Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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VII

Graf Mengen lebte ziemlich einsam in Dresden. Die Häuser einiger Minister gaben dann und wann den Überresten der zerstreuten Gesellschaft Gelegenheit, sich zu sehen; jedoch war kein Nerv und kein Magnet darin, am wenigsten für ihn. Die Oberfläche des Lebens mußte sehr schillernd sein, sollte sein Auge an ihr haften bleiben, und um in die Tiefe hinabzusteigen, muß man einen andern Antrieb haben als Neugier und flüchtige Teilnahme. Stolz, kalt und rein ging er durch die Welt, nichts fürchtend, als aus seinem innern Gleichgewicht zu kommen, in Schwankungen zu geraten und die Herrschaft über sich zu verlieren. Das geschieht aber leicht, wenn man sich in die Tiefen des Lebens hineinwagt. Dante zagte in der Hölle und war geblendet im Himmel; aber er ging, weil Beatrice es gebot und ihm den Führer schickte. Nicht alle haben eine Beatrice und einen von ihr gesendeten Virgil. Mengen hatte keine. Er liebte den Umgang mit Frauen – als Unterhaltung und weil die Eitelkeit eines schönen und gescheiten Mannes immer ihre Rechnung dabei findet. Doch ward er besser von Männern verstanden als von Frauen. Er lachte viel; darum hielten ihn die Frauen für sehr heiter. Die Männer wissen aus Erfahrung, daß der Mann oft lacht, weil es sich für ihn nicht schickt zu weinen. Mario lachte über seine eignen unermeßlichen Wünsche und ihre winzige Erfüllung; er lachte über das Maskenspiel, das Kopf und Herz treiben, wenn dem einen Teil daran liegt, sich auf drei Minuten von dem andern hintergehen zu lassen; er lachte über den Sieger, wenn Verstand und Gefühl ihre kleinen Händel zusammen ausfochten, und sprach zu ihm: »Morgen wirst Du der Geschlagene sein!« Er lachte über sich selbst, wenn er sich gegen die Macht der Empfindung durch Spott und Scherz wie hinter Wall und Mauer verschanzte; er lachte, weil er sehr ernst war, ein fester Steuermann, der seinen Nachen ungefährdet durch die Strömung zu bringen sucht, indessen die Brandung des wirrhaften strudelnden Lebens ihn die wunderlichsten Sprünge, welleauf, welleab, machen läßt. Und weil er lachte, so behielt er den frischen Mut, der nie die Arme schlaff sinken läßt. Jeder Zustand, jedes Verhältnis war ihm ein neuer Sporn, eine höhere Stufe. »Sei Dir selbst getreu!« hatte sein Vater zu ihm gesagt, als der fünfzehnjährige Mario das elterliche Haus verließ. »Sei bereit für das, was Du als recht erkannt, nicht bloß zu sterben, – das ist bisweilen dem Jüngling sehr leicht, – sondern zu leben, – und das ist fast immer sehr schwer! Aber es lohnt nicht der Mühe des Lebens, wenn Du nur das Leichte tun willst.« Dies war der Segen, den der Vater dem Sohne gab, und als der Sohn ihn zu seiner Richtschnur machte, ward der Vater sein Freund; denn nach denselben Grundsätzen leben und handeln, das stiftet Freundschaft zwischen Männern. Mario betete seinen Vater an. Trotz der großen Selbständigkeit, zu der dieser ihn früh gewöhnt, brachte er alles vor des Vaters Forum, was – nicht der Entscheidung, die traf er selbst, – der Billigung bedurfte. »Das war recht!« sagte dann der alte Mengen, und Mario erwiderte: »Ich wußte es.« Bei großen und kleinen Dingen, bei ernsten und unwichtigen Gelegenheiten, erklang oft, ohne daß Mario daran dachte, die Stimme des Vaters vor seinem Ohr. Er liebte einst eine Frau, ein schönes liebliches verlockendes Wesen. Es mußte zu irgendeiner Entscheidung kommen. »Nun, Mario?« fragte ihn der alte Mengen, obgleich er fünfzig Meilen von seinem Sohn entfernt war, und Mario zerbrach die Fessel. Ein andres Mal hatte er die tollkühne Wette gemacht, auf dem Steingeländer eines hohen Kirchturmes frei herumzugehen. Er begann den gefahrvollen Weg und war fast am Ziel, als der Schwindel ihn so gewaltig packte, daß Blei in seinen Füßen und ein Flor auf seinen Augen lag. Da hörte er seinen Vater: »Aber, Mario!« sagen; der Schwindel wich, er ging um den Turm. In jeder Krisis, an jedem Wendepunkt des Schicksals reichte ihm sein Vater hilfreich die Hand.

Mit Feldern verkehrte Mario ziemlich viel, obgleich kein tieferes Interesse beide verband als Erinnerung an die lustigen Studentenjahre. Feldern, in seinen Vermögensumständen beschränkt, mit trocknen Zahlen überladen, von gewöhnlichen Fähigkeiten, nur dem Wunsch nachgehend, so bald wie möglich die Geliebte in das bescheidene eigene Hüttchen zu führen, war ziemlich gleichgültig gegen allgemeine Verhältnisse, sobald sie ihn nicht auf irgendeine Weise berührten. Er tat das Nächste, das ihm vorliegende, pünktlich und treu, aber nur, weil es eben sein Geschäft war, und ohne Faden daraus zu ziehen, die er zu eigenen Webereien hätte verbrauchen können. Von Marios rastlosem Vorwärtsstreben, von dessen glühender Teilnahme an jeder Erscheinung der Zeit, von dessen regem Ehrgeiz, durch selbständiges Handeln und Wirken mehr zu sein als eine Null, die die Zeit in ihrem großen Rechenexempel gebraucht, um die Zahl voll zu machen, davon hatte Feldern keine Vorstellung. »Minister werde ich doch nicht,« sagte er einst zu Mario, als dieser ihn gefragt, warum er nicht eine Stelle annehme, die man ihm, zwar mit überhäufter Arbeit und ohne pekuniäre Verbesserung, aber in einem höhern Amte, vorgeschlagen.

»Wie kannst Du so genügsam sein!« rief Mario ungeduldig. »Warum Du nicht so gut Minister wie ein andrer? Als man den nachmaligen Papst Johann XXIII. fragte, weshalb er nach Rom gehe, antwortete er: Um Papst zu werden! – und wurde es. Man muß nur Hand anlegen, und vor allen Dingen die Zuversicht haben, daß uns in dem Felde, das wir durchwandern, das Höchste erreichbar sei.«

»Aber ich bin genügsam; das liegt in meinen Charakter! Ein kleines Glück, nur recht rund, nur recht ruhig, das befriedigt mich. Ein großes würde mich betäuben, verwirren, trunken machen, und im Rausch könnte ich es nicht festhalten. Und dann der Neid, und dann die Scheelsucht, und dann die feindlichen Blicke und Worte, die den Glücklichen treffen: Basiliskenaugen bei Katzenbuckeln! Und dann die Launen der Gönner, die immer sultansmäßig mit den Lieblingen verfahren – die Glücksgöttin selbst nicht ausgenommen – und dann die innern Anfechtungen . . . .«

»Bester Feldern, nimm es nicht übel! Du sprichst wie ein zaghaftes Frauenzimmer. Ist denn die ganze große reiche prächtige Welt nicht für uns alle da? Und nicht bloß als ein Tafelaufsatz von Glas und Porzellan, den wir, die Hände unterm Tischtuch, bewundern, sondern als eine Arena olympischer Spiele, wo es zwar Staub gibt, Getöse und Geschrei, Pferdegestampf und Wagengedränge, aber Triumph am Ziel.«

»Und was wird uns für den mühsam errungenen Sieg?«

»Ein grüner Kranz!«

»Nun wahrlich, Freund! Du bist genugsam. Ich erwartete doch wenigstens, Dich mit einem goldenen Diadem oder einer Rosenkrone geschmückt zu sehen! Aber ein schlichter grüner Kranz!«

»Ja, ein schlichter grüner Kranz!« rief Mario, und seine Augen flammten von tiefem Feuer. »Gold- und Purpur- und Blumenkränze wären ja Lohn, und wer mag denn dafür belohnt werden, daß er sein Ziel erreicht hat? Das Bewußtsein will er! Und der schlichte grüne Kranz ist ein Sinnbild des Bewußtseins.«

»Und das genügt Dir wirklich vollkommen? Nach keinem andern Glück verlangst Du? Kein heiterer Genuß des Errungenen würde Dich freuen?«

»O,« sprach Mario lachend, »was das Verlangen betrifft, so verlange ich ein ganz riesenhaftes Glück! Unbedingt! Sonst aber nichts! Nichts Halbes, nichts Mittelmäßiges, nichts Teilbares, sondern eben alles. Und wie es dann mit dem Genuß beschaffen sein mag, das mögen die Götter wissen, die allein solch Glück verleihen können. Bis jetzt war Streben mein Leben, und der Genuß des Erstrebten war ein kurzer rosenrot verträumter Schlaf, aus dem ich noch immer erwacht bin, begierig nach fernerem Leben.«

»Und bist Du glücklich mit diesen Gesinnungen? Ich meine, abgeschlossen in Dir, sicher, ruhig, befriedigt?«

»Glücklich nenne ich nur den, der Spielraum findet, alle seine Kräfte zu entwickeln und dadurch sein Wesen zu höchstmöglicher Vollendung zu bringen. Selten wird es dem Menschen so gut, daß alle seine Knospenanlagen Blüten, noch seltener, daß sie Früchte werden. Es kommen zu viel Stürme. Wenn Du nur fertige Menschen glücklich nennst, so bin ich nicht glücklich, und werde es dann auch vielleicht nie werden. Mir scheint, wer in der Jugend abgeschlossen, ist im Alter verdorrt, oft vor dem Alter ein versteinter, bemooster Säulenheiliger. Ich mag keiner sein. Ich will auf der Erde stehen und mich mit allen Sinnen ihrer Schönheit freuen.«

»Und Du denkst ernsthaft daran, Dich zu verheiraten?«

»Zuweilen – für die Zukunft. Ich denke, es muß angenehmer sein, eine Sonne zu werden, um die sich eine ganze Sternenwelt bewegt, als ein Planet zu bleiben, der die Familiensonne umkreist. Der Fixstern gefällt mir zwar am besten durch seine großartige Unabhängigkeit; aber die unruhige bewegliche Seele verträgt sich nicht mit der Fixsternnatur.«

»Doch gehört sie einigermaßen zur Ehe.«

»Ich meine, die Ehe gibt sie.«

»Wenn man die Fähigkeit dafür mitbringt.«

»Diese zu entwickeln, werde ich meiner künftigen Frau überlassen . . . Aber wann werde ich die Bekanntschaft Deiner Braut machen?«

»Willst Du morgen mit mir hinaus?«

»Gern.«


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