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Der Buddhaismus

Da der Übergang vom indischen Brahmaismus zum Buddhaismus sich in dem ersten Entwurfe Hegels und in der ersten Vorlesung so findet, wie er hier gegeben ist, und diese Stellung des Buddhaismus mit den neueren Forschungen über denselben mehr übereinstimmt, so wird die Versetzung des folgenden Anhangs von der Stelle, welche er früher einnahm, hinlänglich gerechtfertigt erscheinen.

Es ist Zeit, die Traumgestalt des indischen Geistes zu verlassen, welche in der ausschweifendsten Irre sich in allen Natur- und Geistesgestalten herumwirft, die roheste Sinnlichkeit und die Ahnung der tiefsten Gedanken in sich schließt, und welche eben deswegen, was freie und vernünftige Wirklichkeit betrifft, in der entäußertesten, ratlosesten Knechtschaft liegt, – einer Knechtschaft, in welcher die abstrakten Weisen, in die sich das konkrete menschliche Leben unterscheidet, fest geworden und Rechte und Bildung nur von diesen Unterschieden abhängig gemacht sind. Diesem taumelnden, in der Wirklichkeit in Fesseln geschlagenen Traumleben steht nun das unbefangene Traumleben gegenüber, welches einerseits roher und nicht zu jener Unterscheidung der Lebensweisen fortgegangen, aber eben darum auch nicht der damit herbeigeführten Knechtschaft verfallen ist; es hält sich freier, selbständiger in sich fixiert, und seine Vorstellungswelt ist daher auch in einfachere Punkte zusammengezogen.

Der Geist der eben angedeuteten Gestalt ruht in demselben Grundprinzip der indischen Anschauung; aber er ist konzentrierter in sich, seine Religion ist einfacher und der politische Zustand ruhiger und gehaltener. Höchst verschiedenartige Völker und Länder sind hierunter zusammengefaßt: Ceylon, Hinterindien mit dem Birmanenreich, Siam, Anam, nördlich davon Thibet, dann das chinesische Hochland mit seinen verschiedenen Völkerschaften von Mongolen und Tataren. Es sind hier nicht die besonderen Individualitäten dieser Völker zu betrachten, sondern es soll nur kurz ihre Religion, welche die interessanteste Seite an ihnen ausmacht, charakterisiert werden. Die Religion dieser Völker ist der Buddhaismus, welcher die am weitesten verbreitete Religion auf unsrer Erde ist. In China wird Buddha als Foe verehrt, in Ceylon als Gautama; in Thibet und bei den Mongolen hat diese Religion die Schattierung des Lamaismus erhalten. In China, wo die Religion des Foe schon früh eine große Ausbreitung gefunden und das Klosterleben herbeigeführt hat, erhält dieselbe die Stellung eines integrierenden Moments zum chinesischen Prinzip. Wie der substantielle Geist in China sich nur zu einer Einheit des weltlichen Staatslebens ausbildet, welches die Individuen nur im Verhältnis steter Abhängigkeit läßt, so bleibt auch die Religion bei der Abhängigkeit stehen. Ihr fehlt das Moment der Befreiung, denn ihr Gegenstand ist das Naturprinzip überhaupt, der Himmel, die allgemeine Materie. Die Wahrheit dieses Außersichseins des Geistes aber ist die ideelle Einheit, die Erhebung über die Endlichkeit der Natur und des Daseins überhaupt, die Rückkehr des Bewußtseins in das Innere. Dieses Moment, welches im Buddhaismus enthalten ist, hat in China insoweit Eingang gefunden, als die Chinesen dazu gelangten, die Geistlosigkeit ihres Zustands und die Unfreiheit ihres Bewußtseins zu empfinden. – In dieser Religion, welche überhaupt als die Religion des Insichseins zu bezeichnen ist Vgl. die Vorlesungen über die Religionsphilosophie 2. Ausgabe T. I, S. 384. , geschieht die Erhebung der Geistlosigkeit zum Innern auf gedoppelte Weise, wovon die eine negativer, die andre affirmativer Art ist.

Was die negative Erhebung anbetrifft, so ist diese die Sammlung des Geistes zum Unendlichen und muß zuerst in religiösen Bestimmungen vorkommen. Sie liegt in dem Grunddogma, daß das Nichts das Prinzip aller Dinge sei, daß alles aus dem Nichts hervorgegangen und auch dahin zurückgehe. Die Unterschiede der Welt sind nur Modifikationen des Hervorgehens. Versuchte jemand die verschiedenen Gestalten zu zerlegen, so würden sie ihre Qualität verlieren, denn an sich sind alle Dinge ein und dasselbe, untrennbar, und diese Substanz ist das Nichts. Der Zusammenhang mit der Metempsychose ist hieraus zu erklären: Alles ist nur eine Änderung der Form. Die Unendlichkeit des Geistes in sich, die unendliche konkrete Selbständigkeit ist hiervon ganz entfernt. Das abstrakte Nichts ist eben das Jenseits der Endlichkeit, was wir wohl auch das höchste Wesen nennen. Dieses wahre Prinzip, heißt es, sei in ewiger Ruhe und in sich unveränderlich, sein Wesen bestehe eben darin, ohne Tätigkeit und Willen zu sein. Denn das Nichts ist das abstrakt mit sich Eine. Um glücklich zu sein, muß der Mensch durch beständige Siege über sich diesem Prinzipe sich gleichzumachen suchen und deswegen nichts tun, nichts wollen, nichts verlangen; es kann daher in diesem glückseligen Zustande weder von Laster noch von Tugend die Rede sein, denn die eigentliche Seligkeit ist die Einheit mit dem Nichts. Je mehr der Mensch zur Bestimmungslosigkeit kommt, desto mehr vervollkommnet er sich, und in der Vernichtung der Tätigkeit, in der reinen Passivität ist er eben dem Foe gleich. Die leere Einheit ist nicht bloß das Zukünftige, das Jenseits des Geistes, sondern auch das Heutige, die Wahrheit, die für den Menschen ist und in ihm zur Existenz kommen soll. In Ceylon und im birmanischen Reiche, wo dieser buddhistische Glaube wurzelt, herrscht die Anschauung, daß der Mensch durch Meditation dazu gelangen könne, der Krankheit, dem Alter, dem Tode nicht mehr unterworfen zu sein. Wenn dieses aber die negative Weise der Erhebung des Geistes aus seiner Äußerlichkeit zu sich selbst ist, so geht diese Religion auch zum Bewußtsein eines Affirmativen fort. Das Absolute ist der Geist. Doch bei der Auffassung des Geistes kommt es wesentlich auf die bestimmte Form an, in welcher der Geist vorgestellt wird. Sprechen wir vom Geiste als allgemeinem, so wissen wir, daß er für uns nur in der innerlichen Vorstellung ist: daß es aber dahin komme, ihn nur in der Innerlichkeit des Denkens und Vorstellens zu haben, ist selbst erst infolge eines weiteren Weges der Bildung geschehen. Wo wir jetzt in der Geschichte stehen, ist die Form des Geistes noch die Unmittelbarkeit. Gott ist in unmittelbarer Form, nicht in der Form des Gedankens gegenständlich. Diese unmittelbare Form ist aber die menschliche Gestalt. Die Sonne, die Sterne sind noch nicht der Geist, Wohl aber der Mensch, welcher hier als Buddha, Gautama, Foe, in der Weise eines verstorbenen Lehrers, und in der lebendigen Gestalt des Ober-Lama göttlicher Verehrung teilhaftig wird. Der abstrakte Verstand wendet sich gewöhnlich gegen solche Vorstellung eines Gottmenschen, deren Mangelhaftes das sein soll, daß die Form des Geistes ein Unmittelbares, und zwar der Mensch, als dieser, sei. Mit dieser religiösen Richtung ist hier der Charakter eines ganzen Volkes verbunden. Die Mongolen, welche sich durch ganz Mittelasien bis nach Sibirien hin erstrecken, wo sie den Russen unterworfen sind, verehren den Lama, und mit dieser Anbetung ist ein einfacher politischer Zustand, ein patriarchalisches Leben verbunden; denn sie sind eigentlich Nomaden, und nur zuweilen gären sie auf, kommen wie außer sich und verursachen Völkerausbrüche und Überschwemmungen. Der Lamas gibt es überhaupt drei: der bekannteste ist der Dalai-Lama, welcher seinen Sitz in Hlassa im Reiche Thibet hat, der andre ist der Tischu-Lama, der unter dem Titel Bantschen Rinbotschi zu Tischu-Lombu residiert; ein dritter ist noch im südlichen Sibirien. Die beiden ersten Lamen stehen an der Spitze zweier verschiedener Sekten, von denen die Priester der einen gelbe Kappen tragen, die der andern aber rote. Die gelben Kappenträger, an deren Spitze der Dalai-Lama steht und zu denen sich der Kaiser von China hält, haben bei den Geistlichen das Zölibat eingeführt, wahrend die rotfarbigen die Ehe der Priester erlauben. Besonders mit dem Tischu-Lama haben die Engländer eine Bekanntschaft angeknüpft und uns Schilderungen von ihm entworfen.

Die Form überhaupt, in welcher das Geistige der lamaischen Entwicklung des Buddhaismus steht, ist die eines gegenwärtigen Menschen, während es im ursprünglichen Buddhaismus ein verstorbener ist. Gemeinschaftlich haben beide das Verhältnis zu einem Menschen überhaupt. Daß nun ein Mensch als Gott verehrt wird, namentlich ein lebendiger, hat in sich etwas Widerstreitendes und Empörendes, man muß aber dabei naher folgendes vor Augen haben. Es liegt im Begriffe des Geistes, ein Allgemeines in sich selbst zu sein. Diese Bestimmung muß hervorgehoben werden, und in der Anschauung der Völker muß sich zeigen, daß diese Allgemeinheit ihnen vorschwebt. Nicht eben die Einzelnheit des Subjekts ist das Verehrte, sondern das Allgemeine in ihm, welches bei den Thibetanern, Indern und den Asiaten überhaupt als das alles Durchwandernde bettachtet wird. Diese substantielle Einheit des Geistes kommt im Lama zur Anschauung, welcher nichts als die Gestalt ist, in der sich der Geist manifestiert, und diese Geistigkeit nicht als sein besonderes Eigentum hat, sondern nur als teilnehmend an derselben gedacht wird, um sie für die andern zur Darstellung zu bringen, auf daß diese die Anschauung der Geistigkeit erhalten und zur Frömmigkeit und Seligkeit geführt werden. Die Individualität als solche, die ausschließende Einzelheit ist hier also überhaupt gegen jene Substantialität untergeordnet. Das Zweite, was in dieser Vorstellung wesentlich hervortritt, ist die Unterscheidung von der Natur. Der chinesische Kaiser war die Macht über die Naturkräfte, die er beherrscht, während hier gerade die geistige Macht unterschieden von der Naturmacht ist. Den Lamadienern fällt nicht ein, vom Lama zu verlangen, daß er sich als Herr der Natur beweise, zaubere und Wunder tue, denn von dem, was sie Gott nennen, wollen sie nur geistiges Tun und Spenden geistiger Wohltaten. Auch Buddha heißt der Heiland von Seelen, das Meer der Tugend, der große Lehrer. Die den Tischu-Lama kannten, schildern ihn als den vortrefflichsten, ruhigsten und der Meditation ergebensten Mann. So sehen ihn auch die Lamadiener an. Sie finden in ihm einen Mann, der beständig mit der Religion beschäftigt ist, und der, wenn er seine Aufmerksamkeit auf das Menschliche wendet, nur dazu da ist, Trost und Erhebung durch seinen Segen, durch Ausübung der Barmherzigkeit und Verzeihung auszuteilen. Diese Lamen führen ein durchaus isoliertes Leben und haben fast mehr weibliche als männliche Bildung. Früh aus den Armen der Eltern gerissen, ist der Lama in der Regel ein wohlgebildetes und schönes Kind. In vollkommener Stille und Einsamkeit, in einer Art von Gefängnis wird er erzogen, er wird wohlgenährt, bleibt ohne Bewegung und Kinderspiel, und so ist es kein Wunder, daß die stille empfangende weibliche Richtung in ihm vorherrschend ist. Die großen Lamas haben unter sich, als Vorsteher der großen Genossenschaften, die niederen Lamas. Jeder Vater, der in Thibet vier Söhne hat, muß einen dem Klosterleben widmen. Die Mongolen, die hauptsächlich vom Lamaismus, dieser Modifikation des Buddhaismus, ergriffen sind, haben großen Respekt vor allem Lebendigen. Sie leben vornehmlich von Vegetabilien und scheuen sich vor der Tötung des Tierischen, sogar einer Laus. Dieser Dienst der Lamas hat das Schamanentum verdrängt, das heißt, die Religion der Zauberei. Die Schamanen, Priester dieser Religion, betäuben sich durch Getränke und Tanz, zaubern infolge dieser Betäubung, fallen erschöpft nieder und sprechen Worte aus, die für Orakel gelten. Seitdem der Buddhaismus und Lamaismus an die Stelle der schamanischen Religion getreten ist, ist das Leben der Mongolen einfach, substantiell und patriarchalisch gewesen, und wo sie in die Geschichte eingreifen, da haben sie nur historisch elementarische Anstöße verursacht. Daher ist auch von der politischen Staatsführung der Lamen wenig zu sagen. Ein Vezier führt die weltliche Herrschaft und berichtet alles an den Lama; die Regierung ist einfach und milde, und die Verehrung, welche die Mongolen dem Lama darbringen, äußert sich hauptsächlich darin, daß sie ihn in politischen Angelegenheiten um Rat fragen.


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