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Als Graf Dehn am folgenden Vormittag zwischen dem ersten und zweiten Frühstück von einem Spaziergang aus dem Park heimkehrte, hörte er in der Gegend des Schlosses ein lautes Wimmern und bemerkte, als er nachforschte, Hektor, den Hund von Imgjor, mit mühsam hinkenden Bewegungen dem hinteren Eingang zustreben.

Aber bevor der Hund noch die Thür erreicht hatte, verließen ihn die Kräfte; er blieb, vor Schmerzen wimmernd, liegen und erfüllte mit seinen Wehlauten die Luft.

Rasch eilte Graf Dehn herbei, spähte nach, was dem armen Geschöpf fehlte und sah, daß nicht nur die eine Pfote gebrochen, sondern daß dem Tier auch noch das eine Auge derart verletzt war, daß nur noch eine blutige Höhlung unter der Stirn klaffte.

Und während Graf Dehn noch sorgend um das Tier bemüht war, erschien, durch die Klagetöne von oben herbeigelockt, Komtesse Imgjor, erkannte, nach einem Graf Dehn gespendeten, flüchtig höflichen Gruß, was vorgefallen war, und erging sich, ihren Liebling liebevoll streichelnd und tröstend, in aufgeregten Worten über das Geschehene. Aber sie nickte auch erkenntlich, als Dehn sich bereit erklärte, Wasser, Schwamm und Leinewand herbeizuholen, und hob, nachdem dies herbeigeschafft und das Tier verbunden war, solches zur Bettung im Schloß auf ihre eigenen Arme.

»Bitte, begleiten Sie mich und öffnen Sie mir die Thüren!« bat sie. »Ich will ihn in mein eigenes Zimmer bringen, ihn dort selbst pflegen,« fügte sie, sich zu dem ihr dankbar die Hand leckenden Hunde liebevoll herabbeugend, hinzu.

Imgjors Gemächer befanden sich in der ersten Etage in einem Vorbau, der in Form eines Turmes die linke, äußerste Zwischenecke des Schlosses flankierte. Man konnte sie vom Hofe aus, aber auch von demselben Korridor erreichen, in dem sich Graf Dehns Zimmer befanden.

Unmittelbar neben dem Eingang zu seinen Gemächern führte eine Treppe zunächst zu einem halbrunden Flur empor, und auf diesen mündete die vom Hofe emporstrebende Wendeltreppe.

Graf Dehn hatte lange schon das lebhaftere Verlangen gespürt, einmal einen Blick in die Räume zu werfen, in denen das seine Gedanken und seine Sinne so ausschließlich beschäftigende junge Mädchen wohnte. Nun sollte ihm das werden, und mit einer gewissen Hast folgte er Imgjor und ihrer Bürde.

Sie ging aber nicht ins Schloß, sondern wählte den Weg, der über den Hof und von dort hinauf zu ihrer Wohnung führte.

»Bitte, hier!« unterwies sie Axel, als sie oben angekommen waren, und zeigte auf einen verborgenen Winkel, in dem an einem verdeckt angebrachten Haken ein Schlüssel hing.

Und Graf Dehn beeilte sich, ihrem Befehl zu entsprechen. Er öffnete das Gemach.

Es war aber erst ein einen Blick auf den inneren Schloßhof gewährendes Vorzimmer mit Tapetenthüren und altmodischen Möbeln.

Die eigentlichen beiden Wohnstuben befanden sich nach der Parkseite. Graf Dehn war völlig benommen von der reizvollen Eigenart des ersten Gemaches, das Imgjor als ihr Wohnzimmer bezeichnete.

Ein großer Tisch, bedeckt mit Büchern und allerlei kostbaren Gebrauchsgegenständen, stand in der Mitte. Ihn umgaben eine Anzahl kleiner Sofas, die mit rosenroten, blumendurchwirkten Seidenstoffen bezogen waren, und ebensolche Divans standen zwischen den das Zimmer füllenden schneeweiß und goldfarbigen Rokokomöbeln.

Auch eine reiche Bibliothek in kostbaren Einbänden befand sich in der einen Wandseite, und sie ward halb beschützt von einem weißseidenen Vorhang. Blumen und Vogelkäfige standen in den tiefen Fenstern, und prachtvolle, rosaseidene Gardinen fielen, um besser Licht zu lassen, ungerafft von oben bis auf den Fußboden herab.

»Wie feenhaft wohnen Sie hier, Komtesse!« nahm Graf Dehn das Wort, nachdem Imgjor das Tier nebenan in ihrem Schlafgemach gebettet hatte und nun, rasch zurückkehrend, ihm wieder gegenüberstand.

»Ja, viel zu schön! – Wer hat ein Recht, derartig sich einzurichten, wenn in der Welt so viele arme Geschöpfe darben –« entgegnen sie herb im Ton. »Ich lerne den Luxus immer mehr hassen. Wäre nicht der die Seele belebende, schöne Ausblick, könnte ich nicht in mein geliebtes Thal und ins Dorf hinabschauen, wäre ich schon ausgezogen und hätte mir Räume gesucht, die mich an Einfachheit und Entsagung gewöhnen –« Und dann kurz abbrechend, nachdem sie ihm nochmals ihren Dank wiederholt hatte, sagte sie: »Sie können gleich rechts die Treppe hinuntergehen, um Ihre Zimmer zu erreichen. Wir sind sozusagen Nachbarn, das heißt Nachbarn von oben und unten –«

Hierauf neigte sie mit gewohnter, kaum gemilderter Ausdruckslosigkeit den Kopf und begab sich – Axel hörte es, während er die Thür hinter sich schloß – eilends wieder zu dem kranken Tiere in ihr Schlafgemach.

Aber diese Sicherheit, nicht beobachtet zu werden, veranlaßte Graf Dehn, nicht so gleich das Vorzimmer zu verlassen, sondern sich noch einen Augenblick darin umzuschauen, ja, sogar die Klinke einer der beiden Tapetenthüren zu berühren.

Da nach seiner Berechnung die Wände des Gemachs zugleich die Außenmauern des Turms bilden mußten, war er sehr neugierig, zu erfahren, wohin die Eingänge führten.

Zu seiner Ueberraschung gab das von ihm geprüfte Schloß nach, und vor ihm lag eine dunkle Treppe.

Das beschäftigte ihn dermaßen, daß er, – unten in seinen Gemächern angelangt, – alle Wände untersuchte. Aber er fand nichts. Wahrscheinlich führte diese in die dicke Mauer eingelassene, geheime Treppe in den Garten hinab, und auffallend war's nur, daß die Thür unverschlossen war, daß sie also noch gebraucht wurde. –

Daß übrigens Imgjor ihre Stellung zu Axel nicht verändern wollte, zeigte sich schon an demselben Tage sowohl bei Tisch, wie beim Abendessen. Sie begegnete Graf Dehn, trotz dieses sie enger verknüpfenden Vorfalles, mit derselben kühlen Gemessenheit wie bisher, und als von dem Hunde die Rede war, erwähnte sie seiner Hilfeleistung mit keiner Silbe.

Die beiden folgenden Tage boten wiederum allerlei Abwechslungen, durch die Graf Dehns Gedanken vorübergehend von Imgjor abgelenkt wurden.

Er machte mit dem Grafen, der Gräfin und Lucile und mit diesen allein, da Imgjor heftige Migräne vorschützte, eine Wagenpartie nach einem der umliegenden Güter, wohin die Herrschaften schon zum Frühstück geladen waren, und am folgenden Tage fuhr er mit dem Grafen Knut und dem Herrn des Hauses in das zwei Meilen entlegene Städtchen Oerebye, woselbst sie an einem Diner bei einem Herrn von Kjärholm teilnehmen sollten.

Am letzten Abend vor der angesetzten Gesellschaft hatten sich der Graf, Lucile und Imgjor früher zurückgezogen. Graf Lavard fühlte sich durch eine Erkältung beschwert, und Lucile und Imgjor hatten sich, über starke Müdigkeit klagend, schon bald nach Aufhebung der Tafel in ihre Gemächer begeben.

Nur Graf Dehn blieb, durch eine Partie Schach gefesselt, neben der Gräfin sitzen.

Sie sei noch durchaus nicht schläfrig, sie bitte, ihr Gesellschaft zu leisten, hatte sie erklärt.

Nachdem Graf Dehn als Sieger aus dem Kampfe hervorgegangen war, lehnte sie sich zurück, sah ihn mit dem ihr eigenen forschenden Blick an und warf plötzlich unvermittelt hin:

»Nun, wie sieht's, Graf Dehn? Wer gefällt Ihnen besser, Lucile oder Imgjor? Nicht wahr, Lucile ist ungewöhnlich schön?«

Graf Dehn bejahte stumm, dann sagte er:

»Um die Komtesse Lucile zu werben, würde, selbst wenn man meinen möchte, ohne sie nicht leben zu können, zwecklos sein. Sie wird niemals einen Mann meiner Art heiraten.«

Die Gräfin schärfte erst das Auge in einer Art, als ob sie in des Sprechers Inneres dringen wolle. Dann sagte sie stark betonend:

»Ist Ihrer Antwort zu entnehmen, daß Ihnen auch Lucile gefährlich werden könnte?«

»Ich kann nur jüngst Gesagtes wiederholen, Frau Gräfin. Ich liebe Komtesse Imgjor leidenschaftlich. Noch will ich einige Zeit prüfen, ich will nicht so leichten Kaufes meine Wünsche begraben. Ist's aber entschieden, werde ich Rankholm verlassen. Ich würde mich innerlich verzehren, sollte ich ferner aussichtslos neben ihr hergehen.«

»Seltsam!« stieß die Gräfin heraus. »Was die Männer haben können, das verschmähen sie. Nur das Unerreichbare hat Reize für sie –«

»Sie meinen – ?« setzte Graf Dehn an; – stockte aber, weil er der Gräfin Auge begegnete.

Sie sah ihn mit einem Blick an, der ihn befangen machte, und der Widerschein seiner Verwirrung spiegelte sich in seinen Mienen. »Ah – Sie Kind – Sie gutes Kind!« warf sie überlegen, aber nicht ungütig hin.

Doch gab sie sich unmittelbar darauf wieder mit der sonstigen Geradheit ihres Wesens.

»Lucile will hoch hinaus, gewiß! Aber sie wird doch nie einen Mann heiraten, den sie nicht liebt« – fügte sie, an Axels vordem hingeworfene Aeußerungen anknüpfend, hinzu. – »Und deshalb glaube ich auch, daß sie ihre unfruchtbaren Pläne aufgeben und sicher einen anderen ehrenwerten Mann aus einem weniger bevorzugten Stande heiraten würde.

Daß Lucile sich für Sie interessiert, weiß ich. Aber Sie – Sie – empfinden nichts für sie – ?«

Nun erschien ein überaus forschender Ausdruck in ihren Zügen.

»Ja, Frau Gräfin –« entgegnete Graf Dehn halb ernst, halb leicht im Ton, um dem Gespräch einen möglichst unbefangenen Charakter zu verleihen – »ich müßte ein Stein sein, wenn ich nicht ein so vollendetes, junges Mädchen, wenn ich nicht jede Tochter einer Gräfin Lavard anbetete. Aber es steigt ein Wunsch nach ihrem Besitz nicht auf, weil mich, ich wiederhole es, Komtesse Imgjor ganz gefangen nimmt. Komtesse Lucile hat mir überdies rückhaltlos erklärt, sie werde nur einem Manne die Hand reichen, der eine Fürstenkrone im Wappen führt.«

»Haben meine Töchter –« stieß die Gräfin, die nachdenklich zugehört, stark betonend heraus, »Ihnen gegenüber ein Urteil über mich gefällt?«

Graf Dehn sah befremdet empor.

»Ich bitte, sprechen Sie, Graf Dehn! Ich bin Ihnen für ein offenes Wort dankbar. – Ich werde dann auch reden, nicht heute, aber ein andermal –«

»Da Sie mich fragen – ja, Frau Gräfin! Es scheint mir bei aller Verehrung eine kleine Einschränkung vorhanden zu sein. Ich habe schon darüber gegrübelt, wie es möglich ist, Sie nicht schwärmerisch zu lieben –«

Die Gräfin sah eine Weile still vor sich hin. Dann sagte sie mit einem Seufzer:

»Glücklich der, welcher im Familienleben das findet, was er erwartet. Wenige sind ganz glücklich! Würden die Eheakten einmal hervorgeholt, statt der Vergessenheit übergeben zu werden, würde man erstaunen, wie oft Frauen gelitten haben, wie groß ihre Seelen waren!«

Graf Dehn richtete einen gespannten Blick auf die Gräfin, die durch diese Worte die Aufdeckung eines Familiengeheimnisses vorbereitete.

Aber heute vernahm er nichts mehr. Mit einem sanften gütigen Ausdruck bot sie ihm zum Abschied die Hand und begab sich, ihm noch einmal freundlich zunickend, in ihre Gemächer. –



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