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Erstes Kapitel
Die Elemente des römischen Geistes

Ehe wir an die römische Geschichte gehen, haben wir die Elemente des römischen Geistes im allgemeinen zu betrachten und in dieser Beziehung zuvörderst von der Entstehung Roms zu sprechen und dieselbe zu untersuchen. Rom ist außer Landes entstanden, nämlich in einem Winkel, wo drei verschiedene Gebiete, das der Lateiner, Sabiner und Etrusker, zusammenstießen; es hat sich nicht aus einem alten Stamme, einem natürlich patriarchalisch zusammengehörenden, dessen Ursprung sich in alte Zeiten verliefe, gebildet (wie es etwa bei den Persern der Fall gewesen, die doch auch dann über ein großes Reich geherrscht haben); sondern Rom war von Hause aus etwas Gemachtes, Gewaltsames, nichts Ursprüngliches. Es wird erzählt, die Abkömmlinge der von Äneas nach Italien geführten Trojaner hätten Rom gegründet, denn der Zusammenhang mit Asien ist etwas sehr Beliebtes gewesen, und es gibt in Italien, Frankreich und Deutschland selbst (Xanten) manche Städte, die ihren Ursprung oder Namen auf die geflüchteten Trojaner zurückleiten. Livius spricht von den alten Tribus in Rom, den Ramnenses, Titienses und Luceres; wenn man nun diese als verschiedene Nationen ansehen und behaupten will, daß sie eigentlich die Elemente seien, aus denen Rom gebildet wäre, – eine Ansicht, die in neueren Zeiten sich sehr oft hat geltend machen wollen –, so wirft man geradezu um, was durch die Geschichte überliefert ist. Alle Geschichtschreiber stimmen darin überein, daß schon früh auf den Hügeln Roms Hirten unter Oberhäuptern herumgestreift seien, daß das erste Zusammensein Roms sich als Räuberstaat konstituiert habe, und daß mit Mühe die zerstreuten Bewohner der Umgegend zu einem gemeinsamen Leben seien vereinigt worden. Es wird auch das Nähere aller dieser Umstände angegeben. Jene räuberischen Hirten nahmen alles auf, was sich zu ihnen schlagen wollte (Livius nennt es eine colluvies); aus allen drei Gebieten, zwischen welchen Rom lag, hat sich das Gesindel der neuen Stadt versammelt. Die Geschichtschreiber geben an, daß dieser Punkt auf einem Hügel am Flusse sehr wohl gewählt war und sehr geeignet, ihn zum Asyl für alle Verbrecher zu machen. Ebenso geschichtlich ist es, daß in dem neugebildeten Staate keine Weiber vorhanden waren, und daß die benachbarten Staaten keine connubia mit ihm eingehen wollten: beide Umstände charakterisieren ihn als eine Räuberverbindung, mit der die andern Staaten keine Gemeinschaft haben mochten. Auch schlugen sie die Einladung zu den gottesdienstlichen Festen aus, und nur die Sabiner, ein einfaches landbauendes Volk, bei denen, wie Livius sagt, eine tristis atque tetrica superstitio herrschte, haben sich teils aus Aberglauben, teils aus Furcht dabei eingefunden. Der Raub der Sabinerinnen ist dann ein allgemein angenommenes geschichtliches Faktum. Es liegt darin schon der sehr charakteristische Zug, daß die Religion als Mittel zum Zweck des jungen Staates gebraucht wird. Eine andre Weise der Erweiterung ist die, daß die Einwohner benachbarter und eroberter Städte nach Rom geschleppt wurden. Auch später noch kamen Fremde freiwillig nach Rom, wie die so berühmt gewordene Familie der Claudier mit ihrer ganzen Klientel. Der Korinther Demaratus aus einer ansehnlichen Familie hatte sich in Etrurien niedergelassen, wurde aber da als Verbannter und Fremder wenig geachtet; sein Sohn Lucumo konnte diese Unwürdigkeit nicht länger ertragen, er begab sich nach Rom, sagt Livius, weil da ein neues Volk und eine repentina atque ex virtute nobilitas wäre. Lucumo gelangte auch sogleich zu solchem Ansehen, daß er nachher König wurde.

Diese Stiftung des Staates ist es, welche als die wesentliche Grundlage für die Eigentümlichkeit Roms angesehen werden muß. Denn sie führt unmittelbar die härteste Disziplin mit sich, sowie die Aufopferung für den Zweck des Bundes. Ein Staat, der sich selbst erst gebildet hat und auf Gewalt beruht, muß mit Gewalt zusammengehalten werden. Es ist da nicht ein sittlicher, liberaler Zusammenhang, sondern ein gezwungener Zustand der Subordination, der sich aus solchem Ursprunge herleitet. Die römische virtus ist die Tapferkeit, aber nicht bloß die persönliche, sondern die sich wesentlich im Zusammenhang der Genossen zeigt, welcher Zusammenhang für das Höchste gilt und mit aller Gewalttätigkeit verknüpft sein kann. Wenn nun die Römer so einen geschlossenen Bund bildeten, so waren sie zwar nicht, wie die Lakedämonier, im inneren Gegensatz mit einem eroberten und unterdrückten Volk; aber es tat sich in ihnen der Unterschied und der Kampf der Patrizier und Plebejer hervor. Dieser Gegensatz ist schon mythisch angedeutet in den feindlichen Brüdern, Romulus und Remus. Remus ist auf dem Aventinischen Berg begraben; dieser ist den üblen Genien geweiht, und dorthin gehen die Sezessionen der Plebs. Es ist nun die Frage, wie sich dieser Unterschied gemacht habe. Es ist schon gesagt worden, daß Rom sich durch räuberische Hirten und den Zusammenlauf von allerlei Gesindel bildete; später wurden auch noch die Bewohner genommener und zerstörter Städte dahin geschleppt. Die Schwächeren, Ärmeren, die später Hinzugekommenen sind notwendig im Verhältnis der Geringschätzung und Abhängigkeit gegen die, welche ursprünglich den Staat begründet hatten, und die, welche sich durch Tapferkeit und auch durch Reichtum auszeichneten. Man hat also nicht nötig, zu einer in neuerer Zeit beliebten Hypothese seine Zuflucht zu nehmen, daß die Patrizier ein eigner Stamm gewesen seien.

Die Abhängigkeit der Plebejer von den Patriziern wird oft als eine vollkommen gesetzliche dargestellt, ja als eine heilige, weil die Patrizier die sacra in den Händen gehabt hätten, die Plebs aber gleichsam götterlos gewesen wäre. Die Plebejer haben den Patriziern ihren heuchlerischen Kram ( ad decipiendam plebem. Cic.) gelassen und sich nichts aus ihren sacris und Augurien gemacht; wenn sie aber die politischen Rechte von denselben abtrennten und an sich rissen, so haben sie sich damit ebensowenig einer frevelhaften Verletzung des Heiligen schuldig gemacht als die Protestanten, da sie die politische Staatsgewalt befreiten und die Gewissensfreiheit behaupteten. Man muß, wie gesagt, das Verhältnis der Patrizier und Plebejer so ansehen, daß die Armen und darum Hilflosen gezwungen waren, sich an die Reicheren und Angeseheneren anzuschließen und ihr patrocinium nachzusuchen; in diesem Schutzverhältnis der Reicheren heißen die Geschützten Klienten. Man findet aber sehr bald auch wieder die plebs von den Klienten unterschieden. Bei den Zwistigkeiten zwischen den Patriziern und Plebejern hielten sich die Klienten an ihre Patrone, obgleich sie ebensogut zur plebs gehörten. Daß dieses Verhältnis der Klienten kein rechtliches, gesetzliches Verhältnis war, das geht daraus hervor, daß mit der Einführung und Kenntnis der Gesetze durch alle Stände das Klientel-Verhältnis allmählich verschwand, denn sobald die Individuen Schutz am Gesetze fanden, mußte jene augenblickliche Not aufhören.

In dem Räuberanfang des Staates war notwendig jeder Bürger Soldat, denn der Staat beruhte auf dem Krieg; diese Last war drückend, da jeder Bürger sich im Kriege selber unterhalten mußte. Es führte dieser Umstand nun eine ungeheure Verschuldung herbei, in welche die Plebs gegen die Patrizier verfiel. Mit der Einführung der Gesetze mußte auch dieses willkürliche Verhältnis nach und nach aufhören; denn es fehlte viel, daß die Patrizier sogleich geneigt gewesen wären, die Plebs aus dem Verhältnisse der Hörigkeit zu entlassen, vielmehr sollte noch immer die Abhängigkeit zu ihren Gunsten bestehen. Die Gesetze der zwölf Tafeln enthielten noch viel Unbestimmtes, der Willkür des Richters war noch sehr viel überlassen; Richter aber waren nur die Patrizier; und so dauert denn der Gegensatz zwischen Patriziern und Plebejern noch lange fort. Allmählich erst ersteigen die Plebejer alle Höhen und gelangen zu den Befugnissen, die früher allein den Patriziern zustanden.

Im griechischen Leben, wenn es auch nicht aus dem patriarchalischen Verhältnis hervorgegangen ist, war doch Familienliebe und Familienband in seinem ersten Ursprung vorhanden, und der friedliche Zweck des Zusammenseins hatte die Austilgung der Räuber zur See und zu Lande zur Bedingung. Die Stifter Roms dagegen, Romulus und Remus, sind, nach der Sage, selbst Räuber und von Anfang aus der Familie ausgestoßen und nicht in der Familienliebe groß geworden. Ebenso haben die ersten Römer ihre Frauen nicht durch freies Werben und Zuneigung, sondern durch Gewalt erlangt. Dieser Anfang des römischen Lebens in verwilderter Roheit, mit Ausschluß der Empfindungen der natürlichen Sittlichkeit, bringt das eine Element desselben mit sich, die Härte gegen das Familienverhältnis, eine selbstische Härte, welche die Grundbestimmungen der römischen Sitten und Gesetze für die Folge ausmachte. Wir finden also bei den Römern das Familienverhältnis nicht als ein schönes freies Verhältnis der Liebe und der Empfindung, sondern an die Stelle des Zutrauens tritt das Prinzip der Härte, der Abhängigkeit und der Unterordnung. Die Ehe hatte eigentlich in ihrer strengen und förmlichen Gestalt ganz die Art und Weise eines dinglichen Verhältnisses; die Frau gehörte in den Besitz des Mannes ( in manum conventio), und die Heiratszeremonie beruhte auf einer coemtio, in der Form, wie sie auch bei jedem andern Kaufe vorkommen konnte. Der Mann bekam ein Recht über seine Frau, wie über seine Tochter, nicht minder über ihr Vermögen, und alles, was sie erwarb, erwarb sie ihrem Mann. In den guten Zeiten der Republik wurden die Ehen auch durch eine religiöse Zeremonie, die confarreatio, geschlossen, die aber später unterlassen wurde. Nicht mindere Gewalt als durch die coemtio erlangte der Mann, wenn er auf dem Wege des usus heiratete, das heißt, wenn die Frau im Hause des Mannes blieb, ohne in einem Jahre ein trinoctium abwesend zu sein. Hatte der Mann nicht in einer der Formen der in manum conventio geheiratet, so blieb die Frau entweder in der väterlichen Gewalt oder unter der Vormundschaft ihrer Agnaten, und sie war dem Manne gegenüber frei, Ehre und Würde erlangte also die römische Matrone nur durch die Unabhängigkeit vom Manne, statt daß durch den Mann und durch die Ehe selbst die Frau ihre Ehre haben soll. Wollte der Mann nach dem freieren Rechte, wenn nämlich die Ehe nicht durch die confarreatio geheiligt war, sich von der Frau scheiden lassen, so schickte er sie eben fort. – Das Verhältnis der Söhne war ganz ähnlich: sie waren einerseits der väterlichen Gewalt ungefähr ebenso unterworfen wie die Frau der ehelichen; sie konnten kein Eigentum haben, und es machte keinen Unterschied, ob sie im Staate ein hohes Amt bekleideten oder nicht (nur die peculia castrensia und adventitia begründen hier einen Unterschied), andrerseits aber waren sie, wenn sie emanzipiert wurden, außer allem Zusammenhang mit ihrem Vater und ihrer Familie. Als Zeichen, wie hier das kindliche Verhältnis mit dem sklavischen zusammengestellt wurde, kann wohl die imaginaria servitus (mancipium) dienen, durch welche die emanzipierten Kinder zu passieren hatten. – In Beziehung auf die Erbschaft wäre eigentlich das Sittliche, daß die Kinder die Erbschaft auf gleiche Weise teilen. Bei den Römern tritt aber dagegen die Willkür des Testierens in schroffster Gestalt hervor.

So entartet und entsittlicht sehen wir hier die Grundverhältnisse der Sittlichkeit. Der unsittlichen aktiven Härte der Römer nach dieser Privatseite entspricht notwendig die passive Härte ihres Verbandes zum Staatszweck. Für die Härte, welche der Römer im Staate erlitt, war er entschädigt durch dieselbe Härte, welche er nach seiten seiner Familie genoß, – Knecht auf der einen Seite, Despot auf der andern. Dies macht die römische Größe aus, deren Eigentümlichkeit die harte Starrheit in der Einheit der Individuen mit dem Staate, mit dem Staatsgesetz und Staatsbefehl war. Um von diesem Geist eine nähere Anschauung zu erhalten, muß man nicht nur die Handlungen der römischen Helden, wenn sie als Soldaten oder Feldherren gegen den Feind stehen oder als Gesandte auftreten, vor Augen haben, wie sie hier mit ganzem Sinn und Gedanken nur dem Staat und seinem Befehle, ohne Wanken und Weichen, angehören, sondern vornehmlich auch das Betragen der Plebs in Zeiten der Aufstände gegen die Patrizier. Wie oft ist die Plebs im Aufstande und in der Auflösung der gesetzlichen Ordnung durch das bloß Formelle wieder zur Ruhe gebracht und um die Erfüllung ihrer gerechten und ungerechten Forderungen getäuscht worden! Wie oft ist vom Senat z. B. ein Diktator gewählt worden, wo weder Krieg noch Feindesnot war, um die Plebejer zu Soldaten auszuheben und sie durch den militärischen Eid zum strengen Gehorsam zu verpflichten! Licinius hat zehn Jahre gebraucht, um Gesetze, die der Plebs günstig waren, durchzusetzen; durch das Formelle des Widerspruchs andrer Tribunen hat sie sich zurückhalten lassen, und noch geduldiger hat sie die verzögerte Ausführung dieser Gesetze erwartet. Man kann fragen, wodurch ist solcher Sinn und Charakter hervorgebracht worden? Hervorbringen läßt er sich nicht, sondern er liegt, seinem Grundmoment nach, in jener Entstehung aus der ersten Räubergesellschaft und dann in der mitgebrachten Natur der darin vereinigten Völker, endlich in der Bestimmtheit des Weltgeistes, der an der Zeit war. Die Elemente des römischen Volkes waren etruskische, lateinische, sabinische; diese mußten die innere natürliche Befähigung zum römischen Geiste enthalten. Von dem Geiste, dem Charakter und Leben der altitalischen Völker wissen wir sehr wenig, – Dank sei es der Geistlosigkeit der römischen Geschichtschreibung –, und das wenige zumeist durch die Griechen, welche über die römische Geschichte geschrieben haben. Von dem allgemeinen Charakter der Römer aber können wir sagen, daß gegen jene erste wilde Poesie und Verkehrung alles Endlichen im Orient, gegen die schöne harmonische Poesie und gleichschwebende Freiheit des Geistes der Griechen, hier bei den Römern die Prosa des Lebens eintritt, das Bewußtsein der Endlichkeit für sich, die Abstraktion des Verstandes und die Härte der Persönlichkeit, welche die Sprödigkeit selbst nicht in der Familie zu natürlicher Sittlichkeit ausweitet, sondern das gemüt- und geistlose Eins bleibt und in abstrakter Allgemeinheit die Einheit dieser Eins setzt.

Diese äußerste Prosa des Geistes finden wir in der etruskischen Kunst, welche bei vollkommener Technik und naturgetreuer Ausführung aller griechischen Idealität und Schönheit ermangelt; wir sehen sie dann weiter in der Ausbildung des römischen Rechts und in der römischen Religion.

Dem unfreien, geist- und gemütlosen Verstand der römischen Welt haben wir den Ursprung und die Ausbildung des positiven Rechts zu verdanken. Wir haben nämlich früher gesehen, wie im Orient an sich sittliche und moralische Verhältnisse zu Rechtsgeboten gemacht wurden; selbst bei den Griechen war die Sitte zugleich juristisches Recht, und ebendarum war die Verfassung von Sitte und Gesinnung ganz abhängig und hatte noch nicht die Festigkeit in sich gegen das wandelbare Innere und die partikulare Subjektivität. Die Römer haben nun diese große Trennung vollbracht und ein Rechtsprinzip erfunden, das äußerlich, d. h. gesinnungslos und gemütlos ist. Wenn sie uns damit ein großes Geschenk, der Form nach, gemacht haben, so können wir uns dessen bedienen und es genießen, ohne zum Opfer dieses dürren Verstandes zu werden, ohne es für sich als ein Letztes der Weisheit und der Vernunft anzusehen. Sie sind die Opfer gewesen, die darin gelebt, aber für andre haben sie eben damit die Freiheit des Geistes gewonnen, nämlich die innere Freiheit, die dadurch von jenem Gebiete des Endlichen und des Äußerlichen frei geworden ist. Geist, Gemüt, Gesinnung, Religion haben nun nicht mehr zu befürchten, mit jenem abstrakt juristischen Verstande verwickelt zu werden. Auch die Kunst hat ihre äußerliche Seite; wenn in der Kunst das mechanische Handwerk ganz für sich fertig geworden, so kann die freie Kunst erstehen und sich ausüben. Aber die sind zu beklagen, welche von nichts als dem Handwerk gewußt und nichts weiter gewollt haben; so wie die zu beklagen wären, welche, wenn die Kunst erstanden, noch immer das Handwerk als das Höchste ansehen würden.

Wir sehen die Römer so gebunden im abstrakten Verstande der Endlichkeit. Dies ist ihre höchste Bestimmung und daher auch ihr höchstes Bewußtsein, in der Religion. In der Tat war die Gebundenheit die Religion der Römer, da sie hingegen bei den Griechen Heiterkeit der freien Phantasie war. Wir sind gewohnt, griechische und römische Religion als dasselbe anzusehen, und brauchen die Namen Jupiter, Minerva usf. oft ohne Unterschied von den griechischen wie römischen Gottheiten. Dies geht insofern an, als die griechischen Götter mehr oder weniger bei den Römern eingeführt waren; aber so wenig die ägyptische Religion darum die griechische gewesen ist, weil Herodot und die Griechen sich die ägyptischen Gottheiten unter den Namen Latona, Pallas usf. kenntlich machen, so wenig ist die römische Religion die griechische. Es ist gesagt worden, daß in der griechischen Religion der Schauer der Natur zu etwas Geistigem, zu einer freien Anschauung und zu einer geistigen Phantasiegestalt herausgebildet worden ist, daß der griechische Geist nicht bei der inneren Furcht stehen geblieben ist, sondern das Verhältnis der Natur zu einem Verhältnis der Freiheit und Heiterkeit gemacht hat. Die Römer dagegen sind bei einer stummen und stumpfen Innerlichkeit geblieben, und damit war das Äußerliche ein Objekt, ein Andres, ein Geheimes. Der so bei der Innerlichkeit stehen gebliebene römische Geist kam in das Verhältnis der Gebundenheit und Abhängigkeit, wohin schon der Ursprung des Wortes religio (lig-are) deutet. Der Römer hatte immer mit einem Geheimen zu tun, in allem glaubte und suchte er ein Verhülltes, und während in der griechischen Religion alles offen, klar, gegenwärtig für Sinn und Anschauung, nicht ein Jenseits, sondern ein Freundliches, ein Diesseits ist, stellt sich bei den Römern alles als ein Mysteriöses und Gedoppeltes dar: sie sahen in dem Gegenstand zuerst ihn selbst und dann auch noch das, was in ihm verborgen liegt, ihre ganze Geschichte kommt aus diesem Gedoppelten nicht heraus. Die Römerstadt hatte außer ihrem eigentlichen Namen noch einen geheimen, den nur wenige kannten. Man glaubt, es sei Valentia, die lateinische Übersetzung von Roma, gewesen, andre meinen, es sei Amor ( Roma rückwärts gelesen). Romulus, der Begründer des Staates, hatte auch noch einen heiligen Namen: Quirinus, unter dem er verehrt wurde; die Römer hießen so auch noch Quiriten. (Dieser Name hängt mit dem Worte curia zusammen; in der Ableitung ist man sogar auf die sabinische Stadt Cures gekommen.)

Bei den Römern blieb der religiöse Schauer unentwickelt, ist in die subjektive Gewißheit seiner selbst eingeschlossen. Das Bewußtsein hat sich daher keine geistige Gegenständlichkeit gegeben und sich nicht zur theoretischen Anschauung der ewig göttlichen Natur und zur Befreiung in ihr erhoben; es hat keinen religiösen Inhalt für sich aus dem Geiste gewonnen. Die leere Subjektivität des Gewissens legt sich bei dem Römer in alles, was er tut und vornimmt, in seine Verträge, Staatsverhältnisse, Pflichten, Familienverhältnisse usf.; und alle diese Verhältnisse erhalten dadurch nicht bloß die Sanktion des Gesetzlichen, sondern gleichsam die Feierlichkeit des Eidlichen. Die unendliche Menge von Zeremonien bei den Komitien, bei Antritt der Ämter usf., sind die Äußerungen und Erklärungen über dieses feste Band. Überall spielen die sacra eine höchst wichtige Rolle. Das Unbefangenste bildete sich alsobald zu einem sacrum und versteinerte gleichsam zu demselben. Dahin gehört z. B. bei den strengen Ehen die confarreatio, ferner die Augurien und Auspizien. Die Kenntnis dieser sacra ist ohne Interesse und langweilig und gibt neuen Stoff zu gelehrten Untersuchungen, ob sie etruskischen, sabinischen oder sonstigen Ursprunges seien. Man hat um ihretwillen das römische Volk in seinem Tun und Lassen für höchst fromm angesehen; doch ist es lächerlich, wenn Neuere mit Salbung und Respekt von diesen sacris sprechen. Besonders wissen sich die Patrizier viel damit; man hat sie darum zu Priesterfamilien erhoben und als die heiligen Geschlechter, die Inhaber und Bewahrer der Religion angesehen, und die Plebejer werden dann zum gottlosen Element. Darüber ist früher schon das Nötige gesagt worden. Die alten Könige waren zugleich auch reges sacrorum. Nachdem die Königswürde abgeschafft war, blieb doch noch ein rex sacrorum; er war aber wie alle übrigen Priester dem pontifex maximus untergeben, der alle sacra leitete und ihnen diese Starrheit und Festigkeit gab, daß es den Patriziern möglich wurde, sich eben in dieser religiösen Gewalt so lange zu behaupten.

Worauf es aber bei der Frömmigkeit wesentlich ankommt, ist der Inhalt derselben, wogegen zwar heutigen Tages oft behauptet wird, wenn nur fromme Gefühle da seien, so sei es gleichgültig, welcher Inhalt sie erfülle. Von den Römern ist schon bemerkt worden, daß ihre religiöse Innerlichkeit nicht aus sich zu freiem geistigen und sittlichen Inhalte hervorgegangen ist. Man kann sagen, ihre Frömmigkeit habe sich nicht zur Religion herausgebildet, denn sie blieb wesentlich formell, und dieser Formalismus hat sich seinen Inhalt anderswoher verschafft. Schon aus der angegebenen Bestimmung folgt, daß er nur endlicher, unheiliger Art sein kann, weil er außerhalb des geheimen Ortes der Religion entstanden ist. Der Hauptcharakter der römischen Religion ist daher eine Festigkeit bestimmter Willenszwecke, die sie als absolut in ihren Göttern sehen und von ihnen als der absoluten Macht verlangen. Diese Zwecke sind eben dasjenige, um derentwillen sie die Götter verehren, und wodurch sie beschränkterweise an dieselben gebunden sind. Die römische Religion ist deswegen die ganz prosaische der Beschränktheit, der Zweckmäßigkeit, des Nutzens. Ihre eigentümlichen Gottheiten sind ganz prosaische; es sind Zustände, Empfindungen, nützliche Künste, welche ihre trockene Phantasie zur selbständigen Macht erhoben und sich gegenübergestellt hat; es sind teils Abstrakta, die nur zu kalten Allegorien werden konnten, teils Zustände, die als nutzen- oder schadenbringend erscheinen und für die Verehrung in ihrer ganzen Borniertheit geradezu gelassen sind. Davon sind nur wenige Beispiele kurz anzuführen. Die Römer verehrten Pax, Tranquillitas, Vacuna (Ruhe), Angeronia (Sorge und Kummer) als Gottheiten; sie weiheten der Pest Altäre, dem Hunger, dem Getreidebrand ( Robigo), dem Fieber und der Dea Cloacina. Die Juno erscheint bei den Römern nicht bloß als Lucina, Geburtshelferin, sondern auch als Juno Ossipagina, als die Gottheit, welche die Knochen des Kindes bildet, als Juno Unxia, welche die Türangeln bei den Heiraten einsalbt (was auch zu den sacris gehörte). Wie wenig haben diese prosaischen Vorstellungen mit der Schönheit der geistigen Mächte und Gottheiten der Griechen gemein! Dagegen ist Jupiter als Jupiter Capitolinus das allgemeine Wesen des Römischen Reiches, welches auch in den Gottheiten Roma und Fortuna publica, personifiziert wird.

Die Römer vornehmlich haben es angefangen, die Götter in der Not nicht nur anzuflehen und Lektisternien zu veranstalten, sondern ihnen auch Versprechungen und Gelübde zu weihen. Zur Hilfe in der Not haben sie auch ins Ausland geschickt und fremde Gottheiten und Gottesdienste sich holen lassen. Die Einführung der Götter und die meisten römischen Tempel sind so aus einer Not entstanden, aus einem Gelübde und einer verpflichteten, nicht uninteressierten Dankbarkeit. Die Griechen dagegen haben ihre schönen Tempel und Statuen und Gottesdienste aus Liebe zur Schönheit und zur Göttlichkeit als solcher hingestellt und angeordnet.

Nur eine Seite der römischen Religion hat etwas Anziehendes, und zwar sind es die Feste, die sich auf das ländliche Leben beziehen und sich aus den frühesten Zeiten erhalten haben. Es liegt ihnen teils die Vorstellung der Saturnischen Zeit zugrunde, von einem Zustand, der vor und außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und des politischen Zusammenhanges liegt, teils ein Naturinhalt überhaupt, die Sonne, der Jahreslauf, die Jahreszeiten, Monate usf. mit astronomischen Anspielungen, teils die besondern Momente des Naturverlaufs, wie er sich auf Hirtenleben und Ackerbau bezieht, – es waren Feste der Aussaat, der Ernte, der Jahreszeiten, das Hauptfest die Saturnalien usf. Es erscheint nach dieser Seite manches Naive und Sinnvolle in der Tradition. Doch hat dieser Kreis insgesamt ein sehr borniertes und prosaisches Aussehen; tiefere Anschauungen von den großen Naturmächten und allgemeinen Prozessen derselben gehen daraus nicht hervor; denn es war dabei überall auf den äußeren gemeinen Nutzen abgesehen, und die Lustigkeit hat sich dabei nicht eben geistreich in Possenreißerei ergangen. Wenn bei den Griechen aus ähnlichen Anfängen sich die Kunst der griechischen Tragödie entwickelt hat, so ist es dagegen merkwürdig, daß bei den Römern jene skurrilen Tänze und Gesänge der Landfeste sich bis in die spätesten Zeiten erhalten haben, ohne daß aus dieser zwar naiven, aber rohen Form zu einer gründlichen Kunstweise wäre fortgegangen worden.

Es ist schon gesagt worden, daß die Römer die griechischen Götter angenommen haben (die Mythologie der römischen Dichter ist gänzlich von den Griechen entnommen); aber die Verehrung dieser schönen Götter der Phantasie scheint bei ihnen etwas sehr Kaltes und Äußerliches gewesen zu sein. Uns ist bei ihrem Reden von Jupiter, Juno, Minerva zumute, als wenn wir dergleichen auf dem Theater hören. Die Griechen haben ihre Götterwelt mit tiefem und geistreichem Inhalt erfüllt, mit heiteren Einfällen geschmückt; sie war ihnen Gegenstand fortdauernder Erfindung und gedankenvollen Bewußtseins, und es ist dadurch ein weitläufiger, unerschöpflicher Schatz für Empfindung, Gemüt und Sinn in ihrer Mythologie erzeugt worden. Der römische Geist hat sich nicht in diesen Spielen einer sinnigen Phantasie mit eigner Seele bewegt und darin gefallen; sondern die griechische Mythologie erscheint tot und fremd bei ihnen. Bei den römischen Dichtern, besonders Virgil, ist die Einführung der Götter das Erzeugnis eines kalten Verstandes und der Nachahmung gewesen. Die Götter werden darin gleichsam zu Maschinerien und sind auf ganz äußerliche Weise gebraucht; wie auch wohl in unsern Lehrbüchern der schönen Wissenschaften unter andern Vorschriften sich die findet, daß in Epopöen solche Maschinerien notwendig seien, um in Erstaunen zu setzen.

Ebenso wesentlich waren die Römer von den Griechen in Ansehung der Spiele verschieden. Die Römer waren dabei wesentlich nur Zuschauer. Die mimische und theatralische Darstellung, das Tanzen, Wettrennen, Kämpfen haben sie den Freigelassenen, den Gladiatoren, den zum Tode verurteilten Verbrechern überlassen. Das Schimpflichste, was Nero getan, war, daß er auf öffentlichem Theater als Sänger, Zitherspieler, Kämpfer aufgetreten ist. Indem die Römer nur Zuschauer waren, so war ihnen das Spiel ein fremdes, sie waren nicht selbst mit dem Geiste dabei. Mit dem zunehmenden Luxus nahm hauptsächlich der Geschmack an Tier- und Menschenhetzen zu. Hunderte von Bären, Löwen, Tigern, Elefanten, Krokodillen, Straußen wurden aufgeführt und zur Schaulust gemetzelt. Hundert und tausend von Gladiatoren, da sie zur Seeschlacht an einem Feste auffuhren, riefen dem Kaiser zu: »Die zum Tode Geweihten grüßen dich«, um ihn etwa zu rühren. Umsonst! sie mußten sich alle untereinander schlachten. Statt menschlicher Leiden in den Tiefen des Gemüts und des Geistes, welche durch die Widersprüche des Lebens herbeigeführt werden und im Schicksal ihre Auflösung finden, veranstalteten die Römer eine grausame Wirklichkeit von körperlichen Leiden, und das Blut in Strömen, das Röcheln des Todes und das Aushauchen der Seele waren die Anschauungen, die sie interessierten. – Diese kalte Negativität des bloßen Mordens stellt zugleich den inneren Mord eines geistigen objektiven Zweckes dar. Ich brauche nur noch die Augurien, Auspizien, Sibyllinischen Bücher zu erwähnen, um daran zu erinnern, wie die Römer im Aberglauben aller Art gebunden waren, und daß es ihnen dabei nur um ihre Zwecke zu tun war. Die Eingeweide der Tiere, die Blitze, der Vögelflug, die Sibyllinischen Aussprüche bestimmten die Geschäfte und Unternehmungen des Staates. Das alles war in den Händen der Patrizier, welche es bewußt für ihre Zwecke und gegen das Volk als bloß äußeres Band brauchten. –

Die unterschiedenen Elemente der römischen Religion sind nach dem Gesagten: Die innerliche Religiosität und eine vollkommen äußerliche Zweckmäßigkeit. Die weltlichen Zwecke sind ganz freigelassen, nicht durch die Religion beschränkt, sondern vielmehr durch dieselbe berechtigt. Die Römer sind überall fromm gewesen, der Gehalt der Handlungen mochte sein, welcher er wollte. Weil aber das Heilige hier nur eine inhaltslose Form ist, so ist es von der Art, daß es in der Gewalt gehabt werden kann; es wird in Besitz genommen von dem Subjekt, das seine partikularen Zwecke und Interessen will, während das wahrhaft Göttliche die konkrete Gewalt an ihm selber hat. Über der bloß ohnmächtigen Form aber steht das Subjekt, der für sich konkrete Wille, der sie besitzen kann und seine partikularen Zwecke als Meister über die Form setzen darf. Dies ist in Rom durch die Patrizier geschehen. Der Besitz der Herrschaft der Patrizier ist dadurch ein fester, heiliger, unmitteilbar und ungemeinschaftlich gemachter; die Regierung und die politischen Rechte erhalten den Charakter eines geheiligten Privatbesitzes, Es ist also da nicht eine substantielle Einheit der Nationalität, nicht das schöne und sittliche Bedürfnis des Zusammenlebens in der Polis; sondern jede gens ist ein fester Stamm für sich, der seine eignen Penaten und sacra für sich hat, jede hat ihren eignen politischen Charakter, den sie immer behält. Strenge, aristokratische Härte zeichnete die Klaudier aus, Wohlwollen für das Volk die Valerier, Adel des Geistes die Kornelier. Sogar bis auf das Verheiraten erstreckte sich die Unterscheidung und die Beschränkung, denn die connubia der Patrizier mit Plebejern galten für unheilig. Aber eben in jener Innerlichkeit der Religion ist zugleich das Prinzip der Willkür gegeben; und gegen die Willkür des geheiligten Besitzes lehnt sich die Willkür gegen das Heilige auf. Denn derselbe Inhalt kann einerseits durch die religiöse Form privilegiert sein, andrerseits die Gestalt haben, nur überhaupt gewollt zu werden, Inhalt menschlicher Willkür zu sein. Als die Zeit gekommen war, daß das Heilige zur Form herabgesetzt wurde, so sollte es auch als Form gewußt, behandelt, mit Füßen getreten, – als Formalismus dargestellt werden. – Die Ungleichheit, welche in das Heilige hereintritt, macht den Übergang der Religion zur Wirklichkeit des Staatslebens. Die geheiligte Ungleichheit des Willens und des besonderen Besitzes macht darin die Grundbestimmung aus. Das römische Prinzip läßt nur die Aristokratie zu, als die ihm eigentümliche Verfassung, die aber sogleich nur als Gegensatz, als Ungleichheit in sich selbst ist. Nur durch Not und Unglück wird dieser Gegensatz momentan ausgeglichen; denn er enthält eine doppelte Gewalt in sich, deren Härte und böse Sprödigkeit nur durch eine noch größere Harte zur gewalttätigen Einheit übermannt und gebunden werden kann.


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