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Syrien und das semitische Vorderasien

Ein Element, das Küstenland, das dem persischen Reiche auch angehörte, stellt sich besonders in Syrien dar. Es war besonders wichtig für das persische Reich, denn wenn der Kontinent von Persien zu einer großen Unternehmung aufbrach, so wurde er von phönizischen wie auch von griechischen Kriegsflotten begleitet. Die phönizische Küste ist nur ein sehr schmaler Saum, oft nur zwei Stunden breit, der im Osten das hohe Gebirge des Libanon hat. An der Meeresküste lag eine Knotenreihe von herrlichen und reichen Städten, wie Tyrus, Sidon, Byblus, Berytus, die großen Handel und große Schifffahrt trieben, welche jedoch mehr isoliert und im Interesse des eignen Landes war, als daß sie in den ganzen persischen Staat eingegriffen hatte. Die Hauptrichtung des Handels ging in das Mittelländische Meer, und von hier reichte er weit in den Westen hinüber. Durch den Verkehr mit so vielen Nationen erreichte Syrien bald eine hohe Bildung, die schönsten Arbeiten in Metallen und Edelsteinen wurden daselbst verfertigt, die wichtigsten Erfindungen, wie die des Glases und Purpurs, dort gemacht. Die Schriftsprache empfing hier ihre erste Ausbildung, denn bei dem Verkehr mit verschiedenen Völkern tritt sehr bald das Bedürfnis derselben ein. (So hat z. B. Lord Macartney bemerkt, daß in Canton selbst die Chinesen das Bedürfnis einer leichteren Schriftsprache gefühlt hätten.) Die Phönizier entdeckten und beschifften zuerst den Atlantischen Ozean; auf Cypern und Kreta siedelten sie sich an; auf Thasos, einer weit von ihnen gelegenen Insel, bebauten sie Goldbergwerke; im südlichen und südwestlichen Spanien legten sie Silberbergwerke an; in Afrika gründeten sie die Kolonien Utika und Karthago; von Gades aus schifften sie weit an der afrikanischen Küste herunter und sollen nach einigen sogar ganz Afrika umsegelt haben; aus Britannien holten sie sich Zinn und aus der Ostsee den preußischen Bernstein. Auf diese Weise ergibt sich ein ganz neues Prinzip, Die Untätigkeit hört auf sowie die bloß rohe Tapferkeit, an ihre Stellen treten die Tätigkeit der Industrie und der besonnene Mut, der bei der Kühnheit, die See zu befahren, auch auf die Mittel verständig bedacht ist. Hier ist alles auf die Tätigkeit des Menschen gesetzt, auf seine Kühnheit, seinen Verstand, so wie auch die Zwecke für ihn sind. Menschlicher Wille und Tätigkeit sind hier das erste, nicht die Natur und ihre Gütigkeit. Babylonien hatte seinen bestimmten Boden, und die Subsistenz war durch den Lauf der Sonne und durch den Naturgang überhaupt bedingt. Aber der Seemann vertraut auf sich selbst im Wechsel der Wellen, und Auge und Herz müssen immer offen sein. Ebenso enthält das Prinzip der Industrie das Entgegengesetzte dessen, was man von der Natur erhält; denn die Naturgegenstände werden zum Gebrauche und zum Schmucke verarbeitet. In der Industrie ist der Mensch sich selber Zweck und behandelt die Natur als ein ihm Unterworfenes, dem er das Siegel seiner Tätigkeit aufdrückt. Der Verstand ist hier die Tapferkeit, und die Geschicklichkeit ist besser als der nur natürliche Mut. Wir sehen die Völker hier befreit von der Furcht der Natur und ihrem sklavischen Dienste.

Vergleichen wir hiermit die religiösen Vorstellungen, so sehen wir in Babylon, in den syrischen Völkerschaften, in Phrygien zunächst einen rohen, gemeinen, sinnlichen Götzendienst, dessen Beschreibung uns hauptsächlich in den Propheten gegeben wird. Es wird freilich hier nur von Götzendienst gesprochen, und dies ist etwas Unbestimmtes. Die Chinesen, die Inder, die Griechen haben Götzendienst, auch die Katholiken verehren die Bilder der Heiligen. Aber in dem Kreise, in welchem wir uns jetzt befinden, sind die Mächte der Natur und der Erzeugung überhaupt das Verehrte, und der Kultus ist Üppigkeit und Wohlleben. Die Propheten geben davon die greulichsten Schilderungen, deren Schrecklichkeit jedoch zum Teil auf den Haß der Juden gegen die Nachbarvölker muß geschoben werden. Besonders im Buche der Weisheit sind die Darstellungen ausführlich. Nicht nur die Verehrung der natürlichen Dinge fand statt, sondern auch die der allgemeinen Naturmacht, der Astarte, Cybele, der Diana von Ephesus. Der Kultus war sinnlicher Taumel, Ausschweifung und Üppigkeit; Sinnlichkeit und Grausamkeit sind die beiden charakteristischen Züge. »Halten sie Feiertage, so tun sie wie wütend,« sagt das Buch der Weisheit (14, 28.). Mit dem sinnlichen Leben, als einem Bewußtsein, das zum Allgemeinen nicht kommt, ist die Grausamkeit verknüpft, weil die Natur als solche das Höchste ist, so daß der Mensch keinen oder nur den geringsten Wert hat. In solchem Götterdienst liegt ferner, daß der Geist, insofern er sich mit der Natur zu identifizieren strebt, sein Bewußtsein und überhaupt das Geistige aufhebt. So sehen wir Kinder opfern, die Priester der Cybele sich selber verstümmeln, die Männer sich zu Eunuchen machen, die Weiber sich im Tempel preisgeben. Als ein Zug des babylonischen Hofes verdient bemerkt zu werden, daß, als Daniel am Hofe erzogen ward, nicht von ihm gefordert wurde, an den Religionsübungen teilzunehmen, und ferner, daß ihm reine Speisen gereicht wurden; er wurde besonders dazu gebraucht, die Träume des Königs zu deuten, weil er den Geist der heiligen Götter habe. Über das sinnliche Leben will der König durch Träume, als Deutungen des Höheren, sich erheben. Es zeigt sich also überhaupt, daß das Band der Religion locker war, und daß hier keine Einheit zu finden ist. Wir sehen nämlich auch Anbetungen von Bildern der Könige; die Naturmacht und der König als geistige Macht sind das Höchste, und so zeigt sich in diesem Götzendienst der vollkommene Gegensatz gegen die persische Reinheit.

Dagegen finden wir bei den Phöniziern, jenem kühnen Seevolke, etwas andres. Herodot erzählt uns, daß zu Tyrus der Herkules verehrt worden sei. Ist dieses auch nicht die griechische Gottheit, so muß doch darunter eine verstanden werden, die mit den Begriffen jener ungefähr übereinstimmt. Diese Verehrung ist außerordentlich bezeichnend für den Charakter des Volkes, denn Herkules ist es ja, von dem die Griechen sagen, daß er sich durch menschliche Tapferkeit und Kühnheit in den Olymp geschwungen habe. Dem Herkules liegt wohl in seinen zwölf Arbeiten die Vorstellung der Sonne zugrunde, doch bezeichnet diese Grundlage nicht die Hauptbestimmung, welche vielmehr bleibt, daß Herkules der Göttersohn ist, der durch seine Tugend und Arbeit sich zum Gott durch menschlichen Mut und Tapferkeit emporschwingt und, statt in Untätigkeit, in Mühseligkeit und Arbeit sein Leben verbringt. Ein zweites religiöses Moment ist der Dienst des Adonis, der sich in den Küstenstädten findet (auch in Ägypten wurde er von den Ptolemäern mit Pracht gefeiert), worüber eine Hauptstelle in dem Buche der Weisheit (14, 13 f.), in welcher es heißt: »die Götzen waren nicht von Anfang an, – sondern sind durch die eitle Ehre der Menschen darum erdacht, daß diese kurzen Lebens sind. Denn ein Vater, so er über seinen Sohn, der ihm allzufrüh dahin genommen ward (– Adonis), Leid und Schmerzen trug, ließ er ein Bild machen und fing an, den, so ein toter Mensch war, nun für Gott zu halten; und stiftete für die Seinen einen Gottesdienst und Opfer.« Das Fest des Adonis war, ungefähr wie der Dienst des Osiris, die Feier seines Todes, ein Leichenfest, bei dem die Frauen in die ausschweifendsten Klagen über den verlornen Gott ausbrachen. In Indien verstummt die Klage im Heroismus der Stumpfheit; klaglos stürzen sich dort die Weiber in den Strom, und die Männer, sinnreich in Peinigungen, legen sich die schrecklichsten Qualen auf, denn sie ergeben sich nur der Leblosigkeit, um das Bewußtsein in leerer, abstrakter Anschauung zu vertilgen; hier aber wird der menschliche Schmerz ein Moment des Kultus, ein Moment der Verehrung; im Schmerz empfindet der Mensch seine Subjektivität, er soll, er darf hier als er selbst sich wissen und sich gegenwärtig sein. Das Leben erhält hier wieder Wert. Es wird ein allgemeiner Schmerz veranstaltet; denn der Tod wird dem Göttlichen immanent, und der Gott stirbt. Bei den Persern sahen wir Licht und Finsternis miteinander im Kampf; hier aber sind beide Prinzipien in einem, dem Absoluten, geeint. Das Negative ist hier auch nur das Natürliche, aber als Tod des Gottes nicht nur das Beschränkte eines Bestimmten, sondern die reine Negativität selbst. Dieser Punkt ist nämlich wichtig, weil das Göttliche überhaupt als Geist gefaßt werden soll, worin liegt, daß es konkret sein und das Moment der Negativität in sich haben muß. Die Bestimmungen der Weisheit, der Macht sind auch konkrete Bestimmungen, aber nur als Prädikate, so daß Gott die abstrakte substantielle Einheit bleibt, worin die Unterschiede selber verschwinden und nicht Momente dieser Einheit werden. Hier aber ist das Negative selbst Moment des Gottes, das Natürliche, der Tod, dessen Kultus der Schmerz ist. In der Feier also des Todes des Adonis und seines Auferstehens ist es, daß das Konkrete zum Bewußtsein kommt. Adonis ist ein Jüngling, der den Eltern entrissen wird und zu früh stirbt. In China, im Dienste der Voreltern, genießen diese letzteren göttliche Ehre; aber Eltern bezahlen im Tode nur die Schuld der Natur. Den Jüngling rafft der Tod dagegen als ein Nichtseinsollen hin, und während der Schmerz über den Tod der Eltern kein gerechter Schmerz ist, ist im Jüngling der Tod ein Widerspruch. Und dies eben ist das Tiefe, daß im Gott das Negative, der Widerspruch zur Anschauung kommt, und daß der Kultus beide Momente, den Schmerz über den dahingerafften und die Freude über den wiedergefundenen Gott, enthält.


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