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Zweiter Abschnitt
Indien

Indien, wie China, ist ebenso eine frühe wie eine noch gegenwärtige Gestalt, die statarisch und fest geblieben ist und in der vollständigsten Ausbildung nach innen sich vollendet hat. Es ist immer das Land der Sehnsucht gewesen und erscheint uns noch als ein Wunderreich, als eine verzauberte Welt. Im Gegensatz zum chinesischen Staate, der voll des prosaischsten Verstandes in allen seinen Einrichtungen ist, ist Indien das Land der Phantasie und Empfindung. Das Moment des Fortgangs im Prinzip ist im allgemeinen folgendes: In China beherrscht das patriarchalische Prinzip die Unmündigen, für deren moralischen Entschluß das regelnde Gesetz und die moralische Aufsicht des Kaisers eintritt. Das Interesse des Geistes ist nun, daß die als äußerlich gesetzte Bestimmung als eine innerliche sei, daß natürliche und geistige Welt als innere, der Intelligenz angehörige, bestimmt werden, wodurch überhaupt die Einheit der Subjektivität und des Seins oder der Idealismus des Daseins gesetzt wird. Dieser Idealismus ist nun in Indien vorhanden, aber nur als ein begriffloser Idealismus der Einbildung, welche zwar Anfang und Material vom Dasein entnimmt, aber alles nur in Eingebildetes verwandelt; denn wenn das Eingebildete zwar auch vom Begriff durchzogen erscheint und der Gedanke als hineinspielend vorkommt, so geschieht dies nur in einer zufälligen Vereinigung. Indem nun aber doch in diese Traume der abstrakte und absolute Gedanke selbst als Inhalt eintritt, so kann man sagen: es ist Gott im Taumel seines Träumens, was wir hier vorgestellt sehen. Denn es ist nicht das Träumen eines empirischen Subjektes, das seine bestimmte Persönlichkeit hat und eigentlich nur diese aufschließt, sondern es ist das Träumen des unbeschränkten Geistes selbst.

Es gibt eine eigentümliche Schönheit der Frauen, wobei ihr Gesicht in reiner Haut, mit leichter lieblicher Röte, die nicht bloß wie die Röte der Gesundheit und Lebendigkeit, sondern eine feinere Röte ist, gleichsam ein geistiger Anhauch von innen heraus, überzogen ist, und wobei die Züge, mit dem Blick des Auges und der Haltung des Mundes, sanft, weich und ungespannt erscheinen, – diese fast nicht irdische Schönheit sieht man an den Frauen in den Tagen nach der Niederkunft, wenn sie, befreit von der beschwerlichen Last des Kindes und von der Arbeit des Gebärens, zugleich in der Seelenfreude sind über das Geschenk eines lieben Kindes; man sieht solchen Ton der Schönheit auch an Frauen, die im magischen, somnambulen Schlafe liegen und dadurch mit einer schöneren Welt in Beziehung stehen; ein großer Künstler (Schoreel) hat ihn auch der sterbenden Maria gegeben, deren Geist sich schon zu den seligen Räumen emporhebt und noch einmal ihr sterbendes Antlitz gleichsam zum Abschiedskusse belebt. Solche Schönheit finden wir auch in der lieblichsten Gestalt bei der indischen Welt, – eine Schönheit der Nervenschwäche, in welcher alles Unebene, Starre und Widerstrebende aufgelöst ist und nur die empfindende Seele erscheint, aber eine Seele, in welcher der Tod des freien und in sich begründeten Geistes erkennbar ist. – Denn würden wir die phantasie- und geistvolle Anmut dieses Blumenlebens, worin alle Umgebung, alle Verhältnisse vom Rosenhauch der Seele durchzogen sind und die Welt zu einem Garten der Liebe umgestaltet ist, näher ins Auge fassen und mit dem Begriff der Würdigkeit des Menschen und der Freiheit daran treten, so dürften wir, je mehr uns der erste Anblick bestochen hat, desto größere Verworfenheit nach allen Seiten hin finden. –

Der Charakter des träumenden Geistes als das allgemeine Prinzip der indischen Natur ist noch näher zu bestimmen. In dem Traume hört das Individuum auf, sich als dieses, ausschließend gegen die Gegenstände, zu wissen. Wachend bin ich für mich, und das andre ist ein Äußerliches und fest gegen mich, wie Ich gegen dasselbe. Als Äußerliches breitet sich das andre zu einem verständigen Zusammenhang und einem System von Verhältnissen aus, worin meine Einzelheit selbst ein Glied, eine damit zusammenhängende Einzelheit ist; – dies ist die Sphäre des Verstandes. Im Traume dagegen ist diese Trennung nicht. Der Geist hat aufgehört für sich gegen andres zu sein, und so hört überhaupt die Trennung des Äußerlichen und Einzelnen gegen seine Allgemeinheit und sein Wesen auf. Der träumende Inder ist daher alles, was wir Endliches und Einzelnes nennen, und zugleich als ein unendlich Allgemeines und Unbeschränktes an ihm selbst ein Göttliches. Die indische Anschauung ist ganz allgemeiner Pantheismus, und zwar ein Pantheismus der Einbildungskraft, nicht des Gedankens. Es ist eine Substanz, und alle Individualisierungen sind unmittelbar belebt und beseelt zu eigentümlichen Mächten. Der sinnliche Stoff und Inhalt ist in das Allgemeine und Unermeßliche nur aufgenommen und roh hineingetragen und nicht durch die freie Kraft des Geistes zur schönen Gestalt befreit und im Geiste idealisiert, so daß das Sinnliche nur dienend und sich anschmiegender Ausdruck des Geistigen wäre; sondern es ist zum Unermeßlichen und Maßlosen erweitert und das Göttliche dadurch bizarr, verworren und läppisch gemacht. Diese Träume sind nicht leere Märchen, ein Spiel der Einbildungskraft, so daß der Geist darin nur umhergaukelte, sondern er ist darin verloren und von diesen Träumereien als von seiner Realität und seinem Ernste hin und her geworfen, er ist diesen Endlichkeiten preisgegeben als seinen Herren und Göttern. So ist also alles, Sonne, Mond, Steine, der Ganges, Indus, Tiere, Blumen, alles ist ihm ein Gott, und indem eben in dieser Göttlichkeit das Endliche seinen Bestand und seine Festigkeit verliert, so verschwindet aller Beistand desselben; und umgekehrt das Göttliche, weil es für sich veränderlich und unstet ist, so ist es durch diese niedrige Gestalt völlig verunreinigt und absurd. – Bei dieser allgemeinen Vergöttlichung alles Endlichen und ebendamit Herabwürdigung des Göttlichen ist die Vorstellung der Menschwerdung, der Inkarnation Gottes nicht ein besonders wichtiger Gedanke. Der Papagei, die Kuh, der Affe usf. sind ebenfalls Inkarnationen Gottes und nicht erhoben über ihr Wesen. Das Göttliche ist nicht zum Subjekte, zum konkreten Geist individualisiert, sondern zur Gemeinheit und Sinnlosigkeit herabgewürdigt. – Dies ist im allgemeinen das Verhältnis der indischen Weltanschauung. Die Dinge entbehren ebenso des Verstandes, des endlichen zusammenhängenden Bestehens von Ursache und Wirkung, als der Mensch der Festigkeit des freien Fürsichseins, der Persönlichkeit und der Freiheit.

Indien hat äußerlich welthistorische Beziehungen nach manchen Seiten hin. Man hat in neueren Zeiten die Entdeckung gemacht, daß die Sanskritsprache allen weiteren Entwicklungen europäischer Sprachen zugrunde liege, zum Beispiel dem Griechischen, Lateinischen, Deutschen. Indien ist ferner der Ausgangspunkt für die ganze westliche Welt, aber diese äußere welthistorische Beziehung ist mehr nur ein natürliches Ausbreiten der Völker von hier aus. Wenn auch in Indien die Elemente weiterer Entwicklungen zu finden wären, und wenn wir auch Spuren hätten, daß sie nach Westen herübergekommen sind, so ist diese Übersiedlung doch so abstrakt, daß das, was für uns bei späteren Völkern Interesse haben kann, nicht mehr das ist, was sie von Indien erhielten, sondern vielmehr ein Konkretes, das sie sich selbst gebildet haben, und wobei sie am besten taten, die indischen Elemente zu vergessen. Das Sichverbreiten des Indischen ist vorgeschichtlich, denn Geschichte ist nur das, was in der Entwicklung des Geistes eine wesentliche Epoche ausmacht. Das Hinausgehen Indiens überhaupt ist nur eine stumme, tatlose Verbreitung, d. h. ohne politische Handlung. Die Inder haben keine Eroberungen nach außen gemacht, sondern sind selbst immer erobert worden. Und so wie stummer Weise Nordindien ein Ausgangspunkt natürlicher Verbreitung ist, so ist Indien überhaupt als gesuchtes Land ein wesentliches Moment der ganzen Geschichte. Seit den ältesten Zeiten haben alle Völker ihre Wünsche und Gelüste dahin gerichtet, einen Zugang zu den Schätzen dieses Wunderlandes zu finden, die das Köstlichste sind, was es auf Erden gibt, – Schätze der Natur, Perlen, Diamanten, Wohlgerüche, Rosenöle, Elefanten, Löwen usw., wie Schätze der Weisheit. Der Weg, welchen diese Schätze zu dem Abendlande genommen, ist zu allen Zeiten ein welthistorischer Umstand gewesen, der mit dem Schicksale von Nationen verflochten war. Auch ist es den Nationen gelungen, zu diesem Lande ihrer Wünsche zu dringen, es ist fast keine große Nation des Ostens noch des neueuropäischen Westens gewesen, die sich nicht dort einen kleineren oder größeren Fleck erworben hätte. In der alten Welt gelang es erst Alexander dem Großen, zu Lande nach Indien vorzudringen, aber auch er hat es nur berührt. Die Europäer der neuen Welt haben nur dadurch vermocht in den direkten Zusammenhang mit diesem Wunderland zu treten, daß sie hinten herum gekommen sind, und zwar auf dem Meere, das, wie gesagt, überhaupt das Verbindende ist. Die Engländer, oder vielmehr die ostindische Kompanie, sind die Herren des Landes, denn es ist das notwendige Schicksal der asiatischen Reiche, den Europäern unterworfen zu sein, und China wird auch einmal diesem Schicksale sich fügen müssen. Die Anzahl der Einwohner ist gegen 200 Millionen, wovon 100–112 Millionen den Engländern direkt unterworfen sind. Die nicht direkt untergebenen Fürsten haben an ihren Höfen englische Agenten, und englische Truppen befinden sich in ihrem Sold. Seitdem das Land der Maratten von den Engländern bezwungen worden ist, wird sich nichts mehr selbstständig gegen ihre Macht erhalten, die schon im birmanischen Reiche Fuß gefaßt und den Buramputr, der Indien im Osten begrenzt, überschritten hat.

Das eigentliche Indien ist das Land, welches die Engländer in zwei große Teile zerlegen: in Dekan, die große Halbinsel, die östlich den Meerbusen von Bengalen und westlich das indische Meer hat, und in Hindostan, das vom Gangestal gebildet wird und sich gegen Persien hinzieht. Gegen Nordosten wird Hindustan vom Himalaja begrenzt, welches von den Europäern als das höchste Gebirge der Erde anerkannt worden ist, denn seine Gipfel liegen gegen 26 000 Fuß über der Meeresfläche. Jenseits dieser Berge fällt das Land wieder ab; die Herrschaft der Chinesen erstreckt sich bis dahin, und als die Engländer zu dem Dalai-Lama in Hlassa wollten, wurden sie von den Chinesen aufgehalten. Gegen Westen in Indien fließt der Indus, in dem sich die fünf Flüsse vereinigen, die das Pentjâb genannt werden, bis zu welchen Alexander der Große vorgedrungen ist. Die Herrschaft der Engländer dehnt sich nicht bis an den Indus aus; es hält sich dort die Sekte der Seiks auf, deren Verfassung durchaus demokratisch ist, und die sich sowohl von der indischen als von der muhamedanischen Religion losgerissen haben und die Mitte zwischen beiden halten, indem sie nur ein höchstes Wesen anerkennen. Sie sind ein mächtiges Volk und haben sich Kabul und Kaschmir unterworfen. Außer diesen wohnen dem Indus entlang echt indische Stämme aus der Kaste der Krieger. Zwischen dem Indus und seinem Zwillingsbruder, dem Ganges, sind große Ebenen, und der Ganges bildet wieder große Reiche um sich her, in welchen die Wissenschaften sich bis auf einen so hohen Grad ausgebildet haben, daß die Länder um den Ganges noch in höherem Rufe stehen als die um den Indus. Besonders blühend ist das Reich Bengalen. Der Nerbuda macht die Grenzscheide zwischen Dekan und Hindostan. Die Halbinsel Dekan bietet eine weit größere Mannigfaltigkeit als Hindostan dar, und ihre Flüsse haben fast eine ebenso große Heiligkeit als der Indus und der Ganges, der ein ganz allgemeiner Name für alle Flüsse in Indien geworden ist, als der Fluß ?ϰατ᾽ ἐξοχὴν. Wir nennen die Bewohner des großen Landes, das wir jetzt zu betrachten haben, vom Flusse Indus her Inder (die Engländer heißen sie Hindu). Sie selbst haben dem Ganzen nie einen Namen gegeben, denn es ist nie ein Reich gewesen, und doch betrachten wir es als solches.

Was nun das politische Leben der Inder betrifft, so ist zunächst der Fortschritt in dieser Beziehung gegen China zu betrachten. In China war die Gleichheit aller Individuen vorherrschend und deshalb das Regiment im Mittelpunkte, dem Kaiser, so daß das Besondere zu keiner Selbständigkeit und subjektiven Freiheit gelangte. Der nächste Fortgang dieser Einheit ist, daß der Unterschied sich hervortut und in seiner Besonderheit selbständig gegen die alles beherrschende Einheit wird. Zu einem organischen Leben gehört einerseits die eine Seele, anderseits das Ausgebreitetsein in die Unterschiede, welche sich gliedern und in ihrer Partikularität zu einem ganzen System sich ausbilden, so aber, daß ihre Tätigkeit die eine Seele rekonstruiert. Diese Freiheit der Besonderung fehlt in China, denn der Mangel ist eben, daß die Unterschiede nicht zur Selbständigkeit gelangen können. In dieser Rücksicht macht sich in Indien der wesentliche Fortschritt, daß sich aus der Einheit des Despoten selbständige Glieder bilden. Doch diese Unterschiede fallen in die Natur zurück; statt wie im organischen Leben die Seele als das eine zu betätigen und frei dieselbe hervorzubringen, versteinern und erstarren sie und verdammen durch ihre Festigkeit das indische Volk zur entwürdigendsten Knechtschaft des Geistes. Diese Unterschiede sind die Kasten. In jedem vernünftigen Staate sind Unterschiede, die hervortreten müssen, die Individuen müssen zur subjektiven Freiheit kommen und diese Unterschiede aus sich setzen. In Indien ist aber von Freiheit und innerer Sittlichkeit noch nicht die Rede, sondern die Unterschiede, die sich hervortun, sind nur die der Beschäftigungen, der Stände. Auch im freien Staate bilden sie besondre Kreise, welche in ihrer Betätigung sich so versammeln, daß die Individuen darin ihre besondre Freiheit erhalten, doch in Indien kommt es nur zum Unterschied der Massen, welcher aber das ganze politische Leben und das religiöse Bewußtsein ergreift. Die Standesunterschiede bleiben dadurch, wie in China die Einheit, auf der gleichen ursprünglichen Stufe der Substantialität, d. h. sie sind nicht aus der freien Subjektivität der Individuen hervorgegangen.

Wenn wir nach dem Begriffe des Staates und dessen verschiedenen Geschäften fragen, so ist das erste wesentliche Geschäft dasjenige, dessen Zweck das ganz Allgemeine ist, dessen sich der Mensch zunächst in der Religion, dann in der Wissenschaft, bewußt wird. Gott, das Göttliche ist das schlechthin Allgemeine. Der erste Stand wird daher der sein, wodurch das Göttliche hervorgebracht und betätigt wird, der Stand der Brahmanen. Das zweite Moment, oder der zweite Stand, wird die subjektive Kraft und Tapferkeit darstellen. Die Kraft muß sich nämlich geltend machen, damit das Ganze bestehen könne und gegen andre Ganze oder Staaten zusammengehalten werde. Dieser Stand ist der der Krieger und Regenten, Kschatriya, obgleich auch oft Brahmanen zur Regierung gelangen. Das dritte Geschäft hat zum Zweck die Besonderheit des Lebens, die Befriedigung der Bedürfnisse, und begreift in sich Ackerbau, Gewerbe und Handel, die Klasse der Waisyas. Das vierte Moment endlich ist der Stand des Dienens, der des Mittels, dessen Geschäft ist, für andre um einen Lohn zu kurzer Subsistenz zu arbeiten, der Stand der Sudras, (diese dienende Klasse kann eigentlich keinen besondren organischen Stand im Staate ausmachen, weil sie nur den Einzelnen dient, ihre Geschäfte also zerstreute Geschäfte der Einzelheit sind, die sich an die vorigen anschließen).

Gegen solche Stände regt sich namentlich in neuerer Zeit der Gedanke, daß man den Staat lediglich von der abstrakt rechtlichen Seite betrachtet und daraus folgert, es müsse kein Unterschied der Stände stattfinden. Aber Gleichheit im Staatsleben ist etwas völlig Unmögliches; denn es tritt zu jederzeit der individuelle Unterschied des Geschlechts und Alters ein, und selbst wenn man sagt: alle Bürger sollen gleichen Anteil an der Regierung haben, so übergeht man sofort die Weiber und Kinder, welche ausgeschlossen bleiben. Der Unterschied von Armut und Reichtum, der Einfluß von Geschicklichkeit und Talent ist ebensowenig abzuweisen und widerlegt von Hause aus jene abstrakten Behauptungen. Wenn wir aber aus diesem Prinzip heraus die Verschiedenheit der Beschäftigungen und der damit beauftragten Stände uns gefallen lassen, so stoßen wir hier in Indien auf die Eigentümlichkeit, daß das Individuum wesentlich durch Geburt einem Stande angehört und daran gebunden bleibt. Dadurch fällt eben hier die konkrete Lebendigkeit, die wir entstehen sehen, in den Tod zurück, und die Fessel hemmt das Leben, das eben hervorbrechen möchte; der Anschein von der Realisation der Freiheit in diesen Unterschieden wird damit vollkommen vernichtet. Was die Geburt geschieden hat, soll die Willkür nicht wieder aneinander bringen, deswegen sollen sich die Kasten ursprünglich nicht miteinander vermischen und verheiraten. Doch zählt Arrian (Ind. 11.) schon sieben Kasten, und in neueren Zeiten hat man über dreißig herausgebracht, die dennoch also durch die Verbindung der verschiedenen Stände entstanden sind. Die Vielweiberei muß notwendig dazu führen. Einem Brahmanen werden z. B. drei Weiber aus den drei andern Kasten gestattet, wenn er nur eine Frau zuvörderst aus seiner eignen nahm. Die Kinder, die aus solcher Vermischung der Kasten hervorgingen, gehörten ursprünglich keiner an, aber ein König suchte ein Mittel, um diese Kastenlosen einzurangieren, und fand ein solches, welches zugleich der Anfang der Künste und Manufakturen ward. Die Kinder wurden nämlich zu bestimmten Gewerben zugelassen: eine Abteilung ward Weber, eine andre arbeitete in Eisen, und so traten aus den verschiedenen Beschäftigungen verschiedene Stände hervor. Die vornehmste dieser Mischlingskasten ist die, welche aus der Verbindung eines Brahmanen mit einer Frau aus der Kriegerklasse entsteht; die niedrigste ist die der Chandâlas, welche Leichname wegschleppen, Verbrecher hinrichten, überhaupt alles Unreine besorgen müssen. Diese Kaste ist ausgeschlossen und verhaßt, muß abgeschieden wohnen und fern von der Gemeinschaft mit andren. Einem Höheren müssen die Chandâlas aus dem Wege gehen, und jedem Brahmanen ist es erlaubt, den nicht sich Entfernenden niederzustoßen. Trinkt ein Chandâla aus einem Teich, so ist dieser verunreinigt und muß von neuem eine Weihe empfangen.

Das Verhältnis dieser Kasten ist es, was wir zunächst zu betrachten haben. Fragen wir nach ihrer Entstehung, so ist zu erwähnen, wie sie der Mythos erzählt. Dieser nämlich sagt, die Brahmanenkaste sei aus dem Munde des Brahma, die Kriegerkaste aus seinen Armen, die Gewerbetreibenden aus seiner Hüfte, die Dienenden aus seinem Fuße entsprungen. Manche Historiker haben die Hypothese aufgestellt, die Brahmanen hätten ein eignes Priestervolk ausgemacht, und diese Erdichtung kommt vornehmlich von den Brahmanen selbst her. Ein Volk von reinen Priestern ist sicherlich die größte Absurdität, denn a priori erkennen wir, daß ein Unterschied von Ständen nur innerhalb eines Volkes statthaben kann; in jedem Volk müssen sich die verschiedenen Beschäftigungen finden, denn sie gehören der Objektivität des Geistes an, und es ist wesentlich, daß ein Stand den andern voraussetzt, und daß die Entstehung der Kasten überhaupt erst Resultat des Zusammenlebens ist. Ein Priestervolk kann nicht ohne Landbauer und Krieger bestehen. Stände können sich nicht äußerlich zusammenfinden, sondern nur aus dem Innern heraus gliedern; sie kommen von innen heraus, aber nicht von außen herein. Daß aber diese Unterschiede hier der Natur anheimfallen, dies geht aus dem Begriff des Orients überhaupt hervor. Denn wenn eigentlich die Subjektivität dazu berechtigt sein sollte, sich ihre Beschäftigung zu wählen, so ist im Orient die innere Subjektivität überhaupt noch nicht als selbständig anerkannt, und treten die Unterschiede hervor, so ist damit verbunden, daß nicht das Individuum sie aus sich wählt, sondern durch die Natur erhält. In China hängt das Volk ohne Unterschied der Stände von den Gesetzen und dem moralischen Willen des Kaisers ab, also doch von einem menschlichen Willen. Plato in seinem Staate läßt die Unterschiede für die Beschäftigungen durch die Wahl der Vorsteher machen; also auch hier ist ein Sittliches, ein Geistiges das Bestimmende. In Indien ist die Natur dieser Vorsteher. Aber die Naturbestimmung brauchte noch nicht zu dem Grade der Entwürdigung zu führen, den wir hier erblicken, wenn die Unterschiede lediglich auf die Beschäftigung mit Irdischem, auf Gestaltungen des objektiven Geistes beschränkt wären. Im Feudalwesen des Mittelalters waren die Individuen auch an einen bestimmten Stand geknüpft, aber es stand für alle ein Höheres darüber, und allen kam die Freiheit zu, in den geistlichen Stand überzugehen. Dies ist der hohe Unterschied, daß die Religion für alle ein Gleiches ist, und daß, wenn auch der Sohn des Handwerkers Handwerker, der Sohn des Landmanns Landmann wird und die freie Wahl oft von manchen zwingenden Umständen abhängt, das religiöse Moment zu allen in demselben Verhältnis steht und alle durch die Religion absoluten Wert haben. Hiervon ist aber in Indien das bare Gegenteil der Fall. Ein andrer Unterschied zwischen den Ständen der christlichen Welt und denen der indischen wäre nun freilich die sittliche Würdigkeit, welche bei uns in jedem Stande ist und das ausmacht, was der Mensch in und durch sich selbst haben soll. Die Oberen sind darin den Unteren gleich, und indem die Religion die höhere Sphäre ist, in der sich alle sonnen, ist die Gleichheit vor dem Gesetz, Recht der Person und des Eigentums jedem Stande erworben. Dadurch daß in Indien aber, wie schon gesagt worden ist, die Unterschiede sich nicht nur auf die Objektivität des Geistes, sondern auch auf seine absolute Innerlichkeit erstrecken und so alle Verhältnisse desselben erschöpfen, ist weder Sittlichkeit, noch Gerechtigkeit, noch Religiosität vorhanden.

Jede Kaste hat ihre besondren Pflichten und Rechte; die Pflichten und Rechte sind daher nicht die des Menschen überhaupt, sondern die einer bestimmten Kaste. Wenn wir sagen würden, Tapferkeit ist eine Tugend, so sagen die Inder dagegen: Tapferkeit ist die Tugend der Kschatriyas. Menschlichkeit überhaupt, menschliche Pflicht und menschliches Gefühl ist nicht vorhanden, sondern es gibt nur Pflichten der besondren Kasten. Alles ist in die Unterschiede versteinert, und über dieser Versteinerung herrscht die Willkür. Sittlichkeit und menschliche Würde ist nicht vorhanden, die bösen Leidenschaften gehen darüber; der Geist wandert in die Welt des Traumes, und das Höchste ist die Vernichtung.

Um näher zu verstehen, was Brahmanen sind, und was sie gelten, so müssen wir uns auf die Religion und ihre Vorstellungen einlassen, auf die wir noch später zurückkommen, denn der Zustand der Rechte der Kasten gegeneinander hat seinen Grund im religiösen Verhältnisse. Brahmă (Neutrum) ist das höchste in der Religion, außerdem sind aber noch Hauptgottheiten Brahmâ (Maskulinum), Wischnu oder Krischna, in unendlich vielen Gestalten, und Siwa; diese Dreiheit gehört zusammen. Brahmâ ist das Oberste, aber Wischnu oder Krischna, Siwa, sowie Sonne, Luft usw. sind auch Brahm, d. i. substantielle Einheit. Dem Brahm selbst werden keine Opfer gebracht, es wird nicht verehrt; aber zu allen andern Idolen wird gebetet. Brahm selbst ist die substantielle Einheit von allem. Das höchste religiöse Verhältnis des Menschen nun ist, daß er sich zum Brahm erhebe. Fragt man einen Brahmanen, was ist Brahm, so antwortet er: Wenn ich mich in mich zurückziehe und alle äußeren Sinne verschließe und in mir Om spreche, so ist dies Brahm. Die abstrakte Einheit mit Gott wird in dieser Abstraktion des Menschen zur Existenz gebracht. Eine Abstraktion kann alles unverändert lassen, wie die Andacht, die momentan in jemandem hervorgerufen wird; bei den Indern aber ist dieselbe negativ gegen alles Konkrete gerichtet und das Höchste diese Erhebung, durch welche der Inder sich selbst zur Gottheit macht. Die Brahmanen sind schon durch die Geburt im Besitz des Göttlichen. Somit enthält der Kastenunterschied auch den Unterschied von gegenwärtigen Göttern und von endlichen Menschen. Die andern Kasten können zwar ebenfalls der Wiedergeburt teilhaftig werden; aber sie müssen sich unendlichen Entsagungen, Qualen und Büßungen unterwerfen. Die Verachtung des Lebens und des lebendigen Menschen ist darin der Grundzug. Ein großer Teil der Nichtbrahmanen trachtet nach der Wiedergeburt. Man nennt sie Yogi. Ein Engländer, der auf der Reise nach Tibet zum Dalai-Lama einem solchen Yogi begegnete, erzählt folgendes: Der Yogi befand sich schon auf der zweiten Stufe, um zu der Macht eines Brahmanen zu gelangen. Die erste Stufe hatte er durchgemacht, indem er sich zwölf Jahre fortwährend auf den Beinen gehalten, ohne sich je niederzusetzen oder zu liegen. Anfangs hatte er sich mit einem Strick an einen Baum festgebunden, bis er sich daran gewöhnt hatte, stehend zu schlafen. Die zweite Stufe machte er so durch, daß er zwölf Jahre beständig die Hände über dem Kopf zusammenfaltete, und schon waren ihm die Nägel fast in die Hände hineingewachsen. Die dritte Stufe wird nicht immer auf gleiche Weise vollbracht; gewöhnlich muß der Yogi einen Tag zwischen fünf Feuern zubringen, das heißt, zwischen vier Feuern nach allen Himmelsgegenden und der Sonne; dazu kommt dann das Schwenken über dem Feuer, welches drei und dreiviertel Stunden dauert. Engländer, welche diesem Akt einmal beiwohnten, erzählen, daß dem Individuum nach einer halben Stunde das Blut aus allen Teilen des Körpers herausströmte; es wurde abgenommmen und starb gleich darauf. Hat aber einer auch diese Prüfung überstanden, so wird er zuletzt noch lebendig begraben, das heißt, stehend in die Erde gesenkt und ganz zugeschüttet; nach drei und dreiviertel Stunden wird er herausgezogen, und nun endlich hat er, wenn er noch lebt, die innere Macht des Brahmanen erlangt.

Also nur durch solche Negation seiner Existenz kommt man zur Macht eines Brahmanen: diese Negation besteht aber auf ihrer höchsten Stufe in dem dumpfen Bewußtsein, es zu einer vollkommenen Regungslosigkeit, zur Vernichtung aller Empfindung und alles Wollens gebracht zu haben, ein Zustand, der auch bei den Buddhisten als das Höchste gilt. So feige und schwächlich die Inder sonst sind, so wenig kostet es sie, sich dem Höchsten, der Vernichtung aufzuopfern, und die Sitte zum Beispiel, daß die Weiber sich nach dem Tode ihres Mannes verbrennen, hängt mit dieser Ansicht zusammen. Würde ein Weib sich dieser hergebrachten Ordnung widersetzen, so schiede man sie aus aller Gesellschaft aus und ließe sie in der Einsamkeit verkommen. Ein Engländer erzählt, daß er auch eine Frau sich verbrennen sah, weil sie ihr Kind verloren hatte; er tat alles mögliche, um sie von ihrem Vorsatze abzubringen; er wendete sich endlich an den dabeistehenden Mann, aber dieser zeigte sich vollkommen gleichgültig und meinte, er habe noch mehr Frauen zu Hause. So sieht man denn bisweilen zwanzig Weiber sich auf einmal in den Ganges stürzen, und auf dem Himalajagebirge fand ein Engländer drei Frauen, die die Quelle des Ganges aufsuchten, um ihrem Leben in diesem heiligen Flusse ein Ende zu machen. Beim Gottesdienst in dem berühmten Tempel des Jagernaut am Bengalischen Meerbusen in Orissa, wo Millionen von Indern zusammenkommen, wird das Bild des Gottes Wischnu auf einem Wagen herumgefahren; gegen fünfhundert Menschen setzen denselben in Bewegung, und viele werfen sich vor die Räder desselben hin und lassen sich zerquetschen. Der ganze Strand des Meeres ist schon mit Gebeinen von so Geopferten bedeckt. Auch der Kindermord ist in Indien sehr häufig. Die Mütter werfen ihre Kinder in den Ganges oder lassen sie an den Strahlen der Sonne verschmachten. Das Moralische, das in der Achtung eines Menschenlebens liegt, ist bei den Indern nicht vorhanden. Solcher Lebensweisen, die auf die Vernichtung hingehen, gibt es nun noch unendliche Modifikationen. Dahin gehören z. B. die Gymnosophisten, wie sie die Griechen nannten. Nackte Fakirs laufen ohne irgendeine Beschäftigung gleich den katholischen Bettelmönchen herum, leben von den Gaben andrer und haben den Zweck, die Hoheit der Abstraktion zu erreichen, die vollkommene Verdumpfung des Bewußtseins, von wo aus der Übergang zum physischen Tode nicht mehr sehr groß ist.

Diese von andern erst mühsam zu erwerbende Hoheit besitzen nun die Brahmanen, wie schon gesagt worden ist, durch die Geburt. Der Inder einer andern Kaste hat daher den Brahmanen als einen Gott zu verehren, vor ihm niederzufallen und zu sprechen: du bist Gott. Und zwar kann die Würdigkeit nicht in sittlichen Handlungen bestehen, sondern vielmehr, da alle Innerlichkeit fehlt, in einem Wust von Gebräuchen, welche auch für das äußerliche unbedeutendste Tun Vorschriften erteilen. Das Leben des Menschen, sagt man, soll ein beständiger Gottesdienst sein. Man sieht, wie hohl dergleichen allgemeine Sätze sind, wenn man die konkreten Gestaltungen betrachtet, die sie annehmen können. Sie bedürfen noch eine ganz andre, weitere Bestimmung, wenn sie Sinn haben sollen. Die Brahmanen sind der gegenwärtige Gott, aber ihre Geistigkeit ist noch nicht in sich gegen die Natürlichkeit reflektiert, und so hat das Gleichgültige absolute Wichtigkeit. Die Geschäfte des Brahmanen bestehen hauptsächlich im Lesen der Vêdas, nur sie dürfen sie eigentlich lesen. Wenn ein Sudra die Vêdas läse oder sie lesen hörte, so würde er hart bestraft werden, und glühendes Öl müßte ihm in die Ohren gegossen werden. Dessen, was die Brahmanen äußerlich zu beobachten haben, ist ungeheuer viel, und die Gesetze des Manu handeln davon wie von dem wesentlichsten Teile des Rechts. Der Brahmane muß mit einem bestimmten Fuße aufstehen, sich dann in einem Fluß waschen, Haar und Nägel müssen rund geschnitten, der ganze Leib gereinigt, das Gewand muß weiß, in der Hand ein bestimmter Stab, in den Ohren ein goldenes Ohrgehänge sein. Begegnet der Brahmane einem Mann aus einer niederen Kaste, so muß er wieder umkehren, sich zu reinigen. Dann muß er in den Vêdas lesen, und zwar auf verschiedene Weise: jedes Wort einfach, oder eins ums andre doppelt, oder rückwärts. Weder in den Aufgang der Sonne darf er blicken, noch in den Niedergang, auch nicht wenn die Sonne von Wolken überzogen ist oder ihr Widerschein im Wasser leuchtet. Ihm ist verwehrt, über einen Strick zu steigen, woran ein Kalb gebunden ist, oder auszugehen, wenn es regnet. Seiner Frau zuzusehen, wenn sie ißt, nieset, gähnt oder behaglich dasitzt, ist ihm verboten. Beim Mittagsmahl darf er nur ein Gewand anhaben, beim Baden nie ganz nackt sein. Wie weit diese Vorschriften gehen, läßt sich insbesondere aus den Anordnungen beurteilen, welche die Brahmanen bei der Verrichtung ihrer Notdurft zu beobachten haben. Sie dürfen sich ihrer nicht entledigen auf einer großen Straße, auf Asche, auf gepflügtem Grunde, noch auf einem Berge, auf einem Nest von weißen Ameisen, auf Holz, das zum Verbrennen bestimmt ist, auf einem Graben, im Gehen oder Stehen, am Ufer eines Flusses usw. Bei der Verrichtung dürfen sie nicht nach der Sonne, nach dem Wasser und nach Tieren sehen. Sie müssen überhaupt das Gesicht bei Tage gegen Norden kehren, bei Nacht aber gegen Süden; nur im Schatten steht es in ihrem Belieben, wohin sie sich wenden wollen. Einem jeden, der sich ein langes Leben wünscht, ist es verboten, auf Scherben, Samen von Baumwolle, Asche, Korngarben oder auf seinen Urin zu treten. In der Episode Nala aus dem Gedichte Mahabharata wird erzählt, wie eine Jungfrau in ihrem 21. Jahre, in dem Alter, in welchem die Mädchen selbst das Recht haben, einen Mann zu wählen, unter ihren Freiern sich einen aussucht. Es sind ihrer fünf; die Jungfrau bemerkt aber, daß vier nicht fest auf ihren Füßen stehen und schließt ganz richtig daraus, daß es Götter seien. Sie wählt also den fünften, der ein wirklicher Mensch ist. Außer den vier verschmähten Göttern sind aber noch zwei boshafte, welche die Wahl versäumt hatten und sich deshalb rächen wollen; sie passen daher dem Gemahl ihrer Geliebten bei allen seinen Schritten und Handlungen auf, in der Absicht, ihm Schaden zuzufügen, wenn er in irgend etwas fehlen sollte. Der verfolgte Gemahl begeht nichts, was ihm zur Last fallen könnte, bis er endlich aus Unvorsichtigkeit auf seinen Urin tritt. Nun hat der Genius das Recht, in ihn hineinzufahren; er plagt ihn mit der Spielsucht und stürzt ihn somit in den Abgrund.

Wenn nun die Brahmanen dergleichen Bestimmungen und Vorschriften unterworfen sind, so ist ihr Leben dagegen geheiligt; für Verbrechen haftet es nicht, ebensowenig kann ihr Gut in Beschlag genommen werden. Alles, was der Fürst gegen sie verhängen kann, läuft auf die Landesverweisung hinaus. Die Engländer wollten ein Geschwornengericht in Indien einsetzen, das zur Hälfte aus Europäern, zur Hälfte aus Indern zusammengesetzt sein sollte, und legten den Indern, die darüber ein Gutachten abgeben sollten, die den Geschwornen zu erteilenden Vollmachten vor. Die Inder machten nun eine Menge von Ausnahmen und Bedingungen und sagten unter anderm, sie konnten nicht ihre Zustimmung dazu erteilen, daß ein Brahmane zum Tode verurteilt werden dürfe, andrer Einwendungen, zum Beispiel, daß sie einen toten Körper nicht sehen und untersuchen dürften, nicht zu gedenken. Wenn der Zinsfuß bei einem Krieger drei Prozent, bei einem Waisya vier Prozent, bei einem Sudra fünf Prozent hoch sein darf, so übersteigt er bei einem Brahmanen nie die Höhe von zwei Prozenten. Der Brahmame besitzt eine solche Macht, daß den König der Blitz des Himmels treffen würde, der Hand an denselben oder an seine Güter zu legen wagte, denn der geringste Brahmane steht so hoch über dem König, daß er sich verunreinigen würde, wenn er mit ihm spräche, und daß er entehrt wäre, wenn seine Tochter sich einen Fürsten erwählte. In Manus Gesetzbuch heißt es: Will jemand den Brahmanen in Ansehung seiner Pflicht belehren, so soll der König befehlen, daß dem Belehrenden heißes Öl in die Ohren und in den Mund gegossen werde; wenn ein nur einmal Geborner einen zweimal Gebornen mit Schmähungen überhäuft, so soll jenem ein glühender Eisenstab von zehn Zoll Länge in den Mund gestoßen werden. Dagegen wird einem Sudra glühendes Eisen in den Hintern angebracht, wenn er sich auf den Stuhl eines Brahmanen setzt, und der Fuß oder die Hand abgehauen, wenn er einen Brahmanen mit den Händen oder mit den Füßen stößt. Es ist sogar falsches Zeugnis abzulegen und vor Gericht zu lügen gestattet, falls nur dadurch ein Brahmane von der Verurteilung gerettet wird.

Sowie die Brahmanen Vorzüge vor den andren Kasten haben, so haben auch die folgenden einen Schritt über die vorraus, welche ihnen untergeordnet sind. Wenn ein Sudra von einem Paria durch Berührung verunreinigt würde, so hat er das Recht, ihn auf der Stelle niederzustoßen. Die Menschenliebe einer höheren Kaste gegen eine niedere ist durchaus verboten, und einem Brahmanen wird es nimmermehr einfallen, dem Mitgliede einer andern Kaste, selbst wenn es in Gefahr wäre, beizustehen. Die andern Kasten halten es für eine große Ehre, wenn ein Brahmane ihre Töchter zu Weibern nimmt, was ihm aber, wie schon gesagt worden, nur dann gestattet ist, wenn er schon ein Weib aus der eignen Kaste besitzt. Daher die Freiheit der Brahmanen, sich Frauen zu nehmen. Bei den großen religiösen Festen gehen sie unter das Volk und wählen sich die Weiber, die ihnen am besten gefallen; sie schicken sie aber auch wieder weg, wie es ihnen beliebt.

Wenn ein Brahmane oder ein Mitglied irgendeiner andern Kaste die oben angedeuteten Gesetze und Vorschriften übertritt, so ist er auch von selbst aus seiner Kaste ausgeschlossen, und um wieder aufgenommen zu werden, muß er sich einen Haken durch die Hüfte bohren und daran mehremal in der Luft herumschwenken lassen. Auch andre Formen der Wiederzulassung finden statt. Ein Raja, der sich von einem englischen Statthalter beeinträchtigt glaubte, schickte zwei Brahmanen nach England, um seine Beschwerden auseinanderzusetzen. Den Indern ist aber verboten, über das Meer zu gehen; und daher wurden diese Gesandten, als sie zurückkamen, als aus ihrer Kaste gestoßen erklärt und sollten, um wieder eintreten zu können, noch einmal aus einer goldenen Kuh geboren werden. Die Totalität der Aufgabe wurde ihnen insoweit erlassen, daß nur die Teile der Kuh golden zu sein brauchten, aus welchen sie herauskriechen mußten; das übrige durfte aus Holz bestehen. Diese vielfachen Gebräuche und religiösen Angewöhnungen, denen jede Kaste unterworfen ist, haben den Engländern, namentlich bei der Anwerbung ihrer Soldaten, große Not verursacht. Anfänglich nahm man sie aus der Sudrakaste, die nicht so vielen Verrichtungen unterworfen ist; mit diesen war aber nichts zu machen, daher ging man zu der Klasse der Kschatriya über; aber diese hat unendlich viel zu besorgen: sie darf kein Fleisch essen, keinen toten Körper berühren, aus einem Teiche nicht trinken, aus dem Vieh oder Europäer getrunken haben, das nicht essen, was andre kochten usw. Jeder Inder tut nur ein Bestimmtes, so daß man unendlich viele Bedienten haben muß und ein Leutnant dreißig, ein Major sechzig besitzt. Jede Kaste hat also ihre eignen Pflichten; je niedriger die Kaste, desto weniger ist für sie zu beobachten, und wenn jedem Individuum durch die Geburt sein Standpunkt angewiesen ist, so ist außer diesem fest Bestimmten alles andre nur Willkür und Gewalttat. Im Gesetzbuch des Manu steigen die Strafen mit der Niedrigkeit der Kasten, und der Unterschied kommt auch in andern Rücksichten vor. Verklagt ein Mann aus einer höheren Kaste einen Niedrigen ohne Beweis, so wird der Höhere nicht bestraft; im umgekehrten Falle ist die Strafe sehr hart. Nur beim Diebstahl findet die Ausnahme statt, daß die höhere Kaste schwerer büßen muß.

In Ansehung des Eigentums sind die Brahmanen sehr im Vorteil, denn sie zahlen keine Abgaben. Vom übrigen Lande erhält der Fürst die Hälfte des Ertrages, die andre Hälfte muß für die Kosten der Bebauung und für den Unterhalt der Bauern hinreichen. Der Punkt ist äußerst wichtig, ob in Indien überhaupt das bebaute Land Eigentum des Bebauers oder eines sogenannten Lehnsherrn ist, und die Engländer haben darüber selbst schwer ins reine kommen können. Als sie Bengalen eroberten, hatten sie nämlich ein großes Interesse, die Art der Abgaben vom Eigentum zu bestimmen, und mußten erfahren, ob sie diese den Bauern oder den Oberherren aufzulegen hätten. Sie taten das letztere; aber nun erlaubten sich die Herren die größten Willkürlichkeiten: sie jagten die Bauern weg und erlangten unter der Angabe, daß so und so viel Land unbebaut sei, eine Verminderung des Tributs. Die fortgejagten Bauern nahmen sie dann wieder für ein Geringes als Tagelöhner an und ließen das Land für sich selbst kultivieren. Der ganze Ertrag eines jeden Dorfes wird wie gesagt in zwei Teile geteilt, wovon der eine dem Ràja, der andre den Bauern zukommt; dann aber erhalten noch außerdem verhältnismäßige Portionen der Ortsvorsteher, der Richter, der Aufseher über das Wasser, der Brahmane für den Gottesdienst, der Astrolog (der auch ein Brahmane ist und die glücklichen und unglücklichen Tage angibt), der Schmied, der Zimmermann, der Töpfer, der Wäscher, der Barbier, der Arzt, die Tänzerinnen, der Musikus, der Poet. Dies ist fest und unveränderlich und unterliegt keiner Willkür. Alle politischen Revolutionen gehen daher gleichgültig an dem gemeinen Inder vorüber, denn sein Los verändert sich nicht.

Die Darstellung des Kastenverhältnisses führt nun unmittelbar zur Betrachtung der Religion. Denn die Fesseln der Kasten sind, wie schon bemerkt worden, nicht bloß weltlich, sondern wesentlich religiös, und die Brahmanen in ihrer Hoheit sind selbst die Götter in leiblicher Gegenwart. In den Gesetzen des Manu heißt es: Laßt den König auch in höchster Not nicht die Brahmanen gegen sich aufregen; denn diese können ihn mit ihrer Macht zerstören, sie, welche das Feuer, die Sonne, den Mond erzeugen usf. Sie sind weder Diener Gottes noch seiner Gemeine, sondern den übrigen Kasten selber der Gott, welches Verhältnis eben die Verkehrtheit des indischen Geistes ausmacht. Die träumende Einheit des Geistes und der Natur, welche einen ungeheuren Taumel in allen Gestaltungen und Verhältnissen mit sich bringt, haben wir schon früher als das Prinzip des indischen Geistes erkannt. Die indische Mythologie ist daher nur eine wilde Ausschweifung der Phantasie, in der sich nichts festgestaltet, in der vom Gemeinsten zum Höchsten, vom Erhabensten bis zum Scheußlichsten und Trivialsten übergegangen wird. So ist es auch schwer aufzufinden, was die Inder unter Brahm verstehen. Wir bringen die Vorstellung des höchsten Gottes, des Einen, des Schöpfers des Himmels und der Erden, mit und lassen diese Gedanken dem indischen Brahm zufließen. Von Brahm unterschieden ist nun Brahma, der eine Person gegen Wischnu und Siwa bildet. Deswegen nennen viele das höchste Wesen über jenen Parabrahma. Die Engländer haben sich viele Mühe gegeben, herauszubringen, was eigentlich Brahm sei. Es ist von Wilford behauptet wurden, es gebe zwei Himmel in der indischen Vorstellung: der erste sei das irdische Paradies, der zweite der Himmel in geistiger Bedeutung. Um diese zu erreichen gebe es zwei Weisen des Kultus. Die eine enthalte äußerliche Gebräuche, Götzendienst; die andre erfordere, daß man das höchste Wesen im Geiste verehre. Opfer, Abwaschungen, Wallfahrten seien hier nicht mehr nötig. Man finde wenig Inder, welchen den zweiten Weg zu gehen bereit seien, weil sie nicht fassen können, worin das Vergnügen des zweiten Himmels bestehe. Frage man einen Hindu, ob er Idole verehre, so sage jeder: ja; auf die Frage aber, betet ihr zum höchsten Wesen? antwortet jeder: nein. Wenn man nun weiter fragt: was tut ihr denn, was bedeutet das schweigende Meditieren, dessen einige Gelehrte Erwähnung tun? so ist die Erwiderung: wenn ich zur Ehre eines der Götter bete, so setze ich mich nieder, die Füße wechselweis über die Schenkel geschlagen, schaue gen Himmel, ruhig die Gedanken erhebend und sprachlos die Hände gefalten; dann sage ich, ich bin Brahm, das höchste Wesen. Brahm zu sein, werden wir durch die Maya (die weltliche Täuschung) uns nicht bewußt: es ist verboten, zu ihm zu beten und ihm selbst Opfer zu bringen, denn dies hieße uns selbst anbeten. Also können es immer nur Emanationen Brahms sein, welche wir anflehen. Nach der Übersetzung in unsern Gedankengang ist also Brahm die reine Einheit des Gedankens in sich selbst, der in sich einfache Gott. Ihm sind keine Tempel geweiht, und er hat keinen Kultus. Gleichartig sind auch in der katholischen Religion die Kirchen nicht Gott zugeschrieben, sondern den Heiligen. Andre Engländer, welche sich der Erforschung des Gedankens Brahms hingaben, meinten, Brahm sei ein nichtssagendes Epitheton, das auf alle Götter angewendet werde, Wischnu sage: ich bin Brahm; auch die Sonne, die Luft, die Meere werden Brahm genannt. Brahm sei so die einfache Substanz, welche sich wesentlich in das Wilde der Verschiedenheit auseinanderschlägt. Denn diese Abstraktion, diese reine Einheit ist das allem zugrunde Liegende, die Wurzel aller Bestimmtheit. Beim Wissen dieser Einheit fällt alle Gegenständlichkeit weg, denn das rein Abstrakte ist eben das Wissen selbst in seiner äußersten Leerheit. Diesen Tod des Lebens schon im Leben zu erreichen, diese Abstraktion zu setzen, dazu ist das Verschwinden alles sittlichen Tuns und Wollens wie auch des Wissens nötig, wie in der Religion des Fo; und dazu werden die Büßungen unternommen, von welchen früher gesprochen worden.

Das weitere zu der Abstraktion Brahms wäre nun der konkrete Inhalt, denn das Prinzip der indischen Religion ist das Hervortreten der Unterschiede. Diese nun fallen außer jener abstrakten Gedankenreinheit und sind als das von ihr Abweichende sinnliche Unterschiede oder die Gedankenunterschiede in unmittelbarer sinnlicher Gestalt. Auf diese Weise ist der konkrete Inhalt geistlos und wild zerstreut, ohne in die reine Idealität Brahms zurückgenommen zu sein. So sind die übrigen Götter die sinnlichen Dinge: Berge, Strome, Tiere, die Sonne, der Mond, der Ganges. Diese wilde Mannigfaltigkeit ist dann auch zu substantiellen Unterschieden zusammengefaßt und als göttliche Subjekte aufgefaßt. Wischnu, Siwa, Mahâdewa unterscheiden sich auf diese Weise von Brahma. In der Gestalt des Wischnu treten die Inkarnationen auf, worin Gott als Mensch erschien, und diese Menschwerdungen sind immer geschichtliche Personen, die Veränderungen und neue Epochen bewirkten. Die Zeugungskraft ist ebenso eine substantielle Gestalt, und in den Exkavationen, den Grotten, den Pagoden der Inder findet man immer das Lingam als die männliche und den Lotos als weibliche Zeugungskraft.

Diesem Gedoppelten, der abstrakten Einheit und abstrakten sinnlichen Besonderheit entspricht eben der gedoppelte Kultus, in dem Verhalten des Selbst zum Gott. Die eine Seite dieses Kultus besteht in der Abstraktion des reinen sich Aufhebens, in dem Vernichten des realen Selbstbewußtseins, welche Negativität also in der stumpfen Bewußtlosigkeit einerseits, in dem Selbstmorde und dem Vernichten der Lebendigkeit durch selbstauferlegte Qualen andrerseits zur Erscheinung kommt. Die andre Seite des Kultus besteht in dem wilden Taumel der Ausschweifung, in der Selbstlosigkeit des Bewußtseins durch Versenkung in die Natürlichkeit, mit der das Selbst sich auf diese Weise identisch setzt, indem es das Bewußtsein des sich Unterscheidens von der Natürlichkeit aufhebt. Bei allen Pagoden werden daher Buhlerinnen und Tänzerinnen gehalten, welche die Brahmanen aufs sorgfältigste im Tanzen, in den schönen Stellungen und Gebärden unterrichten, und die um einen bestimmten Preis sich jedem Wollenden ergeben müssen. Von einer Lehre, von Beziehung der Religion auf Sittlichkeit kann hier im entferntesten nicht mehr die Rede sein. Liebe, Himmel, genug alles Geistige wird von der Phantasie des Inders einerseits vorgestellt, aber andrerseits ist ihm das Gedachte ebenso sinnlich da, und er versenkt sich durch Betäubung in dieses Natürliche. Die religiösen Gegenstände sind so entweder von der Kunst hervorgebrachte scheußliche Gestalten oder natürliche Dinge. Jeder Vogel, jeder Affe ist der gegenwärtige Gott, ein ganz allgemeines Wesen. Die Inder sind nämlich unfähig, einen Gegenstand in verständigen Bestimmungen festzuhalten, denn dazu gehört schon Reflexion. Indem das Allgemeine zu sinnlicher Gegenständlichkeit verkehrt wird, wird diese auch aus ihrer Bestimmtheit zur Allgemeinheit herausgetrieben, wodurch sie sich haltungslos zur Maßlosigkeit erweitert.

Fragen wir nun weiter, inwieweit die Religion die Sittlichkeit der Inder erscheinen lasse, so ist zu antworten, die erstere sei ebenso weit von der letzteren abgeschnitten wie Brahm von seinem konkreten Inhalt. Die Religion ist uns das Wissen des Wesens, das eigentlich unser Wesen ist, und daher die Substanz des Wissens und Wollens, das die Bestimmung erhält, ein Spiegel dieser Grundsubstanz zu sein. Aber dazu gehört, daß dieses Wesen selbst Subjekt mit göttlichen Zwecken sei, welche der Inhalt des menschlichen Handelns werden können. Solcher Begriff aber einer Beziehung des Wesens Gottes als allgemeiner Substanz menschlichen Handelns, solche Sittlichkeit kann sich bei den Indem nicht finden, denn sie haben nicht das Geistige zum Inhalt ihres Bewußtseins. Einerseits steht ihre Tugend in dem Abstrahieren von allem Tun im Brahmsein; andrerseits ist jedes Tun bei ihnen vorgeschriebener äußerlicher Gebrauch, nicht freies Tun durch die Vermittlung innerlicher Selbstigkeit, und so zeigt sich denn der sittliche Zustand der Inder, wie schon gesagt worden ist, als der verworfenste. Darin stimmen alle Engländer überein. Man kann sich in seinem Urteile über die Moralität der Inder leicht durch die Beschreibung der Milde, der Zartheit, der schönen und empfindungsvollen Phantasie bestechen lassen, doch müssen wir bedenken, daß es in ganz verdorbenen Nationen Seiten gibt, die man zart und edel nennen dürfte. Wir haben chinesische Gedichte, worin die zartesten Verhältnisse der Liebe geschildert werden, worin sich Zeichnungen von tiefer Empfindung, Demut, Scham, Bescheidenheit befinden, und die man mit dem, was vom Besten in der europäischen Literatur vorkommt, vergleichen kann. Dasselbe begegnet uns in vielen indischen Poesien; aber Sittlichkeit, Moralität, Freiheit des Geistes, Bewußtsein des eignen Rechts sind ganz davon getrennt. Die Vernichtung der geistigen und physischen Existenz hat nichts Konkretes in sich, und das Versenken in die abstrakte Allgemeinheit hat keinen Zusammenhang mit dem Wirklichen. List und Verschlagenheit ist der Grundcharakter des Inders! Betrügen, Stehlen, Rauben, Morden liegt in seinen Sitten; demütig kriechend und niederträchtig zeigt er sich dem Sieger und Herrn, vollkommen rücksichtslos und grausam dem Überwundenen und Untergebenen. Die Menschlichkeit des Inders charakterisierend ist es, daß er kein Tier tötet, reiche Hospitäler für Tiere, besonders für alte Kühe und Affen, stiftet und unterhält, daß aber im ganzen Lande keine einzige Anstalt für kranke und altersschwache Menschen zu finden ist. Auf Ameisen treten die Inder nicht, aber arme Wandrer lassen sie gleichgültig verschmachten. Besonders unsittlich sind die Brahmanen. Sie essen und schlafen nur, erzählen die Engländer. Wenn ihnen etwas nicht durch ihre Gebräuche verboten ist, so lassen sie sich ganz durch ihre Triebe leiten; wo sie ins öffentliche Leben eingreifen, zeigen sie sich habsüchtig, betrügerisch, wollüstig; sie behandeln die mit Demut, welche sie zu fürchten haben, und lassen es ihre Untergebenen entgelten. Ein rechtschaffener Mann, sagt ein Engländer, ist mir unter ihnen nicht bekannt. Die Kinder haben vor den Eltern keine Achtung, der Sohn mißhandelt die Mutter.

Die Kunst und Wissenschaft der Inder hier ausführlich zu erwähnen, würde zu weit führen. Es ist aber im allgemeinen zu sagen, daß bei genauerer Kenntnis des Wertes derselben das viele Gerede von indischer Weisheit um ein Bedeutendes ist verringert worden. Nach dem indischen Prinzipe der reinen selbstlosen Idealität und des Unterschiedes, der ebenso sinnlich ist, zeigt es sich, wie nur abstraktes Denken und Phantasie können ausgebildet sein. So ist z. B. die Grammatik zu großer Festigkeit gediehen; aber sobald es in den Wissenschaften und Kunstwerken auf substantiellen Stoff ankommt, ist derselbe hier nicht zu suchen. Nachdem die Engländer Herren des Landes wurden, hat man die Entdeckung indischer Bildung wieder zu machen angefangen, und William Jones hat zuerst die Gedichte des goldenen Zeitalters aufgesucht. Die Engländer führten in Kalkutta Schauspiele auf, da zeigten die Brahmanen auch Dramen vor, z. B. die Sakuntala von Calidasa usw. In dieser Freude der Entdeckung schlug man nun die Bildung der Inder sehr hoch an, und wie man gewöhnlich bei neu aufgefundenen Schätzen auf die, welche man besitzt, verachtend herabsieht, so sollte indische Dichtkunst und Philosophie die griechische überragen. Am wichtigsten sind für uns die Ur- und Grundbücher der Inder, besonders die Vêdas; sie enthalten mehrere Abteilungen, wovon die vierte späteren Ursprungs ist. Der Inhalt derselben besteht teils aus religiösen Gebeten, teils aus Vorschriften, was die Menschen zu beobachten haben. Einige Handschriften dieser Vêdas sind nach Europa gekommen, doch vollständig sind sie außerordentlich selten. Die Schrift ist auf Palmblätter mit einer Nadel eingekratzt. Die Vêdas sind sehr schwer zu verstehen, da sie sich aus dem höchsten Altertum herschreiben und die Sprache ein viel älteres Sanskrit ist. Nur Colebrooke hat einen Teil übersetzt, aber dieser selbst ist vielleicht aus einem Kommentar genommen, deren es sehr viele gibt. Erst jetzt hat sich Professor Rosen in London ganz in die Sache hineinstudiert und kürzlich ein Spezimen des Textes mit einer Übersetzung gegeben, Rig-Vedae Specimen ed Fr. Rosen. London 1830. [1. Ausg.] (Später ist nach dem Tode Rosens aus seinem Nachlaß der ganze Rig-Veda London 1839 erschienen.) Auch zwei große epische Gedichte, Ramayana und Mahabharata, sind nach Europa gekommen. Drei Quartbände von ersterem sind gedruckt worden, der zweite Band ist äußerst selten. Anm. d. Herausg.: A. W. v.  Schlegel hat den ersten und zweiten Band herausgegeben; von Mahabharata sind die wichtigsten Episoden von F.  Bopp bekannt gemacht; jetzt ist eine Gesamtausgabe zu Kalkutta erschienen. [1. Ausg. verändert.] Außer diesen Werken sind noch besonders die Puranas zu bemerken. Die Puranas enthalten die Geschichte eines Gottes oder eines Tempels. Diese sind vollkommen phantastisch. Ein Grundbuch der Inder ist ferner das Gesetzbuch des Manu. Man hat diesen indischen Gesetzgeber mit dem kretischen Minos, welcher Name auch bei den Ägyptern vorkommt, verglichen, und gewiß ist es merkwürdig und nicht zufällig, daß dieser Name so durchgeht. Manus Sittenbuch (herausgegeben zu Kalkutta mit englischer Übersetzung des Sir W. Jones) macht die Grundlage der indischen Gesetzgebung aus. Es fängt mit einer Theogonie an, die nicht nur, wie natürlich, von den mythologischen Vorstellungen andrer Völker ganz verschieden ist, sondern auch wesentlich von den indischen Traditionen selbst abweicht. Denn auch in diesen sind nur einige Grundzüge durchgreifend, sonst ist alles der Willkür und dem Belieben eines jeden überlassen, daher man immer wieder die verschiedenartigsten Traditionen, Gestaltungen und Namen vorfindet. Auch die Zeit, in welcher Manus Gesetzbuch entstanden ist, ist völlig unbekannt und unbestimmt. Die Traditionen gehen bis über dreiundzwanzig Jahrhunderte vor Christi Geburt: es wird von einer Dynastie der Sonnenkinder, auf die eine solche der Mondskinder folgte, gesprochen. So viel ist aber gewiß, daß das Gesetzbuch aus hohem Altertum ist; und seine Kenntnis ist für die Engländer von der größten Wichtigkeit, da ihre Einsicht in das Recht davon abhängt.

Nachdem nun das indische Prinzip in den Kastenunterschieden, in der Religion und Literatur ist nachgewiesen worden, so ist nun auch die Art und Weise des politischen Daseins, d. i. der Grundsatz des indischen Staates anzugeben. – Der Staat ist diese geistige Wirklichkeit, daß das selbstbewußte Sein des Geistes, die Freiheit des Willens als Gesetz verwirklicht werde. Dies setzt schlechthin das Bewußtsein des freien Willens überhaupt voraus. Im chinesischen Staate ist der moralische Wille des Kaisers das Gesetz; aber so, daß die subjektive, innerliche Freiheit dabei zurückgedrängt ist, und das Gesetz der Freiheit nur als außerhalb der Individuen sie regiert. In Indien ist diese erste Innerlichkeit der Einbildung, eine Einheit des Natürlichen und Geistigen, worin weder die Natur als eine verständige Welt noch das Geistige als das der Natur sich gegenüberstellende Selbstbewußtsein ist. Hier fehlt der Gegensatz im Prinzip; es fehlt die Freiheit sowohl als an sich seiender Wille, wie auch als subjektive Freiheit. Es ist hiemit der eigentümliche Boden des Staates, das Prinzip der Freiheit gar nicht vorhanden: es kann also kein eigentlicher Staat vorhanden sein. Dies ist das erste; wenn China ganz Staat ist, so ist das indische politische Wesen nur ein Volk, kein Staat. Ferner, wenn in China ein moralischer Despotism war, so ist das, was in Indien noch politisches Leben genannt werden kann, ein Despotism ohne irgendeinen Grundsatz, ohne Regel der Sittlichkeit und der Religiosität: denn Sittlichkeit, Religion, insofern die letztere sich auf das Handeln der Menschen bezieht, haben schlechthin zu ihrer Bedingung und Basis die Freiheit des Willens. In Indien ist daher der willkürlichste, schlechteste, entehrendste Despotism zu Hause. China, Persien, die Türkei, Asien überhaupt ist der Boden des Despotism und, im bösen Charakter, der Tyrannei; aber die letztere gilt als etwas, das nicht in der Ordnung ist, und das an der Religion, an dem moralischen Bewußtsein der Individuen seine Mißbilligung findet. Die Tyrannei empört hier die Individuen, sie verabscheuen und empfinden sie als Druck, sie ist darum zufällig und außer der Ordnung, sie soll nicht sein. Aber in Indien ist sie in der Ordnung, denn hier ist kein Selbstgefühl vorhanden, mit dem die Tyrannei vergleichbar wäre, und wodurch das Gemüt sich in Empörung setzte; es bleibt nur der körperliche Schmerz, die Entbehrung der nötigsten Bedürfnisse und der Lust, welche eine negative Empfindung dagegen enthalten.

Bei einem solchen Volke ist denn das, was wir im doppelten Sinne Geschichte heißen, nicht zu suchen, und hier tritt der Unterschied zwischen China und Indien am deutlichsten und am auffallendsten hervor. Die Chinesen haben die genaueste Geschichte ihres Landes, und es ist schon bemerkt worden, welche Anstalten in China getroffen werden, daß alles genau in die Geschichtsbücher verzeichnet werde. Das Gegenteil ist in Indien der Fall. Wenn wir in der neueren Zeit, als wir mit den Schätzen der indischen Literatur bekannt wurden, gefunden haben, daß die Inder großen Ruhm in der Geometrie, Astronomie und Algebra erlangten, daß sie es in der Philosophie weit brachten, und daß das grammatische Studium so angebaut worden ist, daß keine Sprache als ausgebildeter zu betrachten ist als das Sanskrit, so finden wir die Seite der Geschichte ganz vernachlässigt oder vielmehr gar nicht vorhanden. Denn die Geschichte erfordert Verstand, die Kraft, den Gegenstand für sich freizulassen und ihn in seinem verständigen Zusammenhange aufzufassen. Der Geschichte, wie der Prosa überhaupt, sind daher nur Völker fähig, die dazu gekommen sind und davon ausgehen, daß die Individuen sich als für sich seiend, mit Selbstbewußtsein, erfassen.

Die Chinesen gelten nach dem, wozu sie sich im großen Ganzen des Staates gemacht haben. Indem sie auf diese Weise zu einem Insichsein gelangen, lassen sie auch die Gegenstände frei und fassen dieselben auf, wie sie vorliegen, in ihrer Bestimmtheit und in ihrem Zusammenhange. Die Inder dagegen sind durch Geburt einer substantiellen Bestimmtheit zugeteilt, und zugleich ist ihr Geist zur Idealität erhoben, so daß sie der Widerspruch sind, die feste verständige Bestimmtheit in ihrer Idealität aufzulösen und andrerseits diese zur sinnlichen Unterschiedenheit herabzusetzen. Dies macht sie zur Geschichtschreibung unfähig. Alles Geschehene verflüchtigt sich bei ihnen zu verworrenen Träumen. Was wir geschichtliche Wahrheit und Wahrhaftigkeit, verständiges, sinnvolles Auffassen der Begebenheiten und Treue in der Darstellung nennen, – nach allem diesen ist bei den Indern gar nicht zu fragen. Es ist teils eine Gereiztheit und Schwäche der Nerven, die ihnen nicht gestattet, ein Dasein zu ertragen und fest aufzufassen, – wie sie es auffassen, hat es ihre Empfindlichkeit und Phantasie zum Fiebertraum verkehrt; teils ist Wahrhaftigkeit das Gegenteil ihrer Natur, sie lügen sogar wissentlich und vorsätzlich, wo sie es besser wissen. Wie der indische Geist ein Träumen und Vorschweben, ein selbstloses Aufgelöstsein ist, so verschweben ihm auch die Gegenstände zu wirklichkeitslosen Bildern und zu einem Maßlosen. Dieser Zug ist absolut charakteristisch, und durch ihn allein ließe sich der indische Geist in seiner Bestimmtheit auffassen und aus ihm alles Bisherige entwickeln.

Die Geschichte ist aber immer für ein Volk von großer Wichtigkeit, denn dadurch kommt es zum Bewußtsein des Ganges seines Geistes, der sich in Gesetzen, Sitten und Taten ausspricht. Gesetze als Sitten und Einrichtungen sind das Bleibende überhaupt. Aber die Geschichte gibt dem Volke sein Bild in einem Zustande, der ihm dadurch objektiv wird. Ohne Geschichte ist sein zeitliches Dasein nur in sich blind und ein sich wiederholendes Spiel der Willkür in mannigfaltigen Formen. Die Geschichte fixiert diese Zufälligkeit, sie macht sie stehend, gibt ihr die Form der Allgemeinheit und stellt eben damit die Regel für und gegen sie auf. Sie ist ein wesentliches Mittelglied in der Entwicklung und Bestimmung der Verfassung, d. h. eines vernünftigen, politischen Zustandes; denn sie ist die empirische Weise, das Allgemeine hervorzubringen, da sie ein Dauerndes für die Vorstellung aufstellt. – Weil die Inder keine Geschichte, als Historie, haben, um deswillen haben sie keine Geschichte als Taten ( res gestae), d. i. keine Herausbildung zu einem wahrhaft politischen Zustande.

Es werden in den indischen Schriften Zeitalter angegeben und große Zahlen, die oft von astronomischer Bedeutung und noch öfter ganz willkürlich gemacht sind. So heißt es von Königen, sie hätten siebzigtausend Jahre oder mehr regiert. Brahma, die erste Figur in der Kosmogonie, die sich selbst erzeugt hat, hat zwanzigtausend Millionen Jahre gelebt usw. Es werden unzählige Namen von Königen angeführt, darunter die Inkarnationen des Wischnu. Es würde lächerlich sein, dergleichen für etwas Geschichtliches zu nehmen. In den Gedichten ist häufig die Rede von Königen; es sind dies wohl historische Figuren gewesen, aber sie verschwinden gänzlich in Fabel, sie ziehen sich z. B. ganz von der Welt zurück und erscheinen dann wieder, nachdem sie zehntausend Jahre in der Einsamkeit zugebracht haben. Die Zahlen haben also nicht den Wert und verständigen Sinn, den sie bei uns besitzen.

Die ältesten und sichersten Quellen der indischen Geschichte sind daher die Notizen der griechischen Schriftsteller, nachdem Alexander der Große den Weg nach Indien eröffnet hatte. Daraus wissen wir, daß schon damals alle Einrichtungen, wie sie heute sind, vorhanden waren. Santarakottus (Chandragupta) wird als ein ausgezeichneter Herrscher im nördlichen Teile von Indien hervorgehoben, bis wohin sich das baktrische Reich erstreckte. Eine andre Quelle bieten die mohammedanischen Geschichtschreiber dar, denn schon im zehnten Jahrhundert begannen die Mohammedaner ihre Einfälle. Ein türkischer Sklave ist der Stammvater der Ghaznawiden; sein Sohn Mahmud brach in Hindostan ein und eroberte fast das ganze Land. Die Residenz schlug er westlich von Kabul auf, und an seinem Hofe lebte der Dichter Ferdusi. Die ghaznawidische Dynastie wurde bald durch die Afghanen und später durch die Mongolen völlig ausgerottet. In neueren Zeiten ist fast ganz Indien den Europäern unterworfen worden. Was man also von der indischen Geschichte weiß, ist meist durch Fremde bekannt geworden, und die einheimische Literatur gibt nur unbestimmte Data an. Die Europäer versichern die Unmöglichkeit, den Morast indischer Nachrichten zu durchwaten. Das Bestimmtere wäre aus Inschriften und Dokumenten zu nehmen, besonders aus den schriftlichen Schenkungen von einem Stück Land an Pagoden und an Gottheiten, aber diese Auskunft gewährt auch nur bloße Namen. Eine andre Quelle wären die astronomischen Schriften, die von hohem Altertum sind. Colebrooke hat diese Schriften genau studiert, doch es ist sehr schwierig, Manuskripte zu bekommen, da die Brahmanen sehr geheim damit tun, und überdies sind die Handschriften durch die größten Interpolationen entstellt. Es ergibt sich, daß die Angaben von Konstellationen sich oft widersprechen, und daß die Brahmanen Umstände ihrer Zeit in diese alten Werke einschieben. Die Inder besitzen zwar Listen und Aufzählungen ihrer Könige, aber hier ist auch die größte Willkür sichtbar, weil man oft in einer Liste zwanzig Könige mehr als in der andern findet; und selbst in dem Falle, wo diese Listen richtig wären, könnten sie noch keine Geschichte konstituieren. Die Brahmanen sind ganz gewissenlos in Ansehung der Wahrheit. Kapitän Wilford hatte mit großer Mühe und vielem Aufwand sich von allen Seiten her Manuskripte verschafft, er versammelte mehrere Bramahnen um sich und gab ihnen auf, Auszüge aus diesen Werken zu machen und Nachforschungen über gewisse berühmte Begebenheiten, über Adam und Eva, die Sintflut usw. anzustellen. Die Brahmanen, um ihrem Herrn zu gefallen, brauten ihm dergleichen zusammen, was aber gar nicht in den Handschriften stand. Wilford schrieb nun mehrere Abhandlungen darüber, bis er endlich den Betrug merkte und seine Mühe als vergeblich erkannte. Die Inder haben allerdings eine bestimmte Aera, sie zählen von Wikramâditya an, an dessen glänzendem Hofe Kalidasa, der Verfasser der Sakuntala, lebte. Um dieselbe Zeit lebten überhaupt die vorzüglichsten Dichter. Es seien neun Perlen am Hofe des Wikramâditya gewesen, sagen die Brahmanen, es ist aber nicht zu erforschen, wann dieser Glanz existiert hat. Aus verschiedenen Angaben hat man das Jahr 1491 vor Chr. Geburt erhalten, andre nehmen das Jahr 50 vor Chr. an, und dies ist das gewöhnliche. Bentley endlich hat durch seine Untersuchungen den Wikramâditya in das zwölfte Jahrhundert vor Chr. gesetzt. Zuletzt ist noch entdeckt worden, daß es fünf, ja acht bis neun Könige dieses Namens in Indien gegeben hat, daher ist man auch hier wieder in vollkommener Ungewißheit.

Als die Europäer mit Indien bekannt wurden, fanden sie eine Menge von kleinen Reichen, an deren Spitze mohammedanische und indische Fürsten standen. Der Zustand war beinahe lehnsmäßig organisiert, und die Reiche zerfielen in Distrikte, die zu Vorstehern Mohammedaner oder Leute aus der Kriegerkaste hatten. Das Geschäft dieser Vorsteher bestand darin, Abgaben einzuziehen und Kriege zu führen, und sie bildeten so gleichsam eine Aristokratie, einen Rat des Fürsten. Aber nur insofern die Fürsten gefürchtet werden und Furcht erregen, haben sie Macht, und nichts wird ihnen ohne Gewalt geleistet. So lange es dem Fürsten nicht an Geld fehlt, so lange hat er Truppen, und die benachbarten Fürsten, wenn sie ihm an Gewalt nachstehen, müssen oft Abgaben leisten, die sie jedoch nur, insofern sie eingetrieben werden können, bezahlen. So ist der ganze Zustand nicht der der Ruhe, sondern eines steten Kampfes, ohne daß jedoch durch diesen etwas entwickelt oder gefördert wird. Es ist der Kampf eines energischen Fürstenwillens gegen einen ohnmächtigeren, die Geschichte der Herrscherdynastien, aber nicht der Völker, eine Reihe immer wechselnder Intrigen und Empörungen, und zwar nicht der Untertanen gegen ihre Beherrscher, sondern des fürstlichen Sohnes gegen den Vater, der Brüder, der Onkel und Neffen untereinander und der Beamten gegen ihren Herrn. Man könnte nun glauben, daß, wenn die Europäer einen solchen Zustand vorfanden, dies ein Resultat der Auflösung früherer besserer Organisationen gewesen sei, man könnte namentlich annehmen, daß die Zeiten der mongolischen Oberherrschaft eine Periode des Glücks und des Glanzes und eines politischen Zustandes gewesen seien, wo Indien nicht durch fremde Eroberer in seinem religiösen und politischen Sein zerrissen, unterdrückt und aufgelöst war. Was aber davon an geschichtlichen Spuren und Zügen beiläufig in dichterischen Beschreibungen und Sagen vorkommt, deutet immer auf denselben Zustand der Geteiltheit durch Krieg und der Unstetheit der politischen Verhältnisse; und das Gegenteil ist leicht als Traum und leere Einbildung zu erkennen. Dieser Zustand geht aus dem angegebenen Begriffe des indischen Lebens und seiner Notwendigkeit hervor. Die Kriege der Sekten, der Brahmanen und Buddhisten, der Anhänger des Wischnu und Siwa trugen zu dieser Verwirrung noch bei. – Ein gemeinschaftlicher Charakter zieht sich zwar durch ganz Indien hindurch: daneben besteht aber die größte Verschiedenheit der einzelnen Staaten Indiens; so daß man in dem einen indischen Staate der größten Weichlichkeit begegnet, in dem andern dagegen auf ungeheure Kraft und Grausamkeit trifft. –

Vergleichen wir nun zum Schluß noch einmal übersichtlich Indien mit China, so fanden wir also in China einen durchaus phantasielosen Verstand, ein prosaisches Leben in festbestimmter Wirklichkeit, in der indischen Welt gibt es sozusagen keinen Gegenstand, der ein wirklicher, fest begrenzter wäre, der nicht von der Einbildungskraft sogleich zum Gegenteil dessen verkehrt würde, was er für ein verständiges Bewußtsein ist. In China ist es das Moralische, was den Inhalt der Gesetze ausmacht und zu äußeren festbestimmten Verhältnissen gemacht ist, und über allem schwebt die patriarchalische Vorsorge des Kaisers, der als Vater für seine Untertanen auf gleiche Weise sorgt. Bei den Indern dagegen ist nicht diese Einheit, sondern die Unterschiedenheit derselben das Substantielle: Religion, Krieg, Gewerbe, Handel, ja die geringsten Beschäftigungen werden zu einer festen Unterscheidung, welche die Substanz des unter sie subsumierten einzelnen Willens ausmachen und das Erschöpfende für ihn sind. Damit ist verbunden eine ungeheure, vernunftlose Einbildung, welche den Wert und das Verhalten der Menschen in eine unendliche Menge von ebenso geist- als gemütlosen Handlungen legt, alle Rücksicht auf das Wohl der Menschen beiseite setzt und sogar die grausamste und härteste Verletzung desselben zur Pflicht macht. Bei der Festigkeit jener Unterschiede bleibt für den allgemeinen einen Staatswillen nichts übrig als die reine Willkür, gegen deren Allgewalt nur die Substantialität des Kastenunterschiedes in etwas zu schützen vermag. Die Chinesen bei ihrer prosaischen Verständigkeit verehren als das Höchste nur den abstrakten obersten Herrn, und für das Bestimmte haben sie einen schmählichen Aberglauben. Bei den Indern gibt es insofern keinen solchen Aberglauben, als dieser der Gegensatz gegen den Verstand ist; sondern vielmehr ihr ganzes Leben und Vorstellen ist nur ein Aberglauben, weil alles bei ihnen Träumerei und Sklaverei derselben ist. Die Vernichtung, Wegwerfung aller Vernunft, Moralität und Subjektivität kann nur zu einem positiven Gefühle und Bewußtsein ihrer selbst kommen, indem sie maßlos in wilder Einbildungskraft ausschweift, darin als ein wüster Geist keine Ruhe findet und sich nicht fassen kann, aber nur auf diese Weise Genüsse findet, – wie ein an Körper und Geist ganz heruntergekommener Mensch seine Existenz verdumpft und unleidlich findet und nur durch Opium sich eine träumende Welt und ein Glück des Wahnsinns verschafft.


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