Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XXXII

Mario schwieg und faltete die Hände um Bonaventuras Haupt, der längst auf seinem Schoß eingeschlafen war. Zwei Tränen rollten langsam über sein stolzes undurchdringliches Antlitz, das jetzt im Mondlicht noch bleicher als gewöhnlich war.

Wir schüttelten die Hände. Dann stand Mario auf, nahm Bonaventura auf den Arm und ging ans Ufer zu einer der Gondeln, die dort immer halten.

Leises Plätschern im Wasser verkündete, daß er fortfuhr. Ich habe ihn nicht wiedergesehen, denn in derselben Nacht verließen wir Venedig, wohl aber gehört, daß ihm im Herbst sein Posten in Neapel angewiesen worden ist.

Damals sagte ich zu meinem Gefährten: »Frauen wie Faustine sind die Racheengel unseres Geschlechts, die die Vorsehung zuweilen, aber selten auf die Erde schickt und denen die Allerbesten unter Euch verfallen; denn nur die Allerbesten unter Euch sind zu dem bereit, wozu die meisten Frauen bereit sind: ein Herz für ein Herz, ein Leben für ein Leben, eine ganze Existenz für eine ganze Existenz zu geben, und sie wähnen, diesen Tausch bei solchen Frauen zu finden, deren glutvolle Unersättlichkeit eine Bürgschaft unerschöpflichen Gefühls zu geben scheint. Ein so strahlendes Wesen, meinen sie, müsse ein verklärtes sein. Aber mitnichten! Eine solche feingeistige Vampirnatur verbrennt und verbraucht, zuerst den Andern, dann sich selbst. Nehmt Euch vor den Faustinen in acht! Es ist nicht mit ihnen auf gleichem Fuß zu leben. Es ist immer die Geschichte vom Gott und der Semele. Nein, nicht von Gott, vom Dämon.«

 

 


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