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Oben angekommen, sah sie einen fremden Mann im Flur stehen, und Gebine erklärte sogleich, daß er von Kollund komme. Nachdem er verständigt worden war und sich entfernt hatte, begab sich Imgjor in ihr Zimmer, um einige Zeilen an Curbière zu schreiben, und als sie den Brief eben beendigt hatte, erschien Gebine und meldete, daß ein ihr unbekannter Herr sie zu sprechen wünsche.

»Frage erst nach seinem Namen!« entschied Imgjor, von einer angenehmen Ahnung erfaßt. Sie sah forschend empor, als Gebine mit einer Karte in der Hand wieder ins Zimmer trat. Auch griff sie mit hastiger Hand danach, fand den Namen, den sie erwartet hatte, und nickte zum Zeichen ihres Einverständnisses, den Besuch empfangen zu wollen, mit dem Kopfe.

Und dann, wenige Augenblicke später, trat Curbière zu ihr ins Zimmer, küßte ihr ehrerbietig die Hand und erklärte, daß er gekommen sei, um von ihr Abschied zu nehmen. Sein Vater sei plötzlich gestorben, er, Curbière, müsse noch diesen Abend Kopenhagen verlassen, habe aber nicht fortgehen wollen, ohne Imgjor noch einmal gesehen und gesprochen zu haben.

»Lavards verlassen infolge des Trauerfalles morgen abend ebenfalls Kopenhagen und kehrten nach Rankholm zurück,« schloß der Marquis.

»Bevor sie gehen, möchte Lucile Sie, liebe Imgjor, sprechen, möchte mit Ihnen überlegen, ob nicht doch noch ein Weg zum Frieden zu finden ist. Allerdings – den Vortrag dürfen Sie nicht halten. Treten Sie heut' Abend öffentlich auf, ist der Graf entschlossen, sich unweigerlich von Ihnen loszusagen, und dies auch öffentlich bekannt zu geben! Ich bitte, daß Sie darin nachgeben, ja, ich beschwöre Sie, teure Imgjor, bringen Sie Ihrer Familie zu Liebe dieses Opfer!«

Zunächst gab Imgjor keine Antwort, es war ihr vorerst Bedürfnis, mit Curbière über den Tod seines Vaters zu sprechen. Sie ließ sich ausführlich von ihm erzählen, hörte aufmerksam zu und drückte ihm voll Teilnahme die Hand, als ihn zuletzt eine weiche Stimmung ergriff, als er in bewegten Worten betonte, daß er mit dessen Tode das bisher Beste auf der Welt verloren habe, was er sein eigen genannt hätte.

»Sie haben Lucile dafür gefunden, lieber Armand! So war das Schicksal schon vorher mitleidig für Sie bedacht, Ihnen für das, was es Ihnen nehmen mußte, einen Ersatz zu gewähren.«

Curbière bewegte stumm das Haupt, dann sah er Imgjor mit einem tiefem, alle seine Gedanken und Sinne auf sie richtenden Blick an und sprach ein kurzes, zerstreutes: »Gewiß – allerdings!«

»Ich habe Ihnen noch eine Antwort zu geben,« lenkte Imgjor rasch und umsichtig ab. »Den Vortrag werde ich nicht halten; man hat mich unerwartet meines Wortes entbunden. Also beruhigen Sie meinen Vater! Aber, lieber Freund, ich werde auch keine Lavard wieder werden. Es sei denn –«

»Nun, Imgjor?« Curbière sprach's gespannt.

»Daß ich allem entsage, und für immer nach Rankholm zurückkehre. Und eben das vermag ich nicht, so sehr ich meine Pflegeeltern zu verehren Anlaß habe, und so sehr ich es liebe und mich nach jedem Plätzchen sehne, wo ich als Kind glücklich war. Ich kann eben nicht im Ueberfluß und ich kann nicht ohne Hingabe an meine Mitmenschen leben!«

»Wollen Sie denn in Kopenhagen bleiben, Imgjor?«

»Nein – hier haben mir Verleumdung und Mißgunst den Aufenthalt unmöglich gemacht. Ich wüßte nur einen Ort, wohin ich paßte –«

»Und der wäre?«

»Ich möchte nach Paris. Da, glaube ich, würde ich in Thaten umsetzen können, was mir als Ideal vorschwebt. Dort ist der Boden für mich, und finde ich solche, die gleich mir denken!«

Im ersten Augenblick belebten sich Curbières Augen. Sie sprach mit solcher Begeisterung von seiner Vaterstadt, von Paris! Das schmeichelte ihm. Aber ebenso rasch gewannen andere Gedanken die Oberhand. Alles war verloren, wenn er ihr nicht gerade diese Idee ausredete! Er wußte, daß sie dort nicht nur nichts erreichen, sondern sicher untergehen würde. In diesem Sinne sprach er auf sie ein. Nachdem er alle ihre Einwendungen überzeugend widerlegt hatte, schloß er: »Und wollen Sie uns ein Opfer bringen, sich selbst auch Ihrem eigenen Ich zurückgeben, so heiraten Sie den Grafen Dehn! Ich verschwieg Ihnen sein Kommen. Er ist gestern eingetroffen und kehrt morgen abend mit den Ihrigen nach Rankholm zurück. Daß er Sie noch mit der alten Leidenschaft liebt, weiß ich.«

Imgjor hatte mit Leichenblässe im Angesicht die letzten Worte vernommen, auch hatten ihre Hände unwillkürlich nach einem Stützpunkt gegriffen. Da war nun wieder ein neuer Ansturm auf ihr Inneres, nun kam auch noch diese Versuchung!

Aber kurz war nur ihr Kampf. Prestö hatte sie geliebt, weil sie gehofft hatte, durch ihn ihre Ideale verwirklichen zu können. Axel Dehn liebte sie mit der Stärke jener Liebe, die aus Achtung entspringt. Ein lebhaftes Interesse für den Franzosen war in ihr aufgestiegen, weil er neben seiner weltmännischen Erziehung wiederholt an den Tag gelegt hatte, daß er ein Mann von Verstand und Geist war, und daß er zugleich ein edles Herz besaß. Aber Prestö hatte sie inzwischen hassen gelernt, Graf Axel Dehn wollte sie nicht lieben – und Curbière gehörte ihrer Schwester an! So war alles entschieden. Indem sie Curbière mit einem Blick ansah, durch den sie schon voraussandte, daß sie sich nur mit der ernsten Seite dieses ernsten Gegenstandes beschäftigte, sagte sie: »Ich vermag nicht zu beurteilen, ob Sie den richtigen Weg wählten. Es wäre ja auch möglich gewesen, daß Sie durch solche Offenherzigkeit gerade das Gegenteil bewirkt hätten! Sie haben mir zu allem, was ich zu tragen habe, noch etwas Schweres aufgebürdet. Sie haben aber meine Freundschaft angerufen, und das soll nicht umsonst geschehen sein, Armand! Ich verzichte darauf, nach Paris zu gehen, aber Ihre Bitte, den Grafen Dehn zu heiraten, vermag ich nicht zu erfüllen. Ich werde nie heiraten, weder ihn, noch einen anderen!«

Bei diesen Worten sah sie ihn mit einem so unbeugsamen Ausdruck an, daß der Mann fernere Versuche, sie umzustimmen, ausgab. Noch einen Händedruck tauschten sie beide mit den Gedanken reiner Seelen. Dann ging er. Sie aber sank, während das Geräusch seiner Schritte auf der Treppe verklang, in tiefem innerem Verstummen zurück.



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