Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

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XVIII. Tyrgills Knutsson

(1290 – 1306)

Als Magnus Ladulås von schwerer Krankheit gebeugt auf seiner Burg zu Visingö saß und sein Ende herannahen fühlte, entbot er seinen Hausmarschall Tyrgills Knutsson zu sich.

»Meine drei Söhne sind noch klein,« sagte er, »darum sollst du in Treuen mein Reich regieren.«

Die Söhne hießen Birger, Erik und Waldemar. Der Marschall wurde ein gar weiser Vormund, und das Volk sagte: »Es fehlt weder an Freude, Tanz und Turnieren bei den Herren, noch an Korn, Speck und Heringen in den Hütten, es steht um Schweden so gut, daß es erst spät möchte besser werden als zu den Zeiten Knut Tyrgills.«

Als König Birger achtzehn Jahre alt wurde, machte er Hochzeit mit einer Schwester des Dänenkönigs Erik Menved, der früher Birgers eigene Schwester geheiratet hatte.

Die Hochzeit wurde in Stockholm gefeiert, und um sie recht festlich zu gestalten, tat der Marschall einen tüchtigen Griff in den Beutel des Reiches. Von aufmerksamen Zuhörern umgeben, standen Gaukler und umherziehende Musikanten auf Tischen und Fässern und riefen mit lauter Stimme die letzten Neuigkeiten aus, denn damals gab es noch keine Zeitungen. Jeder bekannte Ritter wurde mit Jubelrufen begrüßt. In den Häusern, wo die Ritter ihre Unterkunft bekamen, wurden ihre Lanzenfähnlein durch die Fenster herausgesteckt, so daß überall, wohin man sah, wappengeschmückte Fahnen hingen. Aber am lautesten wurde der Jubel, als die beiden Brüder des Königs hereinzogen. Um Waldemar kümmerte sich niemand, aber zu Erik drängten sich alle heran, ihm zu huldigen. Er strahlte vor Jugend und Übermut, und wenn er die Hand aufhob, war es, als wolle er Goldsäcke und Königskronen von den Wolken des Himmels herabholen.

»Treibe mir das Gesindel aus dem Wege!« sagte er zu seinem Knaben. »Mein Fuß soll sich nicht an ihren Lumpen reiben.« Aber die einzige Antwort des Haufens war ein erneuter Jubelruf.

Schließlich bliesen die Trompeten zum Turnier. Die Frauen und Jungfrauen saßen im Kreis um die Rennbahn her; sie waren mit silbernen Kränzen und weichen Kopftüchern geschmückt, und als das Turnier begann, erhoben sie sich in frohem Eifer von ihren Sitzen. Die Lanze unter dem Arm jagten die Ritter hoch zu Pferd aufeinander los, und hinter ihnen standen die Knappen mit Polstern für die Verwundeten. Auch für die Menge floß an diesem Abend Met, Bier und Kirschensaft. Der eine schlug mit seinem Messer drein, der andre mit seiner Flasche, und der, der nichts hatte, zog seinen Gegner an den Haaren. Am größten war das Gedränge vor dem Saal, der nur für das Festmahl der Ritter errichtet worden war. Da drinnen bedienten die Knappen, und da durfte man sich nicht die Nase mit den Fingern schneuzen, oder sich den Messergriff ins Ohr bohren, ja sich kaum mit der Messerspitze in den Zähnen stochern. Wenn einer dem andern zutrank, geschah es mit höflich gesenkten Augen, und die abgenagten Knochen wurden nicht auf die Teller zurückgelegt, sondern unter den Tisch geworfen, wo sich die Hunde darum balgten. Da ging es anders her als wie bei kleinen Leuten.

Am nächsten Tag sollte Herzog Erik zum Ritter geschlagen werden. Beim Einbruch der Nacht nahm er das Ritterbad. Nur mit einem weißen Hemd angetan, wachte er die ganze Nacht mit den andern Rittern in der Kirche der grauen Mönche, die jetzt die Riddarholmskirche heißt. Da kniete er auf Magnus Ladulås Grabstein vor dem Hochaltar nieder und betete: »Vater, lehre mich, dir in allem ähnlich zu werden!« Aber in seinem Herzen flüsterte eine dunkle Stimme leise, so leise, daß er selbst es kaum hörte: »Und daß ich wie du deinem einfältigen schwachen Bruder die Krone entreiße!«

Schon aus weiter Ferne erscholl das Getöse, als er am nächsten Morgen auf der Rennbahn vor König Birger trat. Dieser saß bleichen Gesichts neben seiner Braut, der Königin Märta. Sie hatte einen kleinen Mund, der aber niemals lachte, und ihre roten Locken wiegten sich über dem goldenen Stirnband. Mit klarer Stimme leistete Erik dem Richterschwur: »Für den heiligen Glauben zu streiten, dem Unrecht sich zu widersetzen, die Verlassenen, die Vater- und Mutterlosen zu beschützen, Verrat zu meiden und für Wahrheit und Recht zu kämpfen.«

Hierauf gab ihm Birger einen Schlag auf die Schulter mit dem flachen Schwert und rief: »Erwache aus dem Sündenschlaf und werde ein Streiter, der Gott und den Frieden liebt!« Dann gab er ihm den Friedenskuß. Das Schwert wurde ihm an die Seite gegürtet, goldene Sporen an die Füße geschnallt und der Helm mit dem Federbusch aufgesetzt. Jetzt war Erik ein Ritter.

Tyrgills freute sich, wie sich ein Vater über die eigenen Kinder freut. An seinem hermelinverbrämten Mantel konnte man sehen, daß er die Pracht liebte, Reichtum besaß und aus hohem Geschlecht stammte, und er nannte auch viel Höfe und Erzgruben sein eigen. Wie ein neuer Birger Jarl regierte er alles; aber er war gutmütiger und bescheidener als jener und zufrieden, wenn er andere zufrieden sah. Die Locken, die sein breites freundliches Gesicht umrahmten, fingen schon an, grau zu werden, aber noch konnte er sein Schwert hoch in die Luft schleudern und es am Griffe wieder auffangen. Dieses Schwert hatte ihn auf vielen kriegerischen Abenteuern durch die Karelischen Urwälder jenseits der Ostsee begleitet. Und als jetzt Feste und Spiele vorüber waren, richtete er seine Gedanken wieder auf die Vergrößerung des schwedischen Reiches.

Mit einer prächtigen Flotte segelte er sogar die Newa hinauf, vorbei an den sumpfigen Ufern bis dahin, wo jetzt Petersburgs goldene Kuppeln schimmern, wo aber damals die Stille nur durch das Schreien und Schnattern der Sumpfvögel unterbrochen wurde, und dort baute er eine Festung.

Da versammelten sich die Russen zu einem unübersehbaren Heere. Sie ließen große brennende Holzstöße den Strom hinab auf die schwedischen Schiffe losschwimmen; aber da spannte der Marschall eiserne Ketten über den Fluß, die die brennende Gefahr aufhielten. Prächtige Helme und Rüstungen erglänzten im Walde, da wo die Russen sich gelagert hatten.

Ein junger, unerschrockener Held mit Namen Mats Kättilmundsson ritt auf die Zugbrücke heraus, rief seinen Streitgenossen auf dem Walle ein Lebewohl zu und sagte: »Es stehe bei Gott im Himmel droben, ob ich lebendig wieder zurückkehre oder nicht.«

Hierauf ließ er durch einen Dolmetscher den Russen zurufen, daß er bereit sei, mit dem Tapfersten zu kämpfen. Wer überwunden würde, sollte verpflichtet sein, dem andern als Gefangener zu folgen mitsamt Pferd und Sattel.

Die Russen beratschlagten untereinander, aber keiner wagte sich hervor. Den ganzen Tag hindurch wartete Mats Kättilmundsson allein angesichts der Feinde auf der Zugbrücke. Erst als der Tagesschimmer hinter dem Walde erbleichte, wendete er sein Pferd und ritt zurück in die Burg, wo er mit kräftigem Handschlag empfangen wurde. Aber am nächsten Morgen sahen die Schweden, daß den Russen die Lust vergangen war, mit solchen Streitern zu kämpfen, denn sie hatten sich alle davongeschlichen.

Da fuhr der Marschall mit seiner Flotte heim nach Schweden, wo ihm die größten Ehrenbezeugungen zu teil wurden.

Jetzt aber sehnte sich der alte Marschall nach Ruhe, und als er bei Birgers Krönung seine jüngste Tochter mit Waldemar verheiratet hatte, bat er den König, ihn nun von den Drangsalen der Reichsregierung zu befreien. Aber die Brüder antworteten, sie könnten niemals einen besseren Mann für diese Stellung finden, und überredeten ihn, dem Könige Birger auch noch ferner beizustehen. Nicht lange darnach entzweiten sie sich indes mit dem Marschall, lumpiger Kleinigkeiten und gegenseitigen Mißtrauens wegen, und da mußten die Herzöge erkennen, daß der Marschall treu zum König stand. Da dachten sie: »Solange der König lebt, haben wir nichts im Lande zu sagen.« Deshalb redeten sie Birger ein, der ehrwürdige Marschall sei an allen den Zerwürfnissen schuld.

Eines Tages saß Tyrgills in Kungslena, nach einem langen Zuge neue Kräfte zu sammeln. Da schaute ein Diener vorsichtig zur Tür herein und flüsterte: »Ich sehe König Birger mit seinen Brüdern und vielen gewappneten Mannen daherkommen. Rasch fort zum Schlitten, wenn dir dein Leben lieb ist!«

Bestürzt stand Tyrgills auf und erwiderte: »Ich wünschte, ich hätte meinem Gott so treu gedient wie dem Könige. Er ist mein Freund, und ich bin der seinige.«

Indessen stürmte die Schar mit gezogenen Schwertern herein, und die Herzöge riefen: »Solange dieser Mann hier am Leben ist, wird nie Friede zwischen uns Brüdern!«

König Birger stand aschgrau und willenlos daneben, ohne ein Wort zu sagen. Da trat Tyrgills näher zu ihm heran und sagte: »Schande habt Ihr davon, Herr König, solange Ihr lebt!«

Hierauf wurde er hinausgeführt, wo man ihn auf ein Pferd setzte und ihm die Füße unter dessen Bauch zusammenband. Auf diese Weise wurde er durch Tiveden geführt, bei Kälte und Schnee, während der kurzen Wintertage, wo die Sonne kaum eine Stunde hervorbrach, und während der langen dunkeln Nächte. Viele Pferde waren zu Tode geritten, bis der Zug endlich mit dem Alten in Stockholm eintraf, wo er in den Turm gesperrt wurde.

Waldemar verstieß Tyrgills Tochter. Wenn der Marschall in dem feuchten Gewölbe, das sein Gefängnis war, hin und her wanderte und darüber nachdachte, wie treu er seinem Herrn gedient hat, drang oftmals der Schall von Spiel und Tanz aus den Sälen zu ihm herein, wo die Brüder sich in plötzlicher Eintracht und Fröhlichkeit ergötzten. Eines Tages trat ein Ritter bei ihm ein und sagte: »Setze dein Testament auf und lege deine letzte Beichte ab, denn nach des Königs Befehl mußt du sterben. Vergib mir, daß ich der Überbringer einer solchen Botschaft sein muß; bis zu meiner letzten Stunde werde ich darüber Leid tragen.«

Der Marschall wurde auf den Platz geführt, wo jetzt der Södermalmsplatz ist. Da waren früher Weideplätze, nur ab und zu fand sich ein Haus am Wege. Hier wurde Tyrgills enthauptet, und sobald er enthauptet war, wurde der Leichnam verscharrt. Über der Stelle, wo er begraben liegt, errichteten seine Freunde und Diener einen Altar mit einem Kreuz darauf, und die, die sich an die Zeit seines Glückes erinnerten, beteten da für seine Seele. Als der Frühling wiederkehrte, wurde sein Sarg in die Kirche der grauen Mönche verbracht und einige Schritte von Magnus Ladulås Gedenkstein beigesetzt.

»Unruhig schläfst du jetzt in deinem Grabe, Magnus Ladulås,« dachten die, die den Sarg trugen. »Wie wird es jetzt deinen Söhnen gehen?«


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