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Der germanische Geist ist der Geist der neuen Welt, deren Zweck die Realisierung der absoluten Wahrheit als der unendlichen Selbstbestimmung der Freiheit ist, der Freiheit, die ihre absolute Form selbst zum Inhalte hat. Die Bestimmung der germanischen Völker ist, Träger des christlichen Prinzips abzugeben. Der Grundsatz der geistigen Freiheit, das Prinzip der Versöhnung, wurde in die noch unbefangenen ungebildeten Gemüter jener Völker gelegt, und es wurde diesen aufgegeben, im Dienste des Weltgeistes den Begriff der wahrhaften Freiheit nicht nur zur religiösen Substanz zu haben, sondern auch in der Welt aus dem subjektiven Selbstbewußtsein frei zu produzieren.
Wenn wir nun zur Einteilung der germanischen Welt in ihre Perioden übergehen, so ist sogleich zu bemerken, daß sie nicht wie bei den Griechen und Römern durch die doppelte Beziehung nach außen, rückwärts zu dem früheren welthistorischen Volke und vorwärts zu dem spätern, gemacht werden kann. Die Geschichte zeigt, daß der Gang der Entwicklung bei diesen Völkern ein ganz verschiedener war. Die Griechen und Römer waren gereift in sich, als sie sich nach außen wendeten. Umgekehrt haben die Germanen damit angefangen, aus sich herauszuströmen, die Welt zu überschwemmen und die in sich morschen und ausgehöhlten Staaten der gebildeten Völker sich zu unterwerfen. Dann erst hat ihre Entwicklung begonnen, angezündet an einer fremden Kultur, fremden Religion, Staatsbildung und Gesetzgebung. Sie haben sich durch das Aufnehmen und Überwinden des Fremden in sich gebildet, und ihre Geschichte ist vielmehr ein Insichgehen und Beziehen auf sich selbst. Allerdings hat auch die Abendwelt in den Kreuzzügen, in der Entdeckung und Eroberung von Amerika sich außerhalb begeben, aber sie kam da nicht in Berührung mit einem ihr vorangegangenen welthistorischen Volke, sie verdrängte da nicht ein Prinzip, das bisher die Welt beherrscht hatte. Die Beziehung nach außen begleitet hier nur die Geschichte, bringt nicht wesentliche Veränderungen in der Natur der Zustände mit sich, sondern trägt vielmehr das Gepräge der inneren Evolutionen an sich. – Das Verhältnis nach außen ist also ein ganz andres als bei den Griechen und Römern. Denn die christliche Welt ist die Welt der Vollendung; das Prinzip ist erfüllt, und damit ist das Ende der Tage voll geworden: die Idee kann im Christentume nichts Unbefriedigtes mehr sehen. Die Kirche ist zwar einerseits für die Individuen Vorbereitung für die Ewigkeit als Zukunft, insofern die einzelnen Subjekte als solche immer noch in der Partikularität stehen; aber die Kirche hat auch den Geist Gottes in sich gegenwärtig, sie vergibt dem Sünder und ist das gegenwärtige Himmelreich. So hat denn die christliche Welt kein absolutes Außen mehr, sondern nur ein relatives, das an sich überwunden ist, und in Ansehung dessen es nur darum zu tun ist, auch zur Erscheinung zu bringen, daß es überwunden ist. Hieraus folgt, daß die Beziehung nach außen nicht mehr das Bestimmende in betreff der Epochen der modernen Welt ist. Es ist also ein andres Prinzip der Einteilung aufzusuchen. Die germanische Welt hat die römische Bildung und Religion als fertig aufgenommen. Es war wohl eine deutsche und nordische Religion vorhanden, aber sie hatte auf keine Weise feste Wurzeln im Geiste gefaßt: Tacitus nennt daher die Germanen securi adversus deos. Die christliche Religion nun, welche sie annahmen, war durch die Konzilien und Kirchenväter, welche die ganze Bildung, insbesondere die Philosophie der griechischen und römischen Welt besaßen, ein fertiges dogmatisches System geworden, so wie die Kirche eine ganz ausgebildete Hierarchie. Der eignen Volkssprache der Germanen setzte ebenso die Kirche eine ganz ausgebildete, die lateinische, entgegen. In Kunst und Philosophie war dieselbe Fremdartigkeit. Was an der alexandrinischen und formell aristotelischen Philosophie in den Schriften des Boëthius und sonst noch aufbewahrt war, das ist nun das Bleibende auf viele Jahrhunderte für das Abendland geworden. Auch in der Form der weltlichen Herrschaft war derselbe Zusammenhang: gotische und andre Fürsten ließen sich Patrizier von Rom nennen, und später wurde das römische Kaisertum wiederhergestellt. So scheint die germanische Welt äußerlich nur eine Fortsetzung der römischen zu sein. Aber es lebte in ihr ein vollkommen neuer Geist, aus welchem sich nun die Welt regenerieren mußte, nämlich der freie Geist, der auf sich selbst beruht, der absolute Eigensinn der Subjektivität. Dieser Innigkeit steht der Inhalt als absolutes Anderssein gegenüber. Der Unterschied und Gegensatz, der sich aus diesen Prinzipien entwickelt, ist der von Kirche und Staat. Auf der einen Seite bildet sich die Kirche aus, als das Dasein der absoluten Wahrheit; denn sie ist das Bewußtsein dieser Wahrheit und zugleich die Wirksamkeit, daß das Subjekt ihr gemäß werde. Auf der andern Seite steht das weltliche Bewußtsein, welches mit seinen Zwecken in der Welt steht, – der Staat, vom Gemüt, der Treue, der Subjektivität überhaupt ausgehend. Die europäische Geschichte ist die Darstellung der Entwicklung eines jeden dieser Prinzipien für sich, in Kirche und Staat, dann des Gegensatzes von beiden nicht nur gegeneinander, sondern in jedem derselben, da jedes selbst die Totalität ist, und endlich der Versöhnung dieses Gegensatzes.
Demnach sind nun die drei Perioden dieser Welt zu beschreiben.
Die erste beginnt mit dem Auftreten der germanischen Nationen im römischen Reiche, mit der ersten Entwicklung dieser Völker, welche sich als christliche nun in den Besitz des Abendlandes gesetzt haben. Ihre Erscheinung bietet bei der Wildheit und Unbefangenheit dieser Völker kein großes Interesse dar. Es tritt dann die christliche Welt als Christentum auf, als eine Masse, woran das Geistliche und das Weltliche nur verschiedene Seiten sind. Diese Epoche geht bis auf Karl den Großen.
Die zweite Periode entwickelt die beiden Seiten bis zur konsequenten Selbständigkeit und zum Gegensatze, – der Kirche für sich als Theokratie und des Staates für sich als Feudalmonarchie. Karl der Große hatte sich mit dem heiligen Stuhl gegen die Longobarden und die Adelsparteien in Rom verbunden; es kam so eine Verbindung der geistlichen und weltlichen Macht zustande, und es sollte nun, nachdem die Versöhnung vollbracht war, sich ein Himmelreich auf Erden auftun. Aber gerade in dieser Zeit erscheint uns statt des geistigen Himmelreichs die Innerlichkeit des christlichen Prinzips schlechthin als nach außen gewendet und außer sich gekommen. Die christliche Freiheit ist zum Gegenteil ihrer selbst verkehrt, sowohl in religiöser als in weltlicher Hinsicht, einerseits zur härtesten Knechtschaft, andrerseits zur unsittlichsten Ausschweifung und zur Roheit aller Leidenschaften. In dieser Periode sind besonders zwei Gesichtspunkte hervorzuheben: der eine ist die Bildung der Staaten, welche sich in einer Unterordnung des Gehorsams darstellen, so daß alles ein festes partikulares Recht wird, ohne den Sinn der Allgemeinheit. Diese Unterordnung des Gehorsams erscheint im Feudalsystem. Der zweite Gesichtspunkt ist der Gegensatz von Kirche und Staat. Dieser Gegensatz ist nur darum vorhanden, weil die Kirche, welche das Heilige zu verwalten hatte, selbst zu aller Weltlichkeit herabsinkt, und die Weltlichkeit nur um so verabscheuungswürdiger erscheint, als alle Leidenschaften sich die Berechtigung der Religion geben.
Das Ende der zweiten und zugleich der Anfang der dritten Periode macht die Zeit der Regierung Karls des Fünften, in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts. Es erscheint nun die Weltlichkeit als in sich zum Bewußtsein kommend, daß auch sie ein Recht habe in der Sittlichkeit, Rechtlichkeit, Rechtschaffenheit und Tätigkeit des Menschen. Es tritt das Bewußtsein der Berechtigung seiner selbst durch die Wiederherstellung der christlichen Freiheit ein. Das christliche Prinzip hat nun die fürchterliche Zucht der Bildung durchgemacht, und durch die Reformation wird ihm seine Wahrheit und Wirklichkeit zuerst gegeben. Diese dritte Periode der germanischen Welt geht von der Reformation bis auf unsre Zeiten. Das Prinzip des freien Geistes ist hier zum Panier der Welt gemacht, und aus diesem Prinzipe entwickeln sich die allgemeinen Grundsätze der Vernunft. Das formelle Denken, der Verstand war schon ausgebildet worden, aber seinen wahren Gehalt erhielt das Denken erst durch die Reformation, durch das wiederauflebende konkrete Bewußtsein des freien Geistes. Der Gedanke fing erst von daher an, seine Bildung zu bekommen; aus ihm heraus wurden Grundsätze festgestellt, aus welchen die Staatsverfassung rekonstruiert werden mußte. Das Staatsleben soll nun mit Bewußtsein, der Vernunft gemäß eingerichtet werden. Sitte, Herkommen gilt nicht mehr, die verschiedenen Rechte müssen sich legitimieren als auf vernünftigen Grundsätzen beruhend. So kommt die Freiheit des Geistes erst zur Realität.
Wir können diese Perioden als Reiche des Vaters, des Sohnes und des Geistes unterscheiden. Das Reich des Vaters ist die substantielle, ungeschiedene Masse, in bloßer Veränderung, wie die Herrschaft Saturns, der seine Kinder verschlingt. Das Reich des Sohnes ist die Erscheinung Gottes nur in Beziehung auf die weltliche Existenz, auf sie als auf ein Fremdes scheinend. Das Reich des Geistes ist die Versöhnung.
Es lassen sich diese Epochen auch mit den früheren Weltreichen vergleichen; insofern nämlich das germanische Reich das Reich der Totalität ist, sehen wir in demselben die bestimmte Wiederholung der früheren Epochen. Karls des Großen Zeit ist mit dem Perserreiche zu vergleichen; es ist die Periode der substantiellen Einheit, wo diese Einheit aus dem Innern, dem Gemüte beruht und im Geistigen und Weltlichen noch unbefangen ist.
Der griechischen Welt und ihrer nur ideellen Einheit entspricht die Zeit vor Karl dem Fünften, wo die reale Einheit nicht mehr vorhanden ist, weil alle Partikularitäten fest geworden sind in den Privilegien und besonderen Rechten. Wie im Innern der Staaten die verschiedenen Stände in ihren besonderen Berechtigungen isoliert sind, so stehen auch die besonderen Staaten nach außen nur in äußerlicher Beziehung zueinander. Es tritt eine diplomatische Politik ein, welche, im Interesse des Gleichgewichts von Europa, die Staaten mit und gegeneinander verbündet. Es ist die Zeit, wo die Welt sich klar wird (Entdeckung von Amerika). Auch das Bewußtsein wird nun klar innerhalb der übersinnlichen Welt und über sie: die substantielle reale Religion bringt sich zur sinnlichen Klarheit im Elemente des Sinnlichen (die christliche Kunst in Papst Leos Zeitalter) und wird sich auch klar im Elemente der innersten Wahrheit. – Man kann diese Zeit vergleichen mit der des Perikles. Das Insichgehen des Geistes beginnt (Sokrates – Luther); doch Perikles fehlt in dieser Epoche. Karl der Fünfte hat die ungeheure Möglichkeit an äußeren Mitteln und scheint in seiner Macht absolut, aber ihm fehlt der innere Geist des Perikles und damit das absolute Mittel freier Herrschaft. Dies ist die Epoche des sich selbst klar werdenden Geistes in der realen Trennung; jetzt kommen die Unterschiede der germanischen Welt hervor und zeigen sich wesentlich.
Die dritte Epoche ist zu vergleichen mit der römischen Welt. Die Einheit des Allgemeinen ist in ihr ebenso vorhanden, aber nicht als die Einheit der abstrakten Weltherrschaft, sondern als die Hegemonie des selbstbewußten Gedankens. Verständiger Zweck gilt jetzt, und Privilegien und Partikularitäten verschmelzen vor dem allgemeinen Zweck des Staates. Die Völker wollen das Recht an und für sich; nicht bloß die besonderen Traktate gelten, sondern zugleich Grundsätze machen den Inhalt der Diplomatie aus. Ebenso kann es die Religion nicht aushalten ohne den Gedanken und geht teils zum Begriff fort, teils wird sie, durch den Gedanken selbst genötigt, zum intensiven Glauben oder auch aus Verzweiflung über den Gedanken, indem sie ganz von ihm zurückflieht, zum Aberglauben.