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Ägypten

Das Persische Reich ist ein vorübergegangenes, und nur traurige Reste sind von seiner Blüte geblieben. Die schönsten und reichsten Städte desselben, wie Babylon, Susa, Persepolis, sind gänzlich zerfallen, und nur wenige Ruinen zeigen uns ihre alte Stelle. Selbst in den neueren großen Städten Persiens, Ispahan, Schiras, ist die Hälfte zur Ruine geworden, und keine neue Lebendigkeit ist wie im alten Rom aus denselben hervorgetreten, sondern sie sind fast ganz in dem Andenken der sie umgebenden Völker verschwunden. Außer den übrigen zum persischen Reiche bereits gezählten Ländern tritt nun aber Ägypten auf, das Land der Ruinen überhaupt, das von alters her als ganz wunderbar gegolten und auch in neueren Zeiten das größte Interesse auf sich gezogen hat. Seine Ruinen, das endliche Resultat einer unermeßlichen Arbeit, überbieten im Riesenhaften und Ungeheuren alles, was uns aus dem Altertum geblieben ist.

In Ägypten sehen wir die Momente, welche in der persischen Monarchie als einzelne auftraten, zusammengefaßt. Wir fanden bei den Persern die Verehrung des Lichts, als des allgemeinen Naturwesens. Dieses Prinzip entfaltet sich dann zu Momenten, die sich gegeneinander als gleichgültig verhalten: das eine Moment ist das Versenktsein ins Sinnliche bei den Babyloniern, Syriern; das andre ist das Geistige, in zwiefacher Form: einmal als beginnendes Bewußtsein des konkreten Geistes im Adonisdienst, und dann als der reine und abstrakte Gedanke bei den Juden: dort fehlt die Einheit des Konkreten, hier das Konkrete selbst. Diese widerstrebenden Elemente zu vereinen, ist die Aufgabe, und als Aufgabe in Ägypten vorhanden. Aus den Darstellungen, die wir im ägyptischen Altertume finden, muß besonders eine Figur herausgehoben werden, nämlich die Sphinx, an und für sich ein Rätsel, ein doppelsinniges Gebilde, halb Tier, halb Mensch. Man kann die Sphinx als ein Symbol für den ägyptischen Geist ansehen: der menschliche Kopf, der aus dem tierischen Leibe herausblickt, stellt den Geist vor, wie er anfängt sich aus dem Natürlichen zu erheben, sich diesem zu entreißen und schon freier um sich zu blicken, ohne sich jedoch ganz von den Fesseln zu befreien. Die unendlichen Bauwerke der Ägypter sind halb unter der Erde, halb steigen sie über ihr in die Lüfte. Das ganze Land ist in ein Reich des Lebens und in ein Reich des Todes eingeteilt. Die kolossale Bildsäule des Memnon erklingt vom ersten Blick der jungen Morgensonne; doch ist es noch nicht das freie Licht des Geistes, das in ihm ertönt. Die Schriftsprache ist noch Hieroglyphe und die Grundlage desselben nur das sinnliche Bild, nicht der Buchstabe selbst. – So liefern uns die Erinnerungen Ägyptens selbst eine Menge von Gestalten und Bildern, die seinen Charakter aussprechen: wir erkennen darin einen Geist, der sich gedrängt fühlt, sich äußert, aber nur auf sinnliche Weise.

Ägypten ist von jeher das Land der Wunder gewesen und es auch noch geblieben. Besonders von den Griechen erhalten wir über dasselbige Nachricht und vor allen andern von Herodot. Dieser sinnige Geschichtschreiber besuchte selbst das Land, von dem er Nachricht geben wollte, und setzte sich an den Hauptorten in Bekanntschaft mit den ägyptischen Priestern. Alles, was er gesehen und gehört hat, berichtet er genau; aber das Tiefere über die Bedeutung der Götter hat er sich zu sagen gescheut: es sei dies ein Heiliges, und er könne nicht davon wie von einem Äußerlichen sprechen. Außer ihm ist noch Diodorus Siculus von großer Wichtigkeit, und unter den jüdischen Geschichtschreibern Josephus.

Durch die Bauwerke und die Hieroglyphen hat sich das Denken und Vorstellen der Ägypter ausgedrückt. Es fehlt ein Nationalwerk der Sprache; es fehlt nicht nur uns, es fehlte auch den Ägyptern selbst; sie konnten keines haben, weil sie es nicht zum Verständnis ihrer selbst gebracht haben. Es war auch keine ägyptische Geschichte vorhanden, bis endlich Ptolemäus Philadelphus, derselbe, der die heiligen Bücher der Juden ins Griechische übersetzen ließ, den Oberpriester Manetho veranlaßte, eine ägyptische Geschichte zu schreiben. Von dieser haben wir nur Auszüge, Reihen von Königen, die jedoch die allergrößten Schwierigkeiten und Widersprüche veranlaßt haben. Um Ägypten kennen zu lernen, sind wir überhaupt nur auf die Nachrichten der Alten und auf die ungeheuren Monumente, die uns übriggeblieben sind, angewiesen. Man findet eine Menge Granitwände, in die Hieroglyphen eingegraben sind, und die Alten haben uns Aufschlüsse über einige derselben gegeben, welche aber vollkommen unzureichend sind. In neuerer Zeit ist man besonders wieder darauf aufmerksam geworden und auch nach vielen Bemühungen dahin gelangt, von der hieroglyphischen Schrift wenigstens einiges entziffern zu können. Der berühmte Engländer Thomas Young hat zuerst den Gedanken dazu gefaßt und darauf aufmerksam gemacht, daß sich nämlich kleine Flächen finden, die abgeschnitten von den andern Hieroglyphen sind, und wobei die griechische Übersetzung bemerkt ist. Durch Vergleichung hat nun Young drei Namen, Berenice, Kleopatra und Ptolemäus, herausbekommen und so den ersten Anfang zur Entzifferung gemacht. Man hat späterhin gefunden, daß ein großer Teil der Hieroglyphen phonetisch ist, das heißt, Laute angibt. So bedeutet die Figur des Auges zuerst das Auge selbst, dann aber auch den Anfangsbuchstaben des ägyptischen Wortes, das Auge heißt (wie im Hebräischen die Figur eines Hauses, ?, den Buchstaben b bezeichnet, womit das Wort בית anfängt). Der berühmte Champollion der Jüngere hat zunächst darauf aufmerksam gemacht, daß die phonetischen Hieroglyphen mit solchen, die Vorstellungen bezeichnen, untermischt sind, sodann die verschiedenen Arten der Hieroglyphen geordnet und bestimmte Prinzipien zu ihrer Entzifferung aufgestellt.

Die Geschichte von Ägypten, wie sie vor uns liegt, ist voll von den größten Widersprüchen. Mythisches und Historisches ist untereinander gemischt, und die Angaben sind im höchsten Grade verschieden. Die europäischen Gelehrten haben begierig die Verzeichnisse des Manetho aufgesucht und sind diesen gefolgt; auch sind durch die neueren Entdeckungen eine Menge Namen von Königen bestätigt worden. Herodot sagt, nach der Erzählung der Priester hätten früher Götter über Ägypten geherrscht, und vom ersten menschlichen Könige bis zum Könige Setho seien 341 Menschenalter oder 11 340 Jahre verflossen gewesen; der erste menschliche Herrscher aber wäre Menes gewesen (die Ähnlichkeit des Namens mit dem griechischen Minos und dem indischen Manu ist hier auffallend). Ägypten habe außer Thebais, dem südlichsten Teile desselben, einen See gebildet; vom Delta scheint es gewiß zu sein, daß es ein aus dem Schlamm des Nils hervorgebrachtes Gebilde ist. Wie die Holländer ihren Boden von dem Meere erobert haben und sich darauf zu erhalten wußten, so haben die Ägypter ebenfalls ihr Land erst gewonnen und die Fruchtbarkeit desselben durch Kanäle und Seen unterstützt. Ein wichtiges Moment für die Geschichte Ägyptens ist das Herabrücken derselben vom oberen nach dem unteren Ägypten, vom Süden nach Norden. Damit hängt nun zusammen, daß Ägypten von Äthiopien aus wohl seine Bildung erhalten hat, hauptsächlich von der Insel Meroe, auf welcher nach neueren Hypothesen ein Priestervolk gehaust haben soll. Theben in Oberägypten war die älteste Residenz der ägyptischen Könige. Schon zu Herodots Zeiten war sie in Verfall. Die Ruinen dieser Stadt sind das Ungeheuerste der ägyptischen Architektur, was wir kennen; sie sind für die Länge der Zeit noch vortrefflich erhalten, wozu der immer wolkenlose Himmel des Landes beiträgt. Der Mittelpunkt des Reiches wurde dann nach Memphis verlegt, nicht weit von dem heutigen Kairo, und zuletzt nach Sais, in dem eigentlichen Delta; die Gebäulichkeiten, welche sich in der Gegend dieser Stadt befinden, sind von sehr später Zeit und wenig erhalten. Herodot sagt uns, daß schon Menes Memphis erbaut habe. Unter den späteren Königen ist besonders Sesostris hervorzuheben, der nach Champollion für Rhamses den Großen gehalten werden muß. Von diesem schreiben sich besonders eine Menge Denkmäler und Gemälde her, auf welchen seine Siegeszüge und Triumphe, die Gefangenen, die er machte, und zwar von den verschiedensten Nationen, dargestellt sind. Herodot erzählt von seinen Eroberungen in Syrien, bis nach Kolchis hin, und bringt damit zusammen die große Ähnlichkeit zwischen den Sitten der Kolchier und denen der Ägypter: diese beiden Völker und die Äthiopier hätten allein von jeher die Beschneidung eingeführt gehabt. Herodot sagt ferner, Sesostris habe durch ganz Ägypten ungeheure Kanäle graben lassen, die dazu dienten, das Wasser des Nils überall hinzuverbreiten. Überhaupt je sorgfältiger die Regierung in Ägypten war, desto mehr sah sie auf die Erhaltung der Kanäle, während bei nachlässigen Regierungen die Wüste die Oberhand gewann: denn Ägypten stand in dem beständigen Kampf mit der Glut der Hitze und dem Wasser des Nils. Aus Herodot geht hervor, daß das Land durch die Kanäle für die Reiterei unbrauchbar geworden ist; dagegen ersehen wir aus den Büchern Mosis, wie berühmt Ägypten einst in dieser Beziehung gewesen ist, Moses sagt, wenn die Juden einen König verlangten, so sollte dieser nicht zu viele Frauen heiraten und keine Pferde aus Ägypten holen lassen.

Nach Sesostris sind noch die Könige Cheops und Chephren hervorzuheben. Diese haben ungeheure Pyramiden erbaut und die Tempel der Priester geschlossen; ein Sohn des Cheops, Mykerinos, soll sie wieder eröffnet haben; nach diesem fielen die Äthiopier ins Land, und ihr König Sabako machte sich zum König von Ägypten. Anysis aber, der Nachfolger des Mykerinos, floh in die Moräste, dem Ausflusse des Nils zu; erst nach dem Abzug der Äthiopier erschien er wieder. Auf ihn folgte Setho, der ein Priester des Phtha (den man als Hephästos ansieht) gewesen war; unter seiner Regierung fiel Sanherib, König der Assyrier, ins Land ein. Setho hatte die Kriegerkaste immer mit großer Geringschätzung behandelt und sie selbst ihrer Äcker beraubt; als er sie nunmehr aufrief, stand sie ihm nicht bei. Er mußte daher einen allgemeinen Aufruf an die Ägypter erlassen und brachte ein Heer aus Krämern, Handwerkern und Marktvolk zusammen. In der Bibel heißt es, die Feinde seien geflohen, und die Engel hätten sie aufs Haupt geschlagen; aber Herodot erzählt, die Feldmäuse wären in der Nacht gekommen und hätten die Köcher und Bogen der Feinde zernagt, so daß diese, keine Waffen mehr habend, zur Flucht genötigt wurden. Nach dem Tode des Setho hielten sich die Ägypter, wie Herodot sagt, für frei und erwählten sich zwölf Könige, die in Verbindung miteinander standen, als Zeichen für welche sie das Labyrinth bauten, das aus einer ungeheuren Anzahl von Zimmern und Hallen, sowohl über als unter der Erde, bestand. Einer dieser Könige, Psammitichos, Vertrieb dann im Jahre 650 vor Chr. Geburt mit Hilfe der Ionier und Karier, denen er Land im unteren Ägypten versprach, die elf übrigen Könige. Ägypten war bis dahin nach außen abgeschlossen geblieben; auch zur See hatte es keine Verbindung mit andern Völkern angeknüpft. Psammitich eröffnete diese Verbindung und bereitete dadurch Ägypten den Untergang, Die Geschichte wird von nun an bestimmter, weil sie auf griechischen Berichten beruht. Auf Psammitich folgte Neko, welcher einen Kanal zu graben begann, der den Nil mit dem roten Meere verbinden sollte, und der erst unter Darius Nothus seine Vollendung erhielt. Das Unternehmen, das Mittelländische Meer mit dem arabischen Meerbusen und dem großen Ozean zu vereinigen, ist nicht von solchem Nutzen, als man wohl glauben möchte, weil in dem ohnehin sehr schwer zu beschiffenden roten Meere ungefähr neun Monate lang ein beständiger Nordwind herrscht und somit nur drei Monate von Süden nach Norden gereist werden kann. Auf den Neko folgte Psammis und auf diesen Apries; letzterer führte ein Heer gegen Sidon und hatte eine Seeschlacht mit den Tyriern; auch gegen Cyrene sandte er ein Heer, welches von den Cyrenäern fast vernichtet wurde. Die Ägypter empörten sich gegen ihn und gaben ihm Schuld, er wolle sie ins Verderben führen; wahrscheinlich war aber der Aufstand durch die Begünstigung hervorgebracht, die die Karier und Ionier erfuhren. Amasis stellte sich an die Spitze der Empörer, besiegte den König und setzte sich an dessen Stelle auf den Thron. Von Herodot wird er als ein humoristischer Monarch geschildert, der aber nicht immer die Würde des Thrones behauptet habe. Von einem sehr geringen Stande hatte er sich durch seine Geschicklichkeit, seine Verschlagenheit und seinen Geist auf den Thron geschwungen, und den scharfen Verstand, der ihm zu Gebote stand, hat er nach Herodot auch bei allen ferneren Gelegenheiten bewiesen. Des Morgens habe er zu Gericht gesessen und die Klagen des Volkes angehört; des Nachmittags aber habe er geschmauset und sich einem lustigen Leben überlassen. Den Freunden, die ihm darüber Vorwürfe machten und ihm bemerkten, daß er sich den ganzen Tag den Geschäften widmen müsse, antwortete er: Wenn der Bogen immerfort gespannt bleibt, so wird er untauglich werden oder zerbrechen. Als ihn die Ägypter seiner niedrigen Abkunft wegen nicht sehr hoch hielten, ließ er aus einem goldenen Fußbecken ein Götterbild formen, welchem die Ägypter große Verehrung bewiesen; daran zeigte er ihnen dann sein eignes Beispiel. Herodot erzählt ferner, er habe als Privatmann sehr lustig gelebt und sein ganzes Vermögen durchgebracht, dann aber gestohlen. Dieser Kontrast von gemeinem Sinn und treffendem Verstand ist charakteristisch an einem ägyptischen Könige.

Amasis zog den Unwillen des Königs Kambyses auf sich. Cyrus hatte nämlich von den Ägyptern einen Augenarzt verlangt, denn damals schon waren die ägyptischen Augenärzte hochberühmt, die wegen der vielen ägyptischen Augenkrankheiten notwendig waren. Dieser Augenarzt, um sich dafür zu rächen, daß man ihn außer Landes geschickt hatte, gab dem Kambyses den Rat, die Tochter des Amasis zu verlangen, wohl wissend, daß Amasis entweder unglücklich sein würde, indem er sie gäbe, oder den Zorn des Kambyses auf sich zöge, indem er sie verweigerte. Amasis wollte dem Kambyses seine Tochter nicht geben, weil sie dieser zur Nebenfrau verlangte (denn die rechtmäßige Gemahlin mußte eine Perserin sein), schickte ihm aber unter dem Namen seiner Tochter die des Apries, welche sich später dem Kambyses entdeckte. Dieser war über den Betrug so entrüstet, daß er gegen Ägypten, als nach dem Tode des Amasis Psammenitos herrschte, zog, das Land eroberte und mit dem persischen Reiche verband.

Was den ägyptischen Geist betrifft, so ist hier anzuführen, daß die Eleer bei Herodot die Ägypter die weisesten der Menschen nennen. Auch uns überrascht dort, neben afrikanischer Stupidität einen reflektierenden Verstand, eine durchaus verständige Anordnung aller Einrichtungen und die erstaunlichsten Werke der Kunst zu sehen. – Die Ägypter waren in Kasten wie die Inder geteilt, und die Kinder übernahmen immer das Gewerbe und das Geschäft der Eltern. Deswegen hat sich auch das Handwerksmäßige und das Technische in den Künsten hier so sehr ausgebildet, und die Erblichkeit bewirkte bei der Art und Weise der Ägypter nicht denselben Nachteil wie in Indien. Herodot gibt folgende sieben Kasten an: die Priester, die Krieger, die Rinderhirten, die Schweinehirten, die Kaufleute oder Gewerbtreibenden überhaupt, die Dolmetscher, welche erst später einen eignen Stand ausgemacht zu haben scheinen, endlich die Schiffsleute. Ackerbauer sind hier nicht genannt, wahrscheinlich, weil der Ackerbau mehrere Kasten beschäftigte, wie z. B. die Krieger, denen eine Portion Landes zugeteilt war. Diodor und Strabo geben diese Kastenabteilungen verschieden an. Es werden nur Priester, Krieger, Hirten, Ackerbautreibende und Künstler genannt, zu welchen letzteren denn wohl auch die Gewerbtreibenden gehören. Herodot sagt von den Priestern, daß sie vorzüglich Ackerland erhielten und es auf Zins bebauen ließen, denn das Land überhaupt war im Besitze der Priester, Krieger und Könige. Joseph war nach der Heiligen Schrift Minister des Königs und führte sein Geschäft so, daß der König Herr alles Grundeigentums ward. Die Beschäftigungen überhaupt aber blieben nicht so fest wie bei den Indern, da wir die Israeliten, die ursprünglich Hirten waren, auch als Handwerker gebraucht finden, und da ein König, wie schon gesagt wurde, ein Heer aus lauter Handwerkern bildete. Die Kasten sind nicht starr, sondern im Kampf und in Berührung miteinander, wir finden oft eine Auflösung und ein Widerstreben derselben. Die Kriegerkaste, einmal unzufrieden, aus ihren Wohnsitzen gegen Nubien hin nicht abgelöst zu werden, und in Verzweiflung darüber, ihre Äcker nicht benutzen zu können, flüchtet sich nach Meroe, und fremde Mietsoldaten wurden ins Land gezogen.

Über die Lebensweise der Ägypter gibt uns Herodot sehr ausführliche Nachricht und erzählt hauptsächlich alles, was ihm abweichend von den griechischen Sitten erscheint. So z. B. daß die Ägypter besondere Ärzte für besondere Krankheiten hätten, daß die Weiber die Geschäfte außer dem Hause besorgten, die Männer aber zu Hause blieben und webten. In einem Teile Ägyptens herrschte Vielweiberei, in einem andern Monogamie; die Weiber haben ein Kleid, die Männer zwei; sie waschen und baden sich viel und purgieren monatlich. Alles dieses deutet auf Versunkenheit in friedliche Zustände. Was die Einrichtungen der Polizei anbetrifft, so war festgesetzt, daß jeder Ägypter sich zu einer gewissen Zeit bei seinem Vorsteher melden sollte und anzugeben hatte, woher er seinen Lebensunterhalt ziehe; konnte er dieses nicht, so wurde er mit dem Tode bestraft; jedoch ist dieses Gesetz erst spät in der Zeit des Amasis gegeben. Es wurde ferner die größte Sorgfalt bei Verteilung des Saatlandes beobachtet, sowie bei Anlegung von Kanälen und Dämmen; unter Sabako, dem äthiopischen Könige, sagt Herodot, seien viele Städte durch Dämme erhöht worden.

Die Gerichte wurden sehr sorgfältig gehalten und bestanden aus dreißig von der Gemeinde ernannten Richtern, die sich ihren Präsidenten selber erwählten. Die Prozesse wurden schriftlich verhandelt und gingen bis zur Duplik. Diodor hat dies gegen die Beredsamkeit der Advokaten und das Mitleid der Richter sehr gut gefunden. Die Richter sprachen ihr Urteil auf eine stumme und hieroglyphische Weise aus. Herodot sagt, sie hätten das Zeichen der Wahrheit auf der Brust gehabt und dasselbe nach der Seite hingekehrt, welcher der Sieg zugesprochen werden sollte, oder auch sie hätten es der siegenden Partei umgehängt. Der König selbst mußte sich täglich mit richterlichen Geschäften befassen. Vom Diebstahle wird gemeldet, daß er zwar verboten gewesen sei, doch lautete das Gesetz, die Diebe sollten sich selbst angeben. Gab der Dieb den Diebstahl an, so wurde er nicht bestraft, sondern behielt vielmehr ein Viertel des Gestohlenen; vielleicht sollte dieses die List, wegen welcher die Ägypter so berühmt waren, noch mehr in Anregung und Übung erhalten.

Die Verständigkeit der gesetzlichen Einrichtungen erscheint überwiegend bei den Ägyptern; diese Verständigkeit, die sich im Praktischen zeigt, erkennen wir denn auch in den Erzeugnissen der Kunst und Wissenschaft. Die Ägypter haben das Jahr in zwölf Monate geteilt und jeden Monat in dreißig Tage. Am Ende des Jahres schalteten sie noch fünf Tage ein, und Herodot sagt, sie machten es darin besser wie die Griechen. Wir haben die Verständigkeit der Ägypter besonders in der Mechanik zu bewundern; die mächtigen Bauten, wie sie kein andres Volk aufzuweisen hat, und die alles an Festigkeit und an Größe übertreffen, beweisen hinlänglich ihre Kunstfertigkeit, der sie sich überhaupt hingeben konnten, weil die unteren Kasten sich um Politik nicht bekümmerten. Diodor von Sizilien sagt, Ägypten sei das einzige Land, wo die Bürger sich nicht um den Staat, sondern nur um ihre Geschäfte bekümmerten. Griechen und Römer mußten besonders über solchen Zustand erstaunt sein.

Wegen seiner verständigen Einrichtungen ist nun Ägypten von den Alten als Muster eines sittlich geregelten Zustandes betrachtet worden, in der Weise eines Ideals, wie Pythagoras eines in eingeschränkter, auserlesener Gesellschaft ausgeführt und Plato in mehr umfassender Vorstellung aufgestellt hat. Aber bei solchen Idealen ist auf die Leidenschaft nicht gerechnet. Ein Zustand, der als schlechthin fertig angenommen und genossen werden soll, in dem alles berechnet ist, besonders die Erziehung und Angewöhnung an ihn, damit er zur andern Natur werde, ist überhaupt der Natur des Geistes zuwider, der das vorhandene Leben zu seinem Objekte macht und der unendliche Trieb der Tätigkeit ist, dasselbe zu verändern. Dieser Trieb hat sich auch in Ägypten auf eine eigentümliche Weise geäußert. Es scheint zwar zunächst dieser geordnete, in allen Partikularitäten bestimmte Zustand nichts für sich schlechthin Eigentümliches zu enthalten; die Religion scheint auf diese oder jene Weise hinzukommen zu können, damit auch das höhere Bedürfnis des Menschen befriedigt werde, und zwar auf eine gleichfalls ruhige und jener sittlichen Ordnung angemessene Weise. Aber wenn wir nun die Religion der Ägypter betrachten, so werden wir überrascht durch die sonderbarsten wie wundervollsten Erscheinungen und erkennen, daß jene ruhige, polizeilich regulierte Ordnung nicht eine chinesische ist, und daß wir es hier mit einem ganz anders in sich bewegten trieb- und drangvollen Geiste zu tun haben. – Wir haben hier das afrikanische Element zugleich mit der orientalischen Gediegenheit an das Mittelländische Meer, das Lokal der Völkerausstellung, versetzt; und zwar so, daß hier keine Verwicklung mit Auswärtigem vorhanden ist, indem diese Weise von Erregung sich als überflüssig zeigt, denn es ist hier ein ungeheures drängendes Streben aus sich selbst gerichtet, das innerhalb seines Kreises in die Objektivierung seiner selbst durch die ungeheuersten Produktionen ausschlägt. Diese afrikanische Gedrungenheit mit dem unendlichen Drang der Objektivierung in sich ist, was wir hier finden. Noch aber ist wie ein eisernes Band um die Stirne des Geistes gewunden, daß er nicht zum freien Selbstbewußtsein seines Wesens im Gedanken kommen kann, sondern dies nur als die Aufgabe, als das Rätsel seiner selbst herausgebiert. –

Die Grundanschauung dessen, was den Ägyptern als das Wesen gilt, ruht auf der natürlich beschlossenen Welt, in der sie leben, und näher auf dem geschlossenen physischen Naturkreis, welchen der Nil mit der Sonne bestimmt. Beides ist ein Zusammenhang, der Stand der Sonne mit dem Stand des Nils; dies ist dem Ägypter alles in allem. Der Nil ist die Grundbestimmung des Landes überhaupt; außerhalb des Niltales beginnt die Wüste; gegen Norden wird es vom Meer und im Süden von Gluthitze eingeschlossen. Der erste arabische Feldherr, welcher Ägypten eroberte, schreibt an den Kalifen Omar: Ägypten ist zuerst ein ungeheures Staubmeer, dann ein süßes Wassermeer und zuletzt ein großes Blumenmeer; es regnet daselbst nie; gegen Ende Juli fällt Tau, und dann fängt der Nil zu überschwemmen an, und Ägypten gleicht einem Inselmeer. (Herodot vergleicht Ägypten in diesem Zeitraum mit den Inseln im Ägäischen Meere.) Der Nil läßt eine unendliche Menge von Getier zurück, es ist dann ein unermeßliches Gerege und Gekrieche; bald darauf fängt der Mensch zu säen an, und die Ernte ist alsdann sehr ergiebig. Die Existenz des Ägypters hängt also nicht von der Sonnenhelle oder vom Regen ab, sondern es sind für ihn nur diese ganz einfachen Bedingungen, welche die Grundlage der Lebensweise und Lebenstätigkeit bilden. Es ist ein geschlossener physischer Verlauf, den der Nil annimmt, und der mit dem Lauf der Sonne zusammenhängt: diese geht auf, tritt auf ihre Höhe und weicht dann wieder zurück. So auch der Nil.

Diese Grundlage des Lebens der Ägypter macht auch den bestimmten Inhalt ihrer Religion aus. Es ist ein alter Streit über den Sinn und die Bedeutung der ägyptischen Religion. Schon der Stoiker Chäremon, zu Tibers Zeiten, der in Ägypten gewesen, hat sie bloß materialistisch erklärt; den Gegensatz davon bilden die Neu-Platoniker, welche alles als Symbole einer geistigen Bedeutung nahmen und so diese Religion zu einem reinen Idealismus machten. Jede dieser Vorstellungen für sich ist einseitig. Die natürlichen und geistigen Mächte sind aufs engste verbunden angeschaut, aber noch nicht so, daß die freie, geistige Bedeutung hervorgetreten wäre, sondern auf die Weise, daß die Gegensätze im härtesten Widerspruche zusammengebunden waren. Wir haben von dem Nil, von der Sonne und von der davon abhängenden Vegetation gesprochen. Diese partikularisierte Naturanschauung gibt das Prinzip für die Religion, und der Inhalt derselben ist zuvörderst eine Geschichte. Der Nil und die Sonne sind die als menschlich vorgestellten Gottheiten, und der natürliche Verlauf und die göttliche Geschichte ist dasselbige. Im Wintersolstitium hat die Kraft der Sonne am meisten abgenommen und muß aufs neue geboren werden. So erscheint auch Osiris als geboren, wird aber vom Typhon, vom Bruder und Feinde, dem Glutwind in der Wüste, getötet. Isis, die Erde, der die Kraft der Sonne und des Nils entzogen ist, sehnt sich nach ihm; sie sammelt die zerstückelten Gebeine des Osiris und klagt um ihn, und ganz Ägypten beweint mit ihr den Tod des Osiris durch einen Gesang, den Herodot Maneros heißt: Maneros, sagt er, sei der einzige Sohn des ersten Königs der Ägypter gewesen und frühzeitig gestorben; der Gesang sei ganz wie der Linosgesang der Griechen und das einzige Lied, welches die Ägypter haben. Es wird hier wieder der Schmerz als etwas Göttliches angesehen, und es widerfährt ihm hier dieselbige Ehre, welche ihm bei den Phöniziern angetan wird. Hermes balsamiert dann den Osiris ein, und an verschiedenen Orten wird das Grab desselben aufgezeigt. Osiris ist jetzt Totenrichter und Herr des Reiches der Unsichtbaren. Dies sind die Grundvorstellungen. Osiris, die Sonne, der Nil, dieses Dreifache ist in einem Knoten vereinigt. Die Sonne ist das Symbol, in dem Osiris und die Geschichte des Gottes gewußt wird, und ebenso ist der Nil dieses Symbol. Die konkrete ägyptische Einbildungskraft schreibt ferner dem Osiris und der Isis die Einführung des Ackerbaues, die Erfindung des Pfluges, des Karstes usf. zu; denn Osiris gibt nicht nur das Nützliche, die Befruchtung der Erde, sondern auch die Mittel zur Benutzung. Aber er gibt den Menschen auch Gesetze, eine bürgerliche Ordnung und den Gottesdienst; er legt also die Mittel zur Arbeit den Menschen in die Hand und sichert dieselbe. Osiris ist auch das Bild der Saat, die in die Erde gelegt wird und dann aufgeht, wie das Bild des Verlaufes des Lebens. So ist dieses Heterogene, die Naturerscheinung und das Geistige, in einen Knoten verwebt.

Die Zusammenstellung des menschlichen Lebenslaufes mit dem Nil, der Sonne, dem Osiris ist nicht etwa als Gleichnis aufzufassen, als ob das Geborenwerden, das Zunehmen der Kraft, die höchste Kräftigkeit und Fruchtbarkeit, die Abnahme und Schwäche sich in diesem Verschiedenen auf gleiche oder ähnliche Weise darstelle, sondern die Phantasie hat in diesem Verschiedenen ein Subjekt, eine Lebendigkeit gesehen; diese Einheit ist jedoch ganz abstrakt, das Heterogene zeigt sich darin als drängend und treibend und in einer Unklarheit, die von der griechischen Klarheit sehr absticht. Osiris stellt den Nil vor und die Sonne, Sonne und Nil wieder sind Symbole des menschlichen Lebens; jedes ist Bedeutung, jedes Symbol, das Symbol verkehrt sich zur Bedeutung, und diese ist Symbol des Symbols, das Bedeutung wird. Keine Bestimmung ist Bild, ohne nicht zugleich Bedeutung zu sein, jede ist jedes, aus einer erklärt sich die andre. Es entsteht so eine reiche Vorstellung, die aus vielen Vorstellungen zusammengeknüpft ist, worin die Individualität der Grundknoten bleibt und nicht in das Allgemeine aufgelöst wird. Die allgemeine Vorstellung oder der Gedanke selbst, der das Band der Analogie ausmacht, tritt nicht als Gedanke für das Bewußtsein frei heraus, sondern bleibt versteckt als innerer Zusammenhang. Es ist eine festgebundene Individualität, welche unterschiedene Weisen der Erscheinung zusammenhält, und zwar einerseits phantastisch ist, wegen des Zusammenhaltes disparat erscheinenden Inhaltes, aber andrerseits innerlich der Sache nach zusammenhängend, weil diese verschiedenen Erscheinungen ein partikularer prosaischer Inhalt der Wirklichkeit sind.

Außer dieser Grundvorstellung nun finden wir mehrere besondere Götter, von denen Herodot drei Klassen zählt. In der ersten nennt er acht Götter, in der zweiten zwölf, in der dritten unbestimmt viele, welche sich zu der Einheit des Osiris als Besonderheiten verhalten. In der ersten Klasse kommt das Feuer und dessen Benutzung vor als Phtha, sowie Knef, welcher auch als der gute Dämon vorgestellt wird; aber der Nil selbst gilt als dieser Dämon, und so verkehren sich die Abstraktionen zu den konkreten Vorstellungen. Eine große Gottheit ist der Ammon, worin die Bestimmung der Tag- und Nachtgleiche liegt; er ist dann auch der Orakel gebende. Aber Osiris wird ebenso wieder als der Gründer des Orakels angeführt. So ist die Zeugungskraft, von Osiris vertrieben, als besonderer Gott dargestellt, Osiris ist aber ebenso selbst diese Zeugungskraft. Die Isis ist die Erde, der Mond, das Befruchtetwerden der Natur. Als ein wichtiges Moment des Osiris ist der Anubis (Thoth), der ägyptische Hermes, herauszuheben. In der menschlichen Tätigkeit und Erfindung und in der gesetzlichen Ordnung erhält das Geistige als solches eine Existenz und wird in dieser selbst bestimmten und beschränkten Weise Gegenstand des Bewußtseins. Es ist dies das Geistige nicht als eine unendliche, freie Herrschaft der Natur, sondern als ein Besonderes neben den Naturgewalten und ein Besonderes auch nach seinem Inhalte. So haben denn die Ägypter auch Götter gehabt als geistige Tätigkeiten und Wirksamkeiten, aber diese teils selbst beschränkt ihrem Inhalte nach, teils angeschaut in natürlichen Symbolen. – Als Seite der göttlichen Geistigkeit ist der ägyptische Hermes berühmt. Nach Jamblich haben die ägyptischen Priester allen ihren Erfindungen von alters her den Namen Hermes vorgesetzt; daher hat Eratosthenes sein Buch, welches von der gesamten ägyptischen Wissenschaft handelte, Hermes betitelt. Anubis wird Freund und Begleiter des Osiris genannt. Ihm wird die Erfindung der Schrift, dann der Wissenschaft überhaupt, der Grammatik, Astronomie, Meßkunst, Musik, Medizin zugeschrieben; er hat zuerst den Tag in zwölf Stunden eingeteilt; er ist ferner der erste Gesetzgeber, der erste Lehrer der Religionsgebräuche und Heiligtümer, der Gymnastik und Orchestik; er hat den Ölbaum entdeckt. Aber ungeachtet aller dieser geistigen Attribute, ist diese Gottheit etwas ganz andres als der Gott des Gedankens, es sind nur die besonderen menschlichen Künste und Erfindungen in ihr zusammengefaßt; ferner ist dieser Gott wieder ganz mit Naturexistenz verbunden und in Natursymbole herabgezogen: er ist mit dem Hundskopf vorgestellt, als ein vertierter Gott, und außer dieser Maske ist ebenso eine Naturexistenz in ihn hineingedacht, denn er ist zugleich der Sirius, der Hundsstern. Er ist also ebenso beschränkt nach seinem Inhalte als sinnlich nach seinem Dasein. – Es kann gelegentlich gleich bemerkt werden, daß, wie die Ideen und das Natürliche hier nicht auseinanderkommen, ebenso die Künste und Geschicklichkeiten des menschlichen Lebens sich nicht zu einem verständigen Kreis von Zwecken und Mitteln gestalten und bestimmen. So ist die Medizin, das Beraten über körperliche Krankheit, wie überhaupt der Kreis des Beratens und Beschließens über Unternehmungen im Leben dem mannigfaltigsten Aberglauben von Orakeln und magischen Künsten unterworfen gewesen. Die Astronomie war zugleich wesentlich Astrologie und die Medizin magisch und vornehmlich astrologisch. Aller astrologischer und sympathetischer Aberglaube schreibt sich aus Ägypten her.

Der Kultus ist vornehmlich Tierdienst. Wir haben die Verbindung des Geistigen und Natürlichen gesehen, das Weitere und Höhere ist, daß die Ägypter, sowie sie im Nil, in der Sonne, in der Saat die geistige Anschauung gehabt haben, sie so auch in dem Tierleben besitzen. Für uns ist der Tierdienst widrig; wie können uns an die Anbetung des Himmels gewöhnen, aber die Verehrung der Tiere ist uns fremd, denn die Abstraktion des Naturelements erscheint uns allgemeiner und daher verehrlicher. Dennoch ist es gewiß, daß die Völker, welche die Sonne und die Gestirne verehrt haben, auf keine Weise höher zu achten sind als die, welche das Tier anbeten, sondern umgekehrt, denn die Ägypter haben in der Tierwelt das Innere und Unbegreifliche angeschaut. Auch uns, wenn wir das Leben und Tun der Tiere betrachten, setzt ihr Instinkt, ihre zweckmäßige Tätigkeit, Unruhe, Beweglichkeit und Lebhaftigkeit in Verwunderung; denn sie sind höchst regsam und sehr gescheit für ihre Lebenszwecke und zugleich stumm und verschlossen. Man weiß nicht, was in diesen Bestien steckt, und kann ihnen nicht trauen. Ein schwarzer Kater mit seinen glühenden Augen und bald schleichender Bewegung, bald raschen Sprüngen galt sonst als die Gegenwart eines bösen Wesens, als ein unverstandenes sich verschließendes Gespenst; dagegen der Hund, der Kanarienvogel als ein freundlich sympathisierendes Leben erscheint. Die Tiere sind in der Tat das Unbegreifliche, es kann sich ein Mensch nicht in eine Hundsnatur, so viel er sonst Ähnlichkeit mit ihr haben möchte, hineinphantasieren oder vorstellen; sie bleibt ihm ein schlechthin Fremdartiges. – Es ist auf zwei Wegen, daß dem Menschen das sogenannte Unbegreifliche begegnet, in der lebendigen Natur und im Geiste. Aber nur in der Natur ist es in Wahrheit, daß der Mensch das Unbegreifliche anzutreffen hat; denn der Geist ist eben dies, sich selbst offenbar zu sein, der Geist versteht und begreift den Geist. – Das dumpfe Selbstbewußtsein der Ägypter also, dem der Gedanke der menschlichen Freiheit noch verschlossen bleibt, verehrt die noch in das bloße Leben eingeschlossene, verdumpfte Seele und sympathisiert mit dem Tierleben. Die Verehrung der bloßen Lebendigkeit finden wir auch bei andern Nationen, teils ausdrücklich, wie bei den Indern und bei allen Mongolen, teils in Spuren, wie bei den Juden: »Du sollst das Blut der Tiere nicht essen, denn in ihm ist das Leben des Tieres.« Auch die Griechen und Römer haben in den Vögeln die Wissenden gesehen, in dem Glauben, daß, was dem Menschen im Geiste nicht aufgeschlossen, das Unbegreifliche und Höhere, in ihnen vorhanden sei. Aber bei den Ägyptern ist diese Verehrung der Tiere allerdings bis zum stumpfesten und unmenschlichsten Aberglauben fortgegangen. Die Verehrung der Tiere war bei ihnen durchaus etwas Partikularisiertes: jeder Bezirk hatte sein eignes Tier, die Katze, den Ibis, das Krokodill usw.; große Stiftungen waren für dieselben eingerichtet, man gab ihnen schöne Weibchen, und sie wurden, wie die Menschen, nach dem Tode einbalsamiert. Die Stiere wurden begraben, aber so, daß die Hörner aus den Gräbern herausschauten. Der Apis hatte prächtige Grabmäler, und einige Pyramiden sind als solche zu betrachten; in einer der geöffneten Pyramiden fand man im mittelsten Gemach einen schönen alabasternen Sarg, bei näherer Untersuchung fand es sich, daß die eingeschlossenen Gebeine Ochsenknochen waren. Diese Anbetung der Tiere ist oft zur stumpfsinnigsten Härte übergegangen. Wenn ein Mensch ein Tier absichtlich tötete, so wurde er mit dem Tode bestraft, aber selbst eine unabsichtliche Tötung gewisser Tiere konnte den Tod nach sich ziehen. Es wird erzählt, daß, als einst ein Römer in Alexandrien eine Katze totschlug, daraus ein Aufstand erfolgte, in dem die Ägypter jenen Römer ermordeten. So ließ man Menschen bei einer Hungersnot lieber umkommen, als daß man die heiligen Tiere getötet oder ihre Vorräte angegriffen hätte. Noch mehr als die bloße Lebendigkeit wurde dann die allgemeine Lebenskraft der erzeugenden Natur verehrt, in einem Phallusdienst, den die Griechen auch in ihren Dienst des Dionysos mit aufgenommen haben. Mit diesem Dienst waren die größten Ausschweifungen verbunden.

Ferner wird nun auch die Tiergestalt wieder zum Symbol verkehrt, zum Teil auch zum bloßen Zeichen hieroglyphisch herabgesetzt. Ich erinnere hier an die unzählige Menge von Figuren auf den ägyptischen Denkmälern, von Sperbern oder Falken, Roßkäfern, Skarabäen usf. Man weiß nicht, von welchen Vorstellungen solche Figuren die Symbole gewesen sind, und darf mich nicht glauben, daß man es in dieser von Hause aus trüben Sache zur Klarheit bringen könne. So z. B. soll der Mistkäfer das Symbol der Zeugung, der Sonne und des Sonnenlaufs sein, der Ibis das Symbol der Nilflut, der Geier das der Weissagung, des Jahres, der Erbarmung. Das Seltsame dieser Verknüpfung kommt daher, daß nicht, wie wir uns das Dichten vorstellen, eine allgemeine Vorstellung in ein Bild übertragen wird, sondern umgekehrt wird von der sinnlichen Anschauung angefangen und sich in dieselbe hinein imaginiert.

Weiter aber sehen wir auch die Vorstellung aus der unmittelbaren Tiergestalt und dem Verweilen bei ihrer Anschauung sich herauswinden und das in ihr nur Geahnte und Gesuchte sich zur Begreiflichkeit und Faßlichkeit hervorwagen. Das Verschlossene, das Geistige bricht als menschliches Gesicht aus dem Tierwesen heraus. Die vielfach gestalteten Sphinxe, Löwenleiber mit Jungfrauenköpfen oder auch als Mannsphinxe ( ἀνδρόσφιγγες) mit Bärten, sind es eben, die uns dies darstellen, daß die Bedeutung des Geistigen die zu lösende Aufgabe ist; wie das Rätsel überhaupt nicht das Sprechen von einem Unbekannten, sondern die Forderung ist, es herauszubringen, das Wollen, daß es sich offenbaren solle. – Umgekehrt ist aber die Menschengestalt auch wieder verunstaltet durch das Tiergesicht, um sie zu einem bestimmten Ausdruck zu partikularisieren. Die schöne Kunst der Griechen weiß den besonderen Ausdruck durch den geistigen Charakter in der Form der Schönheit zu erreichen und braucht nicht das menschliche Antlitz zum Behufe des Verstehens zu verunstalten. Die Ägypter haben selbst auch den menschlichen Gestaltungen der Götter die Erklärung durch Tierköpfe und Tiermasken hinzugefügt; der Anubis z. B. hat einen Hundskopf, die Isis den Löwenkopf mit Stierhörnern usf. Auch die Priester sind bei ihren Funktionen in Falken, Schakals, Stieren usf. maskiert; ebenso der Chirurg, der dem Toten die Eingeweide herausgenommen (als fliehend vorgestellt, denn er hat sich am Lebendigen versündigt), sowie die Einbalsamierer, die Schreiber. Der Sperber mit Menschenkopf und ausgebreiteten Flügeln bedeutet die Seele, welche die sinnlichen Räume durchfliegt, um einen neuen Körper zu beseelen. – Auch schuf die ägyptische Einbildungskraft wieder Gebilde aus der Zusammensetzung von verschiedenen Tieren: Schlangen mit Stier- und Widderköpfen, Löwenleiber mit Widderköpfen usf.

Wir sehen so Ägypten in gedrungener, verschlossener Naturanschauung verdumpft, diese auch durchbrechen, sie zum Widerspruch in sich treiben und die Aufgabe desselben aufstellen. Das Prinzip bleibt nicht im Unmittelbaren stehen, sondern deutet auf den andern Sinn und Geist, der im Innern verborgen liegt.

In dem bisherigen haben wir den ägyptischen Geist sich aus den Naturgebilden herausarbeiten sehen. Dieser hartdrängende, gewaltige Geist hat aber nicht bei dem subjektiven Vorstellen des Inhalts, den wir bisher betrachtet haben, stehen bleiben können, sondern er hat sich auch zum äußeren Bewußtsein und zur äußeren Anschauung durch die Kunst bringen müssen. – Für die Religion des ewig Einen, Gestaltlosen ist die Kunst nicht nur ein Ungenügendes, sondern, weil sie wesentlich und ausschließend ihren Gegenstand im Gedanken hat, ein Sündliches. Aber der Geist, der in der Anschauung der partikularen Natürlichkeit steht und darin ein drängender und bildender Geist ist, verkehrt sich die unmittelbare, natürliche Anschauung, z. B. des Nils, der Sonne usf., zu Gebilden, an denen der Geist teil hat; er ist, wie wir gesehen haben, der symbolisierende Geist, und, indem er dies ist, drängt er danach, sich dieser Symbolisierungen zu bemächtigen und sie vor sich zu bringen. Je mehr er sich selbst rätselhaft und dunkel ist, desto mehr hat er den Drang in sich zu arbeiten, aus der Beklommenheit heraus sich zur gegenständlichen Vorstellung zu befreien.

Es ist das Ausgezeichnete des ägyptischen Geistes, daß er als dieser ungeheure Werkmeister vor uns steht. Es ist nicht Pracht noch Spiel noch Vergnügen usf., was er sucht, sondern es ist der Drang, sich zu verstehen, der ihn treibt, und er hat kein andres Material und Boden, sich über das zu belehren, was er ist, und sich für sich zu verwirklichen, als dieses Hineinarbeiten in den Stein, und was er in den Stein hineinschreibt, sind seine Rätsel, die Hieroglyphen. Die Hieroglyphen sind zweierlei, die eigentlichen, die mehr die Bestimmung für die Äußerung in der Sprache und die Beziehung auf die subjektive Vorstellung haben; die andern Hieroglyphen sind diese ungeheuren Massen von Werken der Architektur und Skulptur, womit Ägypten bedeckt ist. Wenn bei andern Völkern die Geschichte aus einer Reihe von Begebenheiten besteht, wie z. B. die Römer in mehreren Jahrhunderten nur dem Zweck der Eroberung gelebt und das Werk der Unterwerfung der Völker vor sich gebracht haben, so sind es die Ägypter, die ein ebenso mächtiges Reich von Taten in Kunstwerken ausgeführt haben, deren Trümmer ihre Unzerstörbarkeit beweisen und größer und erstaunenswürdiger sind als alle Werke der sonstigen alten und der neuen Zeit.

Ich will von diesen Werken keine andern erwähnen, als die den Toten gewidmeten, welche unsre Aufmerksamkeit vornehmlich auf sich ziehen. Es sind dies die ungeheuren Aushöhlungen in den Hügeln längs dem Nil bei Theben, welche in Gängen und Kammern ganz mit Mumien angefüllt sind, unterirdische Behausungen, so groß als die größten Bergwerke neuerer Zeit. Dann das große Totenfeld in der Ebene bei Sais mit Mauern und Gewölben. Ferner die Wunder der Welt, die Pyramiden, deren Bestimmung erst in neueren Zeiten, obgleich von Herodot und Diodor schon angegeben, förmlich wieder bestätigt worden ist, daß nämlich diese ungeheuren Krystalle, in geometrischer Regelmäßigkeit, Leichen einschließen. Endlich das Staunenswürdigste, die Königsgräber, deren eines in neuerer Zeit Belzoni aufgeschlossen hat.

Es ist wesentlich zu sehen, welche Bedeutung dieses Totenreich für den Ägypter gehabt hat; es ist daraus zu erkennen, welche Vorstellung sich derselbe vom Menschen gemacht hat. Denn im Toten stellt sich der Mensch den Menschen vor, als entkleidet von aller Zufälligkeit, nur nach seinem Wesen. Wie ein Volk aber sich den wesentlichen Menschen vorstellt, so ist es selbst, so ist sein Charakter.

Vors erste ist hier das Wunderbare, das uns Herodot erzählt, anzuführen, daß nämlich die Ägypter die ersten gewesen seien, welche den Gedanken ausgesprochen, daß die Seele des Menschen unsterblich sei. Dies aber, daß die Seele unsterblich ist, soll heißen: sie ist ein andres als die Natur, der Geist ist selbständig für sich. Das Höchste bei den Indern war das Übergehen in die abstrakte Einheit, in das Nichts; hingegen ist das Subjekt, wenn es frei ist, unendlich in sich, das Reich des freien Geistes ist dann das Reich des Unsichtbaren, wie bei den Griechen der Hades. Dieses stellt sich den Menschen zunächst als das Reich der Verstorbenheit, den Ägyptern als das Totenreich dar.

Die Vorstellung, daß der Geist unsterblich ist, enthält dies, daß das menschliche Individuum einen unendlichen Wert in sich hat. Das bloß Natürliche erscheint vereinzelt, ist schlechthin abhängig von anderm und hat seine Existenz in anderm: mit der Unsterblichkeit aber ist es ausgesprochen, daß der Geist in sich selbst unendlich ist. Diese Vorstellung wird zuerst bei den Ägyptern gefunden. Wir müssen aber hinzufügen, daß die Seele von den Ägyptern nur vorerst als ein Atom, d. h. als ein konkret Partikularisiertes, gewußt wurde. Denn es knüpft sich sofort die Vorstellung der Metempsychose daran an, die Vorstellung, daß die menschliche Seele auch einem Tierkörper inwohnen könne. Aristoteles spricht auch von jener Vorstellung und tut sie mit wenigen Worten ab. Jedes Subjekt, sagt er, habe seine eigentümlichen Organe für seine Tätigkeit, so der Schmied, der Zimmermann für sein Handwerk; ebenso habe auch die menschliche Seele ihre eigentümlichen Organe, und ein tierischer Leib könne nicht der ihrige sein. Pythagoras hat die Seelenwanderung in seine Lehre mit aufgenommen; sie hat aber wenig Beifall bei den Griechen, die sich an das Konkrete hielten, finden können. Die Inder haben nicht minder eine trübe Vorstellung davon, indem das letzte der Übergang in die allgemeine Substanz ist. Bei den Ägyptern ist aber wenigstens die Seele, der Geist ein Affirmatives, wenn auch abstrakt Affirmatives. Die Periode der Wanderung war auf dreitausend Jahre bestimmt; sie sagen jedoch, eine Seele, die dem Osiris treu geblieben, sei einer solchen Degradation (denn dafür halten sie es) nicht unterworfen.

Es ist bekannt, daß die Ägypter ihre Toten einbalsamierten und ihnen dadurch eine solche Dauer gaben, daß sie sich bis zum heutigen Tage erhalten haben und noch mehrere Jahrtausende so bestehen können. Dies nun scheint ihrer Vorstellung von der Unsterblichkeit nicht entsprechend zu sein, denn wenn die Seele für sich besteht, so ist die Erhaltung des Körpers etwas Gleichgültiges. Dagegen nun kann man wiederum sagen, daß, wenn die Seele als fortdauernd gewußt wird, dem Körper, als ihrem alten Wohnsitze, Ehre erwiesen werden müsse. Die Parsen setzen die Körper der Toten an freie Orte, damit sie von den Vögeln verzehrt werden, bei ihnen wird aber die Seele als ins Allgemeine zerfließend vorgestellt. Wo sie fortdauert, da muß gleichsam auch der Körper als dieser Fortdauer angehörig betrachtet werden. Bei uns ist freilich die Unsterblichkeit der Seele das Höhere, der Geist ist an und für sich ewig, seine Bestimmung ist die ewige Seligkeit. – Die Ägypter machten ihre Toten zu Mumien; damit sind denn die Toten abgefertigt, und es wird ihnen weiter keine Verehrung bewiesen. Herodot erzählt von den Ägyptern, daß bei dem Tode eines Menschen die Weiber heulend umherlaufen, aber die Vorstellung einer Unsterblichkeit, wie bei uns, kommt nicht als Trost hervor.

Aus dem, was früher über die Werke für die Toten gesagt worden, sieht man, daß die Ägypter, besonders aber ihre Könige, sich's zum Geschäft des Lebens gemacht haben, sich ihr Grab zu bauen und ihrem Körper eine bleibende Stätte zu geben. Merkwürdig ist es, daß dem Toten das, was er für die Geschäfte seines Lebens nötig hatte, mitgegeben wurde, so dem Handwerker z. B. seine Instrumente! Gemälde auf dem Sarge stellen das Geschäft dar, dem sich der Tote gewidmet hatte, so daß man diesen in der ganzen Partikularität seines Standes und seiner Beschäftigung kennen lernt. Man hat ferner viele Mumien mit einer Papyrusrolle unter dem Arme gefunden, und dieses wurde früher als ein besonderer Schatz angesehen. Diese Rollen enthalten aber nur vielfache Darstellungen von Geschäften des Lebens, auch mitunter Schriften, die in der demotischen Sprache verfaßt sind; man hat sie entziffert und dann gefunden, daß es sämtlich Kaufbriefe über Grundstücke und dergleichen sind, worin alles auf das Genaueste angegeben ist, selbst die Abgaben bei der Kanzlei, die dabei entrichtet werden mußten. Was also ein Individuum in seinem Leben erkauft hat, das wird ihm bei seinem Tode in einer Urkunde mitgegeben. Auf diese monumentale Weise sind wir in den Stand gesetzt, das Privatleben der Ägypter, wie das der Römer durch die Ruinen von Pompeji und Herkulanum, kennen zu lernen.

Nach dem Tode eines Ägypters wurde über ihn Gericht gehalten. – Eine Hauptdarstellung auf Särgen ist das Gericht im Totenreich: Osiris, hinter ihm Isis, wird mit der Wage dargestellt, während vor ihm die Seele des Verstorbenen steht. Aber das Totengericht wurde von den Lebenden selbst bestellt, und nicht bloß bei Privatpersonen, sondern sogar bei Königen. Man hat ein Königsgrab entdeckt, sehr groß und sorgfältig eingerichtet, in den Hieroglyphen ist der Name der Hauptperson ausgelöscht, in den Basreliefs und den Gemälden die Hauptfigur ausgemerzt, und man hat dies eben so erklärt, daß dem Könige im Totengerichte die Ehre abgesprochen worden ist, auf diese Weise verewigt zu werden.

Wenn der Tod die Ägypter im Leben so sehr belästigte, so könnte man glauben, daß ihre Stimmung traurig gewesen sei. Aber der Gedanke an den Tod hat keineswegs Trauer unter sie verbreitet. Bei Gastmahlen hatten sie Abbildungen von Toten, wie Herodot erzählt, mit der Ermahnung: iß und trink, ein solcher wirst du werden, wenn du tot bist. Der Tod war also für sie vielmehr eine Aufforderung, das Leben zu genießen. – Osiris selbst stirbt und geht in das Totenreich hinab, nach der früher erwähnten ägyptischen Mythe; an mehreren Orten in Ägypten wurde das heilige Grab des Osiris gezeigt. Er wurde dann aber auch als Vorsteher des Reiches des Unsichtbaren und als Totenrichter in demselben vorgestellt; später trat Serapis in dieser Funktion an seine Stelle. Von Anubis-Hermes sagt die Mythe, daß er den Leichnam des Osiris einbalsamiert habe; dieser Anubis ist dann auch als Seelenführer der Toten beschäftigt, und auf den bildlichen Darstellungen steht er, mit der Schreibtafel in der Hand, dem Totenrichter Osiris zur Seite. Die Aufnahme der Verstorbenen in das Reich des Osiris hat dann den tieferen Sinn gehabt, daß das Individuum mit dem Osiris vereinigt werde; daher sieht man auch auf den Sargdeckeln die Vorstellung, daß der Tote selbst Osiris geworden ist, und nachdem man angefangen, die Hieroglyphen zu entziffern, hat man zu finden geglaubt, daß die Könige Götter genannt werden. Das Menschliche und Göttliche wird so als vereinigt dargestellt.

Nehmen wir nun schließlich zusammen, was hier über die Eigentümlichkeiten des ägyptischen Geistes nach allen Seiten hin gesagt worden ist, so ist die Grundanschauung, daß die beiden Elemente der Wirklichkeit, der in die Natur versunkene Geist und der Trieb zu seiner Befreiung, hier im Widerstreite zusammengezwungen sind. Wir sehen den Widerspruch der Natur und des Geistes, nicht die unmittelbare Einheit, auch nicht die konkrete, wo die Natur nur als Boden für die Manifestation des Geistes gesetzt ist; gegen die erste und die zweite dieser Einheiten steht die ägyptische als widersprechende in der Mitte. Die Seiten dieser Einheit sind in abstrakter Selbständigkeit und ihre Einheit nur als Aufgabe vorgestellt. Wir haben daher auf der einen Seite eine ungeheure Befangenheit und Gebundenheit an die Partikularität, wilde Sinnlichkeit mit afrikanischer Härte, Verdienst, Genuß des Lebens. Es wird erzählt, eine Frau habe auf öffentlichem Markte mit einem Bocke Sodomiterei getrieben; Menschenfleisch und Blut, erzählt Juvenal, sei aus Rache gegessen und getrunken worden. Die andre Seite ist das Ringen des Geistes nach seiner Befreiung, die Phantasterei der Gebilde neben dem abstrakten Verstande der mechanischen Arbeiten zur Produktion dieser Gebilde. Dieselbe Verständigkeit, Kraft der Verwandlung des Partikularen und feste Besonnenheit, die über der unmittelbaren Erscheinung steht, zeigt sich in der Staatspolizei und dem Staatsmechanismus, in der Benutzung des Landes usf.; und der Gegensatz dazu ist die harte Gebundenheit an die Sitten und der Aberglaube, dem der Mensch unerbittlich unterworfen ist. Mit dem Verstande des gegenwärtigen Lebens hängt das Extrem des Dranges, der Keckheit, der Gärung zusammen. Die Züge zeigen sich zusammen in den Geschichten, welche Herodot von den Ägyptern erzählt. Sie haben viele Ähnlichkeit mit den Märchen von Tausend und eine Nacht, und wenn gleich diese zum Ort der Erzählung Bagdad haben, so ist ihr Ursprung doch ebensowenig allein an diesem üppigen Hof als nur bei den Arabern zu finden, sondern vielmehr auch in Ägypten, wie auch Herr von Hammer meint. Die Welt der Araber ist eine ganz andre als diese Phantasterei und Zauberei; sie hat viel einfachere Leidenschaften und Interessen: Liebe, Kriegsmut, das Pferd, das Schwert sind die Gegenstände in ihren eigentümlichen Liedern.


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