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Napoleon, als er einst mit Goethe über die Natur der Tragödie sprach, meinte, daß sich die neuere von der alten wesentlich dadurch unterscheide, daß wir kein Schicksal mehr hätten, dem die Menschen unterlägen, und daß an die Stelle des alten Fatums die Politik getreten sei. Diese müsse somit als das neuere Schicksal für die Tragödie gebraucht werden, als die unwiderstehliche Gewalt der Umstände, der die Individualität sich zu beugen habe. Eine solche Gewalt ist die römische Welt, dazu auserkoren, die sittlichen Individuen in Banden zu schlagen, sowie alle Götter und alle Geister in das Pantheon der Weltherrschaft zu versammeln, um daraus ein abstrakt Allgemeines zu machen. Das eben ist der Unterschied des römischen und des persischen Prinzips, daß das erstere alle Lebendigkeit erstickt, während das letztere dieselbe im vollsten Maße bestehen ließ. Dadurch, daß es der Zweck des Staates ist, daß ihm die Individuen in ihrem sittlichen Leben aufgeopfert werden, ist die Welt in Trauer versenkt, es ist ihr das Herz gebrochen, und es ist aus mit der Natürlichkeit des Geistes, die zum Gefühle der Unseligkeit gelangt ist. Doch nur aus diesem Gefühle konnte der übersinnliche, der freie Geist im Christentum hervorgehen.
Im griechischen Prinzip haben wir die Geistigkeit in ihrer Freude, in ihrer Heiterkeit und in ihrem Genusse gesehen: der Geist hatte sich noch nicht in die Abstraktion zurückgezogen, er war noch mit dem Naturelemente, mit der Partikularität der Individuen behaftet, weswegen die Tugenden der Individuen selbst sittliche Kunstwerke wurden. Die abstrakte allgemeine Persönlichkeit war noch nicht vorhanden, denn der Geist mußte sich erst zu dieser Form der abstrakten Allgemeinheit, welche die harte Zucht über die Menschheit ausgeübt hat, bilden. Hier in Rom finden wir nunmehr diese freie Allgemeinheit, diese abstrakte Freiheit, welche einerseits den abstrakten Staat, die Politik und die Gewalt über die konkrete Individualität setzt und diese durchaus unterordnet, andrerseits dieser Allgemeinheit gegenüber die Persönlichkeit erschafft, – die Freiheit des Ichs in sich, welche wohl von der Individualität unterschieden werden muß. Denn die Persönlichkeit macht die Grundbestimmung des Rechts aus: sie tritt hauptsächlich im Eigentum ins Dasein, ist aber gleichgültig gegen die konkreten Bestimmungen des lebendigen Geistes, mit denen es die Individualität zu tun hat. Diese beiden Momente, welche Rom bilden, die politische Allgemeinheit für sich und die abstrakte Freiheit des Individuums in sich selbst, sind zunächst in der Form der Innerlichkeit selbst befaßt. Diese Innerlichkeit, dieses Zurückgehen in sich selbst, welches wir als das Verderben des griechischen Geistes gesehen, wird hier der Boden, auf welchem eine neue Seite der Weltgeschichte aufgeht. Es ist bei der Betrachtung der römischen Welt nicht um ein konkret geistiges, in sich reiches Leben zu tun; sondern das weltgeschichtliche Moment darin ist das Abstraktum der Allgemeinheit, und der Zweck, der mit geist- und herzloser Härte verfolgt wird, ist die bloße Herrschaft, um jenes Abstraktum geltend zu machen.
In Griechenland war die Demokratie die Grundbestimmung des politischen Lebens, wie im Orient der Despotismus; hier ist es nun die Aristokratie, und zwar eine starre, die dem Volke gegenübersteht. Auch in Griechenland hat sich die Demokratie, aber nur in Weise der Faktionen, entzweit; in Rom sind es Prinzipien, die das Ganze geteilt halten, sie stehen einander feindselig gegenüber und kämpfen miteinander: erst die Aristokratie mit den Königen, dann die Plebs mit der Aristokratie, bis die Demokratie die Oberhand gewinnt; da erst entstehen Faktionen, aus welchen jene spätere Aristokratie großer Individuen hervorging, welche die Welt bezwungen hat. Dieser Dualismus ist es, der eigentlich Roms innerstes Wesen bedeutet.
Die Gelehrsamkeit hat die römische Geschichte von vielerlei Gesichtspunkten aus betrachtet und sehr verschiedene und entgegengesetzte Ansichten aufgestellt, namentlich gilt dieses von der älteren römischen Geschichte, die von drei verschiedenen Klassen von Gelehrten bearbeitet worden ist, von Geschichtschreibern, Philologen und Juristen. Die Geschichtschreiber halten sich an die großen Züge und achten die Geschichte als solche, so daß man sich bei ihnen noch am besten zurechtfindet, da sie entschiedene Begebenheiten gelten lassen. Ein andres ist es mit den Philologen, bei denen die allgemeinen Traditionen weniger bedeuten, und die mehr auf Einzelheiten, welche auf mannigfache Weise kombiniert werden können, gehen. Diese Kombinationen gelten zuerst als historische Hypothesen und bald darauf als ausgemachte Fakta. In nicht geringerem Grade, wie die Philologen, haben die Juristen bei Gelegenheit des römischen Rechts das Kleinlichste untersucht und mit Hypothesen vermischt. Das Resultat war, daß man die älteste römische Geschichte ganz und gar für Fabel erklärte, wodurch dieses Gebiet nun durchaus der Gelehrsamkeit anheimfiel, die da immer am breitesten sich ausdehnt, wo am wenigsten zu holen ist. Wenn einerseits die Poesie und die Mythen der Griechen tiefe geschichtliche Wahrheiten enthalten sollen und in Geschichte übersetzt werden, so zwingt man dagegen die Römer, Mythen, poetische Anschauungen zu haben, und dem bisher als prosaisch und geschichtlich Angenommenen sollen Epopöen zugrunde liegen.
Wir gehen nach diesen Vorerinnerungen zur Beschreibung der Lokalität über.
Die römische Welt hat ihren Mittelpunkt in Italien, welches Griechenland ganz ähnlich ist, eine Halbinsel wie dieses ausmacht, nur nicht so eingeschnitten sich darstellt. In diesem Lande bildete die Stadt Rom selber den Mittelpunkt des Mittelpunkts. Napoleon kommt in seinen Memoiren auf die Frage, welche Stadt, wenn Italien selbständig wäre und ein Ganzes ausmachte, sich am besten zur Hauptstadt eigne. Rom, Venedig, Mailand können Ansprüche machen; aber es zeigt sich sogleich, daß keine dieser Städte einen Mittelpunkt abgeben würde. Das nördliche Italien bildet einen Bassin des Po und ist ganz verschieden von der eigentlichen Halbinsel; Venedig greift nur in Oberitalien, nicht in den Süden ein, und Rom kann andrerseits wohl für Mittel- und Unteritalien ein Mittelpunkt sein, aber nur künstlich und gewaltsam für die Länder, die ihm in Oberitalien unterworfen waren. Der römische Staat beruht geographisch wie auch historisch auf dem Momente der Gewaltsamkeit.
Die Lokalität von Italien stellt also keine Einheit der Natur wie das Niltal vor; die Einheit war eine solche, wie sie etwa Makedonien durch seine Herrschaft Griechenland gegeben hat, doch ermangelte Italien jener geistigen Durchdringung, die Griechenland durch Gleichheit der Bildung besaß, denn es wurde von sehr verschiedenen Völkern bewohnt. Niebuhr hat seiner römischen Geschichte eine sehr gelehrte Abhandlung über die Völker Italiens vorangeschickt, woraus aber kein Zusammenhang derselben mit der römischen Geschichte ersichtlich ist. Überhaupt muß Niebuhrs Geschichte nur als eine Kritik der römischen Geschichte betrachtet werden, denn sie besteht aus einer Reihe von Abhandlungen, die keineswegs die Einheit der Geschichte haben.
Wir haben als allgemeines Prinzip der römischen Welt die subjektive Innerlichkeit gesehen. Der Gang der römischen Geschichte ist daher, daß die innere Verschlossenheit, die Gewißheit seiner in sich selbst, zur Äußerlichkeit der Realität gedeiht. Das Prinzip der subjektiven Innerlichkeit hat Erfüllung und Inhalt zunächst nur von außen, durch den partikularen Willen der Herrschaft, der Regierung usf. Die Entwicklung besteht in der Reinigung der Innerlichkeit zur abstrakten Persönlichkeit, welche im Privateigentum sich die Realität gibt, und die spröden Personen können dann nur durch despotische Gewalt zusammengehalten werden. Dies ist der allgemeine Gang der römischen Welt: der Übergang vom heiligen Innern zum Entgegengesetzten. Die Entwicklung ist hier nicht derart, wie in Griechenland, daß das Prinzip nur seinen Inhalt entfalte und auseinanderbreite; sondern sie ist Übergang zum Entgegengesetzten, welches nicht als Verderben eintritt, sondern durch das Prinzip selbst gefordert und gesetzt ist. – Was nun die bestimmten Unterschiede der römischen Geschichte betrifft, so ist die gewöhnliche Einteilung die von Königtum, Republik und Kaiserreich, als ob in diesen Formen verschiedene Prinzipien hervorträten; aber diesen Formen der Entwicklung liegt dasselbe Prinzip des römischen Geistes zugrunde. Wir müssen vielmehr bei der Einteilung den welthistorischen Gang ins Auge fassen. Es sind schon früher die Geschichten jedes welthistorischen Volkes in drei Perioden abgeteilt worden, und diese Angabe muß sich auch hier bewahrheiten. Die erste Periode begreift die Anfänge Roms, worin die im Wesen entgegengesetzten Bestimmungen noch in ruhiger Einheit schlafen, bis die Gegensätze in sich erstarken und die Einheit des Staates dadurch die kräftige wird, daß sie den Gegensatz in sich geboren und als bestehend hat. Mit dieser Kraft wendet sich der Staat nach außen, in der zweiten Periode, und betritt das welthistorische Theater; hier liegt die schönste Zeit Roms, die Punischen Kriege und die Berührung mit dem früheren welthistorischen Volk. Es tut sich ein weiterer Schauplatz gegen Osten auf; die Geschichte zur Zeit dieser Berührung hat der edle Polybius behandelt. Das römische Reich bekam nunmehr die welterobernde Ausdehnung, welche seinen Verfall vorbereitete. Die innere Zerrüttung trat ein, indem der Gegensatz sich zum Widerspruch in sich und zur völligen Unverträglichkeit entwickelte; sie endigt mit dem Despotismus, der die dritte Periode bezeichnet. Die römische Macht erscheint hier prächtig, glänzend, zugleich aber ist sie tief in sich gebrochen, und die christliche Religion, die mit dem Kaiserreiche beginnt, erhält eine große Ausdehnung. In die dritte Periode fällt zuletzt noch die Berührung mit dem Norden und den germanischen Völkern, welche nun welthistorisch werden sollen.