Verner von Heidenstam
Die Schweden und ihre Häuptlinge
Verner von Heidenstam

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IV. Ingjald Illråde

(Im siebenten Jahrhundert n. Chr.)

Brennender Königshof

Svitjod war ein Waldland, und weite weite Wälderstrecken, durch die man viele Tage lang reisen mußte, trennten die einzelnen Ortschaften voneinander. Dort brach die mächtige Stirne des Auerochsen noch durch die Zweige, und der entlaufene Sklave, oder der aus seinem Dorfe verjagte Einwohner, der jetzt dort zwischen den abgebrannten Baumstümpfen auf seiner umgerodeten Hufe Landes umherwanderte, trug noch die Steinaxt im Gürtel wie zu Ura-Kaipas Tagen. Häufig hängte er auch eine Steinaxt über die Tür seiner Hütte zum Schutz gegen bösen Zauber, oder er hielt das Schaftloch gegen die Sonne, daß der Sonnenfleck da auf der Wiese spielte, wo er gerade Wachstum haben wollte. Kam einmal ein Wanderer daher, so war dessen Frage immer zuerst nach dem Wege. Durch die Wildnis führten nur verschlungene Pfade und Irrwege, und in den abgesonderten Landstrichen herrschten verschiedene Sitten und Gesetze. Die Seekönige, die reiche Beute gesammelt hatten, hochmütige Bauern und landflüchtige Skilvingasöhne von Uppsala machten sich da zu Königen; sie saßen auf ihren Höfen und nickten über dem Methorn ein.

Während sie so in aller Ruhe auf ihrem Hochsitz hockten und über dem Methorn einnickten, drang eines Tages der Schall von Axtschlägen an ihr Ohr, sowie das Krachen von Baumriesen, die draußen im Walde zu Boden stürzten. Da ermunterten sie sich und schauten sich baß verwundert um, wie Füchse, wenn der Spieß an ihren Bau klirrt. Bald erschienen auch die Sklaven und brachten Botschaft: König Anund von Uppsala war mit einer großen Schar aufgebotenen Volkes draußen im Walde und bahnte über Moore und Berge Wege zwischen den Bezirken. Deshalb nannte man ihn auch den Bröt-Anund. Er war Adils Urenkel.

Bröt-Anund schnallte jedoch das Schwert ab, wenn er bei den Gaukönigen eintrat, und tat ihnen nichts zu leide. Dafür aber baute er sich Königshöfe in jedem großen Bezirk; und da das Land dicht bevölkert war, ließ er auch in den tiefen Wäldern große Strecken umroden und den Boden bebauen. Das waren gute Jahre, so lange er lebte. Jedermann meinte, ein so leutseliger Mann müßte einen Sohn hinterlassen, der nicht nur seine Güter und andere angesammelte Reichtümer erben, sondern auch sein friedfertiges Gemüt und ihm auch sonst in allem Guten nachschlagen werde.

Der Sohn hieß Ingjald. Während nun der Vater draußen war und das Land bebaute, wohnte sein Sohn Ingjald bei seinem Pflegevater, dem blinden Svipdag. Er herrschte über das ansehnliche Tiundaland, in dem Uppsala gelegen war.

Da geschah es einmal, als viel Volk zum Winteropferfest versammelt war, daß der Gaufürst Ingvar mit seinen Buschmännern und seinem Sohne Ulf auch dazu kam. Ingvar hatte seit langer Zeit keine Schar mehr im Streit geführt und war dick und unbeholfen geworden. Seine Kleidung war ziemlich ärmlich und veraltet und ohne goldene oder silberne Schnallen. Das Geschirr der Pferde war abgenützt, und die mitgebrachten Bettdecken und Kissen, die in einem großen Haufen aufgeschichtet waren, lagen fleckig und verblichen übereinander. Der Hofskalde in seinem Gefolge hatte kaum noch einen Zahn im Munde, und von der Harfe war die Vergoldung abgegangen. Als er zu singen anfing, reichte seine Stimme sowie der Klang seiner Harfe nicht weiter als bis zum Saaleingang, ja kaum bis dahin.

Ingjald, der von seinem Vater an Pracht gewöhnt war, schaute mit Verachtung auf diese Gäste. Er trat zu des Gaufürsten Sohn Alf und fragte:

»Wer singt am schönsten in Svitjod?«

»Ich denke, meines Vaters Hofskalde,« antwortete Alf, denn er hatte noch nie einen andern Skalden gehört. Und in seinem Heimatorte glaubten alle, was es da gebe, das sei das Beste.

Da wurde Ingjald noch übermütiger.

»Ich will dir noch eine Frage vorlegen,« fuhr er fort. »Wer ist der Stärkere von uns beiden, du oder ich?«

Alf sah herausfordernd auf Ingjald, der rothaarig war und kurze Beine und Arme hatte. Beide waren sechs Jahre alt, und ihre Spielgenossen bildeten zwei Haufen um sie her. Bald war das Kampfspiel in vollem Gange, die Decken und Kissen flogen wild durch den Saal; aber Ingjald war der Schwächere und bekam Prügel.

Weinend lief er zu seinem Pflegevater und beklagte sich, wie schlimm es ihm bei dem Kampfspiel ergangen sei. Der blinde Svipdag hörte ihn ernsthaft an und steckte etwas auf seinen Speer. Obgleich er mit seinen blinden Augen nichts sehen konnte, handhabte er doch den Speer mit der Gewandtheit eines alten Jägers.

»Es ist eine große Schande,« sagte er zu Ingjald, »daß der Sohn des Sveakönigs weniger stark sein soll, als der eines kleinen Gaufürsten. Hier habe ich dir nun ein Wolfsherz gebräunt. Iß es, dann bekommst du Wolfsblut in deine Adern.«

Ingjald zerschnitt das Herz und verzehrte die Stücke, obgleich es ihn große Mühe kostete. Nach der Mahlzeit war er grimmiger und boshafter als seine Genossen, aber körperlich verblieb er auch fortan gleich schwach.

Als er erwachsen war, nahm er sich eine Gattin und bekam einen Sohn und eine Tochter. Den Sohn nannte er Olof und die Tochter Åsa. Einige Jahre später kam spät in der Nacht ein Reiter dahergesprengt, der weckte Ingjald und sagte ihm, sein Vater, der friedliebende Anund der Bahnbrecher sei auf einem seiner Züge durch die Wildnis von einem Bergsturz erschlagen worden.

Da schickte Ingjald Boten an Ingvar und an seinen Sohn, sowie zu den andern Gaukönigen und entbot sie nach Uppsala, wo sie das Leichenmahl seines Vaters mit ihm halten sollten. Er ließ einen gewaltigen Siebenkönigsaal mit sieben Hochsitzen errichten und schmückte ihn mit allerlei Hausgerät und mit Schilden. Zwei Säulenreihen trugen das Dach, und in der Mitte brannten helle Feuer auf drei Feuerstellen.

Nach kurzer Zeit wurde Ingvars Bündel mit den verblichenen Kissen hereingetragen und zwischen den Bänken und der Wand unter das Lagerheu gestopft. Der zahnlose Hofskalde trottete mit seiner abgescheuerten Harfe herein, und hinter ihm kam schweratmend Ingvar auf seinen Sohn gestützt, der gar großsprecherisch auftrat und gleich mit jedem anbinden wollte. Dann folgten in langer Reihe alle die andern Gaukönige in Frieskleidern und schweren altmodischen Pelzmänteln aus Eichhornfellen; die setzten sich alle behaglich und selbstgefällig auf die Hochsitze.

Der vornehmste Hochsitz war unbesetzt, und auf dem Schemel davor saß Ingjald. Erst als das Horn Bragefull hereingetragen wurde, stand er auf. Das bis an den Rand gefüllte Horn wurde ihm über das Feuer auf dem Herd hinübergereicht, damit es von den Flammen von allem Bösem gereinigt und befreit werde, und Ingjald ergriff es mit beiden Händen.

»Die rechten Könige über Svitjod,« sagte er mit erhobener Stimme, »sind die Götter, denen wir opfern; aber der Sveakönig ist ihr Nachkomme und Stellvertreter. Von der Zeit an, wo ich sechs Jahre alt war, habe ich oft mit Kummer daran gedacht, daß dieser Stellvertreter nicht mehr mächtig genug sei. Deshalb gelobe ich nun hier über dem Bragebecher beim Andenken meines Vaters, daß ich mein Reich nach jeder Himmelsrichtung um die Hälfte vergrößern, oder das Leben verlieren will.«

Das Horn Bragefull stammte von einem Auerochsen und war sehr groß, aber Ingjald leerte es auf einen Zug bis auf die Neige. Hierauf wurde er auf den Hochsitz geleitet, zum Zeichen, daß er jetzt sein ganzes Erbe übernommen habe.

Die Gaukönige sahen einander an, denn für ein so großartiges Gelübde sah Ingjald nicht sehr heldenhaft aus. Aber sie dachten: »Die Jugend fährt gerne mit großen Worten,« und ließen sich den Met wohl schmecken. Glücklich und selbstzufrieden schlugen sie die Eichhornpelze zurück und machten sich so breit, daß sie kaum noch Platz zwischen den Pfosten der Hochsitze hatten. Sie hatten jedoch einander nicht viel zu sagen, und der eine oder andere war schon eingenickt, als die Luren die Schlafenszeit verkündigten. Da wurde das Horn zum letztenmal geleert, zum Andenken an die Skilvinger und alle Helden.

Hierauf banden sich die Gaufürsten die Pelze wieder um, schlugen die Kragen hinauf und kletterten hinter die Bänke auf ihre Schlafplätze. Ingjald aber nahm seine beiden Kinder bei der Hand und eilte mit ihnen hinaus in das nächtliche Dunkel. Dann umringte er rasch das Haus mit seinen bewaffneten Mannen, steckte es an allen vier Ecken in Brand, und in kurzer Zeit war der ganze Siebenkönigsaal nur noch ein hochaufloderndes Feuermeer.

»Völkerfürsten, Gaukönige, nun ist es vorbei mit eurer Macht!« rief Ingjald, der auf dem nahen Hügel stand und dem Zerstörungswerk zusah.

Aber dann beugte er sich über seine Kinder und sagte zu ihnen: »Vergesset nie, was ihr hier sehet. Heute Nacht wird hier ein großes Werk vollbracht. Wer kümmert sich darum, daß es ein Treubruch ist?«

Der junge Olof wendete sich ab und ging von ihm. Aber Åsa schlug jubelnd die Hände zusammen und tanzte umher, ihr rotes Haar flatterte dabei hoch auf, und ihre Augen funkelten vor Schadenfreude.

Einige von den Gaukönigen waren nicht bei dem Totenmahl gewesen. Ingjald verschonte auch diese nicht, sondern tötete einen nach dem andern durch Hinterlist und Verrat und brannte ihre Höfe nieder. Als er schließlich allein über ganz Svitjod herrschte, hatte er zwölf Gaukönige umgebracht, und man nannte ihn daher Illråde, böser Rat.

Nun vergingen viele Jahre. Einstmals saß Ingjald Illråde eines Abends spät in einem Hofe auf der Fogdö im Mälar und schaute nachdenklich ins Feuer.

Seine Dienstmannen waren feile Schmeichler, und um sein beständiges Mißtrauen zu betäuben, hatten sie ihm während des Abends wie gewöhnlich fleißig zugerufen:

»Du bist groß, Ingjald! Welcher Sveakönig ist mächtiger gewesen als du?«

Seine durch Freveltaten errungenen Siege glichen unechten Schmuckstücken, die jeden Tag wieder geputzt und blank gerieben werden müssen, damit ihre Ärmlichkeit nicht zu Tage tritt. Jetzt lagen die Schmeichler auf den Schlafbänken, und die geleerten Trinkhörner standen noch auf dem Tische.

»Ich höre leichte Schritte und klirrende Goldschnallen,« sagte Ingjald und lauschte. »Möchte wohl wissen, wer einen so verhaßten Mann aufzusuchen kommt? So leicht geht nur eine junge freigeborene Frau.«

»Deine eigene Tochter ist es,« antwortete eine kalte Stimme, und Åsa trat über die Schwelle. Sie war hoch und schlank gewachsen, ihr Mantel wogte im Luftzuge, und sie strich sich das rote Haar aus dem Gesicht.

»Dein Haar ist naß,« sagte er.

»Ja, vom Schnee,« erwiderte sie mit einem tiefen Atemzug. »Ich werde verfolgt; denn ich bin von allen gehaßt und fliehe seit vierzehn Tagen von Hof zu Hof, um nicht niedergestochen zu werden.«

»Bist du allein?«

»Mein letzter Diener hat mich erst kürzlich verlassen.«

Ingjald hatte sie mit einem König in Schonen verheiratet und sie seit langer Zeit nicht mehr gesehen. Deshalb fragte er: »Und dein Gatte?«

Åsa beugte sich mit übereinandergelegten Händen vor und lachte.

»Ihn habe ich getötet,« antwortete sie halb singend. »Solches habe ich von meinem Vater Ingjald Illråde gelernt. Aber zuerst verlockte ich meinen edlen Gemahl dazu, seinen eigenen Bruder umzubringen. Ach, hätte ich ihn doch auch gelehrt, seines eigenen Bruders Sohn umzubringen! Dieser, Ivar, steht jetzt mit einem großen Heer kaum eine Tagereise von hier, um sich an uns zu rächen.«

Dabei glänzten ihre Augen und ihre Zähne; sie umwickelte ihre Arme mit ihren Haaren, lachte und starrte ins Feuer und dachte an Ivars Heldennamen. Dieser Ivar gewann später so viele Reiche, daß er Ivar Vidsamne genannt wurde.

»Hast du etwa Ivar unsere Art zu streiten gelehrt, daß du ihn fürchtest?« fragte Ingjald.

»Ich habe versucht, ihn Verrat zu lehren, und mit der Zeit wird er vielleicht ein ebenso verruchter Bösewicht wie du. Aber bis jetzt strahlt er noch in seinem jungen Siegesglück. Und er gewinnt die Länder mit Heldentaten. Ich fürchte ihn, weil er das ist, was du nie werden kannst, ein Held. Haha! Warum erbleichst du, Vater? Dein schimpflicher Sieg in Uppsala bedrückt dir noch immer so die Brust, daß dir die Stimme versagt. Damals, wo du als Kind überwunden wurdest, hast du geweint. Weine heute Nacht noch zehnmal bittrere Tränen, das wird dir die Brust erleichtern!«

»Es wäre besser, du reichtest mir mein Schwert, Tochter,« erwiderte Ingjald und stand von seinem Sitz auf.

Das Schwert hing hinter dem Pfosten. Aber Åsa antwortete nur mit einer Scherzrede, und statt des Schwertes nahm sie einen Feuerbrand vom Herde, den sie ihrem Vater darreichte.

»Dies hier ist Ingjald Illrådes Schwert,« sagte sie.

Ingjald ergriff den Feuerbrand und trat mit der Tochter hinter die Bänke. Der Lichtschein fiel auf die Schlafenden. Es waren schwache Männer mit fahlen Gesichtern und einem unzuverlässigen Ausdruck um den Mund, die in unruhigem ängstlichem Schlafe lagen.

Um sie nicht zu wecken, beugte Ingjald sein schmales, etwas sommersprossiges Gesicht zu dem seiner Tochter hin und flüsterte: »Überzeuge dich hier selbst, daß ich noch viele Getreue habe. Und eben vorhin, gerade vor dem Einschlafen, haben sie mich noch gepriesen.«

Sein dünner Knebelbart fuhr über ihre Stirne hin, und sie lachte jetzt noch ebenso laut wie zuvor.

»Die Schwachen meinen, Verrat sei Kraft,« höhnte sie. »Verrat ist die ruhmlose Tat der Schwachen. Wenn du so hier neben mir gehst und in flüsterndem Tone zu mir sprichst, sehe ich erst recht, wie klein und schwach du bist, obgleich du ein Wolfsherz verschlungen hast. Dir huldigen nur Leute, die morgen davonlaufen, wenn Ivars Kampfluren zu blasen anfangen. Morgen stehst du da, ohne Land, ohne Heer. Aber sage, warum kracht es in den Balken dort an der Wand? Die grimmige Kälte ist mir draußen gar nicht bewußt gewesen.«

Den Feuerbrand noch in der Hand setzte sich Ingjald nieder auf die Bank. Åsa ließ sich auch neben ihm nieder und stützte den Fuß auf den Rand des Herdes, auf dem vorher beide das Feuer zu hoher Lohe entflammt hatten.

»Du fragst, warum es in den Balken knistert und kracht,« sagte er; und nun war die Reihe zu lachen an ihm. »Von Ingjald Illrådes Fackel sind vorhin ein paar Funken dort in das Lagerstroh gefallen. Zwei so alte stachelige mit Blut bedeckte Dornbüsche wie wir werden am besten verbrannt. Auf andere Weise können wir nicht gegen einen Mann wie Ivar kämpfen; aber feig soll niemand einen Sveakönig heißen dürfen. Åsa, meine Tochter, jetzt verbrennst du hier mit deinem Vater.«

Rauch und Funken stoben umher, und bald war der ganze Hof mitsamt Ingjald, seiner Tochter und seinem Gesinde niedergebrannt.

Von seinem Sohne berichtet die Sage in verschiedener Weise. Ein Bericht lautet, er sei nach Wärmland gezogen, habe dort Wälder gelichtet und den Namen Olof Trätälja erhalten. Der norwegische Harald Hårfagre und sein Geschlecht sollen von ihm abstammen.


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