Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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An Bystram

Seit fünf Monaten schmachte ich im zwiefachen Kerker der Blindheit und der Krankheit; seit fünf Monaten hast Du, unermüdlich über mich wachend, mich gepflegt und getröstet, mir Mut und Beruhigung zugesprochen, mir die Träne aus dem Auge und den Angstschweiß von der Stirn getrocknet, mir Dein Auge und Deine Hand geliehen. Daß ich nicht ganz in Verzweiflung, Stumpfsinn, Apathie untergegangen bin, danke ich Dir. Darum soll dies Buch, das freilich schon vor einem halben Jahre bis auf die letzte Durchsicht fertig war, dessen Herausgabe aber doch einen aufglimmenden Funken geistiger Regsamkeit in mir verkündet, – darum soll es Deinen Namen wie ein Diadem an der Stirn tragen. Vielleicht ist er das Beste an dem ganzen Buche.

Tharandt, 14. August 1840.

Späteres Vorwort

Ich hasse es, in einem Vorwort das nachfolgende Buch zu erläutern. Es schien mir immer unendlich überflüssig. Leider habe ich bei meiner unglücklichen Faustine die für mich sehr demütigende Erfahrung gemacht, daß es mir nicht gelungen ist, in dem Buche leichtverständlich das auszudrücken, was ich habe ausdrücken wollen, und daß eine Erläuterung daher an ihrem Platz sein dürfte. Es versteht sich von selbst, daß ich dies nicht in Bezug auf journalistische Kritik sage. Für die Rezensenten unsrer Tage würde ich mir wohl nie diese Mühe geben. Nein! Es geschieht für die Menschen, die sich für meine Faustine genug interessiert haben, um über sie nachzudenken, und die doch nicht den Gesichtspunkt haben auffinden können, von dem aus ich das Buch geschrieben, – was natürlich meine Schuld ist! Denn hätten sie ihn gefunden, so würden sie mir wohl keine Vorwürfe darüber gemacht haben, daß Faustine eben das tut, was sie tut.

Ich war im Frühling 1837 in Prag und brachte einen Morgen ganz einsam auf dem Wisserad zu, wo das Schloß der Königin Libussa gestanden haben soll, wo man noch jetzt ihr Badezimmer zeigt und die bekannte Anekdote dabei erzählt, worauf Klemens in einem Gespräch mit Faustine Bezug nimmt. Der Vergleich zwischen Sonst und Jetzt, die Verschiedenheit der Form, in der sich die Gleichartigkeit des Wesens wiederfinden läßt, fesselt mich so unglaublich in den Geschichten der Menschheit, daß ich mich in Gedanken darüber vertiefte: Wie würde sich eine Königin Libussa unsrer Tage benehmen? – Und daraus ist drei Jahr später Faustine entstanden. Sie trägt die Kronen der Schönheit, des Genies, der Anmut; sie ist Königin an Macht über die Herzen; sie will Befriedigung, dauernde, ewige, unerschöpfliche; sie will sie um jeden Preis und gibt Menschen und Verhältnisse auf, die sie ihr nicht mehr gewähren. Wohin sie blickt, bezaubert sie und macht sie elend; was sie tut, bereitet Seligkeit und Schmerz. Nie gewöhnt, sich selbst Schranken zu setzen, kommt sie früh bei der letzten an; und trauriger, als sie andere hat untergehen lassen, geht sie selbst unter in banger Einsamkeit, losgerissen, abgeschieden, und verschwindet mit ihrem Glanz und ihrer Glut hinter den finstern kalten Klostermauern. Sie verzehrt in ihren Flammen erst andere und dann sich selbst. Der Kern ihres Wesens ist ein feingeistiger Egoismus, der alles ausschließt, was Opfer und Entsagung ist, und der sich im Streben nach der mißverstandenen Entwicklung und Befriedigung ausgebildet. Denn nicht das, was der Mensch äußerlich erlangt, befriedigt ihn, sondern das, was er in seinem Innern sammelt.

Jemand hat meine Idee vollkommen begriffen und mit zwei Worten wiedergegeben: »Faustine, diese sublime Egoistin!« Ich kenne den nicht, der dies gesagt hat, aber es ist gar erquickend, sich so verstanden, zu wissen, um so mehr, wenn man durch die seltsamsten Vorwürfe halb befremdet, halb entmutigt ist. Hier soll Faustine dem Andlau nicht treulos sein. Dort vergibt man ihr den Andlau, aber nicht den Mario. Da vergibt man ihr sämtliche Männer, aber nicht, daß sie das Kind verläßt. Es wäre ja unzweifelhaft unendlich viel besser, wenn sie all das Unrecht nicht beginge, und man möchte ein ganz hübsches Buch darüber schreiben können, nur eben keine Faustine. Und wenn ich mich heute wieder hinsetzte und mich fragte: Wie benimmt sich eine prächtig begabte, reich organisierte Natur, die nichts sucht, will und verlangt als ihre eigene Befriedigung ohne Rücksicht auf Andre, so müßte ich zum zweitenmal schreiben meine Faustine.

Berlin, 5. Oktober 1844.

Ida Gräfin Hahn-Hahn


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