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Übergang zur griechischen Welt

Nach allen Seiten hin hat sich der ägyptische Geist als beschlossen in seinen Partikularitäten, als gleichsam tierisch fest darin gezeigt, aber ebenso im unendlichen Drange sich darin bewegend und herumwerfend von der einen in die andre. Es geschieht nicht, daß dieser Geist sich zum Allgemeinen und Höheren erhebe, denn er ist gleichsam erblindet für dasselbe, auch nicht, daß er in sein Inneres zurückgehe; aber er symbolisiert frei und keck mit dem Partikularen und ist desselben schon mächtig. Es kommt nun bloß darauf an, die Partikularität, die an sich schon ideell ist, auch als ideell zu setzen und das Allgemeine, das an sich schon frei ist, selbst zu fassen. Der freie heitere Geist Griechenlands ist es, welcher dieses vollbringt und daraus hervorgeht. – Ein ägyptischer Priester hat gesagt, daß die Griechen ewig nur Kinder bleiben; umgekehrt können wir sagen, die Ägypter seien die kräftigen, in sich drängenden Knaben, welche nichts als der Klarheit über sich, der ideellen Form nach, bedürfen, um Jünglinge zu werden. Im orientalischen Geiste bleibt als Grundlage die gediegene Substantialität des in die Natur versenkten Geistes; dem ägyptischen Geiste ist, obzwar ebenso noch in unendlicher Befangenheit, doch die Unmöglichkeit geworden, es in ihr auszuhalten. Die derbe afrikanische Natur hat jene Einheit auseinander getrieben und hat die Aufgabe gefunden, deren Lösung der freie Geist ist.

Daß aber vor dem Bewußtsein der Ägypter ihr Geist selbst in Form einer Aufgabe gewesen ist, darüber können wir uns auf die berühmte Inschrift des Allerheiligsten der Göttin Neïth zu Sais berufen: »Ich bin, was da ist, was war und sein wird: niemand hat meine Hülle gelüftet.« Hierin ist ausgesprochen, was der ägyptische Geist sei, obgleich man oft die Meinung gehabt hat, es gelte dieser Satz für alle Zeiten. Vom Proklus wird hier noch der Zusatz angegeben: »die Frucht, die ich gebar, ist Helios«. Das sich selbst Klare also ist das Resultat jener Aufgabe und die Lösung. Dieses Klare ist der Geist, der Sohn der Neïth, der verborgenen nächtlichen Gottheit. In der ägyptischen Neïth ist die Wahrheit noch verschlossen, der griechische Apoll ist die Lösung; sein Ausspruch ist: Mensch erkenne dich selbst. In diesem Spruche ist nicht etwa die Selbsterkenntnis der Partikularitäten seiner Schwächen und Fehler gemeint; es ist nicht der partikulare Mensch, der seine Besonderheit erkennen soll, sondern der Mensch überhaupt soll sich selbst erkennen. Dieses Gebot ist für die Griechen gegeben, und im griechischen Geist stellt sich das Menschliche in seiner Klarheit und in der Herausbildung desselben dar. Wunderbar muß uns nun die griechische Erzählung überraschen, welche berichtet, daß die Sphinx, das ägyptische Gebilde, in Theben erschienen sei, und zwar mit den Worten: »Was ist das, was morgens auf vier Beinen geht, mittags auf zweien und abends auf dreien?« Ödipus mit der Lösung, daß dies der Mensch sei, stürzte die Sphinx vom Felsen. Die Lösung und Befreiung des orientalischen Geistes, der sich in Ägypten bis zur Aufgabe gesteigert hat, ist allerdings dies: daß das Innere der Natur der Gedanke ist, der nur im menschlichen Bewußtsein seine Existenz hat. Aber diese alte Lösung durch Ödip, der sich so als Wissender zeigt, ist mit ungeheurer Unwissenheit verknüpft über das, was er selbst tut. Der Aufgang geistiger Klarheit in dem alten Königshause ist noch mit Greueln aus Unwissenheit gepaart, und diese erste Herrschaft der Könige muß sich erst, um zu wahrem Wissen und sittlicher Klarheit zu werden, durch bürgerliche Gesetze und politische Freiheit gestalten und zum schönen Geist versöhnen.

Der innere Übergang zu Griechenland oder der nach dem Begriffe macht sich so vom ägyptischen Geiste aus; Ägypten aber ist eine Provinz des großen persischen Reichs geworden, und der geschichtliche Übergang tritt bei der Berührung der persischen und griechischen Welt ein. Wir sind hier zum erstenmal bei einem geschichtlichen Übergang, das heißt, bei einem untergegangenen Reich. China und Indien sind, wie wir schon gesagt haben, geblieben, Persien nicht; der Übergang zu Griechenland ist zwar innerlich, hier aber wird er auch äußerlich, als Übergang der Herrschaft, eine Tatsache, die von nun an immer wieder eintritt. Denn die Griechen übergeben den Römern den Herrscherstab und die Kultur, und die Römer werden von den Germanen unterworfen. Betrachten wir dieses Übergehen näher, so fragt sich zum Beispiel sogleich bei Persien, warum es sank, während China und Indien dauern. Zuvörderst muß hier das Vorurteil entfernt werden, als wenn die Dauer gegen das Vergehen gehalten, etwas Vortrefflicheres wäre: die unvergänglichen Berge sind nicht vorzüglicher als die schnell entblätterte Rose in ihrem verduftenden Leben. In Persien beginnt das Prinzip des freien Geistes gegen die Natürlichkeit, und diese natürliche Existenz also blüht ab, sinkt hin; das Prinzip der Trennung von der Natur liegt im persischen Reiche, und es steht daher höher als jene im Natürlichen versenkten Welten. Die Notwendigkeit des Fortschreitens hat sich dadurch aufgetan, der Geist hat sich erschlossen und muß sich vollbringen. Der Chinese hat erst als Verstorbener Geltung; der Inder tötet sich selbst, versenkt sich in Brahm, ist lebendig tot im Zustande vollendeter Bewußtlosigkeit oder ist gegenwärtiger Gott durch die Geburt; da ist keine Veränderung, kein Fortschreiten gesetzt, denn der Fortgang ist nur möglich durch das Hinstellen der Selbständigkeit des Geistes. Mit dem Lichte der Perser beginnt die geistige Anschauung, und in derselben nimmt der Geist Abschied von der Natur. Daher finden wir auch hier zuerst, was schon oben bemerkt werden mußte, daß die Gegenständlichkeit frei bleibt, das heißt, daß die Völker nicht unterjocht, sondern in ihrem Reichtum, ihrer Verfassung, ihrer Religion belassen werden. Und zwar ist dies die Seite, in welcher eben Persien gegen Griechenland sich schwach erweist. Denn wir sehen, daß die Perser kein Reich mit vollendeter Organisation errichten konnten, daß sie ihr Prinzip nicht in die eroberten Länder einbildeten und daraus kein Ganzes, sondern nur ein Aggregat der verschiedensten Individualitäten hervorbrachten. Die Perser haben bei diesen Völkern keine innerliche Legitimität erhalten; sie haben ihre Rechte und Gesetze nicht geltend gemacht, und als sie sich selbst eine Ordnung gaben, sahen sie nur auf sich und nicht auf die Größe ihres Reiches. Indem auf diese Weise Persien nicht politisch ein Geist war, erschien es gegen Griechenland schwach. Nicht die Weichlichkeit der Perser (obgleich sie Babylon wohl schwächte) ließ sie sinken, sondern das Massenhafte, Unorganisierte ihres Heeres gegen die griechische Organisation, das heißt, das höhere Prinzip überwand das untergeordnete. Das abstrakte Prinzip der Perser erschien in seinem Mangel als unorganisierte, nicht konkrete Einheit disparater Gegensätze, worin die persische Lichtanschauung neben syrischem Genuß- und Wohlleben, neben der Betriebsamkeit und dem Mut der erwerbenden und den Gefahren der See trotzenden Phönizier, neben der Abstraktion des reinen Gedankens der jüdischen Religion und dem inneren Drange Ägyptens bestand, – ein Aggregat von Elementen, die ihre Idealität erwarteten und diese nur in der freien Individualität erhalten konnten. Die Griechen sind als das Volk anzusehen, in welchem diese Elemente ihre Durchdringung erhielten, indem der Geist sich in sich vertiefte, über die Partikularitäten siegte und dadurch sich selbst befreite.


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