Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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VI

Der allgemeine Abschied am nächsten Morgen war herzlich und kurz. Einen besondern nahm Klemens nicht. Faustine kam zu Andlau mit jubelvoller Freudigkeit.

»Nun will ich wieder leben,« sagte sie. »Ich muß zum Leben einen weiten Gesichtskreis, einen hohen Standpunkt, eine schöne Aussicht, eine reine Luft haben. Alles haben, was ich auf hohen Bergen finde, und was Deine Nähe, Dein Umgang, Dein Wesen mir geben. Ohne Dich wandle ich im Tal umher, immer den Ausgang suchend, immer auf die Berge verlangend, durstend nach Luft, nach Freiheit, nach Dir, Anastas!«

Strahlendes Glück lag auf ihrem schönen Antlitz, aber sie weinte. Sie schloß Andlau mit jener Kraft in die Arme, die den Mann schauern macht, weil er darin die Herrschaft der Seele über den Körper wahrnimmt. Er ist von Kindheit auf gewöhnt, dessen Kräfte zu üben; er führt die Waffen, er teilt die Wellen, er bändigt die Pferde. Ernst und Scherz, eiserne Notwendigkeit und fröhliche Erholung machen ihn stark. Neigung, Gewohnheit, Erziehung machen heutzutage aus der Frau ein gebrechliches Wesen; aber man stelle sie mit einer Leidenschaft dem Mann gegenüber, und er wird zittern, so wie man beim Erdbeben zittert!

Andlau suchte immer Faustinens wetterleuchtendes Wesen zu beruhigen. Sie war zauberhaft schön mitten in den Stürmen der Empfindung, so wie im Grunde alle Menschen nur dann schön sind, wenn sie sich in ihrem eigentümlichen Element bewegen. Allein er liebte sie so sehr, daß er weniger Freude darüber hatte, sie in ihrer Herrlichkeit zu sehen, als er Furcht empfand, daß die häufige Wiederkehr oder die Dauer solcher Momente das irdische Leben aufzehren könnten. Die Liebe sorgt stets um das Geliebte, obgleich ihre Sorge fast immer so überflüssig wie Andlaus Furcht ist. Kein Fisch ist gestorben, weil man ihn ins Wasser gelassen hat. »Der Himmel und ich« – pflegte Faustine zu sagen – »wir müssen uns ausdonnern; das ist unsre Natur, und ihr Leute mit euern Blitzableitern langweilt uns sehr!«

»Warum weinst Du denn jetzt, Ini?« fragte Andlau. »Ehe Du bei mir warst, hattest Du wohl einen Grund. Aber jetzt?«

»Pedant!« rief sie. »Soll ich mich etwa nach Regeln freuen? Wenn Jubel, Küsse, Liebkosungen nicht ausreichen, so kommen Tränen und Klagen an die Reihe. Jenes ist Glück im Sonnenlichte, dieses im Mondschein. Auf die Beleuchtung kommt es ja nicht an, wenn es nur überhaupt etwas zu beleuchten gibt.«

»Aber Tränen erinnern doch an Schmerz, und ich möchte gern, daß Du bei mir ohne Schmerz glücklich wärest, befriedigt, ruhig . . . .«

»O, ich bin außerordentlich ruhig!«

»Nun so setze Dich zu mir und erzähle mir von Deinem Leben.«

»Erzählen – ja! Sitzen – nein! Das Sitzen, lieber Anastas, ist eine entsetzliche Erfindung. Zum Gehen, Stehen und Liegen ist der Mensch geschaffen. Das zeigt seine schöne lange gestreckte Gestalt, die vom krummen, geknickten, verbogenen Sitzen ganz krüppelhaft wird. Meine Gedanken verrosten, wenn ich sitze, und das macht nicht ruhig, sondern nur schläfrig. Ruhig bin ich, wenn alle Kräfte in Bewegung sind und wie die Strahlen einer Fontäne springen. Ruhig bin ich, wenn meine Seele eine große Landschaft ist, wo im Westen die Sonne purpurgolden glüht, und unter ihr Blitze gleich Silberschlangen aus dem Gewölk auftauchen; wo im Osten der Mond friedlich hervorkommt wie ein unschuldiges Kind, das von fern einer Schlacht zusieht; wo der Donner wie ein geschlagener grollender Feind scheu entflieht, indessen die Vögel ihre Siegeshymnen anheben; wo die ganze Erde opferraucht und glänzt wie ein geschmückter Altar. O nein Anastas, dann bin ich himmlisch ruhig! Und nur dann!«

Sie warf sich auf das Sofa, ganz erschöpft. Andlau kniete neben ihr nieder und wollte ihren Kopf an seine Brust legen; aber sie sagte:

»Laß mich! Da steht ein Piano. Es wird schlecht genug sein, aber spiele! Ich habe Dich so lange nicht gehört. Und nie sprichst Du lieblicher zu mir als in Tönen.«

Andlau küßte ihre wunderschönen Füße und setzte sich ans Klavier. Er spielte vortrefflich. Am liebsten und schönsten phantasierte er. Er fing zuweilen an, nach Noten zu spielen, aber wenn ein Akkord oder eine Melodie oder irgend etwas kam, was ihn ergriff, so verließ er den Komponisten und löste in eigener Weise jenen Akkord auf. Er überdachte in Tönen den Tongedanken des Komponisten, so wie man Randbemerkungen aus ein Buch schreibt. Musik! Das ist eine Kunst! Alle anderen Künste sind keine; sie haben immer ihr Vorbild in der Natur und wollen die nachahmen, wenn es hochkommt, sie verklären. Menschenform und Menschenwesen zu idealisieren, oder den Raum zu verherrlichen, worin der Mensch sein Treiben hat, das ist ihr Ziel, wunderbar wie jedes Ziel, das über die Befriedigung des materiellen Bedürfnisses hinausgeht. Aber der Marmorgott und die gemalte Heilige werden unsresgleichen, gehen mit uns Hand in Hand! Und die Poesie, die natürliche Sprache des unbefangenen Menschen, gibt uns unsre eigenen Gedanken mit unsern eigenen Worten wieder! Die Musik hingegen verschönt nicht diese Welt und ihre Erscheinungen, sondern überwölbt sie mit einer zweiten, in der wir schweben gleich körperlosen Engeln, die Flügel haben unter einem strahlenden, liebenden, gläubigen Angesicht. Und das bewirkt sie durch Klänge, die sich auf Zahlen begründen, durch Zahlen bezeichnet werden können, und aus der Zusammenstellung von Holz und Metall zauberisch, fabelhaft hervorgelockt werden. Nach klugen, tiefsinnigen regelrechten Berechnungen entdeckt die Musik über der Erde eine neue Welt, wie Kolumbus auf der Erde es getan, eine Welt von urwüchsiger Kraft und Herrlichkeit, eine Welt, in der jeder sein Paradies sucht, und zwar ohne Klugheit und Tiefsinn zu haben, und ohne die Regel zu verstehen. Ein Paradies, worin jeder Zutritt hat, der eine Seele empfing. Kinder, Wilde, Greise, zu unentwickelt oder zu stumpf für die Schönheiten des Meißels und Pinsels, nehmen Teil am Zauber der Musik, und Wiegenlied und Grabgesang geleiten unsre ersten und letzten Schritte im Leben. Die Poesie hieß in ihrer Frühlingszeit die heitere Kunst, und damals mit Recht; denn sie mußte aus der harmlosen Sprache, der noch die Eierschalen der Rohheit und Unbeholfenheit anklebten, den buntgefiederten tirilierenden Vogel herausschälen, den man Minnelied nannte, und der unter Musikbegleitung, als Stegreifgedicht, oft nach selbsterfundener Melodie, bei glänzenden Festen und frohen Gelagen zur Erhöhung der Lust über die Lippen des Dichters schwirrte. Seitdem sind aber lange Jahrhunderte vergangen, und die Poesie hat sich in ihrem Laufe mißlaunig wie eine alte Jungfer in die Einsamkeit zurückgezogen und sich auf Gelahrtheit und Schulmeistereien geworfen, weil sie doch gern, wie alle alten Jungfern, ein Wörtchen mitredet, und weil ein lehrender Ton, bald spöttisch lächerlich machend, bald überklug ermahnend, am meisten Eindruck macht bei den höhnischen überklugen Leuten unsrer Zeit. Nun ist sie ein Stubenhocker, ein Bücherwurm, die Poesie, hat die Beine unter dem Schreibtisch und Tintenflecke an den Fingern, treibt finanzielle und administrative Geschäfte, schreibt Lobgesänge über Dampfmaschinen und Oden über Bürgersteige von Asphalt, und wenn jemand sie sich anders vorstellen kann als mit einer blauen Brille über einer hochfahrenden Nase, den beneide ich um seine frische Einbildungskraft. Das bißchen Heiterkeit, das noch in der Welt da ist, hat sich in die Musik geflüchtet, und wo es nur ein Fest gibt, für vornehm oder gering, in wandbemalten Sälen oder unter grünen Bäumen: Musik muß dabei sein. Nie wird munterer geplaudert, als wenn Musik erklingt; in jeder Abendgesellschaft, bei jeder Tafel kann man sich davon überzeugen. Und das Volk nun gar! Wie schmaust der Wiener so behaglich seine gebackenen Hähnel, mit welchem Wohlgefallen trinkt der Dresdner seinen miserablen Kaffee, wenn es nur Musik dabei gibt. Wie es in Berlin zugeht, weiß ich nicht. Ich habe gehört, daß das Volk dort viel Weißbier trinken soll, kann mich aber nicht davon überzeugen, weil ich gar keine Leute erblicke, die wie das Volk aussehen. Ich habe wohl im Tiergarten große Scharen gehen und sitzen sehn, aber alles geputzt und geziert, geschniegelt und gebügelt. Wenn dort wirklich Volk vorhanden ist, so muß es ausgeschieden wie Parias leben. Man dringt nicht zu ihm.

Dies alles nur so beiläufig. Eigentlich wollte ich sagen: da die Musik von Orpheus an bis zum Rattenfänger immer Wunder getan, so ist es kein Wunder, daß sie auch Faustinens rasches heißes Herz zur Ruhe brachte.

Ohne sich länger in Kissingen aufzuhalten, ging sie mit Andlau nach Belgien, dessen alte Geschichte und alte Künste sie mehr anregten als dessen neuzeitliche industrielle Betriebsamkeit.


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