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Diesmal war's noch gut verlaufen. Imgjor war nicht vom Scharlach ergriffen worden. Mangor, der noch in später Stunde erschienen war, hatte erklärt, daß es sich nur um eine starke, aber ungefährliche Verstimmung des Magens handle. Die Komtesse werde bei genügender Ruhe bereits im Laufe des kommenden Tages die Unpäßlichkeit abgeschüttelt haben.

Und wie der Befreiung von einer schweren Sorge allezeit eine um so Stärkere seelische Aufrichtung zu folgen pflegt, so war's auch hier. Dem Grafen verlieh die Sicherheit, daß das Gespenst der Epidemie vom Schlosse abgewendet war, daß er nicht nötig hatte, seinen Gästen abzusagen, und daß somit auch Mühen und Kosten nicht umsonst gewesen, eine gehobene Stimmung, und in dieser gab er den Bitten der Gräfin zu einer Auseinandersetzung mit Imgjor nach.

Nachdem Lucile und Fräulein Merville um die Mittagszeit gemeldet hatten, daß Imgjor bereits wieder aufgestanden sei, begab sich die Gräfin zu ihr aufs Zimmer, und in Axels Gegenwart wiederholte sie dann später diesem und den übrigen die von dem jungen Mädchen erteilte Antwort.

Sie wolle eine Unterredung mit Prestö möglichst bald herbeizuführen suchen und, nachdem diese stattgefunden, ihren Eltern eine Antwort geben. Sie bäte, ihr diese Frist noch zu gewähren, um jenem gegenüber nicht wortbrüchig zu werden.

Werde sie, um nicht das Glück eines anderen Mädchens zu zerstören, auf Prestö verzichten müssen, so würde sie nochmals die Bitte aussprechen, Rankholm verlassen und sich ihren Wirkungskreis suchen zu dürfen. Sie wolle sich eine Samariterthätigkeit suchen, sofern ihr ein Werk im Großen nicht zu gelingen vermöge.

Sie schwöre dem Vater zu, daß sie ihm keine Schande machen werde. Sie bäte, ihr zu verzeihen, wenn sie in der Form gefehlt habe, und auch deshalb daß sie keine andere Antwort zu erteilen vermöge.

Endlich hatte sie auf den dringenden Wunsch ihrer Pflegemutter zugesagt, daß sie heute bei dem Feste erscheinen werde.

Alle Anwesenden befanden sich nun in einer starken Spannung, wie sich der Graf zu dieser Erklärung Imgjors verhalten werde.

Gerechterweise mußte man zugestehen, daß ihre Erklärung verständig und maßvoll war, daß sie, wenn sie sich nicht selbst verleugnen wollte, eine andere garnicht geben konnte.

Nach einer geraumen Frist, in welcher der Graf nachgedacht, sagte er: »Ich gebe jetzt nur die Erlaubnis, daß sie bis zu einer Entscheidung über ihre Beziehungen zu Prestö unter gleichen Verhältnissen wie bisher in Rankholm bleibt, aber es ist selbstverständlich, daß sie sich während dieser Zeit des Verkehrs mit meinen aufsässigen Bauern enthält. Kommt noch etwas vor, dann geht sie sofort!«

Als sich Axel später mit der Gräfin allein befand, teilte sie ihm mit, daß Imgjor ursprünglich keineswegs in einer solchen versöhnlichen Art gesprochen, daß sie, die Gräfin, aus Klugheit vieles verschwiegen und ihrem Gatten nur das gesagt habe, was sie Imgjor teils nach schweren Kämpfen abgerungen, teils noch zu erreichen hoffe. – Nur Auflehnung gegen ihren Pflegevater habe Raum in ihr gehabt, ihr, ihrer Pflegemutter, aber habe sie unter dem Dankgefühl für deren Verhalten in den rührendsten Worten alle Schroffheiten, deren sie sich im Laufe der Jahre schuldig gemacht, abgebeten.

»Der Zufall hat Ihnen, lieber Graf,« – schloß sie ihre Rede – »enthüllt, was ich Ihnen nach einer voranzugehenden, sorgfältigen Prüfung Ihrer Vertrauenswürdigkeit eröffnen wollte, deshalb eröffnen wollte, damit Sie erkennen möchten, in wie weit meine Kinder zu Vorwürfen gegen mich berechtigt waren. – Es ist aber noch nicht alles. Das übrige sollen Sie später aus meinem Munde vernehmen.«

Graf Dehn lohnte diese Worte mit lebhaftem Dank, dann sagte er, gedrängt, noch mehr zu hören: »Ich bitte, wie faßt Komtesse Imgjor die Enthüllung ihrer Geburt auf? Darüber äußerten Sie nichts, Frau Gräfin!«

»Sie hat sich darüber nur kurz ausgelassen: Ihre Erregung beziehe sich auf das Unrecht ihres Vaters, solche Dinge in solcher Form vor fremden Zeugen auszusprechen.

Ehe ich meinen Vater oder meine Mutter verdamme – äußerte sie – muß ich wissen, wie ihr Lebensgang war, wer sie zu dem machte, was sie wurden. Meinem Pflegevater bin ich unauslöschlichen Dank schuldig, weil er mich nicht dem Elend und dem Zufall preisgegeben, sondern mich gehalten hat als sein rechtes Kind. Und eben diese Dankbarkeit veranlaßt mich, mich dir zu fügen, fürder ihm gute Worte zu geben. Diese Dankbarkeit hat mich abgehalten, sogleich und für immer Rankholm zu verlassen. Ich wünsche in allen meinen Handlungen möglichst gerecht zu sein, auch mich unterzuordnen, sofern das, was gefordert wird, nicht mit meinen Ueberzeugungen und Grundsätzen in Widerstreit steht.« –

Und dann kam der Nachmittag, und mit ihm erfolgte das Anfahren der Gäste im Schloßhof von Rankholm.

War das Gut in Stille und Einsamkeit ein unvergleichlich idyllischer Erdenfleck, so hatte es sich nun in ein buntes Zauberbild verwandelt.

Von allen Zinnen wehten die roten Lavardschen Fahnen. Im Hofe vollzog sich ein endlos wechselndes Durcheinander von herbeieilenden Staatskarossen, Fuhrwerken und Landkutschen. Der Treppenaufgang war geschmückt mit Rosenguirlanden, und da der Abend bereits im Nahen war, flimmerten hinter allen Fenstern des mächtigen Baues hunderte und aberhunderte von Lichtern. Und strahlendes Flammenlicht ergoß sich später von den Kandelabern neben der Freitreppe über den ganzen Hof, und in einem Glanzmeer schwammen die Eingänge, die Gesellschaftsgemächer und großen Festsäle im Hauptgebäude und in den Flügeln.

Aber auch unten in den Souterrains, wo auf den großen Herden die Speisen dampften und schmorten, war alles voll eifrigen Lebens. Ein Heer von weißgekleideten Köchen, buntlivrierten Dienern und Lakaien flog hin und her, treppauf, treppab, und mischte sich unter die in ihren kostbaren Toiletten und glänzenden Uniformen erschienenen, in den Empfangsräumen auf und ab wogenden, laut und lebhaft schwatzenden und lachenden Gäste, bis dann der Haushofmeister Frederik das Zeichen zum Tischgang gab und sich sämtliche fünfundsiebzig Paare in Bewegung setzten.

So tafelte und trank man nur in Fürstenhäusern! Ein solcher Glanz und Prunk war entfaltet, daß selbst Axel, der sich bereits an den Ueberfluß von Rankholm gewöhnt hatte, des Erstaunens und der Verwunderung voll war. Tafelgeschirr stand auf den Tischen, das ganze Vermögen gekostet hatte. – Silber, aber auch Gold überall! Selbst die Gabeln und die Griffe der Messer blitzten in solchem edlem Metall.

Massive Vasen und andere kunstreiche, kostbare Schaustücke mit Blumen aus den Treibhäusern gefüllt, waren zahlreich verteilt, und silberne Champagnerkühler, jedesmal für zwei Personen, fanden, das zischende, unruhige Naß in goldumränderten Flaschen bergend, neben dem wundervoll geschliffenen Krystall und Glas, das den Weinen zu dienen hatte, die bei jedem Gang besonders gereicht wurden.

Die Damen Lavard trugen Geschmeide von Diamanten und Perlen, die einen schier unschätzbaren Wert besaßen, und zudem waren sie die Königinnen des Festes.

Die Schönste war Imgjor, die Tochter des Kunstreiters.

Zum erstenmal sah Graf Dehn ihren reizenden Hals. Es konnte keine gleichen Schönheitslinien, keine vollendeteren Farben geben. Sie wetteiferten mit dem Marmorglanz der runden, weißen Arme.

Und dazu das braunrote, sich in ungeduldigem Wachstum aufbäumende Haar, dazu die dunkelbewimperten Augen, dazu der Körper mit seinen schwellenden Formen, die entzückenden Hände, die schneeigen Zähne, die von einem stürmisch pulsierenden Rot durchglühten, kleinen Ohren! Und wenn sie lächelte – dieses hinreißende, eine unbekannte Welt von Klugheit und Güte verheißende Lächeln!

Und neben ihr saß, trotz seiner gegen ihre Eltern erhobenen Einwände, Graf Dehn.

Gleich, als er ihr den Arm geboten, hatte er eine ihrer Enttäuschung begegnende Erklärung gegeben.

»Es war der Wunsch des Herrn Grafen, daß ich Sie führen sollte, Komtesse! Ich bat um Ihretwillen, davon abzusehen. Es geschah, weil ich mein Möglichstes thun wollte, um Ihrem gegen mich geäußerten Wunsch zu entsprechen. Vielleicht bezwingen Sie dieses eine Mal Ihre Abneigung, so lange in meiner Nähe sein zu müssen. Ich verspreche Ihnen, daß ich versuchen werde, Ihr Ohr durch meine Worte in keiner Weise zu verletzen.«

Schon während Graf Dehn gesprochen, hatte Imgjor den Oberkörper zusammengeschoben und die Lippen auf einandergepreßt, als ob sie nur so ihrer Empfindungen Herr zu werden vermöge. Aber als er dann mit einem sanft versöhnlichen Ausdruck in ihren Zügen forschte, so eine Antwort zu erheischen suchte, hob sie stolz das Auge zu ihm empor, sah ihn kalt an und senkte dann wieder die Wimpern mit einer Miene wie jemand, der, weil des anderen Gefangener, machtlos sich zu fügen hat.

Zunächst verhielt sich Graf Dehn auf diese stumme Abwehr ebenfalls wortlos. Aber als von der Dienerschaft bereits die Suppe gereicht worden war, und nun Imgjor, ohne sie zu berühren, auch ferner in finsterem Schweigen dasaß, hielt's ihn nicht länger. Zorn und Auflehnung über ihre Kälte übermannten ihn.

»Sie haben mich nicht einmal einer Antwort gewürdigt, Komtesse Lavard,« hub er an, nachdem er nach vorangegangener Frage, ob er einschenken dürfe, ihr Glas gefüllt hatte.

»Wahrlich! Wenn ich nicht so vieles von Ihnen gesehen, jetzt wieder sich meine Meinung über Sie so vorteilhaft verstärkt hätte, ich könnte glauben, es sei doch eines wenigstens bei Ihnen Maske – nämlich, daß Sie ein Herz besitzen. Was that ich Ihnen? Wie begegnen Sie mir, der ich doch der Gast Ihres Hauses bin? Wie vergelten Sie mir das, was Sie selbst als vergeltungswert bezeichneten? Es mag Ihnen wenig vornehm erscheinen, daß ich erwähne, wie sehr ich für Sie stets eintrat, wie viel ich beigetragen habe, die vorhandenen Gegensätze zu mildern, auch jetzt den Dingen einen möglichst friedlichen Charakter zu verleihen. Ich thue es aber, weil ich Ihnen beweisen möchte, daß ich Ihr zu Thaten bereiter Freund bin. Gewiß, Sie haben mir deutlich an den Tag gelegt, daß Sie mich verabscheuen, Sie haben mir sogar die Schwelle des Schlosses gewiesen – aber es drängt sich mir die Frage auf, mit welchem Recht nach solchem Verhalten von meiner Seite? Ehrerbietung, Rücksicht und Freundschaft habe ich Ihnen ununterbrochen entgegengetragen! Erlauben Sie mir ein freies Wort: Sie wollen eine ganze Menschheit beglücken und besitzen nicht einmal die Fähigkeit, sich einem einzelnen Menschen in soweit anzubequemen, daß Sie die Gesellschaftssitten zu beobachten vermögen, aus trotziger Voreingenommenheit, aus Zorn, daß ich den Doktor Prestö als das hinstellte, was er ist –«

»Nun, was ist er denn?« fiel Imgjor, deren Büste unter dem freigeschnittenen Ballkleide in eine stürmisch tobende Bewegung geraten war, also, daß sie schier den Saum des Gewandes zu sprengen drohte, mit funkelnden Augen heraus.

»Er ist ein kalter, berechnender Egoist, den nicht Liebe zur Menschheit, sondern nur Rachsucht erfüllt, der einer anderen, der er sein Wort verpfändet, lediglich deshalb einen Absagebrief erteilt, um die reiche und vornehme Erbin heimzuführen. Daß letzteres sich so verhält, klang durch seine Worte, die ich vernahm in jener Nacht. Nur Sie, in Ihrer blinden Liebe, entraten der Fähigkeit, ihn zu durchschauen, ihm, wie sonst den Menschen, ins Herz zu blicken und es auf seinen wahrhaftigen Wert zu prüfen.«

»Ich bestreite jede Ihrer Behauptungen, Herr Graf Dehn. Und wenig vornehm ist es in der That – Sie mögen es hören! – zu horchen, und ebenso unkavaliermäßig, auf bloße Eindrücke hin einen Ehrenmann derartig zu verdächtigen. Und da Sie es wissen wollen: Meine Abneigung gegen Sie leitet sich uns der Thatsache her, daß, im Gegensatz zu Ihrem Selbstlobe, mit Ihrem Eintritt in Rankholm sich alles, was mir Freude und Hoffnung war und was mir Erfüllung schien, in Leid verwandelt hat. Sie haben von vorneherein gegen Herrn Doktor Prestö Front gemacht, deshalb gleich ohne Zwang und Not den Gast herabgesetzt, weil er anders geartet als Sie, sich anders gab als Sie, weil er sich Ihrer hochgeborenen Erhabenheit nicht unterordnete, weil er gleich an den Tag legte, daß es für ihn nur Menschen, keine Bauern und keinen Landadel giebt, weil Sie herausfühlten, daß ich ihm gut war, daß ich ihn Ihnen vorzog. Und dann haben sich die Meinungen meiner Familie täglich mehr gegen ihn gekehrt. Früher fand man ihn wohl etwas schroff, aber man lobte sein kräftiges Selbstgefühl! Man schätzte es hoch, weil es Charakter und Männlichkeit verriet. Stets stand er voran, wenn es sich um Einladungen in unser Haus handelte. Als Arzt wußten ihn alle nicht genug zu loben, und man gewährte mir auch ohne Einschränkungen den freien Verkehr mit diesem aufgeklärten und zielbewußten Manne. Heute würde mein Pflegevater ihn am liebsten töten; meine Pflegemutter und Lucile hassen ihn. Ihnen habe ich es zu verdanken, daß ich plötzlich eine Ausgestoßene, Enterbte bin, während ich meinen mir zukommenden Besitz in den Dienst der großen Sache stellen wollte, in den Dienst der Veredelung und Aushilfe der Armen und Elenden. So, nun wissen Sie, weshalb ich den Augenblick verwünsche, in dem Sie über die Schwelle traten, weshalb ich Sie wegen Ihrer unerbetenen Eingriffe in unsere Familienangelegenheiten zu hassen ein Recht habe! – Und daß Sie, mein Herr Graf, heute, nach alledem, noch den Mut und das Wohlgefallen besitzen, an meiner Seite Platz zu nehmen, beweist mir, daß Sie zwar sehr viel Selbstgefühl, aber minder Zartsinn besitzen, wenig von dem, dessen Sie sich selbst so beredt rühmen!«

Graf Dehn war weiß geworden wie das Leinen der Serviette, die er in seiner Hand zerknitterte.

Das war eine Freiheit der Rede, die neben ihrem ungerechten Inhalt, der völlig falschen Auslegung, ja Umkehrung der Dinge, eine Maßlosigkeit enthielt, vor der ein Kavalier einer Dame gegenüber verstummen mußte. Indem Graf Dehn alles zusammenfaßte, was ihm an Kraft und Selbstbeherrschung zu Gebote stand, auch zu einem ruhigen Ton und zu äußerster Sachlichkeit sich zwang, obschon die vor Erregung zitternde Stimme fast versagen wollte, entgegnete er:

»Es wird eine Zeit kommen, Komtesse Lavard, in der sie erkennen werden, wie richtig meine Urteile über die in Betracht kommende Person waren. Sie werden auch, ich weiß es, die unverdiente, ungeheure Kränkung die Sie mir eben zugefügt haben, abbitten. Ihr gerechtes Herz wird Sie dazu drängen! – Doch lassen wir ruhen, was ich nur gezwungen berührte, und nur eine Frage gestatten Sie mir noch an Sie zu richten: Wollen Sie mir eine Unterredung gewähren, wenn sich herausstellt, daß der Mann, dem Sie im Begriff sind, Ihr Lebensglück zu opfern, Sie täuschte?«

»Weshalb – ? Welchen Zweck soll das haben?«

»Liegt Ihnen nicht daran, Komtesse, etwaiges Unrecht gegen mich gut zu machen? Ist es nicht doch möglich, daß Sie mich und mein Thun falsch beurteilen? Ist's dann nicht eine natürliche Pflicht, mir eine Genugthuung zu gewähren? Sie wollen eine Priesterin der Wahrheit, der Güte, der Gerechtigkeit, der Menschenliebe sein und wollen schon beim erstenmal stolpern, wo Sie die Probe auf Ihr Ich zu bestehen haben?«

Imgjor biß erst die Zähne zusammen, dann sagte sie: »Wohlan, ich bin bereit, Sie zu hören, wenn sich das vollzieht, was Sie hoffen – was Sie aus dieser Hoffnung sogar zur Gewißheit erheben. Sie wird Ihnen zwar nie werden, und wenn doch, so werde ich, das sei gesagt, nie Ihre Freundin werden, geschweige mehr –«

»Also, wenn Prestö sie betrog, in diesen heilig ernsten Stunden Sie betrog, so bleibt er immer doch ein Gott und ich ein Unwürdiger, Komtesse?«

Imgjor reckte den Oberkörper, und in ihrem in der Erregung sich unwillkürlich öffnenden Munde blitzten die Zähne. Dann sagte sie heftig, und er hörte, wie sie mit ihrem mit dem weißen Seidenschuh bekleideten Fuß ungeduldig den Fußboden berührte:

»Ich wiederhole Ihnen, Herr Graf, daß Prestö mich nicht betrügen wird, daß er ein Ehrenmann, daß er ein anderer Mann ist als die, welche sich anmaßen, über ihn zu Gericht zu sitzen!«

»Wohlan, Komtesse! Wenn Sie so reden, so steht Meinung gegen Meinung! Ich behaupte, daß der Mann innerlich in demselben Augenblick von Ihnen abfallen wird, wo er erfährt, daß Sie nicht die Tochter des Grafen, daß Sie aus Rankholm verbannt und enterbt sind. Und da Sie nun, trotz aller meiner fügsamen Bitten, den Frieden mir abschlagen, so will ich fürder gegen diesen Mann rücksichtslos kämpfen! Ich will Sie kurieren, jetzt kurieren gegen Ihren Willen!«

Diesmal entgegnete Imgjor nichts. Sie vermochte es nicht, weil plötzlich eine Blutwelle ihrem Munde entströmte. Die Serviette, die sie zum Munde führte, wurde von einem unheimlichen Rot gefärbt. Schrecken ergriff die Umsitzenden, und ehe noch Graf Dehn helfen, sich um sie bemühen oder gar am Aufstehen hindern konnte, hatte sie den Saal verlassen.



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