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Im Rankholmer Palais saß in seinem dreifenstrigen durch den Anstrich sanfter Pfirsichfarben reizvoll gehobenen und mit alten Ovenschen Gemälden und seltenen nordischen Möbeln geschmückten Arbeitsgemach Graf Peder Lavard und rauchte aus einer kostbaren Meerschaumpfeife. Dem silberbeschlagenen Kopf entstiegen in blauen Ringen emporschwebende, einen verführerischen Duft verbreitende Wölkchen, und ein Ausdruck ausnehmender Behaglichkeit haftete in den Zügen des Besitzers des Schlosses.

Ihm gegenüber, in einen hohen Sessel aus dem sechszehnten Jahrhundert zurückgelehnt, plauderte der Marquis von Curbière, der heute einen schneeweißen Anzug aus einem Pariser Magazin trug, und nun eben eine kleine, dünne Cigarette durch rasche Berührung mit einer brennenden Wachskerze entzündet hatte.

Die Herren unterhielten sich über eine am kommenden Tage bei Hofe Stattfindende Festivität, zu der, mit Ausnahme von Imgjor, sowohl die Familie Lavard, wie auch der Marquis, nach vorangegangener Einzeichnung seines Namens in das in dem königlichen Vorzimmer ausgelegte Meldebuch, Einladungen empfangen hatten.

Und eben, daß man Imgjor ausgeschlossen, daß man, wie stets, von ihr gar keine Notiz genommen hatte, brachte das oft erörterte Thema ihrer Emanzipation von neuem in Fluß, ließ die Herren überlegen, durch welche Mittel man sie endlich von ihren Abenteuerlichkeiten kurieren könne. Umsomehr beschäftigte sich die Familie mit Imgjor, als einige Vorfälle der letzten Zeit auch ihren Namen wieder in sehr unliebsamer Weise in die Oeffentlichkeit gebracht hatten.

Immer stand Graf Lavard unter der Befürchtung, daß seinen guten Beziehungen zum Hofe durch Imgjors Verhalten ein Abbruch geschehen könne. In den Zeitungen war mitgeteilt worden, daß der frühere Geistliche Kollund in Sommerlyst einen von Tausenden besuchten Vortrag gehalten und daß die bekannte Grevinde Lavard demselben nicht nur von Anfang bis zu Ende beigewohnt und ihm sehr lebhaft Beifall gezollt, sondern auch noch mit dem Redner später lange Nachtstunden allein konferiert habe.

Und am nächsten Tage hatten dieselben Zeitungen zu erzählen gewußt, daß ein Anfall auf die Komtesse verübt sei.

Nach jenem Vortragsabend sei sie unvorsichtigerweise allein nach Hause geschritten und, in der Nähe des Rosenborger Parkes angelangt, von einem Strolch, dessen Familie sie viele Wohlthaten erwiesen habe, überfallen und übel zugerichtet worden. Sie liege an einem Nervenfieber darnieder und werde von einer barmherzigen Schwester gepflegt. Auch ihre Angehörigen weilten täglich an ihrem Lager.

Seit dieser Zeit waren drei Wochen vergangen. Imgjor war wieder aufgestanden und hatte sich erholt.

Bei einem Fest beim Premierminister, dem die königliche Familie beigewohnt hatte, war zwar der König dem Grafen und seinen Angehörigen sehr gnädig begegnet, aber es waren doch auch zum erstenmale Worte gefallen, die seine Ansichten über die junge Gräfin Lavard sehr deutlich hatten zu Tage treten lassen.

»Ich bedaure, lieber Graf, daß die Komtesse von einem solchen Unfall betroffen worden ist. Aber ich würde es nicht nur in ihrem, sondern eben so sehr im Interesse der Familie halten, wenn sie sich solchen Extravaganzen nicht aussetzte, überhaupt ihrem Enthusiasmus einige Zügel anlegte. Der Polizeipräfekt meldet mir, daß nun auch sie einen öffentlichen Vortrag zu halten die Absicht hat. Suchen Sie das mit allen Mitteln zu verhindern. Ich rechne darauf. Dergleichen paßt sich nicht für das Mitglied einer dänischen Adelsfamilie. Wo kommen wir hin, wenn von dort schon solche Beispiele ausgehen!«

Während die Anwesenden noch sprachen, meldete Frederik, daß Komtesse Imgjor soeben ins Schloß getreten wäre, zudem benachrichtigte er die Herrschaften, daß das zweite Frühstück serviert sei.

Unmittelbar darauf trat auch schon Imgjor ins Zimmer, schritt mit der Miene sanfter Unterordnung auf ihren Pflegevater zu und reichte dem Marquis mit jenem süßen Blick die Hand, den sie allen denen gönnte, die sie lieb hatte. Aber auch Lucile erschien, und da war's, als ob nun erst die volle Schönheit die Welt erhelle.

Sie glich der Versinnbildlichung des eben eingezogenen blühenden Sommers! Ein weißes, seidenes Gewand umschloß ihren Körper, eine gelbe und eine weiße Rose saßen in ihrem nach Empire-Art hochfrisierten Haar. Sonst trug sie keinen Schmuck.

»Ah, wie schön du heute wieder aussiehst, meine Lucile!« flüsterte Curbière, voll Bewunderung seine Braut umarmend.

Und während er sie noch mit anderen schmeichelnden Worten überschüttete, sprach der Graf, seiner Tochter Imgjor mit liebenswürdiger Zuthunlichkeit den Arm reichend, auf diese ein.

»Ich möchte dich nachher sprechen, Imgjor. Nach dem Frühstück, ehe du das Palais wieder verläßt, gehen wir noch einmal zu mir hinüber –«

Die Gräfin warf ihr beim Eintritt in den Speisesaal, wohin sie sich inzwischen begeben, einen von einem vertraulichen Lächeln begleiteten, guten Blick zu, auch umarmte sie Imgjor bevor sie sich an der Tafel niederließ.

Es wurde ein zu unternehmender Wagen- und Reitausflug nach Skodsborg besprochen. Die Herrschaften wollten auf der Rückkehr in Klampenborg speisen. Imgjor wurde von den Ihrigen ebenfalls aufgefordert, wich aber aus.

»Stimmen Sie doch zu, schöne Schwägerin!« ermunterte sie Curbière liebenswürdig. »Lassen Sie einmal die Kittelleute für sich selbst sorgen! Erinnern Sie sich, wie sie Ihnen jüngst begegneten, und vergessen Sie nicht, daß Sie auch Pflichten gegen die Ihrigen haben.«

»Ich würde sehr gern teilnehmen« – entgegnete Imgjor, bei der Hitze die Aermel ihres Kleides etwas zurückgreifend und so ihren reizenden Arm freigebend – »aber ich will in diesen Tagen einen öffentlichen Vortrag halten, und da brauche ich alle meine Zeit äußerst notwendig.«

»So halten Sie ihn nicht! Das Sternbild des Bären wird nicht vom Himmel herabfallen, wenn die Welt sich dessen entraten muß. Glauben Sie denn wirklich, daß dergleichen einen praktischen Nutzen hat?«

»Ich hoffe es, lieber Armand.«

»Und welchen?«

»Daß die Menschen zum Nachdenken gelangen.«

»Aber wir haben ja die vielen Orte, die stillen Kämmerlein und lauschigen Plätze in der Einsamkeit der Gottesnatur, wo die Erdenbewohner selbst dergleichen üben können! Wir haben zudem all' die Kirchen und die vielen Prediger –«

Imgjor zog die Schultern.

»Liegt nicht eigentlich eine Vermessenheit darin, fortwährend andere belehren zu wollen, Imgjor?« fuhr er fort. »Wär's nicht besser, jeder verwendete seine Zeit auf sich? Jeder hat's dringend nötig! Ich wiederhole früher Gesagtes.«

»Ja, darin liegt etwas! Ueberhaupt haben Sie wohl von ihrem Standpunkt aus auch recht. Ich kann aber nicht anders, als nach meiner Natur handeln. Ist's nicht schon viel wert, wenn es mir gelingt, einige Mißgeleitete umzuwandeln?«

»Das ist – pardon! – die stete Rede aller derer, die es für erforderlich halten, die Menschen fortwährend auf Tod und Sterben und Buße hinzuweisen, anstatt sie das Leben lieben zu lehren, sie zur Lebensfreudigkeit anzuhalten, ihnen ein heiteres, sorgloses Gemüt zu verschaffen, sie dadurch zu stählen, dem Dasein zu begegnen, so dem Schöpfer wohlgefällig zu sein. Nichts Widersinnigeres als das Asketentum, nichts, was Gottes Absichten weniger entspricht! Er schuf die Sonne und die Helle zum Gedeihen der Welt, uns zur Freude und zum fröhlichen Genießen. Und wir? Wir verwandeln seine schöne Erde in ein Jammerthal, durch das wir gezwungen hindurchgehen müssen, in einen Kerker, in dem wir lebenslänglich zu schmachten verurteilt sind. Wie kleinlich machen wir den großen Geist. Wie sehr beweisen wir durch unsere Auffassung von der Gottheit, wie wenig wir jemals über sie nachgedacht, geschweige ihr innerstes, jedes Geschöpf mit grenzenloser Liebe, Güte und Nachsicht umfassendes Wesen ergründet haben. Verdammen wir nicht den Lehrer, der immer nur danach ausschaut, ob die Kinder fehlen, ihnen ihre Bewegungen beschneidet, sie stetig in solche Fesseln spannt, die der Natur des freigeborenen Geschöpfes widerstreben; der fortwährend mit Strafen und Vergeltung droht, der ihnen immer nur zuruft: »Bedenket, daß der Zeugnistag erscheint!« Und so fort und so fort bis zum Abgang? Und nun behängen wir gar das erhabene Wesen mit solchen Eigenschaften! Wahrlich, man weiß nicht, ob man über solche Verblendung weinen, oder ob man sich gegen solche Anmaßung der Auslegung des göttlichen Wesens empören soll!«

»Sie sprechen –« entgegnete Imgjor voll Begeisterung, »für eine Neugestaltung unserer religiösen Anschauungen. Der geistig höher Stehende gelangt, und sicher mit Recht, zu solchen. Wir haben es aber mit der breiten Masse zu thun, die an dem Alten hängt und für welche die Lehre von Himmel und Verdammnis geeigneter ist. Was ich vorhabe, ist ja auch etwas anderes. Ich will reden über die Gleichberechtigung der Menschen zum Zweck eines glücklicheren Erdenlebens, über die Mittel, das Los der Armen zu verbessern, über die Pflicht der Großen, dazu nach Kräften beizutragen! Ich will praktische Religion predigen!«

»Ich möchte, daß du diesen öffentlichen Vortrag nicht hieltest, ja, ich wünsche unter allen Umständen, daß es unterbleibt, Imgjor!« fiel nun der Graf ein. Er that's, nachdem eben die Dienerschaft das Zimmer verlassen hatte.

»Der König sprach mich in diesen Tagen darauf an, daß du dergleichen vorhabest. Er forderte von meiner Loyalität, daß ich es dir verbieten möge.«

»Deine Loyalität sollte dich eher bestimmen, mir beizupflichten, lieber Papa!« fiel Imgjor ein. »Ich predige nicht den Umsturz; ich will nur auf Grund des Bestehenden reformieren. Und je eher und besser uns das gelingt, um so sicherer werden sich gerechte Fürsten ihr angestammtes Erbteil bewahren.«

»Wir wollen uns gegenseitig keine Kathedervorträge halten, Imgjor. Du kennst meine Ansichten und in diesem speziellen Falle jetzt meinen unbedingten Willen. Da ich dir in so vielem nachgab, darf ich wohl auch auf einen Gegendienst rechnen. Ich erwarte, daß du noch heute die Schritte unternimmst, deinen Vortrag rückgängig zu machen. Ich werde dagegen dafür sorgen, daß die Zeitungen eine berichtigende Notiz bringen.«

»Das kann nicht sein,« erklärte Imgjor. »Sage dem König, daß ich fürder nicht mehr öffentlich sprechen will. Diese Abrede aber vermag ich nicht mehr rückgängig zu machen – unmöglich!«

»Was heißt: kann – unmöglich, wenn ich es erbitte, wenn ich es wünsche, wenn ich es will?« rief der Graf, dem, wie so oft, jählings die Geduld riß. Er sprang empor und schlug mit einer Heftigkeit auf den Tisch, daß die Gläser zitterten. »Welch' grenzenloser Egoismus, immer nur das Ich sprechen zu lassen, niemals sich erinnern zu wollen, daß es Dankgefühle, daß es Familienrücksichten giebt! Hast du noch nicht genug? Willst du abermals Scenen, wie die im Rosenborger Park, sich wiederholen lassen, deren noch böseres Ende nur ein gnädiger Zufall verhinderte? Findest du gar Lust daran, dich solchen dich entwürdigenden Dingen auszusetzen, da du dich nun abermals öffentlich, wie eine Harfenspielerin, dem allgemeinen Anglotzen preisgeben willst? Wahrlich, es scheint fast so! Eitelkeit, Eitelkeit bisher! Und nun gar die Sucht nach Beifall auf Kosten der weiblichen Würde!«

»O, halt! Halt!« rief das in ihrem Innern tief betroffene junge Geschöpf. Sie flog, ihre Gestalt straff emporreckend, vom Stuhl und richtete herausfordernde Blicke auf den Grafen. »Daß du das sagst – mir –«

Aber wie einst, schnitt er ihr die Worte ab, sprang auf sie zu, packte ihre Handgelenke und rief, während ihm ein heißsprühender Atem aus der Brust quoll: »Ja, das sage ich dir, ich, der Graf Lavard! Willst du dich meinem Willen nun fügen? Willst du erklären, daß du von dem Vortrage abstehst? Noch einmal nein, oder –«

Aber jetzt hielt es auch Curbière, der bisher bleichen Angesichts dagesessen und nur durch seine Mienen an den Tag gelegt hatte, was er bei dieser Scene empfand, nicht länger. Blitzschnell war er an beider Seite, richtete einen bittenden Blick auf den Grafen und suchte ihm Imgjor mit sanfter Bewegung zu entreißen.

Aber auf den bis zur Raserei entflammten Mann übte dieses kavaliermäßige Dazwischentreten gerade den entgegengesetzten Eindruck.

»In meine häuslichen Angelegenheiten erbitte ich keine Einmischungen! Ich muß aufs dringendste bitten!« stieß er in einem schroff entschiedenen Tone heraus, schob auch die Gräfin, die zu vermitteln suchte, kurz und rauh zur Seite und faßte Imgjors Handgelenke nur noch fester.

Aber nun wußte Imgjor selbst das Schauspiel zu beenden. Indem sie sich mit einer plötzlichen Bewegung befreite, sodann an die Thür eilte und hier, um sich einen ungefährdeten Abgang zu sichern, mit der Linken die Klinke faßte, sagte sie:

»Ich kann nicht, Papa! Ich kann nicht, weil ich nicht alleiniger Herr meiner Handlungen bin, weil ich mein Wort gab. Aber ich will mich in anderer Weise dir fügen. Ich verzichte von heute an auf alle Rechte, wie immer sie heißen mögen, auf die Rechte, deinen Namen zu tragen und auf materielle! Ich werde mich fortan nennen, wie mein Vater hieß. So wirst du befreit von der, die dir doch nur Schande macht, so streifst du die Verantwortung für ihre Handlungen von dir ab. Verzeih' mir! Ich bitte dich flehentlich! Nie werde ich vergessen, was du, was ihr alle Gutes an mir gethan! Aber ich kann nicht anders. Jeder hat seine Eigenart und besitzt ein Recht darauf. Auch ich muß meiner Natur folgen – Adieu! Adieu! Nochmals Adieu! Vergebt mir!«

Nach diesen Worten verließ sie mit einem entschlossenen Blick das Gemach.



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