Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XXX

»Auch der Genius hat seine Bürden!« sagte ich am Grabe von Leopold Robert in Venedig.

Bei diesen Worten hob ein Mann das Haupt und sah mich an, so scharf, so forschend und zugleich so überzeugt, daß mich sein Blick überraschte, denn in der halb neugierigen, halb gleichgültigen Welt tragen die meisten Blicke ihr nüchternes Gepräge, und die Neptune der Springbrunnen schauen nicht viel bedeutender drein als das Menschenauge. Dieser Mann hatte schon am Grabe gestanden, als wir hinzukamen. Unbeweglich, die Arme untergeschlagen, den Kopf gesenkt, so tief gesenkt, daß der auf die Stirn gedrückte Hut das Gesicht verbarg, dunkel gekleidet, glich er einem Standbild aus Basalt. Ohne Rücksicht auf ihn hatten wir geplaudert. Reisen sind nicht die Schule, wo man das Rücksichtnehmen lernt. Gleichgültig wie an einer Mauer streift man an all den Unbekannten hin. Um so mehr überraschte mich dieser Blick. Der Mann mußte uns verstanden, unserm Gespräch zugehört haben, war vielleicht Bruder, Verwandter, Freund Roberts, vielleicht auf irgendeine Weise in dessen Schicksal verflochten. Sei es aus Furcht, ihn verletzt zu haben, oder aus Teilnahme für den Toten, fragte ich:

»Sie haben wohl Leopold Robert gekannt, mein Herr?«

»Nur aus seinen Bildern,« entgegnete er.

Gegen meine Gewohnheit beharrte ich wie ein Untersuchungsrichter beim Ausfragen: »Sie sind selbst Künstler?«

»O nein, die Bürde des Genius wurde mir nicht auferlegt,« sagte er und lächelte traurig.

Ich errötete vor Ärger. Ich kann es nicht leiden, wenn man mir meine Worte nachspricht.

Er fuhr lebhaft fort:

»Darum ist es eine schwere Bürde, weil die Welt sie nicht anerkennen will. Der Begabte soll ein Vollkommner sein. Weil er Mensch bleibt, wird er gelästert. Man denke nur an Byron.«

Mein Begleiter sagte: »Sonderlichkeiten sind nicht als die Glorie, sondern nur als die Ausgeburt des Genies zu betrachten.«

»Es ist nur übel,« rief ich, »daß viele Leute das natürliche Gebaren des Genies sonderlich nennen. Kolumbus ward wie ein Narr behandelt, Galilei wie ein Verbrecher. Freilich, nicht alle Genies haben sich so glorreich gerechtfertigt, und Leopold Roberts Manen müssen sich vielleicht untertänigst bedanken, wenn man achselzuckend spricht: Er war ein Hypochonder, der Arme!«

»Ja ja,« sagte der Fremde, »denn Wahnsinn und Sünde klingen härter.«

Er hatte während des Sprechens die Haltung wenig verändert, nur den Kopf gehoben, aus dem dunkle Augen ungewöhnlich ernst und strahlend hervorblickten. Sie warfen einen wundervollen versöhnenden Glanz über seine scharf ausgeprägten Züge, und als er nach jenen Worten das Haupt wieder senkte, so daß die Augen verdeckt wurden, da trat mit ihnen das ganze Gesicht in Schatten zurück.

Wir gingen fort. Nachmittags begegneten wir ihm wieder in der Markuskirche. Er grüßte, und es entspann sich eine Unterhaltung, die mir gefiel, denn er war ein sehr angenehmer Mann, von lebhaftem Verstande und von ruhigem Wesen, weltvertraut und weltverachtend, aber nicht blasiert, nicht abgestumpft, sondern nur durch das Beste gleichgültig gegen das Geringe.

Wir waren acht Tage zusammen in Venedig. Er hatte ein Kind bei sich, einen prächtigen sechsjährigen Knaben mit funkelnden Augen, voll Lust und Mutwillen, unbändig wild, verwegen, – ganz wie ich Knaben liebe. Sie werden früh genug zahm! Daraus, daß beide in Trauer waren, und an der inbrünstigen Zärtlichkeit, die beide für einander hatten, erkannte man Vater und Sohn. Keine Spur von Ähnlichkeit war zwischen ihnen. Sonst, wenn auch die Züge sich nicht gleichen, sind es Mienen, Ausdruck, Bewegungen; hier nichts. Ich fragte auch ganz überrascht, als ich den Kleinen zuerst sah:

»Ist es Ihr Sohn?«

»Sie wundern sich, daß ich ein so schönes Kind habe, nicht wahr?« sagte er, und sein Blick umkleidete den Knaben gleichsam mit Liebe. »Ja, es ist mein Sohn; nur sieht er aus wie seine Mutter, durch und durch wie sie. Und so ist er auch.«

Er schwieg plötzlich. Wir frühstückten im Café Florian, und der Knabe sprang auf dem Markusplatz umher, streute den Tauben, die sich dort in Scharen aufhalten, Brotkrumen hin, unterhielt sich mit den Gondolieren italienisch, mit den Wasserträgerinnen deutsch, und vergnügte sich über alle Maßen, so daß man förmlich neidisch werden konnte. Zuweilen trat der Vater, wenn er lange nicht seiner ansichtig geworden war, vor die Arkaden und rief mit seiner tönenden Stimme:

»Bonaventura!«

Dann kam der Kleine gelaufen, atemlos, glühend, warf sich in die Arme des Vaters und sah ihm in die Augen auf eine unbeschreiblich anmutige Weise, neckend und lieblich, wie ein Amor oder wie eine Frau.

Mein Aufenthalt in Venedig ging zu Ende. Am Vorabend der Abreise bat ich den Fremden um seinen Namen.

»Graf Mengen,« sagte er.

»Mario Mengen?« rief ich erfreut.

»Mario Mengen.«

»Glücklicher!« rief ich. Dann fiel mir ein, wie unpassend dieser Ausruf sei; aber ich konnte doch nichts anderes sagen als: »Armer Glücklicher!«

»Sie kannten also Faustine?« fragte er.

»So wie Sie Leopold Robert,« antwortete ich.

Ich war nach Dresden gekommen, damals, vor Jahren, gleich nach jenem tragischen Ereignis mit Klemens, hatte viel darüber gehört, und bald darauf auch von ihrer Heirat mit Mengen. Hernach ward sie in der Kunstwelt so gefeiert, daß wohl niemand ist, der nicht von ihr gehört hätte. Dies sagte ich ihm. Er fragte, ob ich mich genug für sie interessierte, um ihrem Leben folgen zu mögen ohne Ungeduld und ohne vorschnellen Unwillen. Dann wolle er von ihr erzählen.

Mein Herz schlug vor Freude, denn ich liebte sie, graziös und genial wie sie war. Solche Menschen werden so viel getadelt, und – ich will es nicht bestreiten – sie verdienen auch so viel Tadel, daß der Gedanke mich erquickte, ich würde liebend und bewundernd von ihr reden hören.

Wir gingen die Riva der Slavonier entlang nach dem Öffentlichen Garten. Da ist es am einsamsten in ganz Venedig; denn die Italiener gehen lieber in den Straßen spazieren als unter grünen Bäumen. Der Garten ist auf einer Landspitze angelegt: große Rasenplätze und breite Alleen von weißen Akazien, die, eben in voller Blüte, mit ihrem feinen Arom die Abendluft durchströmten. Wir setzten uns so, daß wir vor uns in die Lagunen hinaussahen, rechts auf die Stadt, die zauberhaft zwischen Himmel und Wasser im Golde der sinkenden Sonne schwebte, und links, in weiter Ferne, auf die schneeweiße Alpenkette. O, Venedig ist gar so schön!

Ich hatte in der Hand einen Strauß von dunkelroten Nelken, meine Lieblingsblume. Mario sah sie unverwandt an; endlich begann er.


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