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Zweites Kapitel
Die Kreuzzüge

Die Kirche hat in dem erwähnten Kampfe den Sieg errungen und dadurch in Deutschland ihre Herrschaft ebenso festgesetzt, wie in den übrigen Staaten auf ruhigere Weise. Sie hat sich zur Herrin aller Lebensverhältnisse, Wissenschaft und Kunst gemacht und ist die ununterbrochene Ausstellung der geistigen Schätze. Doch in dieser Fülle und Vollendung ist es nichtsdestoweniger ein Mangel und ein Bedürfnis, das die Christenheit befällt und sie außer sich treibt. Um diesen Mangel zu fassen, muß auf die Natur der christlichen Religion selbst zurückgegangen werden, und zwar auf die Seite derselben, wonach sie einen Fuß in der Gegenwart des Selbstbewußtseins hat.

Die objektive Lehre des Christentums war durch die Konzilien schon so festgesetzt worden, daß weder die Philosophie des Mittelalters noch eine andre mehr daran tun konnte, als sie in den Gedanken zu erheben, um auch die Form des Denkens in ihr zu befriedigen. Diese Lehre nun hat an ihr selbst die Seite, daß die göttliche Natur gewußt wird als nicht aus irgendeine Weise ein Jenseits, sondern in der Einheit mit der menschlichen Natur in der Gegenwart zu sein. Aber diese Gegenwart hat zugleich nur als Gegenwart des Geistigen zu sein: Christus ist als dieser Mensch entrückt worden, sein zeitliches Dasein ist ein vergangenes, d. h. ein nur vorgestelltes. Darum weil das göttliche Diesseits wesentlich geistiges sein soll, so kann es nicht in der Weise des Dalai-Lama erscheinen. Der Papst, so hoch er auch als Haupt der Christenheit und als Vikarius Christi gestellt ist, nennt sich doch nur den Knecht der Knechte, Wie hat nun doch die Kirche Christus als Diesen in sich gehabt? Die Hauptgestalt hiervon ist, wie schon gesagt, das Nachtmahl der Kirche als Messe, in ihr ist da« Leben, Leiden und Sterben des wirklichen Christus vorhanden, als das ewige und alle Tage geschehende Opfer. Christus ist als Dieses in sinnlicher Gegenwart als die Hostie, die vom Priester konsekriert ist; dagegen ist nichts zu sagen: nämlich, es ist die Kirche, der Geist Christi, der zur unmittelbaren Gewißheit heraustritt. Aber der Hauptpunkt ist, daß dies, wie sich Gott zur Erscheinung bringt, befestigt wird als ein Dieses, daß die Hostie, dies Ding, als Gott angebetet werden soll. Die Kirche hätte sich nun mit dieser sinnlichen Gegenwart Gottes begnügen können; wenn aber einmal zugegeben ist, daß Gott in äußerlicher Gegenwart ist, so wird zugleich dieses Äußerliche zu einer unendlichen Mannigfaltigkeit, denn das Bedürfnis dieser Gegenwart ist unendlich. Es wird also in der Kirche ein Reichtum von Ereignissen sein, daß Christus da und dort diesem und jenem erschienen ist, noch mehr aber seine göttliche Mutter, welche als dem Menschen näher stehend selbst wieder eine Vermittlerin zwischen dem Vermittler und dem Menschen ist, (die wundertätigen Marienbilder sind in ihrer Art Hostien, indem sie eine gnädige und günstige Gegenwart Gottes gewähren.) Allerorten werden also in höher begnadigten Erscheinungen, Bluteindrücken von Christus usf. sich Vergegenwärtigungen des Himmlischen begeben, und das Göttliche wird in Wundern sich auf einzelne Weise ereignen. Die Kirche ist daher in diesen Zeiten eine Welt von Wunder, und für die andächtige, fromme Gemeinde hat das natürliche Dasein keine letzte Gewißheit mehr; vielmehr ist die absolute Gewißheit gegen dasselbe gekehrt, und das Göttliche stellt sich ihr nicht in allgemeiner Weise als Gesetz und Natur des Geistes vor, sondern offenbart sich auf einzelne Weise, worin das verständige Dasein verkehrt ist.

In dieser Vollendung der Kirche kann für uns ein Mangel sein, aber was kann ihr darin mangeln? was nötigt sie, die in dieser vollen Befriedigung und Genuß steht, innerhalb ihrer selbst ein andres zu wollen, ohne von sich abzufallen? Die Wunderbilder, die Wunderorte und Wunderzeiten sind nur einzelne Punkte und momentane Erscheinungen, sind nicht von der höchsten absoluten Art. Die Hostie, das Höchste, ist in unzähligen Kirchen; Christus ist darin wohl transsubstantiiert zur gegenwärtigen Einzelheit, aber diese ist selbst nur allgemeine, nicht diese letzte im Raume partikularisierte Gegenwart. Diese Gegenwart ist in der Zeit vergangen, aber als räumliche und im Raum konkrete, an dieser Stelle, diesem Dorfe usf., ist sie ein erhaltenes Diesseits. Dies Diesseits nun ist es, was der Christenheit abgeht, was sie noch gewinnen muß. Pilgrime in Menge hatten es zwar genießen können; aber der Zugang dazu ist in den Händen der Ungläubigen, und es ist der Christenheit unwürdig, daß die heiligen Örter und das Grab Christi nicht im Besitz der Kirche sind. In diesem Gefühle ist die Christenheit eins gewesen; darum hat sie die Kreuzzüge unternommen, und sie hatte dabei nicht diesen oder jenen, sondern einen einzigen Zweck, – das heilige Land zu erobern.

Das Abendland ist wiederum gegen das Morgenland ausgezogen. Wie in dem Zuge der Griechen nach Troja, so waren es auch hier lauter selbständige Dynasten und Ritter, die gen Morgen aufbrachen; doch waren sie nicht schon unter einer wirklichen Individualität, wie die Griechen unter Agamemnon oder Alexander vereint, sondern die Christenheit ging vielmehr darauf aus, das Dieses, die wirkliche Spitze der Individualität, zu holen. Dieser Zweck hat das Abendland nach dem Morgenlande getrieben, und um ihn handelt es sich in den Kreuzzügen.

Die Kreuzzüge fingen sogleich unmittelbar im Abendlande selbst an, viele Tausende von Juden wurden getötet und geplündert, – und nach diesem fürchterlichen Anfange zog das Christenvolk aus. Der Mönch, Peter der Einsiedler aus Amiens, schritt mit einem ungeheuren Haufen von Gesindel voran. Der Zug ging in der größten Unordnung durch Ungarn, überall wurde geraubt und geplündert, der Haufen aber selbst schmolz sehr zusammen, und nur wenige erreichten Konstantinopel. Denn von Vernunftgründen konnte nicht die Rede sein; die Menge glaubte, Gott würde sie unmittelbar führen und bewahren. Daß die Begeisterung die Völker bald zum Wahnwitz gebracht hatte, zeigt sich am meisten darin, daß späterhin Scharen von Kindern ihren Eltern entliefen und nach Marseille zogen, um sich dort nach dem gelobten Lande einschiffen zu lassen. Wenige kamen an, und die andern wurden von den Kaufleuten den Sarazenen als Sklaven verkauft.

Endlich haben mit vieler Mühe und ungeheurem Verluste geordnetere Heere ihren Zweck erreicht: sie sehen sich im Besitz aller berühmten heiligen Orte, Bethlehems, Gethsemanes, Golgathas, ja des heiligen Grabes. In der ganzen Begebenheit, in allen Handlungen der Christen erschien dieser ungeheure Kontrast, der überhaupt vorhanden war, daß von den größten Ausschweifungen und Gewalttätigkeiten das Christenheer wieder zur höchsten Zerknirschung und Niederwerfung überging. Noch triefend vom Blute der gemordeten Einwohnerschaft Jerusalems fielen die Christen am Grabe des Erlösers auf ihr Angesicht und richteten inbrünstige Gebete an ihn.

So kam die Christenheit in den Besitz des höchsten Gutes. Es wurde ein Königreich Jerusalem gestiftet und daselbst das ganze Lehnssystem eingeführt, eine Verfassung, welche den Sarazenen gegenüber sicher die schlechteste war, die man finden konnte. Ein andres Kreuzheer hat im Jahre 1204 Konstantinopel erobert und daselbst ein lateinisches Königreich gestiftet. Die Christenheit hatte nun ihr religiöses Bedürfnis befriedigt, sie konnte jetzt in der Tat ungehindert in die Fußtapfen des Heilandes treten. Ganze Schiffsladungen von Erde wurden aus dem gelobten Lande nach Europa gebracht. Von Christus selbst konnte man keine Reliquien haben, denn er war auferstanden: das Schweißtuch Christi, das Kreuz Christi, endlich das Grab Christi wurden die höchsten Reliquien. Aber im Grabe liegt wahrhaft der eigentliche Punkt der Umkehrung, im Grabe ist es, wo alle Eitelkeit des Sinnlichen untergeht. Am heiligen Grabe vergeht alle Eitelkeit der Meinung, da wird es Ernst überhaupt. Im Negativen des Dieses, des Sinnlichen ist es, daß die Umkehrung geschieht und sich die Worte bewähren: Du lässest nicht zu, daß Dein Heiliger verwese. Im Grabe sollte die Christenheit das Letzte ihrer Wahrheit nicht finden. An diesem Grabe ist der Christenheit noch einmal geantwortet worden, was den Jüngern, als sie dort den Leib des Herrn suchten: »Was suchet ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden.« Das Prinzip eurer Religion habt ihr nicht im Sinnlichen, im Grabe bei den Toten zu suchen, sondern im lebendigen Geist bei euch selbst. Die ungeheure Idee der Verknüpfung des Endlichen und Unendlichen haben wir zum Geistlosen werden sehen, daß das Unendliche als Dieses in einem ganz vereinzelten äußerlichen Dinge gesucht worden ist. Die Christenheit hat das leere Grab, nicht aber die Verknüpfung des Weltlichen und Ewigen gefunden und das heilige Land deshalb verloren. Sie ist praktisch enttäuscht worden, und das Resultat, das sie mitbrachte, war von negativer Art: es war, daß nämlich für das Dieses, welches gesucht wurde, nur das subjektive Bewußtsein und kein äußerliches Ding das natürliche Dasein ist, daß das Dieses, als das Verknüpfende des Weltlichen und Ewigen, das geistige Fürsichsein der Person ist. So gewinnt die Welt das Bewußtsein, daß der Mensch das Dieses, welches göttlicher Art ist, in sich selbst suchen müsse: dadurch wird die Subjektivität absolut berechtigt und hat an sich selbst die Bestimmung des Verhältnisses zum Göttlichen. Dies aber war das absolute Resultat der Kreuzzüge, und von hier fängt die Zeit des Selbstvertrauens, der Selbsttätigkeit an. Das Abendland hat vom Morgenlande am heiligen Grabe auf ewig Abschied genommen und sein Prinzip der subjektiven unendlichen Freiheit erfaßt. Die Christenheit ist nie wieder als ein Ganzes aufgetreten.

Kreuzzüge andrer Art, mehr Eroberungskriege, die aber auch das Moment religiöser Bestimmung hatten, waren die Kämpfe in Spanien gegen die Sarazenen auf der Halbinsel selbst. Die Christen waren von den Arabern auf einen Winkel beschränkt worden, wurden aber dadurch mächtig, daß die Sarazenen in Spanien und Afrika in vielfachem Kampf begriffen waren und unter sich selbst zerfielen. Die Spanier, verbunden mit fränkischen Rittern, unternahmen häufige Züge gegen die Sarazenen, und bei diesem Zusammentreffen der Christen mit dem Rittertum des Orients und mit seiner Freiheit und vollkommenen Unabhängigkeit der Seele haben auch die Christen diese Freiheit angenommen. Das schönste Bild von dem Rittertum des Mittelalters gibt Spanien, und der Held desselben ist der Cid. Mehrere Kreuzzüge, die nur mit Abscheu erfüllen können, wurden auch gegen das südliche Frankreich unternommen. Es hatte sich daselbst eine schöne Bildung entwickelt: durch die Troubadours war eine Freiheit der Sitte, ähnlich der unter den Hohenstaufenschen Kaisern in Deutschland, aufgeblüht, nur mit dem Unterschiede, daß jene etwas Affektiertes in sich trug, diese aber innigerer Art war. Aber wie in Oberitalien, so hatten im südlichen Frankreich schwärmerische Vorstellungen von Reinigkeit Eingang gefunden; die Päpste ließen daher gegen dieses Land das Kreuz predigen. Der heilige Dominikus ging dahin mit zahlreichen Heeren, die auf die fürchterlichste Weise Schuldige und Unschuldige beraubten und ermordeten und das herrliche Land gänzlich verwüsteten.

Durch die Kreuzzüge vollendete die Kirche ihre Autorität: sie hatte die Verrückung der Religion und des göttlichen Geistes zustande gebracht, das Prinzip der christlichen Freiheit zur unrechtlichen und unsittlichen Knechtschaft der Gemüter verkehrt und damit die rechtlose Willkür und Gewalttätigkeit nicht aufgehoben und verdrängt, sondern vielmehr in die Hände der Kirchenhäupter gebracht. In den Kreuzzügen stand der Papst an der Spitze der weltlichen Macht, der Kaiser erschien nur, wie die andern Fürsten, in untergeordneter Gestalt und mußte dem Papste, als dem sichtbaren Oberhaupt der Unternehmung, das Sprechen und das Handeln überlassen. Wir haben schon gesehen, wie die edlen Hohenstaufen mit ritterlichem, edlem und gebildetem Sinn dieser Gewalt, gegen welche der Geist keinen Widerstand mehr hatte, entgegengetreten und wie sie der Kirche, welche, elastisch genug, jeden Widerstand beseitigte und von keiner Aussöhnung wissen wollte, endlich unterlegen sind. Der Untergang der Kirche sollte nicht durch offene Gewalt bewirkt werden, sondern von innen heraus, vom Geiste aus, und von unten herauf drohte ihr der Sturz. Daß der hohe Zweck der Befriedigung durch den Genuß der sinnlichen Gegenwart nicht erreicht wurde, mußte das päpstliche Ansehen von vornherein schwächen. Die Päpste erreichten ebensowenig ihren Zweck, das heilige Land auf die Dauer zu besitzen. Der Eifer für die heilige Sache war bei den Fürsten ermattet; mit unendlichem Schmerz ließen die Päpste dringende Anforderungen an sie ergehen, so vielmal wurde ihr Herz durchbohrt durch die Niederlage der Christen; aber vergeblich war ihr Wehklagen, und sie vermochten nichts. Der Geist, unbefriedigt bei jener Sehnsucht nach der höchsten sinnlichen Gegenwart, hat sich in sich zurückgeworfen. Es ist ein erster und tiefer Bruch geschehen. Von nun an sehen wir die Regungen, in denen der Geist, hinausgehend über die greuelhafte und unvernünftige Existenz, entweder sich in sich ergeht und aus sich die Befriedigung zu schöpfen sucht, oder sich in die Wirklichkeit allgemeiner und berechtigter Zwecke, welche eben damit Zwecke der Freiheit sind, begibt. Die Bestrebungen, die daraus entstanden, sind nunmehr anzugeben: sie sind die Vorbereitungen für den Geist gewesen, den Zweck seiner Freiheit in der höheren Reinheit und Berechtigung aufzufassen.

Es gehören hierher zunächst die Stiftungen von Mönchs- und Ritterorden, welche eine Ausführung dessen sein sollten, was die Kirche bestimmt ausgesprochen hatte: es sollte Ernst gemacht werden mit der Entsagung des Besitzes, des Reichtums, der Genüsse, des freien Willens, welche von der Kirche als das Höchste aufgestellt worden war. Die Kloster oder sonstigen Stiftungen, welchen dieses Gelübde der Entsagung auferlegt war, waren ganz in das Verderben der Weltlichkeit versunken. Jetzt aber suchte der Geist innerhalb des Prinzips der Negativität rein an sich zu verwirklichen, was die Kirche aufgestellt hatte. Die nähere Veranlassung dazu waren die vielen Ketzereien in Südfrankreich und in Italien, die eine schwärmerische Richtung hatten, und der um sich greifende Unglaube, der aber der Kirche mit Recht nicht so gefährlich zu sein schien als jene Ketzereien. Gegen diese Erscheinungen erheben sich nun neue Mönchsorden, hauptsächlich die Franziskaner, Bettelmönche, deren Stifter, Franz von Assisi, von der ungeheuersten Begeisterung und Ekstase beseelt sein Leben im beständigen Ringen nach der höchsten Reinheit zubrachte. Dieselbe Richtung gab er seinem Orden; die äußerste Verandächtigung, die Entsagung aller Genüsse, im Gegensatze gegen die einreißende Weltlichkeit der Kirche, die beständigen Bußübungen, die größte Armut (die Franziskaner lebten von täglichen Almosen) waren demselben daher besonders eigen. Neben ihm erhob sich fast gleichzeitig der Dominikanerorden, vom heiligen Dominikus gestiftet; sein Geschäft war besonders das Predigen. Die Bettelmönche verbreiteten sich auf eine ganz unglaubliche Weise über die ganze Christenheit; sie waren einerseits das stehende Apostelheer des Papstes, andrerseits sind sie auch gegen seine Weltlichkeit stark aufgetreten; die Franziskaner waren ein starker Beistand Ludwigs des Bayern gegen die päpstlichen Anmaßungen, auch soll von ihnen die Bestimmung ausgegangen sein, daß das allgemeine Kirchenkonzilium über dem Papste stehe; später aber sind auch sie in Stumpfheit und Unwissenheit versunken. – Eine ähnliche Richtung des Strebens nach Reinheit des Geistes hatten die geistlichen Ritterorden. Es ist schon der eigentümliche Rittergeist, der sich in Spanien durch den Kampf mit den Sarazenen entwickelt hatte, bemerkt worden, derselbe Geist hat sich durch die Kreuzzüge über ganz Europa verbreitet. Die Wildheit und der Mut des Raubes, befriedigt und befestigt im Besitz, beschränkt durch Gegenseitigkeit, hat sich durch die Religion in sich verklärt und dann durch die Anschauung des unendlichen Edelmuts orientalischer Tapferkeit entzündet. Denn auch das Christentum hat das Moment unendlicher Abstraktion und Freiheit in sich, und der orientalisch ritterliche Geist fand darum in abendländischen Herzen einen Anklang, der sie zur edleren Tugend ausbildete. Es wurden geistliche Ritterorden, gleich den Mönchsorden, gestiftet. Den Mitgliedern derselben wurde dieselbe mönchische Aufopferung auferlegt, die Entbehrung alles Weltlichen. Zugleich aber übernahmen sie den Schutz der Pilgrime, ihre Pflicht war demnach auch vor allem ritterliche Tapferkeit. Endlich waren sie auch zur Versorgung und Verpflegung der Armen und Kranken verpflichtet. Die Ritterorden teilten sich in diese drei: in den Johanniterorden, Tempelorden und deutschen Orden. Diese Assoziationen unterschieden sich wesentlich von dem selbstsüchtigen Prinzip des Feudalwesens. Mit fast selbstmörderischer Tapferkeit opferten sich die Ritter für das Gemeinsame auf. So treten diese Orden aus dem Kreise des Vorhandenen aus und bilden ein Netz der Verbrüderung über ganz Europa. Aber auch diese Ritter sind zu den gewöhnlichen Interessen herabgesunken, und ihre Orden wurden in späterer Zeit mehr eine Versorgungsanstalt für den Adel überhaupt. Dem Tempelorden gab man sogar schuld, daß er sich eine eigne Religion gebildet und angeregt vom orientalischen Geiste in seiner Glaubenslehre Christus geleugnet habe.

Eine weitere Richtung ist nun aber die auf die Wissenschaft. Die Ausbildung des Denkens, des abstrakten Allgemeinen nahm ihren Anfang. Schon jene Verbrüderungen zu einem gemeinsamen Zwecke, dem die Glieder untergeordnet sind, weisen darauf hin, daß ein Allgemeines zu gelten anfing, welches allmählich eben zum Gefühle seiner Kraft gelangte. Es wendete sich das Denken zuerst an die Theologie, welche nunmehr Philosophie unter dem Namen der scholastischen Theologie wurde. Denn die Philosophie und Theologie haben das Göttliche zum gemeinsamen Gegenstand, und wenn die Theologie der Kirche ein festgesetztes Dogma ist, so ist nun die Bewegung entstanden, diesen Inhalt für den Gedanken zu rechtfertigen. Der berühmte Scholastiker Anselmus sagt: »Wenn man zum Glauben gekommen ist, so ist es eine Nachlässigkeit, sich nicht auch durch das Denken vom Inhalt des Glaubens zu überzeugen.« Das Denken war aber auf diese Weise nicht frei, denn der Inhalt war ein gegebener: diesen Inhalt zu beweisen war die Richtung der Philosophie. Aber das Denken führte auf eine Menge Bestimmungen, die nicht unmittelbar im Dogma ausgebildet waren, und insofern die Kirche nichts darüber festgesetzt hatte, war es erlaubt, darüber zu streiten. Die Philosophie hieß zwar eine ancilla fidei, denn sie war dem festen Inhalt des Glaubens unterworfen; aber es konnte nicht fehlen, daß auch der Gegensatz zwischen Denken und Glauben sich auftun mußte. Wie Europa allgemein das Schauspiel von Ritterkämpfen, Fehden und Turnieren darbot, so war es jetzt auch der Schauplatz des Turnierens der Gedanken. Es ist nämlich unglaublich, wie weit die abstrakten Formen des Denkens ausgeführt worden sind, und wie groß die Fertigkeit der Individuen war, sich darin zu bewegen. Am meisten wurde dieses Gedankenturnen zur Schau und zum Spiel (denn nicht über die dogmatischen Lehren selbst, sondern nur über die Formen wurde gekämpft,) in Frankreich betrieben und ausgebildet. Frankreich fing überhaupt damals an, als Mittelpunkt der Christen angesehen zu werden; von dort gingen die ersten Kreuzzüge aus, und von französischen Heeren wurden sie ausgeführt; dahin flüchteten sich die Päpste aus ihren Kämpfen mit den deutschen Kaisern und mit den neapolitanischen und sizilianischen Normannenfürsten, und dort schlugen sie eine Zeitlang ihren bleibenden Wohnsitz auf. – Wir sehen in dieser Zeit nach den Kreuzzügen auch schon Anfänge der Kunst, der Malerei; schon während derselben hatte sich eine eigentümliche Poesie hervorgebracht. Der Geist, da er keine Befriedigung finden konnte, erzeugte sich durch die Phantasie schönere Gebilde und in einer ruhigeren, freieren Weise, als sie die Wirklichkeit darbot.


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