Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XVII

Faustine dankte in ihrer Seele dem Himmel, der ihr so gnädig von allen Seiten Menschen zusandte, mit denen sie sich gut unterhielt. Mario war da, täglich, ja, wenn sie es gewünscht hätte, stündlich; Mario, der sie so gut verstand, auf Ernst und Munterkeit einging, stets das zu sagen wußte, was, wenn es ihr auch nicht gefiel, doch sie zum Widersprechen anregte, woraus hervorgeht, daß es keine flachen Äußerungen waren; Mario, um den allmählig eine hohe Leidenschaft starke Wellen schlug, die sein Herz umdrängten und ihn zu dem schönen Stern der Meere hintrugen, der alle Wogen zu einem Element des unermeßlichsten Glanzes verwandelte; Mario, an den sie so oft, so gern, mehr als sie wollte, dachte, nicht um ihn zu lieben, aber um sich an diesem Dasein voll seltener Kraft und seltener Gaben zu freuen und zu erquicken. So wähnte sie.

Dann war auch Klemens da, doch weder erfreulich noch erquickend für sie, wie sie es früher wohl gedacht hatte. Die letzten Tage in Oberwalldorf hatten ihr die Überzeugung aufgedrängt, daß er eine lebhafte Neigung für sie hege; aber sie glaubte sich auf eine Weise gegen ihn benommen zu haben, die auf immer jede Hoffnung in ihm töten und ihm das Unstatthafte seiner Empfindungen dargetan haben mußte. Als er in Dresden erschien, hielt sie ihn für erwacht aus seinem Traum, denn es war ihr unmöglich, an eine dauernde Liebe ohne Erwiderung zu glauben, und sie hoffte ihm vielleicht von einigem Nutzen bei seinem Eintritt in die Gesellschaft zu sein und seine frische unverdorbene Seele vor bösen Einflüssen zu bewahren. Doch das gestaltete sich sehr bald anders. Klemens hatte keineswegs ein Gefühl aus seiner Brust verbannt, das ihn einst berührt wie der Sonnenstrahl die eingewickelte Raupe. Faustine war ihm nun einmal zum Sinnbild von Schönheit und Glück geworden. Bei ihr verstand er jene, durch sie verstand er dieses. Aber das Wesen, das uns in den zwiefachen Himmel der Schönheit und des Glücks erhebt, – lieben wir es nicht? Ist Liebe etwas anderes als Offenbarung unendlicher Schönheit und unendlichen Glücks?

So dachte Klemens in den langen öden Tagen, die auf Faustinens Abreise von Oberwalldorf folgten; und daß sie ihn nicht liebe, dachte er auch wohl zuweilen, aber nie ohne den demütigenden Zusatz: »Wie hätte ich das denn verdient? Ist es nicht meine Seligkeit, ihr mein Herz zu geben? Das ihre will ich ja gar nicht. Wird nicht der Bettler von der Fürstenkrone erdrückt? Aber nehmen soll sie mein Herz; nehmen muß sie es! Wenn sie es in den Staub träte? Nein das kann sie nicht! Sie muß den Wert eines Herzens erkannt haben, so wie die Gottheit ihn erkennt.«

Mit diesen Gedanken kam er aus dem Einerlei seines beschränkten tätigen Lebens nach Dresden. Hier sah er Faustinen in ganz andern Verhältnissen als zu Oberwalldorf. Sie war umringt, bewundert, gefeiert. Männer und Frauen wünschten sehnlichst ihren Umgang, ihre Bekanntschaft. Wer ihr nahte, huldigte ihr, und was mehr ist, huldigte ihr gern. Ihm kam es vor, als ob alle Männer sie liebten, das Herz vor ihr niederlegten, als sei das seine im Wert nicht, aber im Preise gesunken. Wodurch sollte er denn ihre Augen, die verwöhnten, auf sich ziehen? Er verlief sich unter der Menge. Er wurde eifersüchtig wie ein Kind, ohne Gegenstand, ohne Grund. Dies Aufpassen, dies Haschen, dies Lauern machte ihn unzufrieden mit sich selbst, und deshalb wurde er verdrießlich und Faustinen zur Last, die gar nicht wußte, was sie mit diesem Menschen anfangen sollte. Ihn wegschicken? Dazu hatte sie kein Recht. Bisweilen, wenn er allein mit ihr war, rührte seine Andacht sie, und sie war freundlich und herzlich nach ihrer Weise, wie sie selbst sie bezeichnete: »Ich bin freundlich gegen alle Menschen, – die mir gefallen.« Aber sobald sie freundlich war, geriet Klemens in Entzücken, und sie mußte spotten und lachen, um dadurch seine Freudenflammen ein wenig zu dämpfen. Kamen nun gar andere Menschen hinzu, gegen die sie gleichmäßig freundlich war, weil sie ihr keine Veranlassung gaben, ihr Benehmen zu ändern; kam vollends der gehaßte Mario, von dem Klemens sehr schnell erkannte, daß er für Faustinen in einer ganz anderen Reihe als ihre gewöhnlichen guten Freunde stand, nämlich in gar keiner und ganz abgeschieden, – so tobten Wogen von Groll und Bitterkeit durch seinen sonst so sanften Sinn, und sein Mangel an Erziehung veranlaßte ihn zu einem Benehmen, das ihn bald lächerlich, bald unerträglich machte. Faustine hatte gehofft, die Furcht, lächerlich zu erscheinen, werde ihn, der nicht ohne Schüchternheit war, in seinen Grenzen halten, aber die Leidenschaft übersprang und überwog jede Rücksicht. Jetzt war Faustine ganz gleichmäßig ernst gegen ihn, und er kam seltener.

Sie fragte ihn einmal, wo und mit wem er seine Zeit hinbringe, und er antwortete:

»Mit jungen Künstlern! Ich will auch Maler werden.«

Sie lachte, aber sie freute sich, daß er doch irgend eine Beschäftigung habe, da das nichtstuerische Leben ihm, dem Arbeitgewohnten, leicht gefährlich werden konnte.

Kunigunde kam. Faustine empfing sie mit der ganzen Holdseligkeit, die sie bezaubernd machte und die sie immer, wenn ihr Herz berührt wurde, wie eine Glorie umfloß. Sie waren lieblich anzusehen, die beiden schönen Gestalten! Kunigunde glich der Nacht mit ihrem dunklen Haar, das sich in schweren Locken um ihr vornehm feines, regelmäßig edles, mehr schmerzens- als krankheitsblasses Gesicht ringelte. Die schmalen Lippen waren fest geschlossen; sie hatten selten gelächelt, nie geküßt. Die länglichen Augen fast immer gesenkt; doch wenn die Wimpern sich hoben, so brach hinter ihrem schwarzen Gitter ein geheimnißvoller Strahl an, der gleich einem feuchten zitternden Mondlichtstreif zum Himmel stieg oder vom Himmel kam. Faustine dagegen war wie der Tag hell, durchsichtig, ein Kristall, worin Purpur, Gold, Azur und Rosenrot in einander schmolzen. Ihren Kopf konnte nur ein Dichter erfinden; Kunigundens ein Bildhauer. Sie war der in Frauenform verhüllte Inbegriff einer halbromantischen, halbmorgenländischen Poesie; Leidenschaft und Phantasie waren darin vorherrschend, zwei Dinge, die gewöhnlich einander ausschließen und in ihr sich vereinigten, wie der Luzifer ins Morgenrot hineinstrahlt. Aber nicht die Nacht allein, auch der Tag hat seine Geheimnisse. Wer kann am hohen Sommermittag den Blick aufwärts kehren und in den Himmel hineinsehen, der wie polierter Stahl leuchtet und funkelt? Es wird stets ein zitternder Schleier, wie von durchsichtigen Goldflittern, vor den Augen hängen. Und diese Atmosphäre umgab Faustine; diese war es auch, die sie von der Masse der nüchternen Menschen schied und sie für Einzelne unwiderstehlich machte. Sie stand darin wie die Palme in der tropisch blühenden Oase, wie die Peri in ihrem feenhaften Reich. Und diese Atmosphäre zerschmolz alle Fesseln an Kunigundens eingekerkerter Seele ebenso plötzlich, wie sie die Schwingen von Marios freier Seele versengt hatte. Sie erzählte Faustinen ihre einfache kurze traurige Geschichte: wie sie sich vor vier Jahren mit Feldern gern und willig verlobt habe, wie es ihr aber trotzdem jetzt eine Unmöglichkeit sei, seine Gattin zu werden, und wie sie als eine Kranke behandelt werde, weil sie keinen Grund für diese Umwandlung anzugeben wisse.

Mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Melancholie sagte sie:

»Gemütskrank und nervenschwach nennt man mich! Ach, nicht die Nerven, die Seele ist schwach! Die fürchtet eine Last auf sich zu laden, der sie nicht gewachsen ist.«

»Nennen Sie Ihre Seele nicht schwach, sondern klar!« rief Faustine. »Allen Zügeln, allen Lenkungen zum Trotz, läßt sie sich nicht durch die Verhältnisse bestechen, sondern erkennt den Weg, auf dem ihr Heil nicht liegt. Haben Sie je so verständig, so überlegt mit Herrn von Feldern gesprochen?«

»Wie oft! Aber er versteht mich nicht. Ich denke, daß Männer nicht gleich uns Fühlfäden an ihren Seelen haben.«

»In gewöhnlichen Zuständen mögen wir ihnen an Takt und Feinheit überlegen sein,« sagte Faustine, Andlaus eingedenk, mit tiefer Innigkeit, »aber wenn ein Mann liebt – und das geschieht öfter, als die Frauen es eingestehen wollen, – so umfängt er wie eine Sensitive das Geliebte, und fühlt früher, stärker jede dämmernde Regung, jede Wolke der Empfindung, jeden keimenden Dorn der Mißstimmung, jede schwellende Knospe des Glücks. Aber freilich, lieben muß er. Liebe ist ewig der Ring des Djemschid, der das Verständnis der Dinge verleiht.«

»Feldern liebt mich, sagt er.«

»Ja, ja,« sprach Faustine, und ein Schatten von Kunigundes Schwermut legte sich auf ihre blütenweiße Stirn. Erinnerungen zogen wie finstere Träume ihrem inneren Auge vorüber. »Die Männer lieben auf allerlei Weise, und es giebt freilich eine, die uns elender macht, als je ihr Haß uns machen könnte. Von der rede ich nicht; denn wenn ich von ihr redete . . .« fügte sie mit dem leisesten, bebenden Ton hinzu, aber ihr Auge flammte und ihre Wange glühte, ». . . so könnte ich nicht anders als sie verfluchen.«

Sie preßte krampfartig beide Hände vor das Gesicht und schüttelte den Kopf, sodaß ihre Locken wie Bäche die Hände überrieselten. Dann warf sie Kopf und Haar zurück; ihr Anblick tauchte beruhigt aus der Flut der Erinnerungen auf, und sie strich lächelnd, träumerisch über die Stirn, als hätten Gespenster sie geneckt.

»Erschrecken Sie nur nicht über mein rasches heftiges Wesen,« bat sie gütig. »Ich habe nun einmal eine Seele, deren gewöhnlicher Zustand Fieber ist. Damit hat man goldselige Phantasien oder grausige Traumgespenster; aber letztere kommen mir selten und immer seltener . . . . Von Ihnen wollen wir sprechen. Sagen Sie mir, wie sich Ihr Schicksal in Ihrer Familie gestalten würde, wenn Sie entschieden mit Herrn von Feldern brächen?«

»Ich glaube fast, daß ich zu gleicher Zeit mit meiner Familie brechen würde; denn meine Mutter ist nicht daran gewöhnt, daß wir ihren Wünschen entgegen handeln, und sie wünscht meine Verheiratung.«

»Nun?« fragte Faustine gespannt, als Kunigunde nach diesen Worten schwieg.

»Ich habe keine Aussichten, keinen Trost, keine Hoffnung. Meine Zukunft ist eine undurchdringliche Nacht. Was ich auch tun werde, Schmerz und Kampf sind mir auf jedem Wege gewiß! Doch Elend nur in der Verbindung mit Feldern.«

»Gott,« sagte Faustine, »welch unglaubliches Leid verzweigt sich durch anscheinend friedliche, einfach glückliche, harmlose Verhältnisse. Überall nagt und schleicht und brennt ein Gift, und keiner kann den andern retten, nicht einmal den Geliebtesten. Jeder muß seinen Kampf selbst durchfechten und mit seinem Blut bezahlen, und für jeden ist er immer so, als wäre noch nie etwas Ähnliches dagewesen; denn immer sind die Umstände so verschieden, daß niemand sein eignes Beispiel als einen Rat darbieten darf.«

Sie sprachen viel mit einander, wie alte Freundinnen, und das erleichterte Kunigundes zusammengepreßtes Herz wenigstens von der beschämenden Qual, mit ihren tiefsten, heiligsten Empfindungen als eine beklagenswerte Kranke dazustehen. Sie blieb den ganzen Tag bei Faustinen. Sie sang ihr vor, und nicht mit der kalten seelenlosen Stimme, wie sie einst in Mengens Gegenwart auf Felderns Wunsch gesungen, sondern wie man eben singt, wenn das Herz überfließt. Faustine hörte ihr mit wahrer Andacht zu, denn sie war immer andächtig, sobald sie einen Herzschlag vernahm, und sann nach, ob sie nichts für Kunigunde tun könne, ihr einen Zufluchtsort schaffen, ihr Mittel zu einem selbständigen Unterhalt an die Hand geben; und dazwischen fiel ihr ein: ob Andlau nicht unzufrieden sein würde über ihre Einmischung in so zarte Verhältnisse, und ob sie kein Unrecht gegen Feldern beginge, der ihre Vermittlung zur Vereinigung, nicht zur Trennung gesucht. Sie hatte ihn zwar von jeher auf ihre Handlungsweise vorbereitet . . .

Da kam Feldern.

»Ich werde ihm gleich reinen Wein einschenken,« sagte sich Faustine heimlich.

So wie er gemeldet war, veränderte sich Kunigunde sichtlich; wurde gezwungen, scheu und befangen. Sie verließ das Piano. Die Kehle hatte keinen Ton, die Brust keinen Atem mehr; und als er eben in den Salon getreten war, sagte sie ängstlich:

»Ich begreife nicht, warum mein Vater nicht kommt, mich abzuholen. Es muß schon recht spät sein.«

Zum Glück langte Herr von Stein bald darauf an, und hätte er auch recht gern Faustinens Einladung, den Abend bei ihr zuzubringen, angenommen, so kam ihm doch Kunigunde ablehnend zuvor. Sie bat Faustinen um Erlaubnis, sie in ihren einsamen Stunden einmal wieder besuchen zu dürfen, erhielt sie gern und schied dankbar.

»Wie finden Sie Kunigunde, gnädige Gräfin?« fragte Feldern erwartungsvoll.

»Eben so schön wie liebenswürdig – und verständig.«

»Und verständig? Dann hat sie nicht ehrlich zu Ihnen gesprochen.«

»Sie hat! Warum sollte sie nicht?«

»Weil sie sich ihrer Torheit schämt.«

»Feldern!« rief Faustine heftig. »Die Torheit dieses Mädchens ist tiefsinnige Weisheit.«

»Hüten Sie sich, in der nebelhaften Schwärmerei, in der vagen Überspanntheit wahren und kräftigen Schwung des Gefühls erkennen zu wollen!«

»Kunigunde ist ruhig und klar in sich, so weit es ein zwanzigjähriges Mädchen sein kann. Sie will nicht einen Mann heiraten, den sie nicht liebt, – und das nenne ich vernünftig.«

»Aber während vier langer Jahre hat sie ihn heiraten wollen!«

»Sagen Sie lieber, daß sich während dieser Jahre die Einsicht ihres Irrtums in ihr entwickelt hat.«

»Wie oft soll es den Frauen erlaubt sein, solchen Irrtum zu begehen?« fragte Feldern gereizt und bitter.

»Erlaubt – nie; verzeihlich – immer!« sprach sie sehr sanft.

Feldern schwieg eine Weile. Dann fragte er wieder: »Und was wird das Schicksal Kunigundens sein, wenn sie bei ihrem Willen beharrt? Wird sie einen Mann finden, der ihren überspannten Ansprüchen genügt? Wird sie ihr herrliches Wesen an einen Unwürdigen verschleudern?«

»Kunigunde sieht so ernst und fest aus, als brauche sie nicht die Stütze, die ein Mann geben kann, um ihren Weg durch das Leben zu machen. Gewiß ist, daß sie keine solche wünscht. Da ist die Gefahr nicht groß, an einen Unwürdigen zu geraten.«

So begann Feldern allmählich die Möglichkeit einer Trennung zu fassen, und er war mit Faustinen in ernste Überlegung dieses wichtigen Gegenstandes vertieft, als Klemens höchst unwillkommen beide störte.

Eintretend warf der junge Mann einen zornfunkelnden Blick auf Feldern und einen vorwurfsvollen auf Faustine, zog einen Lehnstuhl, setzte sich bequem zurecht und fragte hämisch:

»Störe ich etwa?«

»Ja,« sagte Faustine sehr unmutig.

»Behüte der Himmel!« rief der rücksichtvolle Feldern. »Unser Gespräch kann ja in jeder Minute unterbrochen und wieder angeknüpft werden.«

»Das ist schön!« sagte Klemens. »Ich war heute zweimal vergeblich vor Ihrer Tür, Gräfin Faustine, mittags um zwölf, nachmittags um vier Uhr. Beide Male sagte mir der Diener, Sie wären nicht zu Hause. Jetzt ging ich wieder vorbei, und da ich Licht in Ihrem Salon sah, kam ich herauf, in der festen Überzeugung, dieselbe Antwort zu bekommen.«

»Aber Sie täuschten sich, wie Ihnen das schon millionenmal passiert ist,« sagte Faustine kaltblütig, ohne seine Ungehörigkeit zu beachten, für die ihn Feldern sprachlos mit strafenden Augen ansah. Dann wandte sie ihm den Rücken und unterhielt sich mit Feldern über Vorfälle in der Gesellschaft und Erscheinungen in der Kunst und Literatur.

Eine augenblickliche Pause benutzte Klemens, um im veränderten, demütigen Ton die Frage zu tun:

»Sie waren doch nicht etwa krank heute, Gräfin Faustine?«

»Nein, ich war sehr wohl,« antwortete sie kühl und kehrte sich wieder zu Feldern mit einer gleichgültigen Bemerkung über die bodenlose Gesprächigkeit irgendeiner Dame. »Es tut mir immer leid um all die schönen Worte, die sie so kreuz und quer und mit vollen Händen ausstreut. Man kann viel durch ein Wort ausrichten, wenn man nur nicht sich und andre daran gewöhnt hat, daß man die Worte mißbraucht. In ihrer Zusammenstellung kann ebensowohl wie in ihrer Betonung eine deutliche Schattierung veränderter Zustände liegen. Wenn jemand an mich schreibt: ›Meine teure Faustine,‹ der sonst schrieb: ›Liebe Ini,‹ oder kurzweg ›Ini‹, – denn in der bloßen Nennung des Namens ohne verherrlichende Beiworte liegt die tiefste, reinste Innigkeit, – so weiß ich, daß seine Zärtlichkeit eine rückläufige Bewegung gemacht hat, die sich im nächsten Brief, den ich vielleicht nach einem halben Jahr erhalten werde, in Hochachtung umsetzt, was mir die ›Verehrte Gräfin!‹ ankündigt.«

»Ist Ihnen das wirklich schon begegnet?« fragte Klemens neugierig. Er suchte an der Plauderei Teil zu nehmen, von der Faustine ihn so absichtlich ausschloß.

Aber wenn sie auch erwiderte:

»Ich spreche nur beispielsweise von mir,« so würdigte sie ihn doch keines Blicks, und Klemens verzweifelte innerlich, daß er sich von seiner kindischen Eifersucht hatte hinreißen lassen, die ihm jetzt so töricht und unpassend wie möglich erschien.

Nachdem Feldern gegangen, sagte Faustine zu Klemens, der noch immer ganz unbeweglich in seinem Lehnstuhl verharrte:

»Gute Nacht, Herr von Walldorf!«

Er fuhr zusammen. »Herr von Walldorf?« fragte er verwirrt.

»Ja, ich meine Sie.«

»Und was habe ich Ihnen getan, daß Sie mich plötzlich so fremd behandeln, mich fortschicken, obgleich ich Sie heute den ganzen Tag nicht gesehen?«

»Mir haben Sie Nichts getan! Merken Sie sich das ein für allemal: eine Unart trifft nicht mich, sondern den, der sie begeht. Ihr schlechter Ton verletzt mich noch mehr in Ihrer als in meiner Seele, weil er von einer außerordentlichen Rücksichtslosigkeit zeugt. Ich müßte Sie wie ein Kind behandeln und Ihnen jedes unpassende Wort verweisen, wenn es mir nicht zu langweilig wäre, als Bonne aufzutreten, einem vernünftigen Menschen gegenüber. Da ich das nicht mag, werde ich Sie fremd und förmlich behandeln, um Sie auf diese Weise an die Schranken zu erinnern, die Sie stets geneigt sind zu überspringen. Aber ein Mann, der mich dazu zwingt, wird mir über kurz oder lang unausstehlich. Die Männer sind von Natur täppische Gesellen. Ward das nicht durch Erziehung und Sitte gesänftigt, so behüte mich der Himmel vor ihrem Umgang.«

Klemens rang die Hände. »Wie kann ein scherzhaftes Wort . . .«

»Niemand versteht besser den Scherz als ich,« unterbrach ihn Faustine. »Darum habe ich auch sehr gut verstanden, daß Sie nicht scherzen, sondern sehr ernsthaft sein wollten, was wirklich bei dieser Gelegenheit nicht blos ins Gebiet des Scherzes, sondern in das der Lächerlichkeit fällt.«

Sie lachte, und Klemens rief erleichtert: »Gottlob!«

Faustine sagte mit ihrem gewöhnlichen sanften Ton und hellen Blick:

»Ich bin ja so gern die Freundin meiner Freunde! Zwingen Sie mich doch nicht, Ihr Zuchtmeister zu sein. Dazu sind ja die Feinde gut.«

»O, Sie sind eine Himmlische!« rief Klemens beseligt und ergriff ihre Hand; setzte aber langsam hinzu, als Faustine die Hand losmachte: »Nur aber grausam!«

»Sehen Sie je, daß ein andrer Mann aller Augenblicke meine Hand anpackt?« fragte sie ein wenig gelangweilt.

»Nein; aber es liebt Sie auch keiner wie ich.«

»Irrtum! Alle haben mich lieber als Sie. Alle vermeiden mir lästig zu werden und mir zu mißfallen.«

»Aber für Einen könnten Sie doch eine Ausnahme machen?«

»Und warum das?«

»Eben weil er Sie liebt.«

»Das genügt nicht! Ich muß ihn wieder lieben.«

Er sah sie an. Sie saß auf dem Sofa, in die Ecke zurückgelehnt, das feine goldne Kettchen, woran ihre Lorgnette hing, nach ihrer Gewohnheit um die Finger schlingend und wieder ablösend, den Kopf seitwärts gesenkt, den Blick zerstreut, so zerstreut, daß Klemens, der auf dem Punkt gewesen war, ihr zu Füßen zu fallen und um ihre Liebe zu bitten und zu flehen, selbst ganz zerstreut wurde und gleichsam beruhigend halblaut zu sich selbst sprach:

»Sie kann wohl nicht lieben.«

Und damit ging er.


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