einen kranken Greis in deinem Schlitten, Mönch? Und was willst du hier mit ihm?« fragten die herbeieilenden Wächter.

»Im Rate war er allerdings so klug und weise wie ein alter Mann,« erwiderte der Mönch den bestürzten Knechten, indem er die Arme um Herrn Sten schlang, um ihn aus dem Stroh herauszuheben. »Hier in meinen Armen halte ich den besten der Schweden. Wißt ihr nun, wer es ist? Kommt, helfet mir, ihn zu seiner Witwe hinaufzutragen! Haltet die Tore geschlossen und lasset Frau Christina heute nacht um ihn weinen. Morgen wird sich dann zeigen, was sie von den Sturen gelernt hat.«

Die Bürger drängten sich den ganzen Abend in den Zunfthäusern und fragten einander: »Wer soll nun ans Ruder kommen, Herrn Stens Sohn ist ja erst ein sechsjähriges Kind?« Am nächsten Morgen legten sie doch ihre Panzer an, denn Frau Christina stand schon zwischen den Steinmörsern am Torturm, und obgleich ihre Augen nach der durchwachten Nacht gerötet waren, hatte sie ein ermutigendes Wort für alle, die ihr begegneten. Hoch und schlank wanderte sie auf der Stadtmauer umher und sprach mit den Zimmerleuten, die barfüßig und gewandt zusprangen und die Brücken abbrachen, so daß niemand mehr in die Stadt hineinkommen konnte. Kriegstüchtige Schiffe wurden zwischen den Inseln verankert, und Frau Christina ließ alle Arten von Kugeln herbeischaffen, eiserne, steinerne und bleierne.

Eines Tages sagte sie: »Kalmar wird jetzt von der Witwe Anna Eriksdotter verteidigt. Wenn die tapfersten Männer sterben, müssen deren Witwen den Kampf aufnehmen. Aber was sehe ich da draußen auf dem Malm? Ist das nicht ein ganzer Lanzenwald?«

Da antwortete der Schloßvogt: »Trolle hat sich die Bischofsmütze wieder aufgesetzt und ein Heer gesammelt. Dies werden wohl seine Botschafter sein, die gekommen sind, zu verhandeln. Was sollen wir ihnen antworten?«

»Geh hinunter,« sagte sie, »und antwortet mit Hackebüchsen und Serpentinen, bis sie wieder umkehren!«

Als das Volk draußen ringsum im Lande von Frau Christinas Standhaftigkeit hörte und sich klar machte, daß sie Herrn Stens Witwe war, wurden die Keulen und die Steinaxt aus dem Winkel hervorgeholt. Während die Leiche des Reichsverwesers nach dem Gråmunkeholm getragen wurde und die Glocken für seine Seele läuteten, wurden die Bauernwaffen, deren Schneide schon so oft schartig geschlagen worden war, abermals gewetzt. Unermüdlich redeten die Odalbauern von der Freiheit, die schon so oft ganz nahe gewesen zu sein schien und doch immer wieder zurückgewichen war.

Indessen war der Frühling angebrochen, der Eisgang setzte ein. Christiern der Tyrann fuhr den Strom herauf, Stockholm vom Meere abzusperren, und auf jeder der nächstliegenden Inseln stand ein belagerndes Heer.


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