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Der Eindruck dieser Vorgänge übte auf die Zurückbleibenden eine beispiellose Wirkung aus. Die Gräfin war erschüttert, verwirrt und bedrängt, daß ihr Gemahl das seit ihrer Ehe bewahrte Geheimnis in solcher Weise und bei solcher Gelegenheit gelüftet hatte, und er selbst erhielt bereits so viel Besinnung zurück, daß ihn ein reuevoller Aerger ergriff, sich und sein Pflegekind mit dieser Rücksichtslosigkeit vor fremden Zeugen preisgegeben zu haben.

Graf Knut und Fräulein Merville empfanden ein Mitleid für Imgjor, und Graf Dehn und Lucile waren vorläufig überhaupt nicht imstande, sich von den Eindrücken der Ueberraschung zu erholen.

Zunächst entfernte sich, taktvoll handelnd, Fräulein Merville.

Nach ihr brach Graf Knut auf, nachdem er den beiden Ehegatten lediglich stumm die Hand gedrückt hatte.

Auch Graf Dehn wollte sich nach des Grafen Fortgang zurückziehen. Schon erhob er sich und richtete einen bescheidenen Abschiedsblick auf die beiden Damen. Aber beide hielten ihn durch den Ausdruck ihrer Mienen zurück.

»Bitte, bleiben Sie, lieber Graf! Wir wollen gemeinsam beraten. Sie gehören zu uns!« stieß dann die Gräfin, warmherzig im Ton heraus.

»Nicht wahr, Lavard?«

Und als er zwar nichts erwiderte, aber, obschon finster vor sich hinstarrend, auch nicht widersprach, fuhr sie fort:

»Nachdem du ruhiger geworden bist, Lavard, wirst du mir erlauben, Imgjor aufzusuchen und ihr mitzuteilen, daß du ihr nochmals Zeit zum Ueberlegen giebst! Ich bitte dich, thu's! Indem du in solcher Art das Geheimnis ihrer Geburt enthülltest, statt ihr in ruhiger Stunde und in völligem Einvernehmen so Wichtiges zu eröffnen, hast du sie, fürchte ich, um so mehr in ihren Plänen bestärkt –«

Und einschmeichelnd, da sie sah, daß der Zeitpunkt, ihm solche Vorhaltungen zu machen, zu früh gewählt:

»Nein, nein, Lavard! Ich wollte dir nichts Unangenehmes sagen. Aber meine Bitte erfülle! Ich darf Imgjor beruhigen?«

Dennoch fiel die Antwort auf diese verständige Rede anders aus, als die Gräfin, die ihres Mannes raschen Zorn kannte, aber auch auf seine ebenso rasche Versöhnlichkeit bauen zu können gehofft, erwartet hatte.

Nachdem er sich wortlos erhoben und zunächst mit langen Schritten das Zimmer durchmessen hatte, sagte er in einem festen Ton:

»Nein, Lucile, ich wünsche Imgjor nicht mehr entgegenzukommen. Ist sie bereit, von dem Menschen da und ihren Thorheiten Valet zu sagen, will ich trotz meiner beleidigten Gefühle vergeben. Sonst bleibt's bei meinen Worten! Es wird mir wahrlich nicht leicht – und die Gründe brauche ich nicht darzulegen – mich von diesem meinem Adoptivkind loszusagen. Ich gedenke auch der Welt, der man nicht unnötig Schauspiele bieten soll. Aber ich kann, darf und will nicht anders handeln. War ich aus falscher Liebe oder an anderen in meinem Naturell begründeten Motiven oft schwach in meinem Leben, in diesem Fall bleibe ich fest!

Sie geht und wird ihres Erbes verlustig, wenn sie sich nicht fügt! Von Dingen, wie sie uns solche in der letzten Unterredung vortrug, ist nicht mehr die Rede!«

»Gut, so werde ich mich also zu ihr begeben und in diesem Sinne mit ihr sprechen.«

Unter diesen Worten erhob sich die Gräfin und verließ das Gemach.

»Verzeihen Sie!« hub Graf Lavard nach seiner Gemahlin Entfernung an und streckte Graf Dehn die Hand mit einem freimütigen Ausdruck entgegen. »Ich hätte gewünscht, daß Ihnen andere Eindrücke auf Rankholm geworden wären, und ich beklage, daß Sie mich in meiner Schwäche gesehen. Aber wir Menschen bleiben abhängig von unserm Blut. Jeder hat einen kleineren oder größeren Defekt in seinem Charakter.«

Graf Dehn drückte Lavard stumm die Rechte, Lucile aber, durch die Selbstentäußerung ihres Vaters bezwungen, eilte gerührt auf ihn zu, umschlang ihn und küßte ihn zärtlich auf die Wangen. –

Nach Verlauf von zehn Minuten trat die Gräfin bereits wieder ins Zimmer. Sie war bleich und erregt, und ihre Mienen verkündeten nichts Gutes.

»Nun, liebe Mama? Wie ist's geworden?« stieß Lucile heraus und richtete mit besorgter Miene den Blick auf ihre Mutter.

»Ich habe Imgjor garnicht sprechen, wenigstens keine Antwort erhalten können,« erklärte die Gräfin und ließ sich, sichtlich erschöpft, in einen Sessel gleiten. »Imgjor hat heftiges Fieber. Ihr Körper brannte förmlich, als ich bei ihr eintrat, und nun eben überkam sie ein sehr starker Schüttelfrost. Sie hatte sich bereits ins Bett gelegt, als Fräulein Merville sie aufsuchte. So habe ich mich denn auf Trost und zweckmäßige Anordnungen beschränken müssen. Fräulein Merville wird die Nacht bei ihr bleiben. Jedenfalls aber muß ein Arzt kommen. Wie soll's nun werden, Lavard?« »Ah –« stieß der Graf, von neuem stark erregt, heraus, und die Adern schwollen ihm in dem roten Gesicht an. – »Da haben wir's! Natürlich ist sie doch im Dorf gewesen, und was wir voraussagten, ist geschehen. Sie hat das Scharlach ins Schloß gebracht! Wahrlich, unverantwortlich, strafwürdig hat sie gehandelt an sich – und an uns! Da ist gleich ein Beweis von dem jüngst Gesagten: Das Beste in einer ungeschickten Hand kann zum Verderben werden. Und ich füge hinzu: Das Ungünstige, weise verwertet, kann zum Segen gereichen. Ja – welcher Doktor? Jedenfalls soll kein Prestö jemals diese Schwelle wieder betreten. Andreas soll sofort nach Oerebye kutschieren. Klingele, Lucile, nach Frederik! Gleich soll er fort. Ich schreibe ein paar Zeilen an den Physikus Mangor in Oerebye.«

Und Frederik erschien, empfing ein Billet, das der Graf in dem Kabinett seiner Frau entworfen hatte, und eilte damit fort.

Und nachdem das erledigt war, richteten die Anwesenden ihre Gedanken auf das Kommende. Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit unter solchen Umständen den Ball abzuhalten, wurde erörtert. Zuletzt wurde beschlossen, die Entscheidung von der Erklärung des Doktor Mangor abhängig zu machen.

War er dagegen, so sollte in der Frühe alles Personal auf dem Guts- und Arbeitshof entboten werden, um den Eingeladenen abzusagen. – Freilich, ein umständliches vielleicht nicht einmal völlig erfolgreiches Vorhaben.

Es waren nicht nur Gäste vom Lande, sondern auch aus den umliegenden Städten geladen. Im linken Flügel, der an Imgjors Turmgemächer stieß, waren alle Fremdenzimmer bereits in Stand gesetzt, und auch die unteren rechtzeitig – oben befanden sich die Festsäle, in denen getafelt und getanzt werden sollte – waren hergerichtet.

Einhundertfünfzig Personen hatten Einladungen empfangen, und schon wehten von den Türmen die Lavardschen Fahnen in den blutroten Farben, inmitten das Familienwappen: die Faust mit dem Dolch, gezückt gegen einen wild sich auflehnenden Geier!



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