Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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VIII

Sie ritten am andern Tage das heitere Elbufer gen Meißen hinab. Der Landsitz von Fräulein Kunigundens Eltern lag auf halbem Wege dorthin. Mario forderte seinen Freund auf, ihm eine Beschreibung der Geliebten zu machen.

»Sie würde parteiisch ausfallen,« entgegnete Feldern. »Kunigunde ist nicht eigentlich schön; wenigstens glaube ich, daß ihre Schwestern schöner sind . . .«

»Teufel! Sie hat Schwestern? Warum hast Du mir das nicht früher gesagt? Du mußt wissen, ich hüte mich sehr, in ein Haus eingeführt zu werden, wo unverheiratete Töchter sind. Man steht oft mit dem linken Fuß noch auf der Schwelle und soll schon mit dem rechten vor den Altar treten.«

»Kunigundens Schwestern sind allerliebst.«

»Und sie selbst?«

»Allerliebst wäre keine Bezeichnung für sie.«

»Es wird eine häßliche verständige grundgute Person sein,« dachte Mario und wandte das Gespräch.

Bald war das Ziel erreicht. Durch ein Gittertor, an dem zwei prächtige Linden Wache hielten, ritten sie über einen zierlichen gartenmäßigen Hof vor das nette Landhaus, unter dessen um einige Stufen erhöhter Vorhalle Damen arbeitend saßen. Feldern ward freundlich empfangen, und stellte den Grafen Mengen der Frau von Stein und ihren beiden jüngeren Töchtern vor. Dann fragte er nach Kunigunden. Sie war mit dem Vater in den Weinberg gestiegen, um zu sehen, ob die Trauben noch nicht reifen wollten, was seine einzige, aber ihm durchaus genügende Beschäftigung war. Eben als Feldern sie aufsuchen wollte, kam sie mit dem Vater zurück. Mario stand versteinert bei ihrer Erscheinung. »Ist Feldern toll geworden«, dachte er, »oder will er mich necken! Diese Person soll nicht schön sein? Nicht einmal so schön wie die beiden kleinen albernen Schwestern? Er ist blind. Er ist rasend!«

Feldern näherte sich äußerst zärtlich der Braut; aber – war es die Gegenwart des Fremden oder lag es überhaupt in ihrer Weise? – sie empfing ihn kühl. Sie machte eine so graziös ausweichende Bewegung, daß es ihm nicht möglich war, sie zu umarmen, und als sie Hand in Hand neben ihm stand, da sah sie ihn zwar recht freundlich an, aber, o weh, sie sah auf ihn herab; sie war größer als er, vielleicht nur einen halben Zoll, jedoch größer. »Nun, das wird nimmermehr gehen!« dachte Mario.

Frau von Stein sprach gescheit, und das ist immer angenehm; Herr von Stein nur, wenn er gefragt wurde, und das ist bei beschränkten Leuten auch angenehm; Kunigunde fast gar nicht. Ihre Schwestern plapperten so viel wie möglich. Die Unterhaltung stockte nie. Dennoch ward es Mengen nicht behaglich, und er verstand es doch sonst so gut, in jedem Kreise heimisch zu werden! Eine verstimmte Saite verdirbt das ganze Konzert für ein feines Ohr. Kunigunde war diese verstimmte Saite. Ihre Befangenheit, ihre Zerstreutheit wirkte ansteckend auf ihn, den einzigen Unbefangenen des Kreises. Die übrigen mußten wohl daran gewöhnt sein. Aber wie konnte der Verlobte es sein! »Wenn das Mädchen meine Braut und immer so zerstreut bei mir wäre,« dachte Mario, »so würde ich sie um alle Schätze der Welt nicht heiraten.« Wäre er so verliebt gewesen wie Feldern, er hätte sie doch geheiratet.

Kunigunde trug einen großen runden Strohhut, dessen breiter Rand Gesicht, Schultern und Nacken fast ganz verschattete. Feldern bat sie, den Hut abzunehmen.

»Die Sonne!« sagte sie ablehnend. Da aber die Vorhalle gegen Osten lag, so fiel kein Sonnenstrahl hinein, und sie setzte hinzu: »Die Mücken!«

»Wie unfreundlich!« sagte Frau von Stein halblaut.

Kunigunde nahm schweigend ihren Hut ab. Sie hatte wunderschönes dunkelbraunes Haar, das sich in schweren Zöpfen um ihre Schläfen legte und sich dann im Nacken zu einem griechischen Knoten verband. Feldern nahm eine Weinrebe, die ihren Hut wie ein Kranz umschlang, und drückte sie auf ihr Haar. Sie sah aus wie Ariadne, aber ohne Verzweiflung über den treulosen Theseus und ohne Triumph über die Liebe des Dionys. Sie freute sich nicht darüber, daß der Bräutigam sie reizend fand; sie duldete es, und nur es dulden heißt, es erdulden. Heißes Rot überflog flüchtig ihr feines edles Antlitz. Zugleich warf sie einen dunklen schwermütigen Blick auf Feldern. Später, als sie und ihr Schmuck unbemerkt waren, machte sie eine rasche Wendung des Kopfes, wodurch die locker hängende Rebe herabfiel. Feldern konnte sich keines Lächelns, keiner Aufmerksamkeit von ihrer Seite erfreuen, aber Mengen noch weniger. Nicht nur, daß sie nicht sprach, – sie sah auch niemanden an. Manche Menschen brauchen gar nicht zu reden, nur zu blicken, und man wähnt eine tiefsinnige Musik zu hören, ein Gemälde des innersten Wesens sich aufrollen zu sehen. Solche Magie hat das Auge. Menschen, die reden, ohne aufzublicken, müssen eine hinreißende Stimme haben oder einen außerordentlichen geistigen Reichtum, wenn ihre Rede jenen Eindruck machen soll. Ein unsichtbar Sprechender überzeugt nur halb und reißt nie hin. Das Antlitz ist wahrer als die Worte. Worte lügen so oft. Eine Miene, ein Lächeln, ein Zucken der Augenwimper oder der Lippe sagen oft das Gegenteil von dem, was das Wort sagt, und offenbaren dadurch die eigentliche Meinung. Das Wort ist ein kluger, berechneter, feiner Zögling des Geistes; aber der Ausdruck der Bewegung, das Mienenspiel, ist ein Kind der Seele, und die Seele durchschimmert es, wie der Körper ein Musselinkleid durchschimmert. Kunigunde mochte die Absicht haben, ihre Seele zu verhüllen. Dies Spiel gelingt zuweilen denen gegenüber, denen daran liegt, daß es gelinge; wer aber nicht dabei beteiligt ist, erkennt das Spiel. Sie sah niemanden an. Man hätte glauben dürfen, daß sie in sich selbst versunken sei; allein sie hob doch bisweilen ihr Auge, und dann war es leicht zu erkennen, daß sie in die Zukunft versunken war. Solch ein heißer Durst lag in diesem Auge. Aber nicht nach Liebe, nicht nach Glück. Nichts Sehnsuchtsvolles, nichts Träumerisches! Ein Schiffer, der das Land erreichen möchte und den die Brandung nicht landen läßt, mag diesen Ausdruck haben.

Es wurde Musik gemacht und mit gutem Geschmack solche, die sich für einen häuslichen Kreis schickt. Kunigundens Schwestern sangen zweistimmig mit jungen frischen Stimmen heitere und launige Volkslieder und neckten Kunigunde mit ihrer Abneigung gegen mehrstimmigen Gesang. Sie sei so einsiedlerisch, sagte die eine; und die andere, sie möge nicht Takt halten mit einem zweiten.

»Ich kann es nicht,« sagte Kunigunde. »Ich würde es ja gern tun.«

»Nun, so singen Sie allein!« bat Feldern, und sie sang mit einer schönen, aber eiskalten Stimme und ohne Leben im Vortrag, soviel und was er wünschte.

Beim Abschied entließ sie ihn gerade so, wie sie ihn empfangen hatte. Kein inniger Blick, geschweige ein inniges Wort, ward zwischen ihnen gewechselt.

Kaum saßen die Freunde zu Pferde, als Mario ausbrach:

»Du hattest ganz recht. Allerliebst ist keine Bezeichnung für deine Braut! Sie ist ja wirklich bildschön, ohne alle figürliche Redensart! Ich meine, schön wie ein Bild.«

»Ich glaubte, die Schwestern würden Dir besser gefallen.«

»Bester! Ich verbitte mir diese Beleidigung meines Geschmacks. Zwei weiße schnatternde Gänschen und ein Schwan . . . Wann wirst Du Dich verheiraten?«

»Im November, denke ich.«

»Das ist ein Monat, in dem ich regelmäßig das Leben im Norden verwünsche. Du tust sehr recht, ihn Dir zum Rosenmonat umzuwandeln! Aber sie ist äußerst schweigsam, Deine Braut.«

»Ihre Art so!«

»Gott, was sind die Frauen schön, wenn sie schön sind!«

»Du bist ja ganz in Verzückung!« sagte Feldern mißtrauisch.

»Wie kann Dich das befremden, Dich, der Du vier Jahre lang unter ihrem Zauber stehst und sogar die Qual der langen Sehnsucht ertragen kannst?«

»Was mir gewiß ist, nur in die Ferne geschoben, macht mir keine Qual.«

»Und wartest Du nicht? Erzeugt Erwartung nicht Ungeduld, und nennst Du Ungeduld nicht Qual? O laß das nicht Fräulein Kunigunde hören! Sie wäre mit Deiner stoischen Kälte nicht zufrieden!«

»Jeder muß am besten wissen, wie er mit der Geliebten umzugehen hat,« meinte Feldern übellaunig.

»Er sollte es wenigstens!« schwebte schon auf Marios Lippen; aber er hielt die kränkende Bemerkung zurück und sagte: »Schade, daß die Eisenbahn noch nicht fertig! Du könntest dann manche schöne Stunde mehr genießen. Die Liebe, auf die von den industriellen Köpfen keine andere Rücksicht genommen wird als die, welche die Vermehrung des Menschengeschlechts betrifft, muß auch aus Dampfmaschinen und Eisenbahnen ihren Vorteil ziehen. Es gibt keine Pyrenäen mehr, sagte Ludwig XIV. großsprecherisch . . . Er log übrigens bis auf den heutigen Tag, denn die Pyrenäen machen sich dadurch sehr bemerklich, daß sie Frankreichs Einfluß nur teilweise nach Spanien hineinschlüpfen lassen. Aber wir können mit voller Wahrheit sagen: Für Liebende gibt es keine Trennung mehr. In vier Wochen bin ich mit dem Ozeandampfer auf der andern Halbkugel . . . .«

Feldern antwortete einsilbig. In Zukunft forderte er nie mehr Mario auf, ihn zu seiner Braut zu begleiten; und da er es nicht tat, so sprach auch Mario den Wunsch nicht aus. Im Grunde zog ihn Kunigunde nicht genug an, um ihn zu veranlassen, Felderns Eifersucht zu reizen. Und Feldern war allerdings eifersüchtig, nicht auf einen bestimmten Gegenstand, sondern im allgemeinen, weil er trotz des vierjährigen Brautstandes so unbekannt im Herzen seiner Braut war wie die Alten im Weltmeere. Manche beschränkte und selbstzufriedene Leute macht solche Unbekanntschaft erst recht ruhig. Sie denken, da besteht nichts weiter, als was sie sehen und verstehen. Andre aber, die weniger beschränkt und selbstzufrieden sind, macht es unruhig, weil sie fühlen, daß ihr Auge und ihr Verstand nicht ausreichen, daß da viel vorgehen mag, was sie nicht ergründen können, und daß es doch eigentlich eine große Demütigung ist, ein geliebtes Wesen nicht zu verstehen. Das gibt der Liebe ihre Göttlichkeit, daß sie, wie Gott, das Verständnis der Seelen hat. Der Verstand zweifelt, die Forschung grübelt, die Vernunft prüft, aber die Liebe weiß. Freilich, das ängstigende, lose, unzusammenhängende, verliebte Wesen, das die Leute Liebe nennen, kann nicht viel wissen. Das rät so herum, auf gut Glück, auf Geratewohl; irrt, trifft; trifft aber nie den Mittelpunkt des Seins, nie den Augenblick, wo die Knospe der Aloe aufspringt, die nur alle hundert Jahr einmal blüht. »Ist ein Märchen, ist eine Fabel!« sprechen die Klugen. »Die Naturforscher wissen nichts von solcher Aloe!« Aber die Dichter wissen von ihr. Wer hat nun recht? Die Dichter sind ein uraltes mystisches Volk, das noch ganz andre Dinge geschaffen hat. Bei den chaldäischen Schäfern ist es in die Schule gegangen, und die Priester von Memphis und von Dodona sind seine Zöglinge gewesen. Schlagt nach den Homer! Die Götter hat er geschaffen. Was wüßte man vom ganzen Olymp, wenn der alte Homer ihn nicht so genau beschrieben? Schlagt nach den Moses! Die ganze Welt hat er geschaffen. Die weisesten Hypothesen späterer Jahrhunderte taugen nur dann etwas, wenn sie mit seiner übermenschlichen und doch so ganz menschlichen Poesie übereinstimmen. Was die Geschichts- und Naturforscher auch entdeckt haben mögen, Homer und Moses sind noch nie dabei zu kurz gekommen. Verlaßt euch auf die Dichter, meine lieben Menschen, selbst wenn sie euch von der fabelhaften Aloe erzählen, die nur alle hundert Jahr einmal blüht! In der dürren heißen Wüste des Lebens, wo die Bäche versiegt sind und die Bäume versandet, wo kein Lüftchen weht und kein Vogel singt, unter dem brennenden Äquator des Herzens, da steht sie doch und blüht allen Naturforschern zum Trotz, – aber freilich, nur alle hundert Jahr einmal. Wer kann aber wissen, ob die hundert Jahre nicht gerade um sind, wenn er vor sie hintritt?


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