Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

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VIII. Sigrid Storråda und ihre Freier

(Ums Jahr 1000.)

Erik der Siegreiche hatte die Tochter eines reichen Bauern namens Skaguls-Toste geheiratet. Sie war sehr stolz auf ihre vielen Höfe, und so wurde sie Sigrid Storråda genannt.

Erik der Siegreiche konnte es schließlich mit einer so hartherzigen Frau nicht mehr aushalten, und so nahm er sich eine andere Gattin. Aber zuvor schenkte er Sigrid Storråda mehrere von den goldenen Kleinodien aus Adils Zeiten und schickte sie dann auf ihren Freihof zurück. Dort saß sie auf dem Hochsitz in einem goldgestickten Schleier, dicke goldene Spangen um Hals und Arme und in einem mit Marderfell verbrämten Mantel. Sie war goldhaarig und rosig und groß und stark wie eine Riesin, und es fehlte ihr nicht an Freiern. Aber sie erriet, daß diese hauptsächlich an ihre Reichtümer dachten. So trank sie ihnen lachend aus dem Methorn zu; aber wenn sie sich zum Schlafen niedergelegt hatten, zündete sie das Haus an und ließ sie darinnen verbrennen. Hierauf ritt sie ungerührt und unbekümmert von dannen auf einen ihrer andern Höfe.

»Ich will die Gaufürsten etwas anderes lehren, als um die zu freien, die Erik des Siegreichen Gattin war,« sagte sie.

Eines Tages kam schließlich auch eine Schar norwegischer Boten an. Diese traten vor den Hochsitz und überreichten ihr einen goldschimmernden Armring von ungewöhnlicher Dicke.

»Erinnerst du dich an alte Tage?« begrüßten sie Sigrid. »In der Nacht vor der Schlacht auf der Fyrisau gelobte sich Erik der Siegreiche Odin nach Verfluß von zehn Jahren, wenn ihm der Gott den Sieg verleihen würde. Die Zeit entflieht schnell, du hartherziges Weib, die zehn Jahre sind verronnen, und Erik der Siegreiche ist zu Odin gegangen. Aber König Olof Tryggvesson in Norwegen steht ihm wohl kaum nach an männlichen Tugenden, Hier schickt er dir als Brautgeschenk einen goldenen Armring und bittet dich, wenn der Frühling angebrochen ist, dich bei der Landesgrenze einzustellen.«

Sigrid Storråda streifte den Ring auf ihren vollen, rosigen Arm. Aber der Ring war so schwer, daß sie den Ellbogen mit der andern Hand stützen mußte.

»Das muß schweres Gold sein, das Sigrid Storråda nicht aufzuheben vermag,« sagte sie; und sie versprach, am Ort der Begegnung zu erscheinen. Der Ring aber glitt von ihrem Arm herab und rollte über den Estrich hin.

Als die Boten gegangen waren, sah die Königin, daß ihre beiden Schmiede den Ring in der Hand wogen und miteinander tuschelten. Sie winkte die Schmiede herbei und fragte, warum sie über den Ring spotteten. Zuerst wollten sie nicht mit der Sprache heraus, schließlich aber mußten sie doch die Wahrheit bekennen.

»Es ist Betrug in dem Ring,« sagten sie.

Als nun die Königin ihn entzweibrechen ließ, da war er innen von Kupfer. Und einige Hofleute, die in Norwegen gewesen waren, erinnerten sich, daß sie dort diesen Ring als Türklopfer an der Tür des Götterhauses zu Lade gesehen hätten.

»Olof würde mich in mehr als in diesem betrügen!« rief Sigrid zornig. Als aber der Frühling anbrach, ritt sie doch nach Kungahälla zu der Zusammenkunft mit Olof.

Als sein Schiff auf den Wellen daherfuhr, erblickte sie einen schlanken Mann, der über den schäumenden Wogen auf den herausstehenden Rudern hin und her schritt, obgleich ein scharfer Wind blies.

»Das ist Olof Tryggvesson,« murmelte ihr Gefolge. »Er ist der Gewandteste in allen Leibesübungen, der Keckste im Klettern. Auf den unzugänglichsten Berggipfeln in Norwegen hat er seinen Schild aufgehängt.«

Froh und schön sprang Olof Tryggvesson an Land und streckte Sigrid beide Hände entgegen. Sein goldener Helm glänzte in der Sonne und sein hellroter Mantel flatterte im Winde, während er sie zum Hochsitz im Saale führte. Aber als sie sich dort niedergelassen und in aller Freundlichkeit miteinander ausgemacht hatten, daß die Hochzeit im Winter stattfinden sollte, redete ihr Olof noch zu, sie solle sich taufen lassen, denn er selbst war ein eifriger Christ. Doch da umdüsterten sich Sigrid Starrådas Züge mit einem Schlage, und sie erwiderte höhnisch:

»Um deinetwillen werde ich nicht von dem Glauben lassen, den ich und meine Vorfahren gehabt haben.«

Bei dieser Antwort stand Olof Tryggvesson heftig auf und schlug ihr mit seinem Handschuh ins Gesicht.

»Du Hund von einer Heidin, warum sollte ich dich zum Weibe nehmen!« rief er zornig.

Sie aber saß todesbleich und mit einem roten Mal an der Schläfe noch auf dem Hochsitz, als er schon den Saal verlassen hatte und zu seinen Schiffen zurück gekehrt war.

»Woher soll ich die Kraft nehmen, so einen Heldenkönig, der in der ganzen Welt berühmt ist, zu strafen?« dachte sie; und ihr war, als könnten ihr ihre goldenen Spangen und ihre Marderpelze hinfort keine Freude mehr gewähren.

»Harald Blauzahns Sohn, der mächtige Sven Tveskägg in Dänemark, wäre vielleicht der rechte Mann, mir zu helfen,« dachte sie weiter.

Und als Harald Blauzahns Botschafter nach einiger Zeit wirklich kamen und um sie freiten, gab sie ihr Jawort und zog mit ihnen von dannen.

Sven Tveskägg hatte seine Schwester Tyra mit List gezwungen, einen alten heidnischen König in Vendland zu heiraten. – Tyra wollte weder essen noch trinken, nachdem sie zu ihrem bejahrten Bräutigam gebracht worden war. Sie hüllte sich in ihren Schleier, daß niemand sie erkennen konnte, und entfloh. Über wilde Meere und durch tiefe Wälder zog sie weiter und weiter, bis sie bei Olof Tryggvesson in Norwegen anlangte. Als dieser sah, daß sie eine freundliche, leutselige Frau war, machte er sie zu seiner eigenen Königin.

Im nächsten Frühling ging sie äußerst niedergeschlagen umher, saß auch oft einsam unter der Tür und weinte. Eines Tages kaufte Olof Tryggvesson auf der Straße einen Strauß Blumen, die für diese Jahreszeit ungewöhnlich groß und schön waren. Diese Blumen brachte er Tyra, aber sie wies sie mit der Hand zurück und sagte:

»Größere Geschenke sind mein Eigentum in Vendland, aber aus Furcht vor meinem Bruder Sven und seiner rachgierigen Gattin wagst du wohl nicht, durch das Land der Dänen zu ziehen, mir meine Mitgift zu holen.«

Olof Tryggvesson brach in ein fröhliches, stolzes Gelächter aus und sagte, er würde sie bald eines andern belehren. –

Zu jener Zeit war Olof Tryggvesson der größte Held in den nordischen Reichen, und er hatte sich gelobt, ganz Norwegen zum Christentum zu bekehren. Mit den Heiden verfuhr er oft sehr hart, davon konnten seine Mannen gar viel berichten, aber noch viel mehr konnten sie erzählen von seinen großmütigen Heldentaten, und sie folgten ihm treulich in allen Gefahren.

Olof Tryggvesson war auch ein gewaltiger Schiffsbauer, und zahlreiche Fahrzeuge lagen auf dem Strande, von denen die beiden besten der Kranich und die Schlange hießen. Aber jetzt ließ der König das größte Schiff bauen, das je in Norwegen gesehen worden war, und das deshalb den Namen »die große Schlange« erhielt. Es maß vierundsiebzig Ellen am Kiel, hatte vierunddreißig Paar Ruder, und Kopf und Schwanz waren vergoldet. Dieses Schiff bestieg Olof Tryggvesson mit den stärksten und schönsten Männern des Reiches und stellte sich selbst allen voran. Mit sechzig Langschiffen segelte er nordwärts durch den Öresund an Dänemark vorüber nach Vendland.

»Sven, mein König und Gatte, jetzt ist es Zeit, die Schmach zu rächen, die ich schon so lange auf mir liegen lassen muß!« rief Sigrid Storräda.

Mit der Zeit wurde es unter Sven Tveskäggs Kämpen bekannt, daß Boten nach Svitjod an Olof Skötkönig, den Sohn Sigrid und Erik des Siegreichen, ausgeschickt worden waren, und bald traf er auch mit dem Sveaheere und mit seinen besten Schiffen ein.

Die beiden Könige legten sich mit ihren Schiffen hinter die Insel Svolder in der Nähe von Rügen. Es handelte sich darum, Olof Tryggvesson zu überrumpeln, wenn er auf dem Rückweg von Vendland da vorüberfuhr. Olof Skötkönig, der einige Jahre später das Christentum annahm und sich an der Quelle zu Husaby taufen ließ, saß unter dem Achterzelt in eifrigem Gespräch mit gelehrten Männern. Er hatte Erik des Siegreichen hohe Gestalt geerbt und sprach keck und gebietend; aber seine Häuptlinge waren nicht minder freimütig in ihrer Rede und erhoben oftmals ihre Stimmen. Schließlich kam Botschaft, daß die norwegische Flotte heranfahre, da eilten die Könige hinaus auf die Insel, um Zeuge des Kampfes zu sein.

Aber daheim im Königshofe wanderte Sigrid Storräda, ihre Näharbeit in der Hand, unruhig hin und her, ohne eine Nadel anzurühren.

»Warum seid ihr so mutlos, ihr Dirnen?« fragte sie. »Kommt es daher, daß so viele jetzt fort sind? Ich glaube, ich könnte nie Heimweh nach jemand bekommen.«

Trotzdem merkten alle recht wohl, wie angestrengt sie nach der Tür lauschte.

Auf diese Weise verging ein Tag um den andern. Endlich eines Abends erschien ein wetterharter Schiffer an der Tür, der aber ermattet und hinfällig über die Schwelle wankte.

»Ich war mit bei Svolder,« begann er, nach Atem ringend. »Das Wetter war klar, ohne eine Wolke am Himmel; Schiff um Schiff glitt an der Landspitze vorüber, und jedesmal riefen die Häuptlinge, dies müsse ,die lange Schlange' sein. Schließlich fuhr ein Drachenschiff daher, größer als alle die andern, und der Goldschimmer seines Vorderstevens und der Schilde lag wie ein sonniger Pfad auf dem Wasser. Das war die lange Schlange.«

»Und Olof Tryggvesson?« fragte die Königin eifrig und warf ihre Handarbeit erregt auf die Bank. »Ich sehe es deutlich vor mir, wie seine Rüstung glänzte, als er hoch oben beim Steuermann stand.«

»Der Pfeilregen fiel dicht,« antwortete der Schiffer, und die Erinnerung überwältigte ihn derart, daß er lange das Weitersprechen vergaß. »Zieht die Segel ein!« befahl Olof Tryggvesson«, fuhr er endlich fort. ›Und bindet alle Schiffe zu beiden Seiten von der großen Schlange fest! Ich bin noch nie im Kampf geflohen, und mein Leben steht in Gottes Hand!‹ – Seine Stimme tönte hell und klar übers Wasser hin, ich konnte jedes Wort verstehen, obgleich ich von den Schilden verdeckt war, als wir von Schiff zu Schiff drangen. ›Was ist da zersprungen?‹ fragte Olof Tryggvesson, als seinem letzten Schützen Ejnar Tambaskälver der Bogen zersprang. – ›Norwegen in deinen Händen, König!‹ antwortete der Schütze. Ich habe mich dann bis zur großen Schlange hin durchgehauen und wollte schon auf die Reling springen, als ich einen Stoß bekam und ins Wasser fiel. Verzeiht, Königin, aber nachher sah und hörte ich nichts mehr.«

»Dann kann ich weiter berichten!« rief eine andere Stimme unter der Tür. Und herein schwankte ein zweiter Schiffer, mit so zerrissenen Kleidern, daß er rasch einer der Dirnen den Mantel wegriß und sich darein hüllte, damit er nicht in seinen elenden Lumpen im Königssaale stehen mußte. »Ich sah, wie Olof Tryggvesson den Schild über den Kopf hob und sich in den Wogenschaum stürzte. Da wurde das Meer plötzlich ganz still und leer. Freue dich, freue dich, Königin! Du, ein Weib, hast den tapfersten Helden des Nordens zu Fall gebracht!«

Sigrid Storräda blieb neben der Bank stehen und schloß die Augen. Vor ihrer Seele tauchte das weite unendliche Meer auf, das plötzlich ganz still und leer geworden war. Es war ihr, als woge das Meer ebenso still und leer um die Ufer und Klippen und Scheren aller nordischen Reiche, denn jetzt hatte der Norden einen großen Mann weniger. Zum ersten Male in ihrem Leben überkam sie heiße Sehnsucht, und alle um sie her fühlten dieselbe Leere wie sie.

Die siegesfrohen Könige und Häuptlinge kehrten zurück und setzten sich um das Festmahl. Während des Mahles teilten sie die nordischen Reiche unter sich. Aber immer wieder, mitten unter dem fröhlichen Reden, wurde es still im Kreise der Helden.

»Wo ist Olof Tryggvesson?« fragten sie leise. »Lebt er noch? Hat er vielleicht unter dem Wasser den Harnisch ausgezogen und ist nach einem Schiff geschwommen? Nur schwer könnten wir uns vorstellen, daß ein so großer Mann plötzlich dahingegangen sein soll. Aber er wird doch wohl tot sein?«

Sigrid Storrada wurde allmählich alt und grau. Da kam einstmals ein Kreuzfahrer an den Königshof. Er war auf dem Heimwege nach Norwegen, und als das Feuer auf dem Herde hell aufloderte, erzählte er von dem Heiligen Lande.

»In einem Kloster dort wurde ich einstmals von einem Greise mit langem weißem Bart und von hünenhafter Gestalt angesprochen,« sagte er. »Er fragte mich, ob das Volk im Norden sich wohl noch an Olof Tryggvessons Zeit erinnere? Könnte das Olof Tryggvesson selbst gewesen sein?«

Niemand wagte hierauf zu antworten, denn man glaubte allgemein, der große Held sei tot, und doch wäre ihnen der Gedanke, er sei noch am Leben, sehr lieb gewesen. Und der Strahl, der aus den Augen der alten gebeugten Frau drang, zeugte auch nicht von Haß oder Rachsucht. Sie stützte den Kopf in die Hand und dachte darüber nach, wie schön es gewesen wäre, wenn sie in ihren jungen Jahren einem solchen Helden hätte folgen dürfen, obgleich er ebenso stolz und hart gewesen war, wie sie selbst.


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