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Am kommenden Tage verließ Imgjor schon ihre Wohnung und ging ihren Obliegenheiten nach.

Sie besuchte einige Kranke und Rekonvalescenten, sprach in dem Hause einer Witwe vor, die eine gelähmte Tochter besaß, welche auf Imgjors Kosten in ein deutsches Kurbad gesandt worden war, empfing Nachrichten über diese, die sie erfreuten, nahm auch die Dankworte der stotternden Frau entgegen und machte sich sodann nach ihrem Bankgeschäft auf den Weg, um daselbst die für Kollund erforderliche Summe zu holen.

Sie hatte augenblicklich dort nicht einmal ein Guthaben mehr, aber sie wußte, daß man ihr eine nicht zu groß bemessene Summe auch ohne ein solches aushändigen werde.

Auf dem Wege dorthin erblickte sie – und das Herz wollte ihr stille stehen – jenen Menschen, welcher sie in der mehrerwähnten Nacht überfallen hatte. Er wandte sich von einem Buchladen, vor dessen Schaufenster er gestanden, gerade wieder der Gasse zu, und nur durch einen Zufall wurde verhindert, daß er Imgjor gewahrte. Seine Aufmerksamkeit ward durch eine Equipage, deren Pferde scheu geworden, abgelenkt.

Diesen Zufall benutzte Imgjor, sich seinen Blicken zu entziehen.

Sie schlüpfte rasch in ein offenstehendes Tabakgeschäft, trat gleich zu einem tiefer im Fond befindlichen Kommis und wollte eben ein Pfund Tabak für den alten Ohlsen, den Mann der Blinden, einhandeln, als nun auch zufällig Doktor Kropp den Laden betrat.

Sehr überrascht, aber mit gewohnter Ehrerbietung sprach er auf Imgjor ein, und als sie beide den Handel erledigt hatten, bat er um die Erlaubnis, sich ihr anschließen zu dürfen.

Und Imgjor nickte bereitwillig, schritt mit ihm bis zur Landmannsbank, woselbst er auf sie wartete, und legte alsdann in seiner Begleitung den Weg nach ihrer Wohnung zurück.

Immer drehte sich das Gespräch um die Vorgänge im Hospital, und Doktor Kropp berichtete über die Gründe seines Rücktritts, die wesentlich auch die ihrigen gewesen.

Zuletzt gelangte er – eben hatten sie die Ecke der Gotersgade erreicht und wandten sich in stillschweigender Uebereinstimmung dem botanischen Garten zu – auf seine eigenen, von Stede bereits berührten Angelegenheiten.

»Ich möchte,« hub er an und richtete einen etwas verlegenen Blick aus den schwarzen Augen seines dunkelgefärbten, schmalen und etwas mageren Gesichtes auf Imgjor, »mich bei Ihnen erkundigen, ob wohl in der Grafschaft Ihres Herrn Vaters eine Landpraxis frei sein würde. Ich sehne mich aus dem hiesigen Wirrwar heraus, und ich komme darauf, weil mir vor Jahren ein früherer Universitätsbekannter, ein Herr Doktor Prestö, mitteilte, daß eine solche in dem von ihm zu verlassenen Dorfe Kneedeholm zu haben sein werde.

Wahrscheinlich hat sich inzwischen längst dort wieder ein Arzt niedergelassen, aber ich wollte mich doch vergewissern und im Fall um Ihre gütige Unterstützung bitten, Komtesse!«

»Die würde Ihnen auch, soweit meine Kräfte reichen, sehr gern zu Diensten stehen, Herr Doktor. Aber wir haben, wie sie richtig vermuten, in Kneedeholm einen Arzt, und für zwei reicht die Praxis nicht aus.

Wohl aber weiß ich, daß der schon bejahrte Physikus in der nahe gelegenen Stadt Oerebye der Thätigkeit müde ist und sich gern mit einem Nachfolger einigen würde. Vielleicht wäre das etwas für Sie?«

»Gewiß und um so besser! Ich danke Ihnen verbindlichst, Komtesse! Dürfte ich nach dieser Richtung auf Ihren gütigen Beistand rechnen? Würde mich vielleicht Ihr Herr Vater – auf Ihre Empfehlungen gestützt – mit einer solchen an den Physikus zu versehen die Liebenswürdigkeit haben?«

Imgjors Züge veränderten sich. Sie überlegte, ob sie Kropp von den inzwischen eingetretenen Vorfällen in ihrer Familie Mitteilung machen solle.

Sie schwankte aber schon deshalb, weil sie sich vor einer abermaligen Enttäuschung fürchtete.

Die furchtbaren Erfahrungen der letzten Zeit hatten ihr Mißtrauen gegen jedermann eingeflößt.

Sie hielt es nicht für unmöglich, daß auch Kropp seine Haltung ändern werde, wenn sie ihm erklärte, daß sie plötzlich ein armes, des Ansehens, ihres vornehmen Namens und Reichtums beraubtes Wesen sei.

Aber weil doch wieder ein trotziges Verlangen in ihr saß, mit allem aufzuräumen, zu wissen, was Weizen und was Spreu sei, entschloß sie sich schließlich gerade zu einer rückhaltslosen Eröffnung.

»Meine eigene Empfehlung steht Ihnen jederzeit zur Verfügung, Herr Doktor,« begann sie. »Eine solche von meinem Vater vermag ich Ihnen aber leider nicht zu verschaffen. Ich bin gänzlich mit ihm auseinander. Ich lege sogar meinen Namen ab und werde fortan einen anderen tragen. Noch einige Wochen, und ich gehe für immer von hier fort! Wohin, weiß ich noch nicht. Es wird sich ein Ort finden, wo ich mir mein Brot werde verdienen können.«

»Wie? In der That?« stieß Kropp in höchster Ueberraschung, aber zugleich mit einem Ausdruck heraus, der bewies, daß sich etwas anderes, daß sich eine glückselige Hoffnung in ihm regte.

»Ich bitte, ich bitte, schenken Sie mir Ihr Vertrauen! Erzählen Sie mir, wie das alles gekommen ist!« drängte er, während sie sich auf einer vor dem kleinen See befindlichen Bank niederließen.

Ehrliches Mitgefühl erfüllte ihn, Sorge und Teilnahme ließen ihn sprechen.

Und Imgjor wollte ihm auch Antwort erteilen, aber da es in diesem Augenblick bereits zwölf vom Kirchturm schlug, wurde sie daran erinnert, daß sie um diese Zeit Kollund das Geld einzuhändigen habe. Sie erhob sich deshalb sogleich wieder und gab Kropp die Erklärung, daß sie fort müsse, daß ihr jetzt die Zeit fehle. Auch am Nachmittag vermöge sie ihn, wegen ihrer Verpflichtungen gegen eine erblindete Frau, nicht zu empfangen, aber später am Abend, in ihrer Wohnung, wollte sie ihm gern alles mitteilen.

Bei den letzten Worten kamen ihr zwar Bedenken.

Ihr fiel unruhvoll auf die Seele, daß Kropps Besuch bei ihr falsch ausgelegt werden könnte, daß sich daraus neue Anschuldigungen entwickeln könnten, denen sie unter allen Umständen vorbeugen wollte.

Und als sich dann, während sie dahin schritten, weitere Erörterungen entwickelten, als Kropp erfuhr, welche Bewandtnis es mit Kollund und mit der Blinden habe, als sich herausstellte, daß Imgjor lediglich aus Mitleid der Alten die Wohnung täglich reinige und ihr vorlese, stand er plötzlich still und richtete einen bewundernden Blick auf das junge Mädchen an seiner Seite.

»Ah, welch' ein edles, selbstloses Wesen sind Sie, Komtesse! Wahrlich, man sucht Ihresgleichen vergebens! Aber wie vertrauensvoll sind Sie auch noch! Nicht einen Oer dürfen Sie dem Betrüger Kollund geben. Es ist ja alles erlogen! Die Umstände benutzt er, um Ihnen Geld aus der Tasche zu locken. Ich bitte Sie dringend, geben Sie mir die Sache in die Hand. Ich werde dem Schwindler seinen Standpunkt klar machen, ich werde ihn veranlagen, auf jeden Schilling zu verzichten! Für bessere Zwecke, für nützlichere, für sich selbst, teure, verehrte Komtesse, bewahren Sie Ihr Geld! Nun, was meinen Sie? Darf ich Ihr Anwalt sein?«

»Ich gab mein Wort, Herr Doktor! Selbst wenn Sie Recht haben – es ist vielleicht möglich – darf, kann ich es doch nicht brechen.«

»Gewiß! Sie sind sogar dazu verpflichtet, solchen Schwindlern nicht noch die Wege zu ebnen! Wollen Sie glauben, daß derselbe Mensch sich mir verkauft, wenn ich ihm heute im Auftrage eines Konsortiums den Antrag Stelle, an anderen Orten Dänemarks Vorträge im entgegengesetzten Sinn zu halten? Natürlich! Gold muß die Lockspeife sein!«

»O nein, nein, für so erbärmlich, für so niederträchtig halte ich ihn nicht! Sie gehen zu weit!« rief Imgjor. »Von dem, was er lehrt, ist er überzeugt!«

»Es ist mir leider nicht möglich, Ihnen durch eine anzustellende Probe den Beweis der Richtigkeit meiner Behauptungen zu liefern, Komtesse. Es fehlen mir die Mittel. Aber ich bitte nochmals, daß Sie mir Ihre Sache zur Erledigung anvertrauen! Sagen Sie ihm, oder wenn ein Bote kommt, diesem, ein befreundeter Herr werde Herrn Kollund zur Erledigung der Angelegenheit besuchen. Ich bringe Ihnen alles in Ordnung, verlassen Sie sich darauf! Nur das Lokal, wenn solches wirklich bezahlt werden muß, und die Kosten für die Inserate werde ich ihm vergüten, und er wird sich damit zufrieden geben. Aus seiner sicher erfolgenden Verzichtleistung werden Sie schon erkennen, welch' Geisteskind er ist.«

»Nun wohlan! Ja – ich will! Ich danke Ihnen! Gelingt es Ihnen, so soll das Geld denen zukommen, von denen ich weiß, daß sie dessen bedürftig sind. Und nun auf Wiedersehen! Gegen sieben Uhr erwarte ich Sie in meiner Wohnung. Wir werden dann alles besprechen, was noch der Erledigung harrt.«

Nach diesen Worten nahm Imgjor von ihrem Begleiter – eben waren sie an ihrer Wohnung angelangt – mit einem freundlichen Blick Abschied.



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