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Am nächstfolgenden Tage wurden die Bewohner von Rankholm durch die sehr unerfreuliche Botschaft überrascht, daß im Dorfe das Scharlachfieber ausgebrochen und daß bereits zwei Dutzend Personen, Große und Kleine, davon ergriffen seien.

Der Graf erzählte davon beim zweiten Frühstück und ermahnte die Tischgenossen, den Verkehr mit den Dorfbewohnern vorsichtig zu meiden. Es wurde sogar überlegt, ob nicht der sonst stets erfolgende Kirchenbesuch für den bevorstehenden Sonntag ausgesetzt werden solle.

Der Graf befürwortete ein Fortbleiben; die übrigen schlossen sich ihm stillschweigend an, und nur Imgjor gab keine Meinung ab.

»Nun, Kind – hast du gehört? Halte dich also vom Dorf fern!« warf die Gräfin mit einem auf ihre Tochter gerichteten, auffordernden Blick hin.

Imgjor bewegte den Kopf.

»In die Kirche werde ich auch nicht gehen. Aber ins Dorf möchte ich jetzt gleich und möchte mich umsehen, ob ich nicht helfen, vielleicht als Krankenpflegerin mich nützlich machen kann.«

»Du wirfst das nicht thun, unter keinen Umständen! Ich wünsche es nicht –« entschied die Gräfin.

»Willst du mich denn hindern, ein gutes Werk zu thun, Mama? Welchen Wert hat alle Religion, wenn sie mit keinen Thaten verbunden ist?«

»Du hast –« entgegnete die Gräfin – »nicht nur auf den Drang, zu helfen, den ich gewiß nicht tadle, Rücksicht zu nehmen, sondern auf die ganze Familie und sämtliche übrigen Mitbewohner von Rankholm.

Scharlach ist so ansteckend, daß es geradezu Leichtsinn wäre, sich unnötig mitten in die Gefahr zu begeben. –«

»Unnötig, Mama? Sollen wir uns nicht der Armen und Notleidenden annehmen?«

»Ja, ja, Imgjor! In solchen Antworten liegen deine Phantastereien. Die Beschäftigung mit dem Idealsten in der Welt kann verderblich statt segensreich wirken, wenn es eine verkehrte Hand zu ungeeigneter Zeit ins Praktische zu übertragen sucht.

Wie nun, wenn wir dich gewähren lassen und alle hier von einer Ansteckung befallen werden, wenn gar die Krankheit einen tötlichen Ausgang nimmt? Meinst du, daß die vom Dorfe heraufeilen werden, um uns zu pflegen, selbst wenn wir verkündeten, wir erwarteten, daß sie es thun möchten? Keiner, der Pastor ausgenommen, der stillschweigend mit seinem Amt solche Samariterpflichten gegen die Gemeinde übernommen hat, wird auch nur auf den Gedanken geraten. Und darin steckt's! Fortwährend wird von den Bauern der Anspruch an Opferwilligkeit von unserer Seite erhoben, und nach Kräften wird diesem Anspruch von den besser Gesinnten entsprochen. Aber wer hilft dem Gutsherrn, wenn er der Hilfe bedarf, wenn er etwa gar verarmt? Er wird vergeblich die Hände ausstrecken. Du solltest endlich deine Vernunft gebrauchen, statt solchen Gefühlsideen blindlings Gefolgschaft zu leisten. Stehen wir dir denn näher oder die in Kneedeholm? Ja, wenn's wirklich erforderlich wäre! Aber im Dorf haben sie Menschen und Kräfte genug, sich gegenseitig auszuhelfen!«

»Ich kann ja in Kneedeholm bleiben, bis alles sich gewendet hat, Mama. So bringe ich euch in keine Gefahr –« fiel Imgjor, ohne dem von ihrer Mutter allgemein Gesprochenen eine Antwort zu erteilen, mit trotziger Beharrlichkeit ein.

»Nein!« erklärte nun auch der Graf, bevor die Gräfin zu weiterer Rede anzuheben vermochte. »Auch ich verbiete dir das Betreten des Dorfes für die nächste Zeit, schon deshalb weil ich nicht wünsche, daß du ferner mit Prestö in Berührung gelangst, und das wäre bei solcher Thätigkeit unvermeidlich. Eben lese ich in der ›Orebye Tidende‹, was der Monsieur dort vorgestern in einer Versammlung meiner Bauern zusammengesprochen hat. Es ist ja die vollkommene Aufreizung gegen den Landadel. Schon heute würde ich ihn zur Rede gestellt haben, wenn nicht unten die Epidemie ausgebrochen wäre. Ist sie aber beseitigt, so mag er gehen. Ich will ihn hier nicht mehr haben!«

»Kannst du ihn gehen heißen, Papa? Er steht doch nicht in deinem Dienst! Er kann doch seine Thätigkeit aufnehmen, wo er will. Höchstens als Arzt fürs Schloß kannst du ihn abschaffen –«

»Die Entscheidung darüber wirst du mir gefälligst überlassen, meine Liebe! Ich habe deine Belehrungen nicht erbeten und erkläre sie für völlig unpassend. Aber da aus ihnen und aus deiner fortwährenden straffen Parteinahme für diesen Herrn sich nur noch mehr erhärtet, welches Gift es für dich ist, mit ihm in Beziehungen zu bleiben – ihm, gerade ihm, haben wir offenbar deine Bauernfreundlichkeit auf Kosten des Wohlergehens deiner eigenen Familie zu verdanken – so erscheint mir der Zeitpunkt gekommen, daß du einmal Rankholm verläßt und in Verhältnisse gelangst, die dich solchen Beeinflussungen gründlich entziehen. – Nicht wahr, du bist auch neulich in Oerebye gewesen?«

Imgjor sah ihren Vater fest und ohne eine Miene zu verziehen an; nur in den Augen zitterte etwas, das auf die Regungen ihres Innern Schlüsse ziehen ließ. Aber sie antwortete nicht.

»Ich las Ihre ausgezeichnete Rede, für die ich Ihnen noch aus vollem Herzen danken wollte, lieber Graf Dehn –« fuhr der Graf, ohne auf einer besonderen Bestätigung der an seine Tochter gerichteten Frage zu beharren, zu Axel gewendet fort: »Sie vermögen Auskunft zu geben, ob meine Tochter dort war – ?«

»Nein, Herr Graf! Ich vermag darüber nichts zu sagen. Aber ich danke Ihnen für Ihr gütiges Lob. Ich bin sehr glücklich, daß Ihnen die Ausführungen, zu denen ich infolge der Rede des Doktor Prestö gedrängt wurde, gefallen haben.«

In Imgjors Angesicht zuckte es bei Axels Worten auf, aber sie lohnte ihm seine Ritterlichkeit auch nicht einmal durch einen Blick.

Wohl aber reckte sie plötzlich den Oberkörper empor und sagte mit großer Entschiedenheit im Ton: »Ich werde nachher auf dein Zimmer kommen, Papa. Ich bitte, daß du es erlaubst. Dort werde ich dir auf alles Antwort geben. Jetzt, jetzt gestatte, daß ich mich entferne.«

Nach diesen Sätzen richtete sie sich, die Serviette von sich streifend, empor und war bereits an der Thür, bevor der Graf sie zu hindern vermochte. Aber sie hatte nicht mit der Gräfin gerechnet.

»Ich möchte dich jetzt gleich sprechen, Imgjor! Bleibe!« befahl sie.

»Ich wünsche an der Unterredung teilzunehmen. Ohnehin ist es Zeit, aufzustehen. Sie gestatten, lieber Graf Dehn! Und es ist dir recht, Lavard?« fügte die Gräfin biegsam im Ton hinzu und wußte den anfangs etwas zögernden Grafen zur Beipflichtung zu veranlassen.

Infolge dessen erhoben sich alle; und alle richteten jetzt den Blick auf Imgjor. Sie aber stand wie ein Marmorbild an der Thür und erst, als ihre Mutter eine Bewegung machte, durch die sie ihren Befehl wiederholte, schoß etwas in ihre Augen, das den unheimlichen Glanz eines unbeugsamen Willens besaß.

Alsdann reichten jene, mit Ausnahme von Imgjor, dem Grafen Dehn vertraulich die Hand und verließen das Gemach, und nur Lucile, die begierig nach dem Zeitungsblatt gegriffen hatte, das der Graf, ihr Papa, bei seiner Rede aus der Tasche gezogen, blieb noch im Zimmer.

»Ich kann es kaum erwarten, zu lesen, wie Sie dem widerwärtigen Menschen entgegengetreten sind, Graf Dehn!« begann sie. »Und wie finden Sie Imgjors Benehmen?« fuhr sie fort. »Ist es nicht unerhört, in welcher Weise sie die Rücksichten gegen ihre eigene Familie bei Seite schieben will? Ich muß sagen, ich stehe ganz auf Mamas Seite. Und es geschieht ja auch nun ohne unsere Einwirkung das, was Sie als erforderlich bezeichneten. Imgjor wird – ich hoffe, daß Papa darauf besteht – Rankholm verlassen. Was wird nun aber aus Ihnen, lieber Graf! Werden Sie es allein mit uns aushalten können?«

»Sie wissen, wie ich über Sie alle denke, wie sehr ich Sie alle schätze und verehre, Komtesse. Das ist meine Antwort. Aber etwas anderes drängt sich mir auf. Wohin wird man Ihr Fräulein Schwester schicken? Soll sie Nutzen haben von einer Entfernung, muß sie in keine Umgebung gelangen, wo man ihr schroff entgegentritt. Man muß ihr mit Güte begegnen und versuchen, sie allmählich von dem Unwert ihrer übertriebenen Ideen zu überzeugen.«

»Ja, Sie haben Recht, Graf Dehn. Was raten Sie?«

Ich kenne Ihre Beziehungen nicht, Komtesse. Ich wüßte aber ein Haus, wo –«

»Nun?«

»Bei meinen Eltern in Dresden. Sie würden die Komtesse mit Freuden aufnehmen!«

In Luciles Angesicht, die wohl aus besserer Ueberzeugung schroff gegen ihre Schwester auftreten konnte, sie aber trotzdem zärtlich liebte, blitzte es auf.

»Ja, ja! Das wäre eine Idee, eine vortreffliche!« stieß sie heraus. »Gleich will ich mit den Eltern darüber sprechen, wenn wirklich den Ihrigen ein solcher Plan genehm sein würde.«

»Meine Eltern werden sehr glücklich sein –« entgegnete Axel, »wenn Sie ihnen Gelegenheit geben, ihre freundschaftlichen Empfindungen zu bethätigen. Darüber besteht kein Zweifel. – Aber ob Komtesse Imgjor damit einverstanden sein wird, ist mir sehr zweifelhaft, Komtesse. Ich fürchte, sie wird sich weigern, bei der Familie desjenigen Gastfreundschaft entgegenzunehmen, gegen den sie so unzweideutige Beweise ihrer Abneigung an den Tag legt. Ich fürchte sogar, daß sie mich seit den letzten Vorgängen haßt –«

Lucile schüttelte diesmal nur sanft den Kopf und sah Axel mit einem Ausdruck an, als ob sie sich über die tiefere Bedeutung des von ihm Gesagten unterrichten müsse. Und dann noch einmal, aber sie entgegnete nichts.



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