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In einer herzklopfenden Erregung stieg am folgenden Mittag Graf Dehn zu der von Imgjor angesetzten Zeit die Treppe zu deren Wohnung empor. Er sah auch gleich die, nach der sein Herz verlangte.

Als er ihre Hand ergriff und sie tiefbewegt an seine Lippen zog, flog ein Zittern durch des jungen Mädchens Körper, und zunächst fehlten ihr die Worte.

Aber da sie nicht weich werden, da sie diesem Gespräch den Charakter nehmen wollte, den Graf Dehn ihm zu geben beabsichtigte, sagte sie mit sanfter Unterordnung im Ton:

»Ich bitte Sie inständig, Graf Dehn, mir dieses Wiedersehen nicht zu erschweren, mir es vielmehr zu erleichtern! Ich bin durch eine Krankenpflege meiner Kräfte so sehr beraubt, daß ich nicht fähig bin –« Hier stockte sie, ihre Hände griffen nach der Lehne eines Stuhles und fernere Worte versagten.

Und der Mann, tief ergriffen, wollte sie stützen. Aber sie gewann dann doch ihre Kraft zurück und sagte, während sie ihn durch eine Bewegung ersuchte, ihr gegenüber Platz zu nehmen, nunmehr fest:

»Ich bitte, sagen Sie mir, was Sie zu mir führt! Ich weiß, die Höflichkeit, – die Rücksicht, die man dem Mitglied einer befreundeten Familie erweist, in erster Linie. Aber es ist noch etwas anderes. Ich entnahm es Luciles Worten. Ich werde Ihnen aufmerksam zuhören und glücklich sein, ich versichere Sie, wenn ich Ihnen – falls Sie einen Wunsch haben – solchen erfüllen kann! Ich vergaß nie und werde niemals vergessen, was ich Ihnen zu danken habe. Ich war damals krank und blind. Ich war deshalb namenlos ungerecht gegen Sie, Graf Dehn, obschon meine Achtung vor Ihrem Charakter stets dieselbe war. Schon nach der Richtung habe ich sehr viel gut zu machen, vielleicht so viel, daß ich die Schuld nie abtragen kann. Nehmen Sie dieses Eingeständnis und die Bitte, mir zu verzeihen, entgegen! Und nun? Ich höre!«

Nach diesen Worten sprach Graf Dehn in langer Rede, kam zurück auf die Vorgänge in Rankholm, erörterte, mit stetem Hinweis auf sie, Imgjor, die Gründe, weshalb er sich auf Reisen begeben, erklärte, daß er keinen Tag verlebt, ohne ihrer gedacht zu haben, und daß er nun, von Sehnsucht getrieben, sie wieder zu sehen, hierher, nach Kopenhagen, gereist sei.

»Ich vermag nur einmal zu lieben, Komtesse. Sie liebte ich seit der ersten Begegnung. Ich werde auch nie einem anderen Mädchen mein Herz schenken. Das alles wollte ich Ihnen sagen und Sie fragen, ob Sie mir nicht ein wenig gut sein könnten! Ich wollte Sie bitten, mir auf meine Besitzung zu folgen, um ein Glück zu finden, das in gegenseitiger Uebereinstimmung wurzelt und in Thaten der Nächstenliebe einen wesentlichen Teil seine Befriedigung findet. In jedem Fall – ich bitte, ich beschwöre Sie – entsagen Sie Ihren jetzigen Plänen! Begnügen Sie sich mit den Erfahrungen, die Sie einsammelten, die Sie belehrt haben müssen, daß nicht wir die Welt regieren können, sondern nur ein Werkzeug sind, um in gemessenen Grenzen bei der Ordnung der Dinge mitzuwirken. Thuen Sie es auch um Ihren Eltern, die Ihre Rücksicht so sehr verdienen, – zu beweisen, daß Sie nicht undankbar sind.

Ihr Pflegevater – es ist ersichtlich – wird sich innerlich und körperlich aufreiben, wenn Sie eine mit solchen Ungelegenheiten für Sie und die Familie verbundene öffentliche Wirksamkeit fortsetzen. Auch die Gräfin leidet unter diesen Verhältnissen mehr, als sie es ausspricht. Nur die Furcht, als Stiefmutter parteilich zu erscheinen, hält sie ab, sich anders zu geben, und stärker auf Sie, Komtesse, einzuwirken! Wahrlich, wir könnten alle von ihr lernen!«

Imgjor hatte aufmerksam zugehört. Nicht einmal war ein abweisender, oder spröder Ausdruck in ihre Züge getreten. Sie hatte seine Worte mit einer Miene aufgenommen, als ob ein Freund ihr von seinen Leiden erzähle, sanft sinnend und denkend, wie sie sich dazu verhalten solle.

Sie streckte ihm auch mit einem rührenden Blick die Hand hin, drückte die seinige fest, und sagte:

»Ich wußte, Graf Dehn, daß Sie gerade so sprechen würden. Deshalb wird es mir leicht, Ihnen gleich und ruhig zu antworten. In erster Linie nochmals Dank! Wenn die Achtung von Ihrer Person sich noch erhöhen könnte – ich spreche nicht von einer Zuneigung in anderem Sinne, und Sie werden gleich verstehen, aus welchen Gründen ich es unterlassen muß – so hätten Sie Ihren Worten keinen Inhalt erteilen können, der meine Empfindungen für Sie stärker zu erhöhen imstande gewesen wäre! Meine Antwort aber lautet: Ich will noch einen Versuch machen, mich auf eigene Füße zu stellen. Gelingt er, muß ich mir selbst treu bleiben. Ich kann nicht anders. Verzeihen Sie mir. Mein Entschluß ist unbeugsam!«

Und er fügte sich auf ihre Rede, obschon sie ihm schier das Herz zermalmte. Und dann sprach er: »Wohlan denn! Ich habe dann nur den innigen Wunsch, daß sich verwirklichen wird, was Sie soeben ausgesprochen haben! Mögen Sie einen Wirkungskreis finden, der Sie befriedigt, der Sie wahrhaft glücklich macht! Leben Sie wohl – Komtesse – Imgjor – Imgjor – teure Imgjor« –

Und dann geschah doch etwas.

Sie brach in Thränen aus, und er zog sie an sich, und einen Augenblick lag sie ohne ihren Willen an seiner Brust. Und dann, zum Bewußtsein zurückgekehrt, machte sie sich hastig los und bat sanft, aber fest im Ton: »Gehen Sie! Ich bitte! Gehen Sie!«

Noch einen letzten, tief verinnerlichten Blick gönnte sie ihm, dann that er, wie sie wünschte.

Nachdem er aber gegangen war, sank sie in ihren Sessel zurück und überdachte voll schwerer Wehmut, was geschehen war. Eines fiel ihr bei der Betrachtung besonders beklemmend auf die Seele, obgleich sie gerade das als nebensächlich hinzustellen, sich zwingen wollte.

Sie war demnächst ohne Mittel zum Leben! Der Graf hatte – vielleicht, um sie dadurch eher gefügig zu machen – die sonst am ersten des Monats ihr stets überwiesene Summe nicht mehr gesandt. Sie hatte ja deren Empfang auch abgelehnt. Sie konnte ihm nicht einmal einen Vorwurf machen! Ihre Pretiosen und ihre seidenen Gewänder zu verkaufen, widerstrebte ihr, weil sie fürchtete, sich dadurch bloßzustellen. Und wenn beides dahin war, so nannte sie nichts mehr ihr Eigentum! Die Sorge schuf bereits Vorsicht und Ueberlegungen, die ihr früher fremd gewesen waren. Die Begräbniskosten für den Mann der alten Ohlsen, die inzwischen durch Imgjors Bemühungen in einem Frauenarmenhaus untergebracht worden war, hatten das Geringe, was sie noch besaß, bis auf ganz weniges geschmälert, und die Bank mußte überdies noch befriedigt werden.

Täglich kamen, wie bisher, Listen mit Aufforderungen zur Beihilfe für gute Zwecke.

Konnte sie die jetzt abweisen? Sie vermochte es nicht; es widersprach ihrem stets auf Geben bedachten Herzen.

Auch die Miete für die Wohnung war noch zu berichtigen. Man forderte Steuern von ihr.

Der Tag und die Stunde waren abzusehen, wo sie zuletzt vor dem – nichts stand! Eine angstvolle Unruhe überkam sie. Man würde sie am Ende auch noch in anderer Weise falsch beurteilen! Die Zeitungen würden gar verkünden, sie habe wegen Schulden Kopenhagen verlassen. So sei sie eigentlich nichts anderes als eine, die habe von sich reden machen wollen!

Und eben diese Lebenssorgen drängten zum erstenmal die Gedanken an die Ideale, die ihre Brust noch eben wieder erfüllten und deren Verwirklichung sie erstreben zu wollen, erklärt hatte, völlig zurück! Der Trieb der Selbsterhaltung gelangte zu seinem Recht. Sie erkannte plötzlich, welchen Wert der Besitz, welchen Wert das Geld hatte, und wie früher flüchtig, so stellten sich jetzt dauernde Vergleiche ein zwischen dem Gewesenen, und dem, was ihr geworden! Aber nicht genug mit diesem Ansturm auf ihr Inneres: Graf Dehn war wieder da! Und sie hatte ihn, obschon sie ihn liebte mit der ganzen Kraft ihrer Seele, für immer von sich gestoßen!

Eine grenzenlose Reue überkam sie. Nur ihr Stolz regte sich noch.

Mit welchem Selbstgefühl hatte sie geredet! Wie an einer Mauer waren alle seine verständigen, rührenden, flehenden Bitten zerschellt. Und wie schwach war doch der Faden gewesen, an dem ihre Festigkeit gehangen!

Jedes Menschenherz war – so überlegte Imgjor – zu rühren, wenn nur der Rechte kam und es richtig angesprochen wurde.

Nun sehnte sie sich fort, nun kamen ihr doch die Erinnerungen an Rankholm.

Rankholm! Rankholm! Das war das Paradies ihrer Jugend! – Eine namenlose Sehnsucht ergriff ihr Inneres jetzt. Erst nach einem todestraurigen Sinnen raffte sie sich empor, fand sie die alte Kraft ihrer Seele, ihr Pflichtgefühl und ihren opferfreudigen Sinn zurück, und trat mit der gewohnten Selbstlosigkeit an das Bett ihrer Kranken. – – –



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