Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

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VII. Die Schildjungfrau

(Ende des zehnten Jahrhunderts.)

Runenstein

Im Mondschein.

Torgrim war der größte Bauer in Roslagen; der saß eines Abends daheim und unterhielt sich eifrig mit seinen Gästen. Die ringsum in die Wand gesteckten Kienfackeln brannten allmählich aus, aber durch die Dachluke schien der Mond herein und warf ein helles freundliches Licht auf den Tisch und den Hochsitz. Ereignisreiche Jahre waren über die Sveaer und Goten hingegangen, und die Männer sprachen von Heldentaten und Abenteuern, denn die Gäste des Bauernhauses waren erst kurz von der Heerfahrt heimgekehrt.

Da kam eilig ein Sklave hereingelaufen und stellte gerade vor Torgrim einen Helm mitten auf den Tisch. Der Helm war mit vier Spitzen geziert, darauf stand er, wie ein Topf auf seinen Füßen. In dem Helm lag ein neugeborenes, nacktes Mägdlein, das schlug mit den Armen um sich, strampelte mit den Beinen und weinte.

»Du hast weitgedehnte Felder, Herr,« sagte der Sklave. »Wer soll sie erben und für sie Sorge tragen? Bis jetzt bist du kinderlos gewesen, und heute abend ist dir eine Tochter geboren worden. Wehe uns, das es kein Sohn ist!«

Die Gäste brachen in lautes Lachen aus, und der Helm wurde am ganzen Tisch herumgegeben; jeder durfte das Kind anschauen und dessen kleine Händchen anfassen.

»Jawohl, Torgrim,« summten die fröhlichen Stimmen, »da hast du nun einen Erben, der den Pflug führen kann! Dies ist etwas für dich, das du kleiden und schmücken und liebkosen kannst. Aber großen Nutzen wirst du wohl ihr Leben lang nicht von ihr haben.«

Nachdem der Helm von Hand zu Hand bis an die untere Tischecke gegangen war, wohin der Mondschein nicht fiel und es deshalb ganz dunkel war, nahm der Sklave ihn wieder unter den Arm und wendete sich damit der Tür zu.

»Herr,« sagte er, »es wäre wohl am klügsten, ich trüge das Kind in den Wald hinaus und ließe es dort umkommen.«

Aber während er dies sagte, schritt er eben noch einmal durch den Mondstreifen, und Torgrimm konnte die Kleine sehen.

»Nein, ihr guten Gäste im Bauernhaus« rief er und sprang rasch auf, »eine ganz andere Deutung müssen wir erkennen. Da die Tochter mir in einem Helm dargereicht worden ist, den ich selbst in meiner Jugend oftmals getragen habe, wenn ich in meinem Schiffe stand, so hebe ich nun auch noch meinen Schild herab, sowie meinen Eschenspeer und lege beide neben sie. Wasche sie im Schnee, Sklave, und lege ihr ein Stückchen Bärenmark zwischen die Lippen, damit sie ruhig werde. Tochter, hier unter dem klaren Mond gebe ich dir deinen Namen, du sollst Hjälmdis heißen!«

Die Trinkhörner wurden aufs neue gefüllt, und die frohen Gäste tranken im schimmernden Mondschein auf das Wohl des Kindes.

Die Runen

Hjälmdis' Mutter war eine Sklavin, die kurz nach der Geburt des Kindes starb, und so wuchs Hjälmdis ganz allein bei dem Vater heran. Sie begleitete ihn, wenn er mit seiner Axt in den Wald ging, und saß rittlings vor ihm auf dem Pferd, wenn er zum Thing in die Städte ritt. Während der langen Winterabende, wenn sie auf seine Kniee kletterte und mit seinem buschigen Bart spielte, lehrte er sie Bogensaiten flechten und Pfeile schnitzen. Es machte ihr kein Vergnügen, wie andere Mädchen aus Lappen Puppen zusammenzunähen, am liebsten saß sie auf der Felldecke vor dem Feuer und spielte mit des Vaters Schwert, das ein gut Stück länger war als sie.

Aber die Schicksalsgöttinnen sind rätselhaft in ihrer Macht. Obgleich Torgrim stets gut gegen seine Tochter war, umdüsterte sich sein Sinn doch immer mehr aus Kummer darüber, daß er keinen Sohn hatte, der seine Streitwaffen und seinen Hof erben und dem Geschlechte Ehre machen sollte. Immerfort brütete er über seinen schwermütigen Gedanken. Die Sklaven trauerten mit ihm, und er fand keine Ruhe mehr daheim in seinem Hause.

Eines Tages nahm er wie gewöhnlich seine Axt über die Schulter und ging hinaus in den Wald. Seine Tochter begleitete ihn. Bald gerieten sie in ein Birkengehölz, das so dicht war, daß sich Hjälmdis' Haar in den Zweigen verfing. Die Sonne leuchtete gar herrlich durch das Birkenlaub und durch ihr prächtiges Goldhaar, das sie eben aus den Zweigen zu lösen versuchte; das war ein Anblick, bei dem einem vor Freude das Herz im Leib hätte hüpfen sollen. Aber Torgrim ging voran, ohne sich umzusehen, und als sie ihm zurief, er solle ein wenig warten, bekam sie keine Antwort. Und von dieser Stunde an wurde der Vater nie wieder gesehen: er kehrte nie mehr nach Hause zurück.

Hjälmdis streifte im Walde umher wie zuvor, und sie badete sich im Schnee, um groß und stark zu werden. Einer der lustigen Gäste, die mit in dem Kreise gesessen hatten, als sie in dem Helm hereingetragen worden war, hieß Torwald Hjalteson. Er war ein Sagenerzähler aus dem fernen Island, und obgleich er selbst nicht dichten konnte, war er doch ein großer Gelehrter. Der kam eines Tages wieder auf den Hof gewandert, ließ sich da nieder und sprach lange mit Hjälmdis von ihrem Vater und den Schatten in der Unterwelt.

»Ich werde ihn suchen und sei es bei den Toten,« erwiderte sie Torwald, als dieser schwieg; und damit eilte sie hinaus in den Wald.

Nachdem sie den ganzen Tag umhergewandert war, pflückte sie sich Beeren, den nagenden Hunger zu stillen, aber sie dachte noch an keine Ruhe. Sie entfernte sich immer weiter von den Wohnungen der Lebendigen; jetzt hatten selbst die Bäume ringsum kein Wachstum mehr – grau und vertrocknet standen sie da. Kein weiches Moos auf den Felsen lud zum Sitzen ein, der Boden war mit Sand bedeckt, und ringsumher lagen Felsblöcke zerstreut. Und plötzlich merkte Hjälmdis, daß sie von einer bleichen Schar umgeben war, und daß die Luft um sie her kühl war, wie über einer Quelle.

»Ihr seid die Toten,« flüsterte sie, und dabei begann sie am ganzen Leibe zu zittern.

Jetzt ging es abwärts, immer weiter hinunter zwischen den feuchten Felsen. Die untersten Stufen, die hoch waren wie Bänke, bildeten einen weiten Kreis; auf diese setzten sich die bleichen Schatten, um zu forschen und richten. Noch tiefer drunten brauste wildschäumend ein unheimlicher schwarzer Strom, an dessen jenseitigem Ufer sich andere Schatten drängten: Kopf an Kopf in einem langen Zuge, dessen Ende man in der Halbdämmerung nicht absehen konnte. Trotzdem fühlte sich Hjälmdis noch nicht ganz hoffnungslos, denn neben ihr ging eine gute Frau mit freundlichem Blick, die sie an den flimmernden Mondschein in ihres Vaters Halle erinnerte.

»Ein so kleines Kind kann man nicht verurteilen,« sagte die gute Frau, indem sie Hjälmdis an den Bankreihen vorbei und zu einer Schar anderer Kinder hinschob. »Seht, ihre Finger und ihre Lippen sind von den Beeren, die sie sich kürzlich im Wald gepflückt hat, noch purpurn gefärbt.«

Die Blässe der Kinder machte Hjälmdis zuerst Angst. Aber aus deren ganzen Wesen leuchtete der Glanz schuldlosen Glückes, und bald spielte Hjälmdis mit ihnen und liebkoste sie mit ihren von Himbeeren gefärbten Fingern.

»Wie heißt du?« fragte sie das Kind, dessen Hand sie festhielt.

»Vielleicht heiße ich Vergessen,« antwortete es.

Und das nächste Kind sagte auch: »Ich heiße wohl Vergessen.«

Weiß wie Kreide tauchte nun Hel, die grausame Königin der Unterwelt auf ihrem dreibeinigen Pferde am jenseitigen Ufer auf.

»Ich habe schärfere Augen als ihr alle!« rief sie übers Wasser herüber. »Und ich sehe wohl, daß du nicht hierher gehörst, Kleine. Wen suchest du? Ist es dein Vater, so ist er bei Odin, wenn er durchs Schwert gefallen oder wenn er sich selbst den Tod gegeben hat, um der Altersschwäche zu entgehen. Aber nach Walhall können Frauen nur schwer gelangen. Ob er sich nun aber bei Odin oder bei mir befindet, so hoffe ich eines bestimmt, daß er nämlich auch bald Vergessen heißen soll, auch er.«

Und dann lachte die Lokejungfrau, daß der Widerhall durch die Felsschluchten rollte.

Hjälmdis hatte den Kopf in dem Gewand der guten Frau vergraben, die noch immer neben ihr stand; aber jetzt ließ sie sie entsetzt los und entfloh die Stufen hinan. Sie duckte sich und lief eiligst weiter; dabei fühlte sie, wie ihr die kühlen Mäntel und Tücher der ihr Entgegenkommenden über den Rücken strichen. Niemand hielt sie auf, denn sie war ja nur ein Kind. Unbemerkt gelangte sie hinauf bis zu den Bäumen unter dem freien Himmel.

Es war nicht so dunkel, daß sie den Weg nicht hätte erkennen können, aber es war schon heller Tag, als sie den väterlichen Hof erreichte. Der Sklave saß mit seinem Milcheimer auf der Schwelle und fütterte die zahme Schlange, die ihr Lager unter der Hausecke hatte und sich oft bis zum Herde hinschlängelte.

Nachdem der Sklave Hjälmdis eine Weile zugehört hatte, sagte er mit halbsingender Stimme zur Schlange:

»Kluges Tier, das Kind ist im Wald eingeschlafen und hat von den gelehrten Reden geträumt, die der Isländer gestern hier ausgesprochen hat. Obgleich, wer weiß? Vielleicht war es mehr als nur ein Traum! Darüber wagt ein armer unkundiger Sklave wie ich nichts zu sagen. Und gewiß scheint es schwer, daß ein so guter Hausherr wie Torgrim sobald für immer vergessen sein soll.«

Der Isländer hörte diese Worte; barhäuptig und mit raschen Schritten trat er heraus.

»Guter Sklave,« sagte er, »du sprichst, wie du es verstehst. Nun aber haben wir durch Odin die Runen überkommen, und sie sind das Weiseste und Größte von allem, was er uns geschenkt hat. Gegen sie sind Gold und Eisen nichts. Leere Bautasteine stehen hier genug umher, aber die Runen sollen sie zieren, wie das Laub die Zweige ziert, und dann können sogar die Toten mit uns reden: Siegesrunen, Gesetzesrunen, Dichterrunen, Geschlechtsrunen, heil euch, ihr habt das Vergessen überwunden!«

Er nahm den Sklaven mit sich, und unter der Hängebirke am Wasser errichtete er zum Andenken an Torgrim einen Steinblock. Nachdem er die Runen hineingeritzt hatte, die ihm für Torgrim passend erschienen, küßte er Hjälmdis auf die Stirne und zog dann seine Straße weiter.

Von da an saß Hjälmdis am Abend oft im Grase bei dem Gedenkstein, und als ihr die Macht der Runen aufgegangen war, weinte sie vor Freude. Dies geschah, wenn Wegfahrer bei dem Steine anhielten und mit lauter Stimme lasen:

»Hjälmdis errichtete diesen Stein ihrem Vater Togrim, dem in Ehrfurcht geliebten Hausherrn. Wer immer hier vorübergeht, wird seinen Namen lesen und sich dabei seiner erinnern.«

Hjälmdis reitet zu Erik dem Siegreichen

Als Hjälmdis vierzehn Jahre alt war, setzte sie sich des Vaters Helm auf, nahm auch dessen Schild und Speer und ritt nach Uppsala.

Dort saß auf einem der rasenbedeckten Grabhügel ein Jüngling, der dem Aussehen nach wohl eben so alt war wie die Jungfrau. Er hatte ein hartes, trotziges Gesicht, und bei einem Festspiel hatte er einen Schlag mit einem Trinkhorn bekommen, von dem er eine Narbe über der Nase davongetragen hatte.

»Guten Morgen, Schildjungfrau!« begrüßte er Hjälmdis. »Hast du auch kein freundliches Wort für den, der auf seines Vaters Grabhügel sitzt und sein Erbrecht verlangt? Mein Vater Olof und sein Bruder Erik waren Gaukönige über das ganze Sveareich.«

»Wer ist denn jetzt König, wenn du es nicht bist?« fragte Hjälmdis.

»Ich bin Styrbjörn, aber sie wollen mich nicht auf den Schild heben und mir nicht huldigen,« stieß der Jüngling bitter hervor. »Mit Steinwürfen und Schlägen hat man mich kürzlich vom Thing verjagt, weil sie keinen so jungen König haben wollen.«

»Ist Erik weise und siegreich?« fragte Hjälmdis, indem sie den Speer quer vor sich übers Pferd legte und der Antwort wartete.

Styrbjörn erwiderte nichts; das Blut war ihm ins Gesicht gestiegen, er sprang auf und ballte die Fäuste.

Da sagte Hjälmdis: »Ich sehe, daß Erik weise und siegreich ist; deshalb ist er auch der rechte Mann, über uns zu herrschen, du aber bist hochmütig und grausam. Es wäre dir besser, du bätest ihn um einige seiner größten Schiffe und zögest aus auf Vikingerfahrt.«

Nach diesen Worten ritt Hjälmdis weiter zum Königshofe.

Styrbjörn folgte ihrem Rat. Am Abend, als alles versammelt war, trat er in den Saal und brachte sein Anliegen vor. Gebräunt, stattlich und männlich schön saß Erik der Siegreiche auf dem Hochsitz, und mit aufrichtigen Worten versprach er Styrbjörn sechzig wohlausgerüstete Schiffe. Aber trotzdem hatte Styrbjörn kein Wort des Dankes für ihn, sondern hielt sich ebenso finster abseits.

Ganz unten an der Giebelwand standen zwölf auserwählte Schildjungfrauen. Als die zwölfte und jüngste war Hjälmdis schon in ihre Schar aufgenommen worden. Mancher grimmige Berserker leuchtete auf, wenn er die freundlichen Gesichter sah; aber die Schildjungfrauen kümmerten sich nicht um die Kämpen, sie unterhielten sich untereinander über ihre Waffen und ihre Pferde, die draußen im Stalle stampften.

Als Styrbjörn, ohne Abschied zu nehmen, der Tür zuschritt und dabei an der glänzenden Reihe der Schildjungfrauen vorüberkam, wendete er sich an Hjälmdis und sagte: »Traurig ist es für einen verjagten Königsohn, wenn er allein auf den salzigen Wogen umhertreiben soll. Komm und folge mir, Speerträgerin!«

Aber da brachen die Schildjungfrauen in helles Lachen aus, daß es klang, wie ein Bach im Frühling, wenn die Eisschollen klirrend aneinander schlagen.

»Eine Schildjungfrau,« erwiderte Hjälmdis, noch immer lachend, »folgt niemand. Auch ich hatte einen Vater. Und wenn er zehnmal tot wäre, so soll er doch eines Tages hören, daß ich seinen einfachen Bauernspeer ebenso ehrenvoll geführt habe, als ob er einen Sohn gehabt hätte. Kleide du dich in deines Vaters Rüstung, Styrbjörn, und laß dich nicht von Frauen auslachen!«

Darauf ging Styrbjörn hinunter an die Flußmündung, wo seine Schiffe lagen, und bei Tagesgrauen stieß er vom Lande. Auf dem vornehmsten Schiffe waren die Segel aus gelbem und rotem Tuch, und still und feierlich glitten die Fahrzeuge aus dem Schilf ins offene Wasser hinaus. Als die Flotte auf dem Mälar hinfuhr, an den grünen Holmen vorbei, auf denen das Vieh ihr mit großen Augen nachstarrte, erhob sich ein starker Gegenwind. Aber da wurden von jedem Schiff dreißig Paar Ruder herausgestreckt, und diese trieben sie rasch der unbekannten Ferne entgegen. Jetzt wendete sich Styrbjörn um, schaute über die Ufer hin und sagte zu seinen Mannen:

»Werde ich nicht eines Tages König über dieses Land, dann will ich nicht am Leben bleiben.«

Styrbjörn auf dem Meere

Styrbjörn fuhr nun weit umher, eroberte Burgen und Länderstrecken und erhielt den Zunamen der Starke. So kam er auch zu der Insel Wollin in der Ostsee, wo die Jomsvikinger ihre berühmte Feste, die Jomsburg hatten.

Die Burg wurde für uneinnehmbar gehalten, und die Sage berichtet, innerhalb ihrer Mauer sei ein gewaltig großer Hafen gewesen, in dem zweihundert Langschiffe Reling an Reling hätten liegen können. Styrbjörn erspähte, daß der Häuptling abwesend war, und befahl seinen Leuten, näher heranzurudern. Quer über dem Hafeneingang war ein mit einem Turm gekrönter Torbogen. Aus den Luken regneten Steine und brennendes Pech auf alle herab, die sich der Festung zu nahen versuchten, und eisenbeschlagene Tore versperrten den Eingang. Mit weithin schallendem Feldgeschrei stemmten sich alle Ruderer auf einen Schlag zurück, und Styrbjörns Schiffe sausten durch den Gischt daher. Krachend, als werde ein Felsen zersplittert, zerbarsten die Schlagbäume, die Tore flogen auf, aber auch das Schiff selbst zerbarst beim Aufprallen. Da legten sich die Kämpen über die Ruder und schwammen in die Burg hinein. Dort wurden die stolzen Jomsvikinger gezwungen, Styrbjörn den Starken als Häuptling anzuerkennen.

In die Schar der Jomsvikinger wurde keiner aufgenommen, der jünger war als fünfzehn oder älter als fünfzig Jahre. Der Jomsvikinger mußte abgehärtet und mutig sein und durfte sich vor einem Kampfe allein gegen zwei nicht fürchten. Solche Jünglinge und Männer folgten mit Begeisterung einem Anführer wie Styrbjörn. Dieser war auch beständig auf der Heerfahrt. Als Jomsviking durfte er sich nie unfroh zeigen, oder gar klagen und jammern, was ihm auch immer widerfahren mochte, und bei allen den Waffenspielen und auf den Wogen blieb ihm auch selten Zeit dazu. Aber die Ruderer hörten oftmals in stillen Nächten, daß er sich von Schlaflosigkeit geplagt ruhelos auf seinem Lager hin und herwarf. Macht und Reichtum und alles, was ein Seekönig sich nur wünschen konnte, hatte er sich erworben, nur das eine nicht, von dem er Tag und Nacht träumte; das eine, auf seines Vaters Grabhügel in Uppsala zu stehen als Sveakönig, dem gehuldigt wurde.

Harald Blauzahn in Dänemark, der ihn um Hilfe angegangen hatte, gab ihm seine Tochter zur Gattin. Aber noch immer dachte Styrbjörn gar oft an die stolze Speerträgerin im Saale Eriks des Siegreichen, und er wurde immer trotzigeren Gemüts. Drohend zwang er Harald Blauzahn, sich mit zweihundert Schiffen ausgerüstet selbst bei ihm einzufinden.

Schließlich konnte nicht einmal mehr der große Hafen der Jomsburg alle die versammelten Flotten beherbergen, und nun segelte Styrbjörn mit zwölfhundert Drachen die Ostsee hinauf, immer helleren Nächten und immer dichter bewaldeteren Scheren entgegen.

Sobald er seine Mannen an der Mündung des Mälar ausgeschifft hatte, verbrannte er trotzig seine Schiffe hinter sich; aber als Harald Blauzahn die Flammen auflodern sah, wendete er plötzlich seine Schiffe vor den Wind und entfloh heim nach Dänemark. Trotzdem verlor Styrbjörn den Mut nicht, er hieb sich Wege durch die Wälder und zog mit seinen Mannen nach der Fyrisau.

»Entweder sitze ich bald auf dem Hochsitz zu Uppsala,« murmelte er, »oder ich liege in einem Grabhügel in der Erde, die mein hätte sein sollen.«

Die Schlacht auf dem Fyrisvall

Ums Jahr 990

Erik der Siegreiche der ein wachsamer, kampfbereiter Großkönig war, hatte schon Botschafter ausgeschickt und das Sveaheer versammeln lassen. Zwei Tage lang wurde auf der Ebene gekämpft, ohne daß eines der Heere zum Weichen gebracht worden wäre.

Als am zweiten Tage die Nacht hereinbrach, opferte Styrbjörn dem Gotte Thor. Da zeigte sich in den Rauchwolken einen Augenblick ein rotgekleideter, rotbärtiger Mann, der Styrbjörn schwermütig ansah.

»Ich sehe, du weissagst mir den Tod,« sagte Styrbjörn und senkte das Haupt. »Viel hast du mir gegeben, nur das nicht, was ich am heißesten ersehnt habe. Doch das ist Menschenlos.«

Währenddem ging Erik der Siegreiche in den Opferhain und trat vor das große Götterhaupt. Ringsum war es mit einem Rand umgeben, der einer goldenen Kette glich; aber in dem Hause war es dunkel, der Boden senkte sich, und man mußte mehrere Stufen zu den Götterbildern hinabsteigen wie in die Unterwelt.

»Nach zehn Jahren schenke ich dir mein Lehen und mich selbst, wenn du mir den Sieg gibst, Odin,« flüsterte er leise.

Und während er dies sprach, stand neben ihm ein Mann mit hereingezogenem Hut und nur einem Auge.

»Alsdann gehört ihr mir alle,« sagte die Erscheinung, reichte Erik einen Speer und war verschwunden.

Als der Tag anbrach, erstieg Erik der Siegreiche in Begleitung seines getreuen LagmannDie Lagmänner waren selbst Bauern; sie standen an der Spitze ihrer Landschaft und führten das Wort bei dem besonderen Landthing, wo sie mit den Gesetzeskundigsten und Weisesten unter dem Volke das Gesetz auslegten. Sie sprachen auf dem großen Allhärjarting vor dem König ihres Volkes. Sie wurden vom Volke gewählt und vertraten auch das Volk vor dem Könige. Torgny, der ihm in vielen Kämpfen mit klugem Rat getreulich zur Seite gestanden hatte, den nächstgelegenen Sandhügel. Die Luren bliesen zur Sammlung des Heeres, und auf Grabhügeln, Anhöhen und Wegen wurde der Sand von Fußtritten und Hufschlägen hoch emporgewirbelt.

»Alles für Odin!« rief Erik der Siegreiche und warf seinen Speer, und bei diesem Zeichen sauste ein wahrer Pfeilregen von den Bogen.

Als die Staubwolke über die Ebene daherfegte, glaubten Styrbjörn und seine Vikinger, es seien Reiter, und sie streckten ihre Speere aus, sie abzuwehren. Aber aus dem gelben Nebel stürzten Stiere und Pferde daher, von denen mehrere nebeneinander in ein Joch gespannt waren, und das Joch war über und über mit Messern, Pfeilspitzen und Hacken gespickt. Das Brüllen der Stiere vermischte sich mit dem Waffengeklirr, und der Rasen bedeckte sich mit Verwundeten und Gefallenen.

Styrbjörn, der sich weniger vor dem Sterben fürchtete, als davor, seine Getreuen schmählich fliehen sehen zu müssen, stieß sein Feldzeichen fest in den Boden und verteidigte es noch kühn, als er unter seinen Wunden schon zusammenbrach. Da sah er plötzlich mitten in der Sandwolke einen Schein wie von Fackeln. Das war die glänzende Schar der Schildjungfrauen, die mit erhobenem Speer dahersausten, und er erkannte Hjälmdis an ihrem flatternden Goldhaar. Er rief ihr zu, wenn sie ihm gefolgt wäre, würden sie nun miteinander an demselben Tage in Odins Saal geritten sein. Sie erwiderte, das könne trotzdem geschehen, und dort würde sie ihm vielleicht milder gestimmt werden. Aber bald konnte eines das andere nicht mehr hören, und Styrbjörn verschied unter den Pfeilen der Feinde.

Erik der Siegreiche stand noch immer auf dem Sandhügel im Arm einen kleinen Sohn, der Sage nach der Skötkönig Olof. Am Fuße des Hügels aber mitten unter dem Gefolge, stand der Isländer Torvald Hjalteson. Rasch ergriff dieser eine Harfe und eilte erhobenen Hauptes und mit leuchtenden Augen den Hügel hinauf. Ihm, der noch nie ein Lied gedichtet hatte, wurde in dieser Stunde ein einziges Mal jene Begeisterung zuteil, die die Quelle der Dichtkunst ist. Und Erik der Siegreiche schob von seinem Arm den breitesten Goldring, um ihn dem Sänger als Lohn darzureichen. Aber Torvalds Blick war entrückt in weite Fernen, und mit immer volleren Harfentönen sang er das einzige Lied seines Lebens, ein dröhnendes Heldenlied von der Schlacht auf der Fyrisau.

Der Sang tönte über das stille Schlachtfeld hin, wo sich schon die Raben versammelten und die Walküren ihre Pferde vorführten, die Verblichenen zu holen. Mit dem Ausdruck stolzer froher Erwartung lagen da viele berühmte Helden, und die Walküren, die ernsten Todesjungfrauen, hoben sie zu sich aufs Pferd wie gütige Schwestern. Schließlich gelangten sie zu der Stelle, wo die Pfeile am dichtesten gefallen waren. Da mußten sie einen Augenblick bewundernd stille halten, denn da lagen die zwölf Schildjungfrauen Seite an Seite, im Tode noch ebenso schön wie sie im Leben gewesen waren.

Eine der Walküren hob Hjälmdis auf ihr Pferd und sprengte mit ihr über die Regenbogenbrücke. Die donnernden Hufschläge weckten Hjälmdis aus dem Todesschlummer, und als sie die Augen aufschlug, sah sie Frejas Festsaal und Thors rötliche Felsenfeste, wo es flammte und donnerte, hell erglänzen. Dann wurde sie eingeführt in Odins Saal.

Die Wände bestanden aus Speerschäften und die Decke aus goldenen Schilden, und von den ehernen Bänken erhoben sich Einherjer und traten den durchs Schwert Gefallenen entgegen, um ihre Söhne und ihre alten Kampfbrüder zu umarmen und Kunde von der Erde zu erhalten.

Aber ganz hinten im Saal saß ein alter, einsamer Mann, der nicht Acht auf die andern gab.

»Ich habe niemand, den ich erwarten könnte,« sagte er mit einem tiefen Seufzer. »Mein einziges Kind war ein Mädchen, und diese Schande fraß so an meinem Herzen, daß ich mich von einer Felswand herabstürzte.«

Hjälmdis beschattete die Augen mit der Hand. Jetzt sah sie, daß dieser einsame Mann Torgrim war. Rasch lief sie auf ihn zu, schlang ihre Arme um seinen Hals und schluchzte: »Vater, Vater, so habe ich dich doch endlich gefunden! Hier komme ich, dir deine Waffen wiederzugeben. Sie sind mir von großem Nutzen gewesen, bis zu dem Augenblick, wo ich unter einem Schwertstreich gefallen bin.«

Da drang ein gurgelnder Ton aus der Brust des Alten, und er zog die Tochter an sich. Aber ringsum im Saale war es still geworden, denn Torvalds Saitenspiel von der fernen Fyrisau drang bis herauf nach Walhall, und alle wollten ihm lauschen.

Unter der Saaltür standen die Walküren, die mit Rabenflügeln geschmückten Helme auf dem Haupte trugen. Sie neigten sich zueinander hin und flüsterten: »Jetzt wird Torgrim, der gute Odalbauer, sich freuen, daß er eine Tochter hatte.«


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