Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

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XIII. Die Riesin

Ja, jetzt sollte Hochzeit gehalten werden, dreifache Hochzeit; von nichts als von Hochzeit und aber von Hochzeit redete man in dem småländischen Dorfe. Als der Hirtenjunge einmal mit seinen Geißen heimkam, sagten die Weiber: »Ynnar, du kennst dich im Walde aus. Geh zur Bergfrau und entlehne ihr Brautsilber.«

Da wendete sich Ynnar wieder dem Walde zu und sang und spielte auf seiner Weidenpfeife. Als er an die Bergschlucht kam, stand plötzlich Grimma, die Tochter der Bergfrau, vor ihm und kämmte eben ihr schwarzes mähnenartiges Haar.

»Die Mutter leiht ihr Brautsilber erst her, wenn ich selbst Hochzeit habe,« sagte sie, und dabei fing sie an zu weinen. »Aber wenn du willst, darfst du es sehen,« Sie hob eine Steinplatte ein wenig, und darunter stand ein Kessel, der mit klarem schimmerndem Silber gefüllt war.

Ynnar sah gedankenvoll drein und wiegte den Fuß hin und her.

»Weine nicht, Grimma,« sagte er, »sondern warte am Hochzeitstag vor der Kirchtür auf mich, dann sind wir gerade vier Paare.«

Diese Worte hörte die Bergfrau, die abwesend gewesen, aber jetzt auf dem Heimweg war. Sie stützte sich auf ihren Knotenstock und hustete, daß es von den Felsen widerhallte.

»Schön ist sie, meine Grimma, das ist gewißlich wahr,« sagte die Alte. »Ihre Wangen und Ohren sind wetterfest, gerade wie eine Riesentochter sein soll. Aber eine Liebe ist der andern wert. Wenn sie dein werden soll, mußt du mir versprechen, ihr als Morgengabe die Schelle zu geben, die das rote Kalb dort drüben um den Hals trägt. Sie tönt gar so laut und hat mich seit Jahren im Schlaf gestört.«

Damit deutete die Riesin auf den Kirchenhügel, wo der Glockenturm mit seiner geweihten Glocke im Glockenstuhle aufragte. Da erschrak Ynnar und lief rasch den Berg hinunter.

Bald kam indes der festgesetzte Hochzeitstag heran, und mit Lichtern und värendischen Spielleuten an der Spitze zogen die drei jungen Paare in die Kirche. Plötzlich kam Grimma in ihrem ganzen Silberstaat aus dem Walde daher. Barfuß ging sie, und gebräunt war ihre Haut, aber ihr Gewand war so reich mit Silber übersäet, daß es wie eine Rüstung klirrte. Sie richtete sich stolz auf und sah glückselig aus, und Ynnar dachte, sie sei wirklich ein recht stattliches Weib. Nun reichte sie ihm ihre gewaltige Hand, und es fiel ihm nicht ein, die seinige auf dem Rücken zu halten; so traten sie als viertes Paar in die Kirche.

Als aber Grimma sich neben die andern drei Bräute auf die Brautbank setzte, brach diese unter ihr zusammen. Da rollte Ynnar einen großen Steinblock herein, auf dem die Riesenbraut Platz nehmen sollte. Aber sie war so schwer, daß in dem Stein eine Vertiefung war, als sie wieder aufstand.

Gegen Abend, als Ynnar seine Braut in seine Hütte geführt hatte, sagte sie, sie sei hungrig. Hierauf drückte sie fünf Fladenbrote aufeinander und strich ein Pfund Butter darauf.

»Das ist freilich kein großes Butterbrot,« meinte sie, »aber immerhin genügt es für heute Abend.«

Am nächsten Tage ging sie hinaus und grub und jätete; als dann die Zeit herankam, zog sie selbst den Pflug und trug das Heu auf ihren Schultern heim. Bei jeder Mahlzeit aß sie einen ganzen Kessel voll Grütze, und den Milcheimer leerte sie auf einen Zug; aber Ynnar brauchte weder Vieh zu halten, noch selbst etwas zu arbeiten. Wenn das Wetter schön war, schlenderte er umher und sah nach seinen Bienenstöcken, und wenn es regnete, strickte er ab und zu ein paar Maschen an seinem Fischnetz, sich die Zeit zu vertreiben. Mit der Zeit wurde er hart und kalt gegen sein Weib und schlug sie oft, obgleich sie immer gleich untertänig war und sich nie beklagte. Aber doch glätteten sich ab und zu die barschen Falten auf seiner Stirne für eine Weile, und zwar beim Geläute der Kirchenglocken, denn das war das Schönste, was er kannte, und sein ganzes Wesen war dann wie verklärt. Und da hielten auch die Dorfkinder mitten in ihrem Spiel inne und lauschten den heiligen Klängen.

Finsterer als sonst strickte Ynnar an seinem Netz, wenn in der stillen Osterwoche die Glocke, den Klöppel mit Stroh umwunden, schweigend im Turme hing. Er löschte das Feuer auf dem Herd, wenn die Sonne unterging, und zeichnete mit Kreide ein Kreuz auf die Haustür, denn in diesen Nächten schlich das Hexenpack vorüber und trieb sein Wesen in den Brunnen und Kellern. Auch wäre es sehr unklug gewesen, die Hexen dadurch zu reizen, daß man neugierig nach ihnen ausgeschaut hätte; deshalb kroch Ynnar zeitig zu Bett und zog die Decke über die Ohren. Grimma saß allein noch auf, wärmte sich an der Asche und war froh, daß sie die gefürchteten Klänge nicht zu hören brauchte.

Da kam einmal die Bergfrau an die Tür und flüsterte: »Tochter, höre, was ich dir sage. Hast du vor lauter Liebe ganz vergessen, Ynnar an seine Morgengabe zu erinnern? Heute nacht begegnet dir kein Mensch. Geh zu dem roten Kalbe hin und nimm ihm die Schelle ab. Wirf sie dann in die Luft und laß sie fliegen, aber leite sie irre, damit sie nicht wieder hierher zurückfindet, sondern uns, die wir zum Volke der Riesen gehören, in Frieden läßt. In diesen Nächten haben alle geweihten Glocken keine andere Sehnsucht, als sich loszureißen und davonzufliegen. Vorhin zählte ich fünf oder sechs dort über der Wolkenwand.«

Lange sann Grimma über die Worte der Mutter nach. Dann hüllte sie sich in ihren Mantel, ging hin und löste die Glocke von ihrem Balken. Aber kaum hatte sie sie losgemacht, als sie auch schon den Kopf unter die dunkle Rundung steckte und sagte: »Jetzt hab ich dich, Glocke. Willst du je wieder an deinen Platz zurückfinden, so halte nicht an, bis du mich rufen hörst.«

Die Glocke schaukelte durch die Lüfte dahin. Unter dem Sternenhimmel wiegte sie ihren strohumwundenen Klöppel hin und her und sang heiser und dumpf: »Nach Rom, nach Rom, nach dem heiligen Rom!«

Am Ostermorgen sprangen in allen Dörfern die Kinder halbangekleidet aus den Häusern, klatschten in die Hände und riefen: »Seht, nun sind unsere lieben Glocken wieder da!«

Aufs neue schallte Glockengeläute von Dorf zu Dorf. Nur in Ynnars Dorf blieb alles still; dort standen die Kinder niedergedrückt vor den Häusern und warteten umsonst auf die geliebten Klänge.

Als Grimma hörte, wie sehnsuchtsvoll ihr Eheherr seufzte, war es ihr, als müsse ihr das Herz brechen. Bald konnte sie es nicht mehr aushalten, und rasch eilte sie hinunter an den gefrorenen See. Da sah sie, daß die verirrte Glocke sich sogar von Rom wieder zurückgefunden hatte; hoch oben in der Luft kreiste sie wie ein kleiner schwarzer Punkt, war aber eben im Begriff, weiterzufliegen, um sich für immer nach Lappland zu begeben.

Ohne einen Augenblick zu zögern, rief Grimma: »Glocke, komm, hier bist du daheim!«

Da fiel die Glocke herab und gerade in Grimmas Hände; sie schlug aber zugleich ein Loch ins Eis und begann zu sinken. Innar war Grimma nachgegangen, und als er sah, wie sie sich alle Mühe gab, die Glocke über dem Eise zu halten, fragte er sie mit ganz veränderter Stimme:

»Wie kommt es, daß du von mir stillschweigend so viele Schläge hingenommen hast, da du doch so stark bist und ich nur schwach bin?«

»Weißt du denn nicht,« antwortete Grimma, »daß man alles erträgt, wenn man jemand lieb hat? Und da du mir jetzt gute Worte gegeben hast, werde ich mich auch mit Geduld in den Glockenklang finden. Aber nun ist es zu spät, die Glocke ist sogar stärker als ich.«

Während sie dies sagte, brach das Eis immer mehr ein, und die Glocke zog Grimma mit in die Tiefe.

An der Stelle, wo die Glocke versunken war, blieb später immer eine Wake, die auch beim kältesten Wetter nicht zufror. Und in den Nächten der höchsten Feste hörte man die Glocke tief drunten unter dem Wasser läuten. Ynnar aber bereute seine Härte gegen die treue Grimma und betrauerte sie so tief, daß er es in der alten Heimat nicht mehr aushielt. Er nahm Hut und Wanderstab, zog auf die Pilgerschaft und fand sein Grab weit draußen in der Fremde.


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