Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XI

Nach diesen Worten wickelte Faustine sich in ihre Mantille und glitt aus dem Salon. Als Mario endlich mit einem erlösungsfrohen: »Matt!« die Augen aufschlug, war sie verschwunden. Er tat innerlich das Gelübde, in drei Monaten kein Schachbrett anzusehen; so ärgerlich war er. Lady Geraldins Versicherung, sie habe sich gut unterhalten – was eine große Auszeichnung für ihn sein sollte –, dünkte ihn gar kein Ersatz. Er hatte zwar kein Wort von dem verstanden, was Faustine gesagt, allein es schien ihm, als habe ihr allerliebster Mund das Vorrecht empfangen, nichts Alltägliches vorzubringen. Er war im höchsten Grade verstimmt.

Faustine schrieb an Andlau:

Anastas, mein Viellieber, komm bald zurück, ich beschwöre Dich. Zehn Tage sind es erst, seit Du gegangen, aber jeder Minute in diesen zehn Tagen habe ich ihre Länge angefühlt, habe empfunden, daß sie sechzig Sekunden hat. Du wirst mir Vorwürfe darüber machen, wirst mir sagen, ich sei nicht einfältig genug, um mir selbst einen solchen Dämmerungszustand zu erlauben, und dies und das! Aber wie soll ich ihn denn vermeiden? Bin ich allein, so denke ich: Vorwärts, meine Hände und Gedanken, tummelt euch, zerstreut mich! Bin ich unter Menschen, so möchte ich ihnen dasselbe zurufen. Aber eine Zerstreuung auf Befehl ist ein Handwerk, das nur im untergeordneten Gebiet unserer Tätigkeit getrieben wird. Rede ich, so tut es mir leid, daß Du mir nicht zuhörst; schweige ich, so tut es mir leid, daß meine Gedanken so in der Stille umkommen. Es ist ein Nichtgenügen in diesem Dasein, das mich aufreibt, weil doch immer der brennende Wunsch da ist, es auszufüllen. Menschen, die große Heilige geworden sind, müssen durchaus auf diesem Standpunkt gestanden haben, als sie sprachen: Ich will mich aufmachen und zum Vater gehen! – Aber es gehört ein gewaltiges Genie dazu, um ein Heiliger zu werden; ich meine, ein gewaltiges, beflügeltes, weltüberwindendes Glück und ein Schmerz geringachtendes Herz; und was ich von Diesen Eigenschaften besitze, reicht nur gerade aus, mich an das Deine zu legen. Du wirst sagen, ich sei im vergangenen Sommer und auch früher schon auf einige Wochen von Dir getrennt gewesen und hätte mich darein geschickt. Ja Herz, im Sommer, da ist es ganz anders, weil die Natur mir zugänglich ist. Die Sonne ist meine Zimmerdecke, der Himmel meine vier Wände. Da gibt es Freiheit und Schönheit, Lust und Leben. Jetzt bin ich eingemauert wie eine verbrecherische Nonne, bedrückt, geängstigt. Der Sturm heult, es regnet und schneit durcheinander; die Wolken wissen nicht, wohin sie sollen. Die paar armen dürren Blätter, die noch am Baume festhielten und die jeder Windstoß abwirbelt, wissen nicht, was mit ihnen geschehen wird, und flattern gepeinigt umher; die Bäume ringen in Verzweiflung ihre Äste, wie dürre abgemagerte Hände, und es geht ein Ächzen und Heulen und Wimmern durch die Natur. Wie sollte ich diese Trostlosigkeit nicht empfinden! Ich fürchte mich, und es kann mir doch niemand ein Leid tun! Mich friert, und es ist doch ganz warm und behaglich in meinem Gemach! Furchtsam und zitternd möchte ich mich verbergen und erwärmen an Deiner Brust, mein Freund, mein Engel! Wenn nur kein Unglück einbricht! Auf diese unbestimmte Angst sollte ich gar nichts geben, weil sie mich immer fern von Dir überfällt; aber doch sehe ich mich um in der Welt nach der Wolke, die über meinem Haupte hängt, und wage nicht einen Schritt vorwärts zu tun, aus Besorgnis vor einem verborgenen Abgrund.

Soweit schrieb ich gestern Abend. Weil lauter Gespenster um mich tanzten, mochte ich nicht unter ihrem Einfluß den Brief beenden. Ich ging schlafen, und heute, wo die Sonne am Himmel steht, habe ich meine Bangigkeit ziemlich verloren. Beachte sie nicht, das heißt, halte mir keine Strafpredigt deshalb! Ich weiß selbst, wie wenig es sich für einen verständigen Menschen schickt, gleich einer Wetterfahne abhängig von Wind und Wetter zu sein. Aber bedenke die geringen Anlagen, die ich zu einem verständigen Menschen habe, und Du wirst Nachsicht üben, gelt? Überdies bin ich selbst meiner Gespensterscheu müde. Ich will arbeiten! Das bannt böse Geister. Und wer kann mir denn etwas anhaben? Draußen scheint die Sonne, freilich nur ein mattes schwächliches Novembersönnchen, weil die Erde an ihrem Gängelband so weit abgelaufen ist, als sie nur kann; aber drinnen wohnt die Liebe und gar nicht novemberlich, glaube mir! Darum werde ich gut malen. Der Genius der Kunst hat einen so starken Flügelschlag, daß er meine Atmosphäre mit dem reinsten feinsten Äther erfüllt. Alles in allem, Anastas, bin ich doch eins der glücklichsten Geschöpfe auf der wunderschönen Gotteswelt. Das muß Dich unaussprechlich glücklich machen; denn was ich vom Glück weiß, weiß ich durch Dich. Gott mit Dir, wie ich es bin!«

Sie führte ihren Vorsatz aus und widmete sich mit dem regsten Eifer der Malerei. Sie malte den ganzen Tag. Um keine Zeit zu verlieren, speiste sie in später Stunde. Dann, um etwas frische Luft zu atmen, fuhr sie spazieren, weil sie im Finstern nicht gehen konnte. Endlich beschloß sie ihren Tag damit, daß sie die Abendstunden mit ernster Lektüre von geschichtlichen Werken hinbrachte. Für die Gesellschaft war sie unsichtbar. Frau von Eilau, Feldern, Graf Kirchberg besuchten sie zuweilen am Abend.

Letzterer fragte einmal:

»Wie lange gedenken Sie dies einsiedlerische Leben fortzuführen, Gräfin?«

»Ich weiß es nicht,« sagte sie, »aber es ist mir so angenehm, daß ich es gern immer führte. Man muß nur den Kopf sehr voll und die Phantasie sehr beschäftigt haben, um es zu ertragen und Vergnügen daran zu finden. Ich vermisse nichts, denn meine guten Freunde suchen mich auf.«

»Aber wir vermissen Sie in größeren Gesellschaften.«

»In Gottes Namen!« sagte Faustine lachend.

»Sie glauben es nicht?« rief er eifrig.

»Ja, ja, ich glaube es sehr gern! Die Leute unterhalten sich gut mit mir, weil ich immer sage, was ich denke, immer von innen heraus rede, und das ist ihnen neu. Aber was habe ich davon, für gleichgültige Menschen eine Unterhaltungsmaschine zu sein?«

»Allgemeines Interesse zu wecken und zu gewähren, ist ein Vorzug, um den Tausende Sie beneiden und den Sie nicht so spöttisch wegwerfen sollten. Jeder reichbegabte Mensch hat eben durch seine Gaben die Verpflichtung übernommen, sie im weitmöglichsten Kreise wirksam werden zu lassen. Tut er es nicht, speichert er seine Schätze auf, sei es des Goldes, sei es der Wesenheit

»So ist er ein Geiziger!« unterbrach Faustine. »Ach, guter Graf, der Vorwurf trifft mich nicht. Gibt es ein Geschöpf, das immer und ewig zu geben bereit ist, so bin ich es, – nur nicht für alle Welt! Und wenn ich es bedenke, ja selbst für alle Welt! Ich lüge nicht, ich heuchle nicht, ich verstecke nicht meine Herzempfindung, ich gebe immer Wahrheit. Wer tut mir ein Gleiches?«

»Aber Sie weisen doch zuweilen Menschen von sich ab.«

»Wenn ich fühle, daß wir nicht zusammenpassen.«

»Nein, von Hause aus.«

»Ich bitte um ein Beispiel.«

»Nun, als Feldern Sie vorgestern gebeten hatte, Ihnen seinen Freund Graf Mengen vorstellen zu dürfen, haben Sie es ganz verdrießlich abgelehnt.«

»Verdrießlich? O, das ist ein Feldernscher Einfall! Er ist ein wenig empfindlich, der gute Feldern, und wenn ich nicht gleich auf der Stelle mit offnen Armen seinem Freund entgegeneile, so spricht er, ich sei verdrießlich. Ich habe ihn nur gebeten, noch ein wenig zu warten. Wenn ich in besserer geselliger Laune sein werde, will ich Graf Mengen herzlich gern empfangen.«

»Ist es Ihnen nicht sehr auffallend, daß der sonst allerdings höchst empfindliche Feldern das Verhältnis zu Fräulein Stein erträgt?«

»Wieso? Was ist vorgefallen?«

»O gar nichts! Sie zeigt nur eine äußerst geringe Sehnsucht, seine Frau zu werden.«

»Es schickt sich nicht anders.«

»Alles, was recht ist! Aber sie zeigt entschieden das Gegenteil!«

»Herr des Himmels!« rief Faustine. »Er wird sie alsdann doch nicht heiraten?«

Kirchberg zuckte die Achseln. Sie fuhr fort.

»Lieber Graf, gehen Sie auf der Stelle zu Feldern und bitten Sie ihn, zu mir zu kommen!«

»Wollen Sie ihm verbieten, sie zu heiraten? Können Sie es? Sonst aber? Was haben Sie ihm über diesen Punkt zu sagen?«

»Nichts als ihn zu beschwören, sie nicht zu heiraten.«

»Das ist mißlich, teure Gräfin. Vielleicht wird er es von selbst nicht tun, denn die Hochzeit ist ins Ungewisse verschoben, bis zur gänzlichen Herstellung von Fräulein Stein; und ich glaube, die erfolgt nie. Was wollen Sie sich in unbehagliche Verhältnisse mischen, da beide Personen Ihrem Herzen nicht nahe genug stehen, um Ihnen über das Verdrießliche einer solchen Einmischung hinwegzuhelfen, für die man ohnehin selten Dank findet?«

»O ihr Weltmenschen!« rief Faustine. »Oberflächliches Herumtreiben in der Gesellschaft begehrt Ihr von mir! Schwatzen und tanzen, witzeln und kokettieren soll ich! Wenn ich sage, das langweilt mich, so antwortet Ihr ganz ernsthaft: Es ist Pflicht, mit den Nebenmenschen umzugehen! Und wenn ich es dann auf meine Weise tun will, so heißt es: Halt, halt! Nur nicht mit der Tür ins Hans gefallen! Nur nicht gleich treuherzig die Hand geschüttelt! Nur kein ehrliches wohlmeinendes Wort gesprochen! Nur immer geflittert und geflattert! Das ist ganz genug! O Kirchberg, ich mag euch Menschen nicht leiden.«

»Ich verdenke es Ihnen nicht, beste Gräfin. Ich mag sie auch nicht leiden, und eben darum ist es eine solche Erquickung, einem Wesen wie Ihnen zu begegnen, daß Sie vor keinem Ihr Dasein verhüllen sollten.«

»Sie sind im Zuge, mir Liebenswürdigkeiten auszukramen,« sagte Faustine lachend. »Ich kann sie nur leider nicht brauchen. Ein paar Nachrichten über Feldern wären mir lieber.«

»Die kann ich leider nicht geben!« antwortete Kirchberg in demselben Ton und ging.


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