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Die nächstfolgenden Tage der Woche verliefen ohne besondere Zwischenfälle. Das bevorstehende Fest nahm die Gedanken und die Thätigkeit der Gräfin fast ganz und die des Grafen kaum minder in Anspruch. Auch Lucile war wenig zu haben, da sie sich mit Ueberraschungen für den Ball trug. Nur abends wurde, wie gewöhnlich, eine Partie Boston, Pikett oder Schach gespielt, auch fanden gemeinsame Gesprächsaustausche über die die Gesellschaft berührenden Einzelheiten statt.

Es trafen Zusagen und Absagen ein, und für letztere mußte noch im letzten Augenblick Ersatz geschaffen werden.

Da ging's ans Ueberlegen, welche Form einer nachträglichen Einladung die schicklichste und zugleich erfolgreichste sein werde. Auch ließen Lieferanten die Küche im Stich. Der Koch hatte seine Not geklagt, und die Damen mußten noch Depeschen und Zuschriften entwerfen, welche reitende Boten zu besorgen hatten.

Als am Vorabend des Balltages eine gemeinsame Beratung wegen der Tischordnung stattfand, stellten sich allerlei Schwierigkeiten heraus. Diesmal saßen alle Anwesenden, auch Imgjor, um den im Wohnzimmer befindlichen runden Sofatisch und hörten dem Grafen zu, der einen mit sämtlichen Plätzen versehenen Entwurf vor sich hatte.

Es fehlten Herren, und es blieb nichts anderes übrig, als noch einige von den Gutsbeamten nachträglich hinzuzuziehen.

Aber das war dem Grafen durchaus nicht recht, und da ihn gerade Kleinigkeiten sehr aufbringen konnten, so ergriff ihn auch an diesem Abend eine Starke Reizbarkeit. Er machte seinem Unmut über die ganze Sache in einem wenig rücksichtsvollen Ton Luft.

»Nichts klappt, und ich sehe schon kommen, daß wir statt Vergnügen überreichlichen Verdruß von der ganzen Fête haben werden!« stieß er heraus. »Gleich war ich gegen diese Ueberhastung. Was eilte denn die Sache so sehr? Solche Affairen kann man nicht über's Knie brechen. Nun haben wir's!«

»Aber, lieber Lavard, die Dinge sind doch mit etwas gutem Willen leicht zu arrangieren!« fiel die Gräfin besänftigend ein. »Wir laden noch den Oberverwalter, den Oberförster, den Inspektor und den Gutsförster ein. Dann sind wir in Ordnung.«

»Ja, ja. Aber das ist mir höchst fatal! Erst sind sie nicht gut genug. Nun werden sie herbeikommandiert. Die Leute denken doch nach, sie haben ihr Ehrgefühl. Aber du mußt ja immer plötzliche Launen plötzlich befriedigen, Lucile!«

Erst schwieg die Gräfin; sie erblaßte und schob den Kopf wortlos zurück. Dann sagte sie in sanftem Ton:

»Lucile kam doch früher zurück, weil wir diesen Ball geben wollten. Wir waren uns darüber einig, daß wir ihn bei den vielen Verpflichtungen, die wir haben, nicht länger aufschieben könnten. Als du die Reise nach Kopenhagen anregtest, beschlossen wir gemeinsam, rasch noch die Einladungen ergehen zu lassen. Der Vorwurf trifft mich also in keiner Weise, Lavard.«

Von der Richtigkeit des Gesagten betroffen, schwieg der Graf. Aber sein Mißmut wurde nicht gehoben, sondern verstärkte sich gerade durch diese Einwände so sehr, daß er nach einem Gegenstande suchte, auf den er seinen Mißmut ablenken konnte. Und da ihn Imgjors zu Tage tretende Gleichgültigkeit während dieser Beratungen schon mit starkem Aerger erfüllt hatte, da er wußte, daß sie all' dergleichen Festlichkeiten mißbilligte und infolgedessen laut oder stumm über ihnen zu Gericht zu sitzen sich herausnahm, so wendete er sich, seiner Gemahlin zugleich indirekt eine Antwort erteilend, an seine Tochter und sagte:

»Na ja, es bleibt ja dann nichts anderes übrig, und du, Imgjor, kannst dann morgen vormittag gleich die Herren ohne ihre Frauen unter passender Erklärung einladen!«

Der zornige Mann verschaffte sich durch diese Worte einerseits die Vorbefriedigung über die Antwort, die Imgjor erteilen und durch die er sie als Partnerin gegen seine Frau gewinnen würde, andererseits fand er Gelegenheit, das Feuer des in ihm glimmenden Vulkans über sie selbst auszuschütten.

Es verlief auch alles, wie er es erwartet hatte.

»Ich halte es für unmöglich, daß wir die Herren ohne ihre Frauen auffordern!« entgegnete sie. »Eine nachträgliche, in guter Form vorgebrachte Einladung an die Familien werden sie nicht übel deuten. Daß aber die Männer bloß als Figursäulen an der Tafel sitzen sollen, werden sie sehr übel vermerken. Bei der ohnehin herrschenden gärenden Stimmung, auch in diesen Kreisen, möchte ich dringend abra –«

»Du hast gar keine Lehren und Anweisungen zu erteilen, sondern zu thun, was ich dir sage!« fuhr's aus des Grafen Munde. »Wenn's richtig gemacht, wenn darauf hingewiesen wird, daß wir keinen Platz haben, daß durch eine gleichzeitige Invitation der Frauen unser Zweck nicht erreicht, sondern die Situation noch verschlimmert wird, werden meine Beamten, denen ich stets mit Güte begegne, die mir Dank schulden und durchaus kein Recht besitzen, sich in einer gärenden Stimmung zu befinden, schon die notwendige Rücksicht üben. Nebenbei wird das wieder eine der zahlreichen thörichten Vorstellungen sein, mit denen du deinen Kopf anfüllst, statt dich der näheren Pflicht zu erinnern, die du gegen deine Eltern und deine Umgebung hast, Pflichten, die in Liebenswürdigkeit, Fügsamkeit, Erleichterung ihrer Bürden, Teilnahme an ihrem Thun und Handeln bestehen sollten! So, das merke dir!«

Imgjor biß die Zähne zusammen, und man sah's, sie hätte am liebsten einmal voll ausgeholt. Aber noch bezwang sie sich. Sie sagte nur:

»Du äußertest doch gegen Mama gerade dieselben Bedenken wie ich, Papa. Ich begreife deshalb nicht, daß ich nun für etwas getad –«

»Zum Weiter, schweige jetzt und füge dich oder verlasse das Zimmer!« – sprühte der Graf. »Ich wünsche nicht von dir im Sprechen kontrolliert zu werden, ich wünsche keine Lehren zu empfangen. Ich wiederhole früher Gesagtes: Ich habe grade genug!

Und es sei dir bei dieser Gelegenheit gleich einmal notifiziert: Wenn du nicht den Beziehungen zu dem Menschen da unten in Kneedeholm nunmehr ein für allemal ein Ende machst, wenn du nicht abläßt von all' dem Unsinn der Volksbeglückung, der zu keinem anderen Resultat führen wird, als daß meine Bauern hier oben in Rankholm tafeln und Champagner trinken, wir aber alle vor den Pflug gespannt werden, so –«

»Deine Bauern sind Menschen, die dieselben Rechte auf Wohlfahrt und Glück besitzen wie wir, Papa,« fiel Imgjor unerschrocken ein. »Und wenn du es wünschest, so gehe ich nur zu gern. Es deckt sich ja genau mit dem dir jüngst vorgetragenen Ersuchen –«

»Imgjor – ich warne dich –« rief der Graf, sprang empor und fiel fast über seine Tochter her. Der Jähzorn hatte ihn wieder einmal bis zur Besinnungslosigkeit gepackt, und nur durch ein rasches Dazwischentreten der Gräfin, die Imgjor schützend in ihre Arme nahm, ward Uebles verhütet.

Auch Lucile, wenn schon in heftigstem Gegensatz zu ihrer Schwester, legte ihre Hand auf des Grafen Arm und bat durch Mienen und Worte, daß er sich besänftigen möge.

»Laßt mich!« rief der Mann und löste sich unsanft von seiner Frau. »Wenn ich bedenke, daß dieses Mädchen meinen Namen trägt, daß ich das hinnehmen soll, ohne die Unverschämtheit zu züchtigen!« Und: »Weißt du, wer du bist?« fügte er hinzu, und seine Mienen entstellten sich noch mehr.

Aber in diesem Moment flog die Gräfin abermals auf ihren Mann zu, faßte ihn, der offenbar etwas sprechen wollte, was niemals enthüllt werden durfte, und verschloß ihm mit der Rechten den Mund.

Und nachdem das geschehen, wandte sie sich zu Imgjor, nahm sie in ihre Arme und redete besänftigend mit gedämpfter Stimme, auf sie ein. Man sah's, sie beschwor ihre Tochter, nachzugeben, aber man sah auch, daß es etwas war, wogegen sich ihrer Tochter heiße Seele mit trotziger Gewalt aufbäumte.

»Thu's mir zu Liebe, Imgjor! Küsse ihm die Hand und bitte um Verzeihung, daß du dich vergaßest –« mahnte sie bittend.

Schon wollte Imgjor nachgeben. Ihr gutes Herz, durch diese liebevolle Begegnung bezwungen, schien die Oberhand zu gewinnen, als der Graf, der widerstrebend sich gefügt und zähneknirschend auf und abgegangen war, bei den letzten Worten der Gräfin abermals von seinem Jähzorn erfaßt wurde.

»Nein, nein, Lucile, ich will's nicht in dieser Form! Sie soll kommen und feierliche Zusagen geben für alles, was ich schon erwähnte. Sie soll schwören, sich mit dem aufrührerischen Bauernvolk da unten nie wieder abzugeben, die Beschäftigung mit den albernen Phantastereien abzuthun, sich ihrer Familie zu erinnern, sich ihr zu widmen, wieder die Kirche zu besuchen, den einfältigen Glauben ihrer Kinderjahre zurückzugewinnen, ein bescheidenes, fügsames Mädchen zu werden, statt eine Führerin des Aufruhrs, des Unglaubens und der Sittenverachtung!«

»Auch das wird kommen mit der Zeit, Lavard. Nimm heut' fürlieb mit ihrer Buße für die Geschehnisse des Abends. Ich bitte – ich bitte – und, Imgjor, hörst du nicht? – Noch einmal – thu's mir zu Liebe, beuge dich vor deinem Vater, mein liebes Kind!«

Nun schwankte Imgjor abermals. Dann aber sagte sie, sich hoheitsvoll aufrichtend:

»Nein, ich kann's nicht, Mama, und ich thu's nicht. Nur die Form kann ich bedauern, wenn ich in ihr wirklich fehlte. Alles andere entspricht meiner innersten Ueberzeugung und ich bin kein Schilfrohr, das jeder Wind bewegt. Ich bin ich! Ich bin Imgjor Lavard! –«

Aber wenn bisher die Anwesenden bei den Erörterungen nur von unbehaglichen Empfindungen beherrscht worden waren, so stockte ihnen nunmehr das Blut.

Wild, sprungbereit, in einer Wut, die etwas Unmenschliches an sich hatte, stürzte der Mann auf seine Tochter zu, faßte ihre Handgelenke, preßte das todesbleiche Geschöpf auf die Erde herab und hauchte:

»Ja, eine Lavard! Aber – und nun sollst du es wissen – geboren von einer Mutter, die, eine Jungfrau, ihrer Sitte und Ehre vergebend, ihren Körper einem Kunstreiter verkaufte, einem Manne von dunkler Herkunft und niedrigsten Gesinnungen. Aus Mitleid habe ich dich zu dem erhoben, was du bist. Du bist nicht mein Kind. Ich habe dich als solches nur adoptiert. Nicht meines, nicht das edle Blut der Lavards, auf das du trotzest, fließt in deinen Adern, sondern das Zigeunerblut eines unehrlichen Landstreichers! Und so sollst du es haben! Ich stoße dich von mir, da du trotz aller Liebe, Zärtlichkeit und Ermahnung kein Reis sein willst an dem Stamm meines Geschlechts, gar gegen mich, gegen deinen Wohlthäter und Beschützer die Flinte und die Brandfackel ergreifen willst! Geh! Geh! Lauf' in die Welt! Thu', was du willst! Aber rechne nicht mehr auf uns und auf keinerlei Erbe, und wäre es ein Bettel! Ich bin für dich, du bist für mich gestorben!«

Er stieß sie von sich. Imgjor aber erhob sich rasch und eilte hinaus. –



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