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Zweites Kapitel
Das objektive Kunstwerk

Wenn nach dem Inhalte des Gesanges gefragt wird, so ist zu sagen, daß der wesentliche und absolute der religiöse ist. Wir haben den Begriff des griechischen Geistes gesehen; die Religion ist nun nichts andres, als daß dieser Begriff als das Wesentliche zum Gegenstande gemacht wird. Nach diesem Begriff wird auch das Göttliche die Naturmacht nur als Element in sich enthalten, welches zur geistigen Macht umgebildet wird. Von diesem Naturelement, als dem Anfange, wird nur noch ein analoger Anklang in der Vorstellung der geistigen Macht erhalten, denn die Griechen haben Gott als Geistiges verehrt. Wir können den griechischen Gott daher nicht wie den indischen so fassen, daß der Inhalt irgendeine Naturmacht sei, woran die menschliche Gestalt nur die äußerliche Form darstelle, sondern der Inhalt ist das Geistige selbst, und das Natürliche ist nur der Ausgangspunkt. Andrerseits müssen wir aber sagen, daß der Gott der Griechen noch nicht der absolute freie Geist ist, sondern der Geist in besonderer Weise, in menschlicher Beschränkung, noch als eine bestimmte Individualität von äußeren Bedingungen abhängend. Die objektiv schönen Individualitäten sind die Götter der Griechen. Der Geist Gottes ist hier so beschaffen, daß er noch nicht selbst als Geist für sich ist, sondern da ist, sich noch sinnlich manifestiert, so aber, daß das Sinnliche nicht seine Substanz, sondern nur Element seiner Manifestation ist. Dieser Begriff muß für uns der leitende sein bei der Betrachtung der griechischen Mythologie, und wir müssen um so mehr daran festhalten, als teils durch die Gelehrsamkeit, welche einen unendlichen Stoff aufgehäuft hat, teils durch den auflösenden abstrakten Verstand, diese Mythologie, wie die ältere griechische Geschichte, zum Felde der größten Verwirrung geworden ist.

Wir haben im Begriff des griechischen Geistes die zwei Elemente, Natur und Geist, in dem Verhältnis gefunden, daß die Natur nur den Ausgangspunkt bildet. Diese Herabsetzung der Natur ist in der griechischen Mythologie als Wendepunkt des Ganzen, als der Götterkrieg ausgesprochen, als Sturz der Titanen durch das Geschlecht des Zeus. Der Übergang vom orientalischen zum okzidentalischen Geist ist darin vorgestellt, denn die Titanen sind das Natürliche, Naturwesen, denen die Herrschaft entrissen wird. Sie werden zwar nachher noch verehrt, doch nicht als die Regierenden, denn sie sind an den Saum der Erde gewiesen. Die Titanen sind Naturmächte, Uranos, Gäa, Okeanos, Selene, Helios usf. Kronos ist die Herrschaft der abstrakten Zeit, welche ihre Kinder verzehrt. Die wilde Erzeugungskraft wird gehemmt, und Zeus tritt auf als das Haupt der neuen Götter, die geistige Bedeutung haben und selbst Geist sind. S. Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, 2. Aufl. S. 102 f. [1. Ausg.: ib. 1. Aufl. II, 87 f.] Es ist nicht möglich, diesen Übergang bestimmter und naiver auszusprechen als hier geschieht; das neue Reich der Götter verkündet, daß die eigentümliche Natur derselben geistiger Art ist.

Das zweite ist, daß die neuen Götter die Naturmomente und damit das bestimmte Verhältnis zu den Naturmächten, wie schon oben angedeutet worden ist, in sich aufbewahren. Zeus hat seine Blitze und Wolken, und Here ist die Erzeugerin des Natürlichen, die Gebärerin der werdenden Lebendigkeit; Zeus ist aber dann der politische Gott, der Beschützer des Sittlichen und der Gastfreundschaft. Okeanos ist als solcher nur die Naturmacht; Poseidon aber hat zwar noch die Wildheit des Elements an ihm, ist jedoch auch eine sittliche Figur: er hat Mauern gebaut und das Pferd geschaffen. Helios ist die Sonne als Naturelement. Dieses Licht ist, in der Analogie des Geistigen, zum Selbstbewußtsein umgewandelt, und Apollo ist aus dem Helios hervorgegangen. Der Name Λύϰειος deutet aus den Zusammenhang mit dem Licht; Apoll war Hirte bei Admet, die freien Rinder waren aber dem Helios heilig; seine Strahlen, als Pfeile vorgestellt, töten den Python. Die Idee des Lichts wird man als die zugrunde liegende Naturmacht aus dieser Gottheit nicht fortbringen können, zumal da sich die andern Prädikate derselben leicht damit verbinden lassen und die Erklärungen Müllers und andrer, welche jene Grundlage leugnen, viel willkürlicher und entfernter sind. Denn Apoll ist der Weissagende und Wissende, das alles hellmachende Licht; ferner der Heilende und Bekräftigende, wie auch der Verderbende, denn er tötet die Männer; er ist der Sühnende und Reinigende, z. B. gegen die Eumeniden, die alten unterirdischen Gottheiten, welche das harte, strenge Recht verfolgen; er selber ist rein, er hat keine Gattin, sondern nur eine Schwester und ist nicht in viele häßliche Geschichten wie Zeus verwickelt; er ist ferner der Wissende und Aussprechende, der Sänger und Führer der Musen, wie die Sonne den harmonischen Reigen der Gestirne anführt. – Ebenso sind die Najaden zu den Musen geworden. Die Göttermutter Cybele, noch zu Ephesus als Artemis verehrt, ist bei den Griechen als Artemis, die keusche Jägerin und Wildtöterin, kaum wiederzuerkennen. Würde nun gesagt, daß diese Verwandlung des Natürlichen in Geistiges unserm oder späterem griechischen Allegorisieren angehöre, so ist dagegen anzuführen, daß dies Herüberwenden des Natürlichen zum Geistigen gerade der griechische Geist ist. Die Epigramme der Griechen enthalten solche Fortgänge vom Sinnlichen zum Geistigen. Nur der abstrakte Verstand weiß diese Einheit des Natürlichen und Geistigen nicht zu fassen.

Das weitere ist, daß die Götter als Individualitäten, nicht als Abstraktionen zu fassen sind, wie z. B. das Wissen, der Eine, die Zeit, der Himmel, die Notwendigkeit. Solche Abstraktionen sind nicht der Inhalt dieser Götter; sie sind keine Allegorien, keine abstrakten mit vielfachen Attributen behängten Wesen, wie die Horazische necessitas clavis trabalibus. Ebensowenig sind die Götter Symbole, denn das Symbol ist nur ein Zeichen, eine Bedeutung von etwas anderm. Die griechischen Götter drücken an ihnen selbst aus, was sie sind. Die ewige Ruhe und sinnende Klarheit im Kopfe Apollos ist nicht ein Symbol, sondern der Ausdruck, in welchem der Geist erscheint und sich gegenwärtig zeigt. Die Götter sind Subjekte, konkrete Individualitäten; ein allegorisches Wesen hat keine Eigenschaften, sondern ist selbst nur eine Eigenschaft. Die Götter sind ferner besondere Charaktere, indem in jedem von ihnen eine Bestimmung als die charakteristische überwiegend ist; es wäre aber vergebens, diesen Kreis von Charakteren in ein System bringen zu wollen. Zeus herrscht wohl über die andern Götter, aber nicht in wahrhafter Kraft, so daß sie in ihrer Besonderheit frei gelassen bleiben. Weil aller geistige und sittliche Inhalt den Göttern angehörte, so mußte die Einheit, welche über sie gestellt wurde, notwendig abstrakt bleiben; sie war also das gestalt- und inhaltlose Fatum, die Notwendigkeit, deren Trauer darin ihren Grund hat, daß sie das Geistlose ist, während die Götter sich in freundlichem Verhältnis zu den Menschen befinden, denn sie sind geistige Naturen. Das Höhere, daß die Einheit als Gott, der eine Geist, gewußt wird, war den Griechen noch nicht bekannt.

In Ansehung der Zufälligkeit und der Besonderheit, welche an den griechischen Göttern hängt, entsteht die Frage, wo der äußerliche Ursprung dieser Zufälligkeit zu suchen sei. Einerseits kommt sie durch das Lokal herein, durch das Zerstreute des Anfangs des griechischen Lebens, das sich punktualisiert und somit sogleich Lokalvorstellungen herbeiführt. Die Lokalgötter stehen allein und haben eine viel größere Breite, als da sie später in den Kreis der Götter eintreten und zu einem Beschränkten herabgesetzt werden; sie sind nach dem besonderen Bewußtsein und den partikularen Begebenheiten der Gegenden bestimmt, in welchen sie erscheinen. Es gibt eine Menge von Herkules und Zeus, die ihre Lokalgeschichte haben, ähnlich den indischen Göttern, die auch an verschiedenen Orten Tempel mit einer eigentümlichen Historie besitzen. Ebenso ist es mit den katholischen Heiligen und ihren Legenden, wo aber nicht von dem Lokalen, sondern z. B. von der einen Muttergottes ausgegangen und dann zu der vielfältigsten Lokalität fortgeschritten wird. Die Griechen erzählen von ihren Göttern die heitersten und anmutigsten Geschichten, deren Grenze gar nicht zu ziehen ist, da die Einfälle im lebendigen Geiste der Griechen immer neu hervorsprudelten.

Eine zweite Quelle des Ursprungs der Besonderheiten ist die Naturreligion, deren Darstellungen ebenso in den griechischen Mythen erhalten als auch wiedergeboren und verkehrt sind. Das Erhalten der anfänglichen Mythen führt auf das berühmte Kapitel der Mysterien, deren wir schon oben Erwähnung taten. Diese Mysterien der Griechen sind etwas, was als Unbekanntes, mit dem Vorurteil tiefer Weisheit, die Neugier aller Zeiten auf sich gezogen hat. Zuvörderst ist zu bemerken, daß dieses Alte und Anfängliche eben seines Anfangs wegen nicht das Vortreffliche, sondern das Untergeordnete ist, daß die reineren Wahrheiten in diesen Geheimnissen nicht ausgesprochen waren und nicht etwa, wie viele meinten, die Einheit Gottes gegen die Vielheit der Götter darin gelehrt wurde. Die Mysterien waren vielmehr alte Gottesdienste, und es ist ebenso ungeschichtlich als töricht, tiefe Philosopheme darin finden zu wollen, da im Gegenteil nur Naturideen, rohere Vorstellungen von der allgemeinen Umwandlung in der Natur und von der allgemeinen Lebendigkeit der Inhalt derselben waren. Wenn man alles Historische, was hier hereinfällt, zusammenstellt, so wird das Resultat notwendig sein, daß die Mysterien nicht ein System von Lehren ausmachten, sondern sinnliche Gebräuche und Darstellungen waren, die nur in Symbolen der allgemeinen Operationen der Natur bestanden, als z. B., von dem Verhältnisse der Erde zu den himmlischen Erscheinungen. Den Vorstellungen der Ceres und Proserpina, dem Bacchus und seinem Zuge lag als Hauptsache das Allgemeine der Natur zugrunde, und das weitere waren obskure Geschichten und Darstellungen, deren Hauptinteresse die Lebenskraft und ihre Veränderungen sind. Einen analogen Prozeß wie die Natur hat auch der Geist zu bestehen; denn er muß zweimal geboren sein, das heißt, sich in sich selbst negieren; und so erinnerten die Darstellungen in den Mysterien, wenn auch nur schwach, an die Natur des Geistes. Sie hatten für die Griechen etwas Schauererweckendes; denn der Mensch hat eine angeborene Scheu, wenn er sieht, es sei eine Bedeutung in einer Form, die als sinnlich diese Bedeutung nicht ausspricht und daher abstößt und anzieht, durch den durchklingenden Sinn Ahnungen erweckt, aber Schauder zugleich durch die abschreckende Form. Äschylus wurde angeklagt, in seinen Tragödien die Mysterien entweiht zu haben. Die unbestimmten Vorstellungen und Symbole der Mysterien, wo das Bedeutungsvolle nur geahnt ist, sind das den klaren reinen Gestalten Heterogene und drohen denselben den Untergang, weshalb die Götter der Kunst von den Göttern der Mysterien getrennt bleiben und beide Sphären streng auseinandergehalten werden müssen.

Die meisten Götter haben die Griechen aus der Fremde her erhalten, wie es Herodot ausdrücklich von Ägypten erzählt; aber diese fremden Mythen sind von den Griechen umgebildet und vergeistigt worden, und was von den ausländischen Theogonien mit herüberkam, das wurde in dem Munde der Hellenen zu einer Geschichte, die oft eine üble Nachrede für die Götter war, verarbeitet. So sind auch die Tiere, die noch bei den Ägyptern als Götter gelten, bei den Griechen zu äußerlichen Zeichen herabgesetzt, die neben den geistigen Gott treten. Mit den Besonderheiten ihres Charakters zugleich werden die griechischen Götter als menschlich vorgestellt, und dieser Anthropomorphismus wird für ihren Mangel ausgegeben. Hiergegen ist nun sogleich zu sagen, daß der Mensch, als das Geistige, das Wahrhafte an den griechischen Göttern ausmacht, wodurch sie über alle Naturgötter und über alle Abstraktionen des einen und höchsten Wesens zu stehen kommen. Andrerseits wird es auch als ein Vorzug der griechischen Götter angegeben, daß sie als Menschen vorgestellt werden, während dem christlichen Gott dies fehlen solle. Schiller sagt:

Da die Götter menschlicher noch waren,
Waren Menschen göttlicher.

Aber die griechischen Götter sind nicht als menschlicher wie der christliche Gott anzusehen. Christus ist viel mehr Mensch: er lebt, stirbt, leidet den Tod am Kreuze, was unendlich menschlicher ist als der Mensch der griechischen Schönheit. Was nun aber die griechische und christliche Religion gemeinschaftlich betrifft, so ist von beiden zu sagen, daß, wenn Gott erscheinen soll, seine Natürlichkeit die des Geistes sein müsse, was für die sinnliche Vorstellung wesentlich der Mensch ist, denn keine andre Gestalt vermag es, als Geistiges aufzutreten. Gott erscheint zwar in der Sonne, in den Bergen, in den Bäumen, in allem Lebendigen, aber dies natürliche Erscheinen ist nicht die Gestalt des Geistes, Gott ist dann vielmehr nur im Innern des Subjekts wahrnehmbar. Soll Gott selbst in einem entsprechenden Ausdruck auftreten, so kann dieses nur die menschliche Gestalt sein, denn aus dieser strahlt das Geistige hervor. Wenn man aber fragen wollte, muß Gott erscheinen? so würde dieses notwendig bejaht werden müssen, denn nichts ist wesentlich, was nicht erscheint. Der wahrhafte Mangel der griechischen Religion, gegen die christliche gehalten, ist nun, daß in ihr die Erscheinung die höchste Weise, überhaupt das Ganze des Göttlichen ausmacht, während in der christlichen Religion das Erscheinen nur als ein Moment des Göttlichen angenommen wird. Der erscheinende Gott ist hier gestorben, ist als sich aufhebend gesetzt; erst als gestorben ist Christus sitzend an der Rechten Gottes dargestellt. Der griechische Gott ist dagegen für die Hellenen in der Erscheinung perennierend, nur im Marmor, im Metall oder Holz, oder in der Vorstellung als Bild der Phantasie. Warum aber ist Gott ihnen nicht im Fleische erschienen? Weil der Mensch nur galt, Ehre und Würde nur hatte als zur Freiheit der schönen Erscheinung herausgearbeiteter und gemachter; die Form und Gestaltung der Göttlichkeit blieb somit eine vom besondern Subjekte erzeugte. Das ist das eine Element im Geiste, daß er sich hervorbringt, daß er sich zu dem macht, was er ist; das andre aber ist, daß er ursprünglich frei und die Freiheit seine Natur und sein Begriff ist. Die Griechen aber, weil sie sich noch nicht denkend erfaßten, kannten noch nicht den Geist in seiner Allgemeinheit, noch nicht den Begriff des Menschen und die an sich seiende Einheit der göttlichen und menschlichen Natur nach der christlichen Idee. Erst der in sich gewisse, innere Geist kann es ertragen, die Seite der Erscheinung frei zu entlassen, und hat diese Sicherheit, einem Diesen die göttliche Natur anzuvertrauen. Er braucht nicht mehr die Natürlichkeit in das Geistige einzubilden, um das Göttliche festzuhalten und die Einheit äußerlich anschaubar zu haben, sondern indem der freie Gedanke das Äußerliche denkt, kann er es lassen, wie es ist: denn er denkt diese Vereinigung des Endlichen und Unendlichen und weiß sie nicht als zufällige Vereinigung, sondern als das Absolute, die ewige Idee selbst. Weil die Subjektivität vom griechischen Geist noch nicht in ihrer Tiefe erfaßt ist, so ist die wahrhafte Versöhnung in ihm noch nicht vorhanden und der menschliche Geist noch nicht absolut berechtigt. Dieser Mangel hat sich schon darin gezeigt, daß über den Göttern als reine Subjektivität das Fatum steht; er zeigt sich auch darin, daß die Menschen ihre Entschlüsse noch nicht aus sich selbst, sondern von ihren Orakeln hernehmen. Menschliche wie göttliche Subjektivität nimmt noch nicht, als unendliche, die absolute Entscheidung aus sich selbst.


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