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Lange waren die Klänge der Violinen, der Flöten, und Baßgeigen verklungen. Seit einer Stunde waren sogar die Lichter in dem mächtigen Rankholmer Schloß mit all' seinen zahlreichen Räumen erloschen, und alles lag in einem tiefen, festen Schlaf. Nur zwei Personen wachten noch, sie fanden keinen Schlaf, und er floh sie, weil eine der anderen unruhvoll gedachte. Freilich geschah's mit sehr verschiedenen Empfindungen.

Imgjor haßte nunmehr den Mann, der in ihr Leben und in ihre Pläne einen solchen Eingriff gethan. Sie haßte ihn, obschon ihr vorurteilfreies Ich ihr zuflüsterte, daß sie ein Unrecht begehe. Als er damals in Oerebye die Rede gehalten, hatte sie bei sich gedacht, welch' ein wertvoller Mann er sei. Aber sie wollte ihm schon deshalb keine Gefolgschaft leisten, weil sie – wie sie sich vorredete – nichts Halbes, sondern etwas Ganzes erstreben mußte. Ueberdies lag sie in dem Banne Prestös, der sie mit den stärksten Fäden an sich zog, sie so fesselte, daß sie nicht zu entrinnen vermochte. Der Sohn des Unterdrückten, der, gleich ihr, aufräumen wollte mit dem Unrecht, gehörte zu ihr, und nun, nachdem sie vernommen, daß sie selbst von jenen abstammte, welche die Armut treibt, ihr Brot zu suchen, wo und wie sie es finden, fühlte sie sich zwiefach mit Prestö verknüpft, hundertfältig mit ihm verbunden.

Voll ingrimmiger Auflehnung biß sie die Zähne zusammen, als sie sich in diesen Stunden der Nacht der letzten Worte ihres Gegners erinnerte.

Er würde im Fall Prestö mitteilen, wer sie sei, ihn wissen lassen, daß ihr Erbe in Gefahr stehe, sicher ihr verloren ginge, wenn sie ihm, Prestö folge.

Sie zitterte vor der Wirkung seiner Ausladungen aus denselben Gründen, die sie veranlaßt hatten, an Prestö die Forderung zu stellen, ihr die Beweise zu geben, daß er – ohne Zwang und Unrecht – frei sei.

Ihr Verstand und die Klarheit ihres Geistes fanden auf gleicher Stufe mit der Tiefe und der Güte ihres Herzens, die sie trieben, sich selbstlos in den Dienst der Unterdrückten zu stellen.

Einmal, als sie sich vorstellte, Graf Dehn könnte wirklich Recht behalten, geriet sie in eine solche Aufregung, daß ihr Herz in stürmischer Aufwallung pochte.

Wenn auch Prestö einer der Millionen Durchschnittskreaturen, wenn auch er einer der erbärmlichen Nützlichkeitsmenschen war, wenn wirklich nur ihr Stand, ihre Schönheit und ihr großer Reichtum ihn hatte reden und gar als Schurken gegen seine Braut handeln lassen, dann – dann – !

Sie atmete tief, tief auf, und ihre Rechte ballte sich, als ob sie eine Waffe fasse.

Sie wußte nicht, was geschehen werde – ihr grauste vor sich selbst.

Unter solchen starken seelischen Erregungen und Kämpfen, denen sich die irrenden Gedanken über ihre Geburt unruhvoll hinzugesellten, tastete der Tag mit noch müdem Licht an die Scheiben der Fenster und mahnte sie an Zeit, Umstände und die noch zu erfüllenden Aufgaben.

Sich rasch aufraffend, rückte sie sich an den Schreibtisch, stützte, noch einmal ihre Gedanken sammelnd, das Haupt und schrieb sodann mit fester Hand einen langen Brief erregten Inhalts an Prestö, in welchem sie ihn am Schluß ersuchte, nur auf das zu hören, was sie ihm selbst mitteilen werde, legte dieses Schreiben im Flur in eine versteckte Ecke, aus welcher der von ihr insgeheim beauftragte Diener jeden Morgen in der Frühe vorhandene Briefe an sich zu nehmen und sogleich zu besorgen hatte, und schlüpfte alsdann in ihr Bett.

Und als eben gerade das Gesinde sich wieder unten im Hause zu rühren begann, fand sie endlich die Ruhe, nach welcher der erschöpfte Körper verlangte. –

Anders Axel.

Durch sein Gehirn wälzten sich die Vorstellungen über Geschehenes und Künftiges, und lediglich die Ueberlegung, auf welche Weise er das ausführen könne, was er sich nunmehr als fiel vorgesetzt hatte, beschäftigte seine Gedanken.

Er wollte sich vorläufig von der Familie Lavard nicht trennen, Prestö als den entlarven, der er nach den von ihm in jener Nacht gewonnenen, nunmehr mit Luciles Behauptungen übereinstimmenden Ansichten war, und Imgjor nicht nur zu heilen, sondern mit ihrer Familie vollständig auszusöhnen suchen. – Ob ein Preis ihm zufiel, mußte sich finden. Seine Liebe und sein überzeugungsstarker Sinn ließen ihn nicht verzweifeln.



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