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Fast eine halbe Stunde stand Graf Dehn auf seinem Beobachtungsposten, ohne daß etwas geschah. Er hörte die Uhr vom Schlosse zehn schlagen, und später dröhnte eintönig auch der einzelne Schlag, der den ferneren Verlauf einer Viertelstunde verkündete, zu ihm herüber. –

Aber dann rührte sich etwas, jedoch nicht von der Dorfgegend her, sondern auf dem Hofe.

Von der Gartenseite her drang das Geräusch von Schritten an sein Ohr. Anfänglich nahm Graf Dehn an, daß es der Wächter sei. Es beunruhigte ihn dessen Kommen insofern, als der ihn begleitende Hund sehr wachsam war. Aber es war nicht der Wächter, der sich dem versteckt Harrenden näherte, sondern die Umrisse einer weiblichen Erscheinung tauchten vor den Augen des mit seinen Blicken die Dunkelheit durchdringenden Mannes auf.

Und keinem Zweifel unterlag's – es war Imgjor, die, sicher beunruhigt durch Prestös langes Fortbleiben, ihre Gemächer verlassen und sich in die Nacht hinausgewagt hatte.

Ein heißes Feuer loderte in dem Manne auf. Er hatte Mühe, sein klopfendes Herz zu bezwingen, als sie nun demselben Orte zuschritt, an dem er sich befand, zuletzt sogar – nur eine Armlänge von ihm entfernt – ihre Bewegungen hemmte und unbeweglich stehen blieb.

Eine Welt, Himmel und Erde, wären sie sein gewesen, hätte er darum gegeben, wenn sie, die da unruhig ins Thal hinab spähte, um seinetwillen sich durch die Nacht geschlichen, um seinetwillen hier verharrt und sehnsüchtig aufgeseufzt hätte.

Einmal schien's, als ob sie sich anschicken wolle, ins Dorf hinabzusteigen. Aber sie besann sich, wanderte hin und her und holte nur mehreremal, von Unruhe übermannt, tief Atem. Aber auch ein Hüsteln, das sie vergeblich zu dämpfen suchte, befiel sie. Offenbar von der Nachtluft unsanft berührt, zog sie das Tuch, das sie um ihre Glieder geschlungen, fester um sich, und rascher wurden ihre Schritte.

Aber nun befiel auch Axel ein Kehlkitzel.

Trotz heftigen Widerstands löste sich ein Laut aus seiner Brust, und Imgjor wich – er sah's von seinem Versteck aus – angstvoll erschrocken zurück. Aber nur für Sekunden. Dann leuchteten ihre funkelnden Augen durch die Nacht und richteten sich furchtlos spähend dahin, woher der Ton zu ihr gedrungen.

Schon glaubte sich Graf Dehn entdeckt und blitzschnell überlegte er, ob er sich ihrem Gesichtskreis durch ein rasches Entfernen entziehen oder sich zu erkennen geben solle, als zu seiner glücklichen Befriedigung fast gleichzeitig ein Geräusch – das Geräusch der Schritte einer eilig den Berg hinaufklimmenden Person – beider Ohr traf, und gleich darauf auch schon Prestö mit hastig gedämpfter Stimme auf die ihm rasch Entgegeneilende einsprach:

»Bist du's, Imgjor? Ah, Gottlob! Schon war ich in großer Sorge. Wie steht's, meine Imgjor? Habe Dank, daß du hergekommen bist! Aber ich vermochte nicht früher zu kommen, bis jetzt war ich bei Kranken und Sterbenden –«

Andere Worte, die er sprach, verschlangen die Nacht und die Entfernung. Einem übereinstimmenden Antrieb folgend, nahmen beide den Weg gegenüber zu den Wirtschaftsgebäuden, und unter dem Schutz ihrer dunklen Mauern und Dächer schritten sie dem Schloßgarten zu. Und Graf Dehn folgte ihnen in angemessenem Abstand, und als sie sich in seiner Laube niederließen, wußte er sich hinzuschleichen, um zu hören, was sie redeten.

Aus ihrer Unterhaltung ging hervor, daß Imgjor einwilligen wollte, Prestö anzugehören, wenn zweierlei Bedingungen sich erfüllten. Er sollte sich ganz in den Dienst der neuen Sache stellen, und er sollte ihr nachweisen, daß seine jetzige Braut selbst die Beziehungen zwischen ihm und ihr lösen wolle.

»Immer wieder muß ich es dir sagen, daß ich trotz meiner Liebe ein anderes Glück nicht zerstören will. Um solchen Preis will ich verzichten, muß ich entsagen! Ich würde nie froh werden können. Aus Schlechtem kann nichts Gutes entstehen. –«

Und immer von neuem Beteuerungen von seiner Seite, daß sie ihm glauben möge. Besondere Beweise beizubringen, sei unmöglich, weil seine frühere Braut überhaupt nicht mehr schreibe und frühere Zuschriften von ihrer Hand im Zorn von ihm vernichtet seien.

»Ich bin frei, Imgjor! Glaube mir doch! Was willst du mehr? Sie ist meiner Liebe nicht wert. Ich hatte sie schon aufgegeben, bevor wir uns fanden –«

»Lass' mich sie selbst sprechen! Höre ich aus ihrem Munde, daß sie dich frei giebt, gleichviel aus welchem Grunde, gehöre ich dir! – Ich darf, ich kann nicht anders, mein Freund! Es ist gegen meine Natur –«

Und dann wieder er. Er wisse nicht, ob jene sich überhaupt noch in Kopenhagen aufhalte. Sie habe die Absicht gehabt, als Erzieherin nach Lyon zu gehen. Sie sei sicher schon dort. Er wisse ihre Adresse nicht und könne, da sie keinen Anhang habe, solche nicht ermitteln.

»So lass' mich an sie schreiben. Wir werden ihren Wohnort durch die Polizei feststellen können –«

»Glaubst du mir denn nicht, Imgjor? Du kränkst mich durch dein Mißtrauen –«

»Ich glaube, daß du mich liebst und daß du mich mehr liebst als jene. Aber im Beginn unserer Bekanntschaft sprachst du von dem Mädchen in einem anderen Sinne und thatest einer zwischen euch eingetretenen Entfremdung keiner Erwähnung. Diese Thatsache besteht, und daraus leite ich ab, daß du doch vielleicht auf falschem Wege bist, nicht aus verwerflichen Gründen, vielmehr unter dem Einfluß deiner Liebe zu mir, welche dir die Dinge in einem für dich günstigen Lichte erscheinen läßt. Weshalb scheust du die Probe? Willst du mit Unrecht beginnen? Muß dir nicht auch an Klarheit liegen, mein teurer Freund?«

»Dich kann die rechte Liebe zu mir nicht beseelen, wenn du mich einer Schlechtigkeit für fähig hältst, Imgjor! Ich sag' es noch einmal: Ich kann und will jene nicht, und ich habe aus ihren Briefen die Ueberzeugung gewonnen, daß sie auch nur noch Zwang an mich fesselt.«

»Siehst du also, mein Freund, du besitzest keine unbedingte Sicherheit! Lasse uns diese erwerben, und wir werden unsern Bund schließen. Will ich denn etwas anderes, als unser volles Glück, erstrebe ich etwas anderes, als daß wir es in unserer Liebe und in der Hingabe an unsere Ziele finden?«

So und ähnlich gingen die Worte zwischen ihnen hin und her, und nach Beendigung dieses Gesprächs, das mit derselben wiederholten Forderung Imgjors ausklang, erzählte Prestö von der im Dorf um sich greifenden Epidemie. Er betonte, daß es richtiger sei, den Ort zu meiden. Größte Vorsicht sei erforderlich. Er, der Arzt, habe die Krankheit früher gehabt und sei deshalb immun, aber sie, Imgjor, möge – so edelmütig ihre Absichten auch seien – sich keiner Gefahr aussetzen.

Auf ein weiteres Horchen verzichtete Graf Dehn. Was er wissen wollte, hatte er soeben vernommen. Zeuge ihrer Zärtlichkeit zu sein, vermochte er nicht. Er litt ohnehin namenlos, als Prestö sie in trunkener Leidenschaft an sich zog und sie sich mit einem stöhnenden, halb hingebenden, halb bangherzigen Laut an ihn schmiegte. Das Innere voll Erregung kehrte er durch den Garten nach dem Schlosse zurück.



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