Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

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XXII. Visby

Valdemar Atterdag brandschatzt Visby

Terrassenartig stieg Visby aus dem Meere auf, die stolzeste, die schönste Stadt des Nordens. Auch der Meeresgrund vor dem Hafen senkte sich in breiten Stufen, so daß das von der Sonne durchleuchtete Wasser an der Oberfläche weißlich schimmerte, an den tieferen Stellen aber smaragdgrün erglänzte. Und wo es am tiefsten war, schaukelten sich die Wellen in strahlendem Blau. Die Giebelhäuser und die unzähligen Kirchen wetteiferten miteinander, höher und immer höher zum Himmel aufzustreben, und rings um die ganze reiche Hansastadt her zogen sich die Ringmauern mit ihren Türmen, eine Drittelsmeile in der Länge. Auf der hohen St. Nikolauskirche war ein Zierrat aus bunten eingelegten Steinen, und diese glänzten weit übers Meer hin wie eine aus Laternen gebildete Rosette.

An Peter Snugg, der eben jetzt von einem vertäuten Schuner ans Land sprang, war nicht gerade viel zu sehen. Es war nur ein armer Tuchwebergeselle, der auf der Wanderschaft gewesen war, sich in seinem Gewerbe noch weiter auszubilden. Eine Haarlocke hing ihm über die Stirne herein, und von Gestalt war er klein und mager. Aber glücklich sah er aus. »Träume ich, oder wache ich?« stammelte er, während er sich das Ränzel über die Schulter hängte.

»Ja, du bist wirklich wieder daheim,« antwortete sein früherer Meister, der ihn mit offenen Armen empfing. Er nahm ihn mit sich und führte ihn nach seinem Hause, vorbei an gotländischen Holzgefäßen, Pelzwerk und Sandsteinblöcken, deren Ausschiffung eben im Gange war. Einigen Kisten entströmte ein starker Duft von Weihrauch und allerlei Gewürzen, die sogar von der Levante geholt worden waren, und einige Kaufleute packten vorsichtig Korallen, Golddraht, Sammet und Elfenbein aus.

Auf dem Marktplatz ging es ruhiger her. Da wurden einfache Schuhe und Leinwand, Kuhfleisch und Hopfen verkauft. Peter Snugg war ganz wirr im Kopfe, als er schließlich durch die geöffnete Ladentür in seines Meisters Häuschen trat, wo die Gesellen eben verschieden gefärbte Garnstränge und Knäuel musterten.

Obgleich Meister Simon noch immer unter demselben niedrigen Dache wohnte, wo er sich zuerst sein Brot am Webstuhl verdient hatte, war er jetzt ein hochgeachteter Kaufmann mit einem eigenen Warenhaus und wurde mit Verehrung in Visby genannt.

Haar und Bart fielen ihm in schönen langen Locken über das schwarze Gewand herab, und er sah aus wie ein Apostel.

»Willst du mir ein frommer Sohn nach Handwerksbrauch sein,« sagte er zu Peter Snugg, »dann leg dein Ränzel unter die Bank und bleibe in meinem Dienst. Und da der Abend so schön ist, wollen wir uns noch eine Weile draußen ergehen.«

»Herr Vater,« erwiderte Peter Snugg in heller Freude über den Anblick seiner früheren Heimat, »Ehre sei dem Handwerk, dem Meister und den Gesellen. Ich gelobe, dir untertänig und fromm zu gehorchen.«

Der älteste Geselle hieß Peter Dask. In seinen Augen war Meister Simon der herrlichste Mann auf der ganzen Welt. Als er aber des Meisters Wohlwollen für den Neuangekommenen sah, warf er zornig das Weberschiffchen weg und wurde ganz gelb vor Neid.

Der Meister und sein Schützling waren nicht wenig stolz auf ihre Stadt, während sie miteinander durch die krummen Straßen wanderten. Es hatte vorher geregnet, und die gähnenden Drachen der Dachrinnen spieen lange Wasserstrahlen aus. Unter kunstvoll ausgehauenen Rosen, Lilien und Kleeblättern öffneten sich zwischen efeubewachsenen Mauern kleine Pförtchen in Klostergärten, wo Mönche unter schattigen Maulbeer- und Nußbäumen saßen und ihre Andachtsbücher lasen. Durch ein Gitter konnten die beiden Spaziergänger einen Schrein sehen, von dem behauptet wurde, er enthalte Reliquien von Maria Magdalena, sowie ein Christusbild aus reinem Golde von der Größe eines fünfjährigen Kindes.

Sie stiegen auch hinunter in eine unterirdische Kapelle zu einem ganz mit Silber überzogenen Altar, der mit brennenden Kerzen geschmückt war, sowie hoch hinauf in Kirchen, die übereinander gebaut waren. Schließlich ergriff der Meister des Jünglings Hand und führte ihn durch ein spitzbogiges Tor in der Ringmauer zur Stadt hinaus. Eine wunderbar schöne Wiese breitete sich vor ihnen aus. Die Flammen der Frühlingsfeuer leuchteten im Grase, und die Jugend tanzte in heller Lust und Fröhlichkeit. Erst unter dem Galgen auf dem Galgenberge machten die beiden Wanderer Rast. Dunkle Wolken ballten sich über dem Meere zusammen, wo lübische, schottische und holländische Schiffe mit geschwellten Segeln in den Hafen hereinsteuerten.

Peter Snugg faltete seine kleinen Weberhände, neigte den Kopf auf die Seite und schaute mit seinen hellen, klaren Augen tief in den Himmel hinein. Der Meister las seine Gedanken.

»Ja, Peter Snugg,« sagte er mit feierlicher Strenge, »wenn du ein guter Geselle sein und einen guten Leumund haben willst, dann meide alles Unrecht. Hier auf diesem Berge erhält der Sünder seine Strafe. Du hast jetzt unsere Reichtümer gesehen; nach allen Windrichtungen hin haben wir Handelsstraßen auf dem Meere. Visbys Größe und Macht vor allem andern! Aber hast du auch bedacht, wie viele Hände sich rühren müssen, bis nur ein einziges Schiff gezimmert ist? Fröhlichkeit und Spiel am Feierabend, Geselle, aber Ernst während des langen, langen Arbeitstages.« Als die beiden wieder in des Meisters Hof traten, hatten sich die andern mit Felldecken und Laubgewinden geschmückt, um die Heimkehr Peter Snuggs zu feiern. Sie schwangen ihn beim Spiel im Kreise herum, daß er die Füße öfters oben am Dache als unten auf dem Boden hatte. Der mißgünstige Peter Dask nahm indes die Gelegenheit wahr, ihm von hinten her einen tüchtigen Puff zu versetzen. Da drehte sich Peter Snugg rasch um und ergriff den großen braunen Gesellen.

»Jetzt sollst du das bekommen, worauf dein Name lautet,« sagte er und schlug so kräftig auf ihn ein, daß man es bis auf die Straße hinaus hörte. Hierauf ließ er ihn stehen, legte sich auf die Bank und schlief fest ein. So war der gutmütige Peter Snugg, wenn er gereizt wurde, und darüber wird sich niemand verwundern.

Gedemütigt und rot vor Zorn nahm Peter Dask verstohlen des andern Mütze an sich und setzte sich unter die Rosenbüsche im Garten. Eigentlich war er ein prächtiger Mensch mit einem guten Herzen in der Brust, aber daß ihn jemand aus des Meisters Freundschaft verdrängen sollte, das konnte er nicht verzeihen. Als alles im Haus in tiefem Schlafe lag, kletterte er aufs Dach hinauf und ließ sich durch einen Schornstein in eine Kammer hinunter, die außer dem Meister niemand je betreten durfte, und die Meister Simon seine geheime Arbeitszelle zu nennen pflegte.

»Bei einem so reichen Manne wird es weder an Gold noch an Silber fehlen,« dachte Peter Dask, als er an der Feuerstelle herauskroch und des Beneideten Mütze auf den Boden warf. Wenn der Meister morgen eine silberne Kanne weniger hat und dafür diese Mütze hier findet, wird es wohl bald aus mit deinem Glücke sein, Bruder Neuling.«

Er trieb sich eine Weile in der Stube umher; aber es war öde und kalt drinnen, und seine rußigen Finger ließen große schwarze Flecken auf den Wänden zurück. In dem Raume war nichts als ein ärmlicher hölzerner Stuhl und ein Tisch mit einem großen Haufen aufgeschichteter Papiere darauf. Beim nächtlichen Schein, der durch die Luke fiel, blätterte Peter Dask in den Papieren, die sein Meister Tag um Tag mit Zahlen bedeckt hatte. Es waren seine geheimen Berechnungen. Ei der tausend, sah es so in dem heiligen Geheimzimmer eines reichen Kaufmanns aus! Das war ja beinahe wie bei dem ärmsten Schlucker! Arbeiten, nichts als arbeiten mußten beide, damit Visby groß und mächtig bleiben sollte. Enttäuscht kletterte er denselben Weg zurück, den er gekommen war, und wusch sich am Brunnen so tüchtig, wie man sich am Samstag zum Sonntag wascht.

Der Meister stand mit der Sonne auf, seine Papiere durchzusehen. Schon von der Schwelle aus entdeckte er die Rußflecken an den Wänden und erkannte auch die Mütze seines Schützlings. Tief betrübt hob er sie auf und ging hinunter zu den schlafenden Gesellen. Schweigend beugte er sich über sie. Keiner hatte rußige Hände. Aber er erriet doch, wer der Schuldige war, als er den einen schon in aller Frühe wach fand.

»Er ißt mein Brot, und ich bin verpflichtet, ein Vater für ihn zu sein,« dachte der Meister. »Ich will lieber versuchen, ihn zu bessern, als ihn unglücklich zu machen,« dachte er weiter.

Rasch setzte er Peter Snugg seine Mütze auf, und ohne die Ereignisse der Nacht mit einem Worte zu berühren, weckte er die beiden Widersacher mit dem frohen Zuruf: »Ihr heißet beide Peter und seid beide des Schreibens kundig und tüchtige Gesellen! Nun will ich euch etwas sagen. Als Kaufmann ist es mir nicht erlaubt, noch länger wie ein gewöhnlicher Handwerker bei euch Gesellen zu sitzen, aber wir werden uns doch nicht trennen müssen. Ich will sehen, daß ihr als Lehrlinge in die ehrwürdige Kaufmannszunft aufgenommen werdet. Ziehet eure Sonntagskleider an und folget mir!

Der schuldige Geselle lauschte verwundert und mißtrauisch auf diese Worte, denn er wußte ja, daß der Meister die Mütze des Kameraden schon in seiner Arbeitszelle gefunden haben mußte. »Alles verzeiht er dem Ankömmling,« sagte sich Peter Dask unterwegs im stillen. »Anstatt ihn zu strafen, verschafft er ihm neue Ehre. Und um den Schein zu wahren, darf ich, der arme vergessene Tropf, auch mitkommen. Aber ich werde mich rächen.«

Simon führte die beiden Gesellen in einen großen, düsteren Saal, wo schwarzgekleidete Kaufleute um einen Altar versammelt waren, auf dem ein Kruzifix und zwei brennende Kerzen standen.

»Schwöret, nie ein Weib zu freien!« befahl ein weißhaariger Mann, indem er auf sie zutrat.

»Wir schwören,« antworteten sie und legten die Finger auf das Kruzifix.

»Schwöret, nie unsere Geheimnisse zu verraten!« fuhr der Weißhaarige mit tiefer Stimme fort.

Als die beiden auch dies gelobt hatten, enthüllte der Alte einen Schrein, der mit vielen Schlössern und Riegeln verschlossen war.

»Dies ist die geheime Lade, die wir den Schrein des heiligen Olof nennen,« sagte er, »sie soll morgen auf die Handelsfahrt nach Novgorod mitgenommen werden, und unsere Urkunden und unser Geldgewinn werden darin verwahrt. Wehe dem Mann, der den Schrein des heiligen Olof nicht wie ein Heiligtum bewacht! Und dich, Simon, dich haben wir ausersehen, die Fahrt als Altmeister zu leiten, denn in ganz Visby findet sich kaum einer, der so geachtet und so angesehen ist wie du.«

Eine stattliche Flotte war es, die am nächsten Morgen dem finnischen Meerbusen zusegelte. An den russischen Flüssen mußten die Waren in kleinere Boote umgeladen werden, die in dem schäumenden Wasser manchmal kenterten. In Novgorod erreichten die Seefahrer schließlich eine umzäunte Landstrecke mit langen Reihen von Warenhäusern und einer dem heiligen Olof geweihten Kirche.

Sobald nun das Los um die besten Schlafstätten geworfen war, wurden die Ballen und Kisten aus den Schiffen an Land geschafft, ja ein Teil davon wurde sogar in der Kirche unterbracht. Auf dem Altar durfte nichts liegen; aber den Wanden entlang stand alles voll von Säcken und Ballen, und hier in der Kirche befanden sich auch die Wage und die Gewichte. An einem so heiligen Orte würde es sicher niemand wagen, falsch zu wägen, oder an der in einen Pfeiler eingemauerten Elle falsch zu messen. Simon stand den ganzen Tag als Obmann in der Kirche, befahl und gab an. Einfach gekleidet und gegen die Kostbarkeiten, die ihm durch die Hand gingen, vollständig unempfindlich, oft nur ein bißchen Milch oder ein Stück schwarzes Brot neben sich auf der Bank, waltete er da seines Amtes und dachte nur immer darüber nach, wie neue Handelsverbindungen anzuknüpfen wären, durch die Visbys Macht und Größe vermehrt werden könnten. Am eifrigsten wachte er aber über dem Schrein des heiligen Olof, der hinter dem Altar stand. Wenn Peter Snugg abends die Kirchtür abschloß, mußte er den Schlüssel unter einem Schinken tragen, damit ihn niemand sehen und nachmachen könnte.

An einem dunkeln Abend, als Peter in die Kirche kam, sie abzuschließen, merkte er, daß sich hinter dem Altar etwas bewegte.

»Zu Hilfe, zu Hilfe für den Schrein des heiligen Olof!« rief er und lief mit hocherhobenem Schlüssel in die Kirche hinein.

Eine zusammengekauerte Gestalt fuhr auf und flog an ihm vorbei auf die Tür zu, stieß aber dabei an einige leere Holzfässer, die dadurch ins Rollen kamen und ihm den Ausweg versperrten; und beim Schein der Laterne, deren Scheiben indes von der Kälte beschlagen waren, erkannte Peter in dem Vorüberhuschenden seinen alten Feind, Peter Dask.

Von dem Lärm herbeigerufen, erschien Simon nach wenigen Augenblicken. Nachdem er über die Truhe hingeleuchtet und gesehen hatte, daß sie unversehrt war, zog er Peter mit sich in den äußersten Winkel und sagte:

»Ich habe immer große Stücke auf dich gehalten, weil du ehrlich und wahr bist. Nur wer mit so kalten Händen wie du Gold und Silber berühren kann, hat das Zeug in sich, mit der Zeit ein großer Kaufmann zu werden. Darum setze ich auch jetzt meine Hoffnung auf dich, Peter. Nichts ist abhanden gekommen, als eine Schachtel, auf deren Deckel mein Hauszeichen eingebrannt ist; sie stand auf der Lade und enthält mein Testament für den Fall, daß ich auf dieser Reise sterben sollte. In dem Testament steht, wo ich daheim in Visby meinen zusammengesparten Schatz verborgen habe. Er liegt unter dem fast verkohlten Brett dicht vor dem Herd in der geheimen Kammer. Ich muß noch eine Weile hier als Obmann bleiben, aber eile du rasch nach Hause, und rette, was mein gehört, sonst bin ich ein Bettler.«

Schon in der nächsten Nacht war Peter unterwegs. Als er aber in Visby an Land stieg, merkte er sofort, daß hier etwas Ungewöhnliches vor sich ging. Auf Bahren wurden Verwundete dahergetragen, und bewaffnete Bürger streiften durch die Straßen.

»Wir hatten auf Visbys Reichtum vertraut,« klagten die Männer. »Wer hätte geglaubt, daß das mächtige Visby jemals sehen müßte, wie seine Fahne mit dem Kreuzeslamm von Pferdehufen zertreten wird! Achtzehnhundert junge Männer sind draußen auf dem Felde gefallen. König Waldemar Atterdag von Dänemark braucht unsere Schätze; er ist mit einem großen Heer hier gelandet und hat uns geschlagen.«

Zum Zeichen, daß Visby mit Schwertschlag genommen worden war, hatte der Dänenkönig ein Stück der Ringmauer niederlegen lassen. Durch diese Maueröffnung hielt er nun seinen Einzug in die Stadt unter lautem Hörnergeschmetter. Von seinen Adligen umgeben ritt er auf einem reichgeschmückten Pferd, und sein in der Mitte geteilter rotbrauner Bart verschwand fast in seinem prächtigen Hermelinkragen. Auf dem großen Marktplatz ließ er drei leere Ölfässer aufstellen und durch einen Herold kund tun, wenn diese Fässer nicht innerhalb drei Stunden mit Silber gefüllt seien, werde das ganze herrliche Visby geplündert und eingeäschert.

Die Bürger brachten ihre kostbarsten Kleinode herbei und warfen sie in die Fässer. Aber alles reichte nicht hin. Halsbänder, Kreuze und Ketten blinkten in den tiefen Fässern; aber noch immer waren sie nicht voll. Da brachten sie die Kelche und die anderen silbernen Gefäße aus den Kirchen; aber noch immer blieb ein ziemlich großer leerer Raum bis zum Rande des dritten Fasses. Der Zeiger der Sonnenuhr auf der Kirche zeigte an, daß die dritte Stunde beinahe abgelaufen war. Die Leute standen auf dem Markte und sahen bange zu, wie dieser Zeiger immer weiter vorrückte, während der Feind in immer dichteren Scharen heranzog.

Meister Simons Haus war leer, und die Türen standen offen. In der geheimen Kammer traf Peter seinen Feind, der auf einem anderen Schiff vor ihm in Visby eingetroffen war und sich nun hier verwirrt und aufgeregt in dem schwierig zu lesenden Testament zurechtzufinden suchte.

Peter reichte ihm rasch die Hand und sagte: »Vielleicht ist es meine eigene Schuld, daß wir Feinde geworden sind. Und die Erbitterung darüber hat dich verwirrt und blind gemacht. Zunftbruder, nicht wahr, du möchtest doch auch ein guter Geselle sein?«

Peter Dask streifte den andern mit einem scheuen Blick. Sein Gesicht war von den Gewissensbissen, die er sich selbst nicht eingestehen wollte, eingefallen und abgezehrt.

»Und das fragst du?« stöhnte er und verbarg das Gesicht in seinem Mantel. »Ach, wie habe ich nur einmal ums andere so schlecht gegen meinen Meister handeln können, der immer nur mein Bestes gewollt hat!«

Da ergriff Peter Snugg ein Beil und brach das geschwärzte Brett vor der Feuerstelle heraus. Darunter stand eine Reihe mit Silbermünzen gefüllter zugebundener Beutel. Er wandte sich an seinen Kameraden, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Hier liegt das Silber, das Visby jetzt von seinem verehrtesten Altmeister verlangt.« Die beiden trugen nun miteinander die Beutel hinaus und leerten sie in das dritte Ölfaß. Und siehe da! als sie den letzten Beutel hineingeschüttelt hatten, war das Faß bis zum Rande voll, und Visby war gerettet.

Als Simon im Herbst zurückkehrte und in seine geheime Kammer trat, lag das erbrochene Brett noch neben dem leeren Versteck. Fahles Laub, klebte an des Altmeisters Schuhen und Kleidern, und dieselbe Herbstfarbe lagerte sich mit immer gelblicherem Schein auf seine Züge. Sich an den Türpfosten lehnend starrte der verarmte Mann auf die Stelle, wo die Ersparnisse eines langen, strebsamen Lebens vorher so sicher verwahrt gelegen hatten.

»Vater,« sagten die beiden jungen Leute und preßten ihre Lippen an seine Rockärmel. »Wir haben dein Silber in Waldemar Atterdags Ölfaß geschüttet. Haben wir gefehlt, dann führe uns hinauf auf den Galgenberg.«

Da bedeutete Simon ihnen, sich mit ihm an den Tisch zu setzen, und dann sagte er, langsam und einen schweren Seufzer unterdrückend: »Außer uns dreien weiß niemand, was beim Schreine des heiligen Olof vor sich gegangen ist. Lassen wir darum die Reue jetzt ruhen! Ich bin alt und brauche junge Freunde; deshalb nehme ich euch nun in mein Handelshaus auf als meine eigenen Söhne. Visby wird seine vorige Größe nie wieder erreichen, aber eines bleibt uns doch übrig: der lange, lange Arbeitstag.«


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