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Der nächste Tag brachte Axel abermals eine große, mit peinlichen Eindrücken verbundene Ueberraschung. Als er mittags nach einem Spaziergang sein Zimmer betrat, fand er wiederum einen Brief von Imgjors Hand auf seinem Schreibtisch. Er lautete:

»Noch einmal rufe ich den Kavalier in Ihnen an, Graf Dehn! Ich bitte, verlassen Sie Rankholm oder befreien Sie mich von dem unerträglichen Druck Ihrer zwecklosen und unerbetenen Observationen. Ich wiederhole damit eine schon früher ausgesprochene Bitte!«

Lange wanderte Graf Dehn nach dem Lesen dieses Schriftstückes auf und ab und erging sich sowohl in Vorstellungen über die Umstände, die seine Entdeckung herbeigeführt haben konnten, als auch in Gedanken über dieses ihn täglich mehr fesselnde und doch für ihn verlorene, junge Geschöpf.

Ein Roman spielte sich zwischen ihnen ab, in dem beide Teile ohne mündlichen Austausch und persönlichen Verkehr handelten und einer Lösung zustrebten.

Aber vorläufig stand eine solche noch in weiter Ferne.

Graf Dehn wollte nicht weichen und nicht verzichten. Er wollte dem Mädchen, das mit scharfer Logik den Kern aus den Dingen zu ziehen, und was sie zu sagen hatte, mit solcher lakonischen, von allem überflüssigem Beiwerk befreiten Kürze von sich zu geben wußte, den Beweis liefern, daß der von ihr begehrte Mann nichts anderes sei – jetzt stimmte er Luciles Auffassung bei – als ein kaltherziger Selbstling, ein zugleich so dünkelhafter Mensch, daß er sogar die ihm zu Gebote stehende Verstellungskunst, sofern sie nicht seinen Götzen, Macht und Geld, zu dienen hatte, verschmähte.

Nach längerer, sorgfältiger Ueberlegung schrieb Graf Dehn die nachfolgenden Zeilen an Imgjor:

»Gewähren Sie mir mit Ihrem großen, guten Herzen, das sich nur mir gegenüber so kaltherzig versteckt, dennoch die Erlaubnis, noch einige Zeit in ihrer Nähe weilen zu dürfen! Meine Liebe und meine Bewunderung für Sie erhalten in mir den Drang, Sie vor einem Fehlgriff zu behüten, den Sie zu begehen im Begriff stehen. Ich wage zu sagen: Mißtrauen Sie dem Charakter und den Beweggründen des Mannes, an den Sie, ein so vollendetes Wesen, alle Ihre reichen Schätze verschwenden wollen, aufs äußerste! Rechnen Sie mit der Erfahrung und der Menschenkenntnis dessen, der Ihr wahrhafter Freund ist, der auf seine eigenen Hoffnungen verzichtet, Sie aber wenigstens glücklich wissen möchte! Ziehen Sie, wenn Sie ein Zusammengehen mit mir zu diesem Zwecke ablehnen, wenigstens, ich bitte, Graf Knut zu Rate! A.D.«

Dieses Schreiben trug Axel selbst zu Imgjors Gemächern hinauf. Er hoffte, ihre Zimmer offen zu finden. Aber sie waren verschlossen, und der Schlüssel hing nicht mehr auf dem Haken von damals.

Noch im Zögern, wie er es beginnen sollte, ihr das Billet zu übermitteln, hörte er Schritte auf der Treppe, und da es keinen Ausweg gab, nahm er kurz entschlossen seine Zuflucht zu einer Portiere, hinter der er sich verbarg.

Es widerstrebte ihm ein solches Verstecken, aber die Vorstellung, hier angetroffen zu werden, machte ihm das Blut heiß.

Gleich darauf erschien einer der Diener des Schlosses, der sonst nur im Souterrain beschäftigt war, und klopfte, während er einen Brief aus der Tasche zog, an Imgjors Thür. Und noch einmal, da ihm keine Antwort wurde, und nun schon unschlüssig um sich spähend. Zuletzt schob er, rasch überlegend, mit kräftigem Nachdruck das Schreiben durch die Thürspalte, und nachdem das geschehen, stieg er vorsichtig wieder die Treppe hinab. Das war also der Mann, der auch ihm, Axel, die Briefe von Imgjor aufs Zimmer legte! Und das eben von ihm besorgte Schreiben war – Axel zweifelte nicht daran – von Prestö!

Während Graf Dehn noch so überlegte, trat er hinter seinem Versteck hervor, machte es mit seinem Brief wie der Diener und nahm auch, wie der, lautlos den Weg in sein Zimmer zurück. Sehr begierig war er, wie ihm Imgjor bei Tisch begegnen werde. Freilich, er konnte es sich mit Sicherheit vorhersagen. Sie verband es, wenn sie mußte, ihre Gefühle meisterhaft zu verbergen.

Bei Tisch ereignete sich nichts Besonderes. Es wurde vom Grafen über die Scharlachepidemie in Kneedeholm gesprochen. Dann wurde über das bevorstehende Fest geredet und zulegt wurde auch der Reise nach Kopenhagen und zugleich stets in dem Sinne Erwähnung gethan, daß es Lavards als selbstverständlich betrachteten, daß Graf Knut und Graf Dehn sich ihnen anschließen würden.

Imgjor war ernst und für sich wie immer, sie gab aber durch ihr Verhalten keinen Anlaß zu irgend welcher Verstimmung. Graf Dehn begegnete sie – wie er es vorausgesetzt hatte – mit der gewohnten völligen Unpersönlichkeit in Blick und Wesen.

Erst nach Tisch fand Axel Gelegenheit, die Gräfin zu sprechen. Sie ergänzte, selbst damit beginnend, ihren jüngsten Bericht durch die Mitteilung, daß Imgjor auf die Frage ihres Vaters, ob sie Beziehungen zu Prestö unterhalte, erwidert habe, es sei möglich, daß sich ernste Beziehungen zwischen ihnen entwickeln würden. Vorderhand tausche sie mit ihm, dem sie Sympathie, Vertrauen und freundschaftliche Gefühle entgegentrage, nur ihre gemeinsamen Ideen aus.

»Und was erwiderten Sie beide, gnädigste Gräfin?«

»Wir erklärten ihr, daß wir nicht nur niemals einer Verbindung zwischen ihr und dem fatalen Menschen zustimmen, sondern alles thun würden, um ihn – wie es schon gesagt sei – sobald wie möglich aus dem Gutsgebiet zu entfernen.«

»Und dann? Was sagte Ihr Fräulein Tochter hierzu?«

»Dann eben forderte sie ihr Erbteil und ihre Freiheit. Sie schlug, da ihre Ansichten mit den unsrigen nicht mehr zusammenstimmten, eine friedliche Trennung vor. Als mein Mann sie fragte, ob sie denn gar kein Zusammenhangsgefühl für die Ihrigen leite, entgegnete sie: Gewiß! Aber ich muß mein großes Ziel verfolgen; ihm gegenüber bin ich gezwungen, diesen Regungen meines Herzens zu gebieten. Ich gehöre der Menschheit im großen an, nicht im einzelnen. Ich bin hier ein nutzloser Esser, der weder befriedigt und erfreut, noch selbst glücklich ist.«

»Sie wolle,« schaltete ich ein, »aber doch nicht auf eine Verbindung mit Prestö verzichten, mit einem Manne, von dem jeder ihr sage, daß er nichts weniger als ideale, sondern nur selbstsüchtige Gedanken verfolge, der sie sicher, wenn der erste Rausch verflogen, grenzenlos unglücklich machen werde. Dieses Kleben an einer einzelnen unwürdigen Persönlichkeit, zumal auf Kosten der natürlichen Rücksichten gegen die Ihrigen, widerstreite doch den von ihr ausgesprochenen Grundsätzen durchaus.«

»Und diese Logik entwaffnete sie nicht, Frau Gräfin?«

»Nein. Sie erklärte, daß kein Widerspruch vorhanden sei, weil sich für sie in Prestö der Träger der neuen Ideen verkörpere. Zu ihm ziehe sie die übereinstimmende Ueberzeugung, aber auch der Wunsch nach einem kräftigen Halt und einer männlichen Unterstützung für ihre Pläne. Ihre Herzensempfindungen kämen erst in zweiter Linie in Betracht. Würde sich herausstellen, daß sie sich nicht angehören könnten, würde sie zu verzichten wissen. Eine Entscheidung darüber erstrebe sie. Wenn sie sich entschlösse, ihn zu heiraten, bäte sie um gutwillige Zustimmung von unserer Seite. Wenn nicht, müsse sie ohne diese handeln. Ihr Gewissen spreche sie von jedem Pflichtmangel frei. Sie sei kein lebloser Gegenstand, kein Ding, über das man ein ganzes oder beschränktes Verfügungsrecht besitze.«



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