Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XV

Mengen fehlte nicht am nächsten Morgen bei Faustine. Der Bediente öffnete ihm den Salon. Er war leer. Mario ging hindurch und betrat das zweite Zimmer, das er gestern nur durch die Tür gesehen. Heute schaute er sich darin um; denn dies war augenscheinlich das Gemach, worin sich Faustine am meisten aufhielt. An dem einen Fenster stand ihr Schreibtisch. Nichts fiel ihm daselbst auf als Andlaus Bildnis in Aquarell, sehr gut und sehr ähnlich gemalt; ein denkender ernster melancholischer Kopf. »Sieht man ihr gegenüber nicht heiterer aus?« dachte Mario. Am anderen Fenster stand ein Tisch mit einem Lesepult und verschiedenen Büchern, und ein tiefer Lehnstuhl davor. An der einen Wand eine breite niedrige, aus einzelnen Polstern zusammengesetzte Ottomane. Ihr gegenüber ein großer Toilettenspiegel, an dem nachlässig ein langer Schleier und eine kleine Tafftschürze hingen. An der Hinterwand schlossen dunkelrote Vorhänge den Alkoven.

Ein Zimmer ist das weitere Überkleid eines Menschen. Es verrät dessen Formen, und etwas von seinem Wesen bleibt darin zurück. Darum sieht man so gern das Heim eines berühmten oder eines geliebten Menschen; man wird darin die Seele gewahr. Mario hatte sich friedlich auf die Armlehne des großen Lehnstuhls gesetzt und sah sich um. Er wartete nicht auf Faustine; sie schien ihm gegenwärtig.

»Tappt nicht jemand da herum?« rief ihre goldene Stimme durch eine Tür, die nur angelehnt war.

»Ich harre Ihres Befehls,« sagte Mario, öffnete die Tür [und] stand in einem kleinen Gemach, das man Atelier nennen konnte, denn es war ganz für die Malerei eingerichtet: nur ein Fenster, bis zur Mitte von unten auf zugesetzt; Bilder, Zeichnungen, Kupferstiche, Skizzen von oben bis unten an den nackten Wänden; keine Möbel als einige Staffeleien, ein paar Tische, worauf Mappen, Zeichengerät, ein Totenkopf, Gipsabgüsse von Armen und Beinen; und zwei Strohstühle, worauf allerlei Gerät lag.

»Setzen Sie sich!« sagte Faustine. Sie saß vor einer Staffelei und arbeitete.

»Das hat hier seine Schwierigkeiten,« sagte Mario und sah sich lachend um.

»Ist es Ihnen unbehaglich hier, so erwarten Sie mich im Salon. In zehn Minuten bin ich mit dieser Anlage fertig.«

»Ich muß mich nur heimisch machen dürfen,« sagte Mario und kniete neben ihr nieder.

»Das geht auch!« meinte sie und malte gelassen weiter.

Er betrachtete sie. Ihr Anzug war der unvorteilhafteste von der Welt: ein weißes Linonhäubchen, das so dicht ihr Gesicht umschloß, daß kein Haar zu sehen war, ein große graue Schürze und graue Vorärmel. Bei jeder anderen Frau hätte es eine völlige Abwesenheit aller Eitelkeit verraten, in diesem Anzug Besuch zu empfangen. Bei Faustine bedeutete es nichts, als daß sie mehr an ihr Bild denn an ihre graue Schürze dachte. Sie saß stumm da, die Lippen ein wenig geöffnet, als lausche sie auf etwas, mit den breiten Augenliedern zuweilen ganz rasch die Augen zudeckend, wie um sie auszuruhen. Die Lachtauben haben diese Bewegung. Endlich wendete Mario seinen Blick ihrer Arbeit zu.

»Warum den finsteren Totenkopf malen?« fragte er. »Was wissen Sie vom Tode, Sie, bei der Licht und Wärme – und das ist Leben! – zu Hause sind?«

»Ich wollte auch das Leben malen,« antwortete sie, »aber dazu fiel mir nichts anderes ein als eine Fülle von Blumen und der Totenkopf dazwischen, halb versteckt und doch alles überragend. Sie haben ganz recht! Mit dem Tode habe ich nichts zu schaffen, so gar nichts, daß ich ihn nicht einmal verstehe. Aus einer Form des Daseins zu einer andern übergehen, heißt bei mir nicht Tod, sondern eine neue Lebensentwicklung. Leben muß man, wie man liebt: durch Ewigkeiten hindurch. Wer nicht diese Überzeugung hegt, weiß nichts vom Leben, nichts von der Liebe. Wer nicht das Weltall zu einem Quell macht, aus dem er Leben und Liebe stets neu und frisch schöpft, sollte nur gar nicht dazu Miene machen. Sie sehen, ich bin eine entschiedene Gegnerin des Todes; aber dem Körper gönne ich gern sein Ausruhen im Grabe, obgleich er dabei so garstig wird wie mein alter Totenkopf hier.«

»Warum verdient der Leib dies Ausruhen, der sich doch nicht halb so viel anstrengt als der Geist? Einen körperlichen Schmerz haben wir nach vierundzwanzig Stunden völlig vergessen; vom geistigen bleibt immer eine Narbe, oft eine Wunde zurück. Körperliche Ermüdung, was ist denn das? Man hat ein paar Nächte durchschwärmt, dann schläft man aus! Ein sehr angenehmes Mittel gegen Ermüdung! Aber gegen geistige Müdigkeit, die auf Überanstrengung folgt und Flug und Schwung lähmt, gibt es keine angenehmen Mittel, sondern Sturzbäder und Widerwärtigkeiten etwa, und Moxa der Leidenschaft, und ähnliche Kuren, die der geschickte Arzt Schicksal zu verhängen weiß.«

»Daher hat aber auch der Geist seine Freude, seinen Spaß, sein Glück, sein Fortkommen, – und der arme, arme Leib nichts von dem Allem! Wie muß das Blut rennen, die Nerven hüpfen, die Muskeln ringen, wie müssen die Sinne, diese faulen Knechte und stummen Diener der Seele, sich abarbeiten, danaidenmäßig! Denn wenn nun der Leib meint, er habe sich ein Vergnügen bereitet, so tritt plötzlich sein Tyrann auf, Geist, Seele, wie er heißen mag, und spricht: Mit nichten, mein Guter, der Abhub der Tafel kommt dir zu! – Dann schmaust der Tyrann die besten Bissen und trinkt vom Champagner nur den Schaum, und der arme Leib steht demütig hinterm Stuhl und freut sich, daß es seinem Herrn so gut schmeckt. Man kann sich gar nicht wundern, wenn er manchmal zur Unzeit verdrießlich wird, sich lang ausstreckt und sagt: Suche Dir einen andern Knecht! Ich hab's satt.«

»Die Emanzipation des Fleisches – wie das Modewort heißt, das jetzt gepredigt wird – entspricht also wohl ganz Ihren Wünschen?«

»Unsinn, lieber Graf, kläglicher Unsinn, wie er von Leuten mit fixen Ideen nicht anders zu erwarten ist! Alle diese Prediger sind mit der Monomanie der Gleichheit behaftet, die sich durch eine Art von Berserkerwut gegen alles äußert, was bisher geherrscht und gegolten hat. Die aristokratische Einrichtung, daß Vernunft, Verband, Wille den Plebs der Sinne beherrsche, soll nicht mehr gelten, nicht weil sie nicht gut und nützlich wäre; sondern schlechtweg, weil etwas Hochadliges darin liegt, rohes ungebildetes Volk gehorchen zu lassen. Im Mittelalter verliehen die Städte an Ritter und Herren das Bürgerrecht, und das war eine große Ehre, denn sie traten dadurch in eine ehrenwerte Verbindung. Jetzt, wo alles Zünftige als der Gleichheit und Freiheit widersprechend abgeschafft wird, taucht plötzlich eine Zunft von Literaten auf, die das Bestialitätsrecht verleihen möchte. Aber ich denke, sie werden es wohl für sich behalten dürfen . . . . So! Nun bin ich mit der Anlage fertig. Jetzt sollen Sie die bewußten Bäume sehen.«

Sie erhob sich, stellte ein Gemälde auf die Staffelei und sprach zu Mario:

»Setzen Sie sich davor hin!«

Es war ein schroffer Felsenabhang über dem Meer. Eine Tanne und eine Birke, mit seltsam verschlungenen Zweigen, standen am äußersten Rande dieses Abhangs und bildeten den Vorgrund. Die Birke war ganz unbelaubt; ihr weißer Stamm, die schlanken Zweige schienen zu zittern und zu frieren im Sturm. Die Tanne breitete ihre Äste, worauf einzelne Schneeflocken gestreut waren, schützend aus, gleich starken Armen. Der Himmel war winterlich hart, eisgrau, im Westen kupferrot. Tief unten dämmerte das Meer.

Nach einiger Zeit stellte Faustine ein zweites Gemälde auf die Staffelei: ganz derselbe Gegenstand, aber im Frühling und im Morgenlicht. Die Birke, frisch und sonnenglänzend, schmückte die Tanne mit ihrem wehenden, schwebenden Laube, wie mit festlichen Girlanden.

»Gefallen Ihnen die Bäume?« unterbrach Faustine endlich das Schweigen.

»Sie verstehen zu malen!« entgegnete Mario. »Sie verstehen die Dinge aufzufassen und ihnen mit dem Pinsel ein poetisch-wahres Gewand umzuhängen. Aber wundern dürfen Sie sich nicht, daß Feldern und vielleicht hundert andere nur eine schöne Landschaft in diesem Bilde sehen. Bilderschrift ist ein tiefsinniges Studium, wozu mehr gehört als des Kunstkenners Geschmack und Urteil. Sie ist ein Sanskrit, nur von wenigen verstanden.«

In demselben Augenblick trat Klemens ein und sagte:

»Verzeihung! Ich bin vom Diener hergewiesen.« Dann rasch hinter Mario tretend und das Gemälde betrachtend, rief er hocherfreut: »Die Tanne kenne ich! Sie haben sie einmal auf einem Spaziergang in Oberwalldorf flüchtig gezeichnet. Dabei habe ich sie mir eingeprägt. Es freut mich, daß Sie an etwas aus jener Zeit gedacht, wenn nicht an Menschen, doch an den Baum.«

»Ich denke an alles, was der Erinnerung wert ist,« sagte Faustine.

»Oder der Hoffnung!« rief Klemens.

»Ja, und lieber noch!« entgegnete sie und machte eine Bewegung, die die Herren einlud, mit ihr das Atelier zu verlassen. Schürze und Häubchen blieben darin zurück.

Mario und Klemens mißfielen sich ungemein, gegenseitig, wie das gewöhnlich der Fall ist. Seltsam, daß nichts auf der Welt zwei Menschen, die einander völlig fremd sind, herzlicher verbindet oder feindlicher entzweit als die Liebe für eine dritte Person, je nach der Beschaffenheit, der Färbung, dem Wärmegrad dieser Liebe. Der Freund, der Bruder der Geliebten wird unser Bruder, unser Freund; wer aber Miene macht, sie auf unsere Weise anzubeten, ist unser Erzfeind. Klemens haßte Mario, weil er eifersüchtig auf ihn war. Er fühlte, daß Mario Faustinen besser als er gefallen könne, denn er war unbeholfen und sie hatte die gewandten Menschen so gern. »Die Menschen, die ihr zartes Händchen nur mit einem weißen Glacéhandschuh anfassen,« murmelte Klemens, »von denen bin ich kein Liebhaber, obgleich ich, ihr zu gefallen, auch recht gern weiße oder himmelblaue oder maigrüne Handschuhe anzöge.«

Mario hatte Klemens einen Augenblick mit dem unverhohlenen Erstaunen betrachtet, das durch dessen schroffes Auftreten überall, wo man an bessere Manieren gewöhnt war, hervorgerufen werden mußte. Dann aber beachtete er ihn gar nicht mehr als ein selbstständiges Wesen, sondern nur dann, wenn jener auf irgend eine Weise gegen Faustine anstieß. Sie selbst litt gar nicht durch das unvorteilhafte Licht, in dem sich Klemens zeigte.

»Es ist den jungen Leuten sehr heilsam, wenn sie merken, was und wie viel ihnen fehlt, um in der Gesellschaft angenehm zu sein,« sagte sie einmal. »Wenn sie von der Universität kommen, sind sie so aufgeblasen wie eine Montgolfiere, und gleich dieser ihrer Himmelfahrt und des bewundernden Staunens des versammelten Volks gewiß. Warum so aufgeblasen? Entweder haben sie sich brav herumgehauen, oder sie haben enorm getrunken, oder der Himmel hat sie mit einem pompösen Bart erfreut, oder sie haben sich in irgend einer Prüfung nicht verblüffen lassen.«

Klemens, der anspruchloseste Mensch unter der Sonne, war nur auf seinen Bart eitel; deshalb unterbrach er gereizt Faustinen und rief, weil er doch nicht die Bart-Stolzen verteidigen konnte:

»Sie haben gut reden, spöttisch und klug! Müßten Sie sich prüfen lassen, so würden Sie auch vielleicht nicht bestehen.«

»Das käme noch darauf an!« entgegnete sie unverzagt.

»Und« – sagte Mario – »sich nicht verblüffen zu lassen, ist gewiß eine ebenso wichtige wie richtige Regel dazu. Wenigstens einmal habe ich mich bei deren Befolgung mit Ruhm bedeckt. Ich wurde mit drei Gefährten geprüft. Alles ging scharmant, bis der Examinator nach der Tages- und Jahreszahl irgend eines obskuren Edikts fragte. Nur zufällig hätte man dies behalten und beantworten können. Meine Gefährten schwiegen. Es ist aber doch allzu verdrießlich, wenn ein Mensch viermal fragt, ohne eine Antwort zu bekommen. Also nannte ich tapfer ein Datum, als ich gefragt ward. Da sagte der Examinator sehr bedächtig: Es ist zwar nicht dieser Monatstag, sondern jener, und auch nicht diese Jahreszahl, sondern jene, die das Edikt bezeichnen, – aber man sieht doch!«

»Aber man sieht doch,« rief Faustine und klatschte fröhlich in die Hände, »wie leicht es ist, mit einiger Geistesgegenwart gut durchzukommen.«

»Aber man sieht doch,« sagte Klemens, »wie leicht es ist, den Leuten Sand in die Augen zu streuen.«

»Ja,« antwortete sie, »auf die Manier und die Manieren kommt freilich sehr viel an.«

»Das sollten oberflächliche Menschen sagen dürfen, aber Sie nicht! Sie müssen auf das Wesen sehen.«

»Sehr gern, sobald das Wesen ein goldener Apfel auf silberner Schale ist, wie es in der Bibel heißt. Ist aber der goldene Apfel in ein Igelfell gewickelt, so bin ich verwundet und abgeschreckt beim Anfassen und tröste mich nur allmälig durch den Gedanken an den köstlichen Inhalt. Was soll mich aber trösten, wenn ein gemeiner rotbäckiger saurer Apfel im Igelfell liegt? Nehme er ein Silberflormäntelchen von guten Manieren um, so wird er zwar nicht sonderlich genießbar, allein doch recht gut anzuschauen sein. Gute Manieren sind meine geborenen Freunde. Wo ich sie finde, werde ich mich – nicht immer heimisch, das liegt in einem anderen Felde – jedoch nie unheimlich fühlen. Schlechte Manieren sind meine geborenen Tyrannen, machen mich zaghaft, machen mich bald übertrieben höflich, um auf meiner Seite doppelte Schranken zu haben, und bald so ungeduldig, daß ich rufen möchte: Geht zu Gevatter Schneider und Handschuhmacher, mit denen ihr zu verwechseln seid!«

»Und was nennen Sie schlechte Manieren haben?«

»Eben verwechselbar mit Gevatter Schneider und Handschuhmacher sein,« sagte Faustine gelangweilt, und Klemens beruhigte sich; denn das paßte nicht auf ihn.


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