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Zweiter Teil

Die griechische Welt

Bei den Griechen fühlen wir uns sogleich heimatlich, denn wir sind auf dem Boden des Geistes, und wenn der nationale Ursprung, sowie der Unterschied der Sprachen, sich weiter hin nach Indien verfolgen läßt, so ist doch das eigentliche Aufsteigen und die wahre Wiedergeburt des Geistes erst in Griechenland zu suchen. Ich habe früher bereits die griechische Welt mit dem Jugendalter verglichen, und zwar nicht in dem Sinne, wie die Jugend eine ernsthafte, künftige Bestimmung in sich trägt und somit notwendig zur Bildung für einen weiteren Zweck hindrängt, wie sie also eine für sich durchaus unvollendete und unreife Gestalt und gerade dann am meisten verkehrt ist, wenn sie sich für fertig ansehen wollte; sondern in dem Sinne, daß die Jugend noch nicht die Tätigkeit der Arbeit, noch nicht das Bemühen um einen beschränkten Verstandeszweck, sondern vielmehr die konkrete Lebensfrische des Geistes ist: sie tritt in der sinnlichen Gegenwart auf, als der verkörperte Geist und die vergeistigte Sinnlichkeit, – in einer Einheit, die aus dem Geiste hervorgebracht ist. Griechenland bietet uns den heitren Anblick der Jugendfrische des geistigen Lebens. Hier ist es zuerst, wo der Geist herangereift sich selbst zum Inhalt seines Wollens und seines Wissens erhält, aber auf die Weise, daß Staat, Familie, Recht, Religion zugleich Zwecke der Individualität sind und diese nur durch jene Zwecke Individualität ist. Der Mann dagegen lebt in der Arbeit eines objektiven Zwecks, den er konsequent verfolgt, auch gegen seine Individualität.

Die höchste Gestalt, die der griechischen Vorstellung vorgeschwebt hat, ist Achill, der Sohn des Dichters, der homerische Jüngling aus dem trojanischen Krieg. Homer ist das Element, worin die griechische Welt lebt, wie der Mensch in der Luft. – Das griechische Leben ist eine wahre Jünglingstat. Achill, der poetische Jüngling, hat es eröffnet, und Alexander der Große, der wirkliche Jüngling hat es zu Ende geführt. Beide erscheinen im Kampf gegen Asien. Achill, als Hauptfigur im Nationalunternehmen der Griechen gegen Troja, steht nicht an der Spitze desselben, sondern ist dem König der Könige Untertan; er kann nicht Führer sein, ohne phantastisch zu werden. Dagegen der zweite Jüngling, Alexander, die freieste und schönste Individualität, welche die Wirklichkeit je getragen, tritt an die Spitze des in sich reifen Jugendlebens und vollführt die Rache gegen Asien.

Wir haben nun in der griechischen Geschichte drei Abschnitte zu unterscheiden: der erste ist der des Werdens der realen Individualität, der zweite der ihrer Selbständigkeit und ihres Glückes im Siege nach außen, durch die Berührung mit dem früheren weltgeschichtlichen Volke, der dritte endlich die Periode des Sinkens und des Verfalles, bei dem Zusammentreffen mit dem späteren Organe der Weltgeschichte. Die Periode des Anfangs bis zur inneren Vollendung, wodurch es einem Volke möglich wird, es mit dem früheren aufzunehmen, enthält die erste Bildung desselben. Hat das Volk eine Voraussetzung, wie die griechische Welt an der orientalischen, so tritt in seinen Anfang eine fremde Kultur hinein, und es hat eine doppelte Bildung, einerseits aus sich, andrerseits aus fremder Anregung. Dies Doppelte zur Vereinigung zu bringen, ist seine Erziehung, und die erste Periode endigt mit dem Zusammenfassen zur realen, eigentümlichen Kräftigkeit, welche sich dann selbst gegen ihre Voraussetzung wendet. Die zweite Periode ist die des Sieges und des Glückes. Indem aber das Volk nach außen gekehrt ist, läßt es seine Bestimmungen im Innern los, und es bildet sich Zwietracht im Innern, wenn die Spannung nach außen aufgehört hat. Auch in Kunst und Wissenschaft zeigt sich dies an der Trennung des Idealen von dem Realen. Hier ist der Punkt des Sinkens. Die dritte Periode ist die des Untergangs durch die Berührung mit dem Volke, aus welchem der höhere Geist hervorgeht. Demselben Gang, wir können es ein für allemal sagen, werden wir überhaupt in dem Leben eines jeden weltgeschichtlichen Volkes begegnen.


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