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Drittes Kapitel
Das politische Kunstwerk

Der Staat vereinigt die beiden eben betrachteten Seiten des subjektiven und objektiven Kunstwerks. In dem Staat ist der Geist nicht nur Gegenstand als göttlicher, nicht nur zur schönen Körperlichkeit subjektiv ausgebildet, sondern es ist lebendiger allgemeiner Geist, der zugleich der selbstbewußte Geist der einzelnen Individuen ist.

Nur die demokratische Verfassung war für diesen Geist und für diesen Staat geeignet. Wir haben den Despotismus im Orient in glänzender Ausbildung als eine dem Morgenland entsprechende Gestaltung gesehen; nicht minder ist die demokratische Form in Griechenland die welthistorische Bestimmung. In Griechenland ist nämlich die Freiheit des Individuums vorhanden, aber sie ist noch nicht zu der Abstraktion gekommen, daß das Subjekt schlechthin vom Substantiellen, dem Staate als solchem, abhängt, sondern in ihr ist der individuelle Wille in seiner ganzen Lebendigkeit frei und nach seiner Besonderheit die Betätigung des Substantiellen. In Rom werden wir dagegen die schroffe Herrschaft über die Individuen sehen, sowie im germanischen Reiche die Monarchie, in welcher das Individuum nicht nur am Monarchen, sondern an der ganzen monarchischen Organisation teilnimmt und mit tätig ist.

Der demokratische Staat ist nicht patriarchalisch, ruht nicht auf dem noch ungebildeten Vertrauen, sondern es gehören Gesetze, sowie das Bewußtsein der rechtlichen und sittlichen Grundlage dazu, sowie daß diese Gesetze als positiv gewußt werden. Zur Zeit der Könige war in Hellas noch kein politisches Leben und also auch nur geringe Spuren von Gesetzgebung. In dem Zwischenraum aber, vom Trojanischen Kriege bis gegen die Zeit des Cyrus, trat das Bedürfnis derselben ein. Die ersten Gesetzgeber sind unter dem Namen der sieben Weisen bekannt, worunter noch keine Sophisten und Lehrer der Weisheit zu verstehen sind, die mit Bewußtsein das Richtige und Wahre vorgetragen hätten, sondern nur denkende Menschen, deren Denken aber nicht bis zur eigentlichen Wissenschaft fortgeschritten war. Es sind praktisch politische Männer, und von den guten Ratschlägen, welche zwei derselben, Thales von Milet und Bias von Priene, den ionischen Städten gaben, ist schon früher gesagt worden. Solon wurde so von den Athenern beauftragt, ihnen Gesetze zu geben, da die vorhandenen nicht mehr genügten. Solon gab den Athenern eine Staatsverfassung, wodurch alle gleiche Rechte bekamen, ohne daß jedoch die Demokratie eine ganz abstrakte geworden wäre. Das Hauptmoment der Demokratie ist sittliche Gesinnung. Die Tugend ist die Grundlage der Demokratie, sagt Montesquieu; dieser Ausspruch ist ebenso wichtig als wahr inbezug auf die Vorstellung, welche man sich gewöhnlich von der Demokratie macht. Dem Individuum ist hier das Substantielle des Rechts, die Staatsangelegenheit, das allgemeine Interesse das Wesentliche; aber es ist dies als Sitte, in der Weise des objektiven Willens, so daß die Moralität im eigentlichen Sinne, die Innerlichkeit der Überzeugung und Absicht noch nicht vorhanden ist. Das Gesetz ist da, seinem Inhalte nach als Gesetz der Freiheit und vernünftig, und es gilt, weil es Gesetz ist, nach seiner Unmittelbarkeit. Wie in der Schönheit noch das Naturelement, im Sinnlichen derselben, vorhanden ist, so auch sind in dieser Sittlichkeit die Gesetze in der Weise der Naturnotwendigkeit. Die Griechen bleiben in der Mitte der Schönheit und erreichen noch nicht den höheren Punkt der Wahrheit. Indem Sitte und Gewohnheit die Form ist, in welcher das Rechte gewollt und getan wird, so ist sie das Feste und hat den Feind der Unmittelbarkeit, die Reflexion und Subjektivität des Willens, noch nicht in sich. Es kann daher das Interesse des Gemeinwesens in den Willen und Beschluß der Bürger gelegt bleiben, – und dies muß die Grundlage der griechischen Verfassung sein –, denn es ist noch kein Prinzip vorhanden, welches der wollenden Sittlichkeit entgegenstreben und sie in ihrer Verwirklichung hindern könnte. Die demokratische Verfassung ist hier die einzig mögliche: die Bürger sind sich des Partikularen, hiermit auch des Bösen, noch nicht bewußt; der objektive Wille ist ungebrochen in ihnen. Athene, die Göttin, ist Athen selbst, d. h. der wirkliche und konkrete Geist der Bürger. Der Gott hört nur auf, in ihnen zu sein, wenn der Wille in sich, in sein Adyton des Wissens und Gewissens zurückgegangen ist und die unendliche Trennung des Subjektiven und Objektiven gesetzt hat. Dies ist die wahrhafte Stellung der demokratischen Verfassung, ihre Berechtigung und absolute Notwendigkeit beruht auf dieser noch immanenten objektiven Sittlichkeit. In den modernen Vorstellungen von der Demokratie liegt diese Berechtigung nicht: die Interessen der Gemeine, die öffentlichen Angelegenheiten sollen von dem Volke beratschlagt und beschlossen werden; die einzelnen sollen Rat schlagen, ihre Meinung vortragen, ihre Stimme abgeben, und zwar darum, weil das Staatsinteresse und die öffentlichen Angelegenheiten die ihrigen seien. Alles dies ist ganz richtig, aber der wesentliche Umstand und Unterschied liegt darin, wer diese einzelnen sind. Absolute Berechtigung haben sie nur, insofern ihr Wille noch der objektive Wille ist, nicht dieses oder jenes will, nicht bloß guter Wille. Denn der gute Wille ist etwas Partikulares, ruht auf der Moralität der Individuen, auf ihrer Überzeugung und Innerlichkeit. Gerade die subjektive Freiheit, welche das Prinzip und die eigentümliche Gestalt der Freiheit in unsrer Welt, welche die absolute Grundlage unsres Staates und unsres religiösen Leben ausmacht, konnte für Griechenland als das Verderben auftreten. Die Innerlichkeit lag dem griechischen Geiste nahe, er mußte bald dazu kommen; aber sie stürzte seine Welt ins Verderben, denn die Verfassung war nicht auf diese Seite berechnet und kannte diese Bestimmung nicht, weil sie nicht in ihr vorhanden war. Von den Griechen in der ersten und wahrhaften Gestalt ihrer Freiheit können wir behaupten, daß sie kein Gewissen hatten; bei ihnen herrschte die Gewohnheit, für das Vaterland zu leben, ohne weitere Reflexion. Die Abstraktion eines Staates, der für unsren Verstand das Wesentliche ist, kannten sie nicht, sondern ihnen war der Zweck das lebendige Vaterland: dieses Athen, dieses Sparta, diese Tempel, diese Altäre, diese Weise des Zusammenlebens, dieser Kreis von Mitbürgern, diese Sitten und Gewohnheiten. Dem Griechen war das Vaterland eine Notwendigkeit, ohne die er nicht leben konnte. Die Sophisten, die Lehrer der Weisheit, waren es erst, welche die subjektive Reflexion und die neue Lehre aufbrachten, die Lehre, daß jeder nach seiner eignen Überzeugung handeln müsse. Sobald die Reflexion eintritt, so hat jeder seine eigne Meinung, – man untersucht, ob das Recht nicht verbessert werden könne, anstatt sich ans Bestehende zu halten, – die Überzeugung in sich, und so beginnt eine subjektive unabhängige Freiheit, wo das Individuum imstande ist, selbst gegen die bestehende Verfassung alles an sein Gewissen zu setzen. Jeder hat seine Prinzipien, und wie er dafür hält, so ist er auch überzeugt, daß dieses das Beste sei und in die Wirklichkeit eingebildet werden müsse. Von diesem Verfalle schon spricht Thukydides, wenn er sagt, daß jeder meine, es gehe schlecht zu, wenn er nicht dabei sei.

Diesem Umstande, daß jeder sich ein Urteil zumutet, ist das Vertrauen in große Individuen zuwider. Wenn die Athener in früheren Zeiten dem Solon, ihnen Gesetze zu geben, auftragen, wenn Lykurg in Sparta als Gesetzgeber und Ordner erscheint, so liegt darin nicht, daß das Volk meint, das Rechte am besten zu wissen. Auch später waren es große plastische Gestalten, in die das Volk sein Zutrauen setzte: Klisthenes, der die Verfassung noch demokratischer machte, Miltiades, Themistokles, Aristides, Cimon, die in den medischen Kriegen an der Spitze der Athener stehen, und Perikles, der große Glanzpunkt von Athen; aber sobald einer dieser großen Männer vollbracht hatte, was nottat, trat der Neid, das heißt, das Gefühl der Gleichheit in Ansehung des besonderen Talents ein, und er wurde entweder ins Gefängnis geworfen oder verbannt. Endlich sind dann die Sykophanten im Volke ausgestanden, die alles Große von Individualität und die Personen, die an der Spitze der Verwaltung standen, verunglimpften.

Es sind aber in den griechischen Republiken noch drei Umstände besonders hervorzuheben.

1. Mit der Demokratie, wie sie nur in Griechenland gewesen ist, sind die Orakel verbunden. Zu dem aus sich selbst Beschließen gehört eine festgewordene Subjektivität des Willens, den überwiegende Gründe bestimmen; die Griechen aber hatten diese Kraft und Stärke desselben noch nicht. Bei Gelegenheit einer Kolonisation, bei der Aufnahme von fremden Göttern, wenn ein Feldherr eine Schlacht liefern wollte, befragte man die Orakel. Vor der Schlacht bei Platää ließ Pausanias die Opfertiere befragen und erhielt vom Wahrsager Tisamenos den Bescheid, daß die Opfer den Griechen günstig seien, wenn sie diesseits des Asopus blieben, aber nicht, wenn sie über den Fluß gingen und die Schlacht anfingen. Deshalb erwartete Pausanias den Angriff. Die Griechen haben ebenso in ihren Privatangelegenheiten nicht sowohl durch sich selbst entschieden als die Entscheidung von etwas anderm hergenommen. Mit dem Fortgange der Demokratie sehen wir freilich, wie in den wichtigsten Angelegenheiten die Orakel nicht mehr befragt, sondern die besonderen Ansichten der Volksredner geltend gemacht werden und das Entscheidende sind. Wie zu dieser Zeit Sokrates aus seinem Dämon geschöpft hat, so haben die Volksführer und das Volk aus sich die Beschlüsse genommen. Zugleich ist aber damit das Verderben, die Zerrüttung und die fortwährende Abänderung der Verfassung eingetreten.

2. Ein andrer Umstand, welcher hier hervorzuheben ist, ist die Sklaverei. Diese war notwendige Bedingung einer schönen Demokratie, wo jeder Bürger das Recht und die Pflicht hatte, auf öffentlichem Platze Vorträge über die Staatsverwaltung zu halten und anzuhören, in Gymnasien sich zu üben, Feste mitzumachen. Die Bedingung dieser Beschäftigungen war notwendig, daß der Bürger den Handwerksarbeiten entnommen sei, und daß also, was bei uns den freien Bürgern zufällt, die Arbeit des täglichen Lebens von den Sklaven verrichtet werde. Die Gleichheit der Bürger brachte das Ausgeschlossensein der Sklaven mit sich. Die Sklaverei hört erst auf, wenn der Wille unendlich in sich reflektiert ist, wenn das Recht gedacht ist als dem Freien zukommend, der Freie aber der Mensch ist nach seiner allgemeinen Natur als mit Vernunft begabt. Hier aber stehen wir noch auf dem Standpunkt der Sittlichkeit, welche nur Gewohnheit und Sitte ist und damit noch eine Partikularität im Dasein.

3. Es muß noch drittens bemerkt werden, daß solche demokratische Verfassungen nur in kleinen Staaten möglich sind, in Staaten, die den Umfang von Städten nicht viel übersteigen. Der ganze Staat der Athenienser ist in der einen Stadt vereinigt: vom Theseus wird erzählt, er habe die zerstreuten Flecken zu einem Ganzen verbunden; zur Zeit des Perikles im Anfang des Peloponnesischen Krieges flüchtete sich beim Anrücken der Spartaner die sämtliche Bevölkerung des athenischen Gebietes in die Stadt. In solchen Städten nur kann das Interesse im ganzen gleich sein, wogegen in großen Reichen verschiedene Interessen, die sich widerstreiten, zu finden sind. Das Zusammenleben in einer Stadt, der Umstand, daß man sich täglich sieht, machen eine gemeinsame Bildung und eine lebendige Demokratie möglich. In der Demokratie ist die Hauptsache, daß der Charakter des Bürgers plastisch, aus einem Stück sei. Er muß bei der Hauptverhandlung gegenwärtig sein; er muß an der Entscheidung als solcher teilnehmen, nicht durch die einzelne Stimme bloß, sondern im Drange des Bewegens und Bewegtwerdens, indem die Leidenschaft und das Interesse des ganzen Mannes darein gelegt und auch im Vorgang die Wärme der ganzen Entscheidung gegenwärtig ist. Die Einsicht, zu der sich alle bekehren sollen, muß durch Erwärmung der Individuen vermittelst der Rede hervorgebracht werden. Geschähe diese durch die Schrift auf abstrakte, unlebendige Weise, so würden die Individuen nicht zur Wärme der Allgemeinheit angefeuert, und je größer die Menge wäre, desto weniger würde die Einzelheit der Stimme Gewicht haben. Man kann in einem großen Reiche wohl herumfragen, Stimmen sammeln lassen in allen Gemeinden und die Resultate zählen, wie das durch den französischen Konvent geschehen ist; dies ist aber ein totes Wesen, und die Welt ist da schon in eine Papierwelt auseinandergegangen und abgeschieden. In der französischen Revolution ist deshalb niemals die republikanische Verfassung als eine Demokratie zustande gekommen, und die Tyrannei, der Despotismus erhob unter der Maske der Freiheit und Gleichheit seine Stimme. –

Wir kommen nun zur zweiten Periode der griechischen Geschichte. Die erste Periode ließ den griechischen Geist zu seiner Kunst und Reife gelangen, – daß er so ist; die zweite enthält, wie er sich zeigt, in seinem Gange erscheint, sich zu einem Werke für die Welt hervorbringt und sein Prinzip im Kampfe rechtfertigt und gegen den Angriff siegreich behauptet.


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