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Drittes Kapitel
Das persische Reich und seine Bestandteile

Das persische Reich ist ein Reich im modernen Sinne, wie das ehemalige deutsche Reich und das große Kaiserreich unter Napoleon, denn es besteht aus einer Menge Staaten, die zwar in Abhängigkeit sind, die aber ihre eigne Individualität, ihre Sitten und Rechte beibehalten haben. Die allgemeinen Gesetze, denen sie alle unterworfen sind, haben ihren besonderen Zuständen keinen Eintrag getan, sondern sie sogar beschützt und erhalten, und so hat jedes dieser Völker, die das Ganze ausmachen, seine eigne Form der Verfassung. Wie das Licht alles erleuchtet, jedem eine eigentümliche Lebendigkeit erteilt, so dehnt sich die persische Herrschaft über eine Menge von Nationen aus und läßt jeder ihr Besonderes. Einige haben sogar eigne Könige, jede eine verschiedene Sprache, Bewaffnung, Lebensweise, Sitte. Dies alles besteht ruhig unter dem allgemeinen Lichte. Das persische Reich hat alle drei geographische Momente in sich, die wir früher voneinander geschieden haben. Zuerst die Hochlande von Persien und Medien, dann die Talebenen des Euphrat und Tigris, deren Bewohner sich zu einem gebildeten Kulturleben vereinigt haben, sowie Ägypten, die Talebene des Nils, wo Ackerbau, Gewerbe und Wissenschaften blühten, endlich das dritte Element, nämlich die Nationen, welche sich in die Gefahr des Meeres begeben, die Syrier, Phönizier, die Einwohner der griechischen Kolonien und griechischen Uferstaaten in Kleinasien. Persien vereinigte also die drei natürlichen Prinzipien in sich, während China und Indien der See fremd geblieben sind. Wir finden hier weder das substantielle Ganze von China noch das indische Wesen, wo eine und dieselbe Anarchie der Willkür herrscht, sondern die Regierung in Persien ist nur in ihrer allgemeinen Einheit ein Völkerverein, der die zusammengefaßten Völker frei bestehen läßt. Dadurch ist der Grausamkeit, der Wildheit Einhalt getan, mit welcher sonst die Völker sich zerstörten, und wovon das Buch der Könige und das Buch Samuel hinreichendes Zeugnis geben. Das Wehklagen und die Verwünschungen der Propheten über den Zustand vor der Eroberung geben das Elend, die Bosheit und das Wüste desselben zu erkennen, zugleich mit dem Glück, welches Cyrus über die vorderasiatische Welt brachte. Es ist den Asiaten nicht gegeben, Selbständigkeit, Freiheit, gediegene Kraft des Geistes mit Bildung, dem Interesse für mannigfaltige Beschäftigung und der Bekanntschaft mit den Bequemlichkeiten zu vereinigen; kriegerischer Mut besteht nur in Wildheit der Sitten, er ist nicht der ruhige Mut der Ordnung, und wenn der Geist sich mannigfaltigen Interessen eröffnet, so geht er sogleich zur Verweichlichung über, läßt sich sinken und macht die Menschen zu Knechten einer schwachen Sinnlichkeit.


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