Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XXVIII

Andlau empfing Faustinens Brief in Nürnberg. Er las ihn, ohne ihn zu verstehen, einige Male. Endlich verstand er das: »Wir können uns nie wiedersehen.« Ihm war, als würde es Nacht am hellen Mittag.

»Pferde! Geschwind! Fort nach Böhmen!« rief er.

Er wollte nur fort; wohin, war ihm ganz gleichgültig. Fort, fort! Was die Pferde laufen konnten.

Beim Pferdewechsel sagte er gewöhnlich nur: »Vorwärts! Immer die große Straße!« Zuweilen trat ein Postbeamter an den Wagen und nannte fragend die nächste Station; dann bejahte er schweigend.

So fuhr er wie ein Toter durch den lieblichen leuchtenden Frühling, durch Prag, durch Breslau. Er wußte nicht, wo er war. Da kam er in eine alte große düstere Stadt. Finsternis schien auf ihr zu brüten, eine große Vergangenheit, eine trübe Gegenwart. Die mächtigen Häuser mit starken Böschungen glichen Grabmälern oder Festungen des Todes.

»Halt!« rief Andlau. Die Stadt gefiel ihm. Es war Krakau. Er ging in die Kathedrale und stieg hinab zu den Gräbern der alten polnischen Könige. Er lehnte sich an einen Sarg. Die Geierkralle wahnsinnigen Schmerzes, die bis dahin seinen Busen krampfig umspannte, löste sich in der Nähe des ewigen Friedens. Zwei große Tränen fielen schwer aus seinen Augen auf den Staub der Toten, auf den Staub seines Glücks.

Aus Krakau schrieb Andlau an Faustine:

»Kein Wort Dir von Frage, Vorwurf oder Klage! Werde glücklich, wenn es Dir möglich ist! Vergiß mich, denn das ist die Hauptbedingung zu Deinem künftigen Glück. Vergiß Deine ganze Vergangenheit! Deinem Leichtsinn wird das nicht schwer fallen. Und lebe wohl!«

Er blieb vorderhand in Krakau. Ohne Faustine war ihm jeder Ort in der Welt gleichgültig; bei ihr gehörte ihm die Welt mit ihrer Herrlichkeit, die Kunst mit ihren Wundern, die Natur mit ihren Schätzen. Sie sah die Steine an und erzählte ihm deren Geschichte. Die Jahrhunderte standen vor ihr auf wie vor einer Zauberin, und sie ließ in einer Kette von Ereignissen den goldenen Faden an ihm vorbeilaufen, an dem die Vorsehung die Menschengeschlechter lenkt. Die Ruinen erhoben sich vor ihr aus dem Schutt, und sie stellte ihm den Gedanken der Erbauer hin. Die stummen Bilder regten die Lippen vor ihr und vertrauten ihr die Bedeutung, die der Maler seinen Heiligen, der Bildhauer seinen Göttern gegeben. Die Natur redete zu ihr mit Stimmen der Elemente. Wäre sie allein in der toten Schöpfung gewesen, sie hätte dem Felsen Seele eingehaucht. Solch ein überquellendes Leben war in ihr; so wußte sie es auf alles zu übertragen, was sie umgab.

Andlau kam sich vor wie ein Eingekerkerter zwischen schwarzen stummen kalten Mauern. Zuweilen überfiel ihn nagende Angst um Faustinens ihm so ganz unbekanntes Schicksal. Er las ihre Briefe nach. Sie waren in der letzten Zeit unruhig, hastig geworden. Er suchte einen Namen, der ihm Aufschluß geben möge; aber sie nannte nur obenhin einige fremde Namen, unter denen auch Marios war. »Wie elend kann sie werden!« sagte Andlau zu sich selbst.

Die Qual um ihre Zukunft zernagte ihn mehr als der Blick auf die seine. Er gehörte zu den Männern, von denen Mario einst zu Faustinen sagte: »Wenn der Faden ihres Geschickes reißt, so knüpfen sie keinen neuen an.« Andlaus alte Welt war untergegangen. Er suchte keine neue; er blieb auf den Trümmern wie ein Priester auf denen seines zerstörten Tempels. Das Schloß seines Glücks war in Schutt zerfallen; nach einer Hütte sah er sich nicht um. Zuweilen auch packte ihn der Ingrimm über Faustinens Schwäche, die sie unfähig mache, einem lebhaften Eindruck mit Besonnenheit entgegenzutreten. »Wird sie ewig Kind bleiben!« rief er zornig. »Will ihr Wesen denn immer Blüten und nimmer Frucht tragen?«

Dann, mitten in der Trostlosigkeit, kam ihm der Gedanke: weil unzuverlässig, sei sie auch unberechenbar und vielleicht noch zu herrlicher Entwicklung bestimmt. Nur wollte dieser Gedanke nicht in ihm haften. Faustine hatte sein Leben zerbrochen. Das Natürliche schien ihm, sie müsse auch das ihre zugrunde gerichtet haben.

Nachdem Faustine seinen Brief empfangen, ward sie ruhiger. Bis dahin lebte sie in unaussprechlicher Bangigkeit. Nun wußte sie, daß sie für immer unwiderruflich von dem Manne getrennt war, den sie ihre irdische Vorsehung genannt, und der Throne und Triumphe ausgeschlagen haben würde, hätte er sie nicht mit ihr teilen dürfen. Und nicht etwa im brausenden Rausch der ersten Seligkeit hätte er das getan. Nein, noch jetzt, nach sieben Jahren, kniete er vor ihr mit derselben Andacht, Huldigung und Freude, die er ihr bei der ersten Begegnung entgegengebracht. Die volle Frische der Empfindung lag noch wie Morgentau auf seiner Liebe; als ein Kleinod trug er sie im Herzen. Nicht aus Pflichtgefühl, nicht als Mann von Ehre betrachtete er Faustinen als ein Wesen, das ihm für die ganze Zukunft anvertraut sei; nicht aus Rücksicht für ihre Verlassenheit und Hilflosigkeit hielt er sich untrennbar an sie gefesselt. Was ihn tiefer rührte und inniger band, war ihre großartige einfache Natur, die, alles wegwerfend oder verschmähend oder nicht bedürfend, was nicht Liebe war, sich in die [?] als in ihr alleinzigstes Gewand hüllte. Er liebte sie, mirakelmäßig, nicht mitleidig, sondern bewundernd. Ach, die meisten Frauen preisen ihr Schicksal, wenn – nach so vielen Jahren, in denen die frische Schönheit, der Reiz des Besitzes, die Neuheit des Glücks entflohen sind, – die Männer noch aus alter Gewohnheit, aus Dankbarkeit für süße Erinnerungen, zuweilen mitleidig einen Strahl der alten erlöschenden Liebessonne aufleuchten lassen. »Und Faustine, für die wie durch ein Wunder diese Sonne im Scheitelpunkt steht, Faustine schaut nach einem andern Gestirn!«

Aber sie tat es. Alles dies sagte sie sich tausend Mal; sie wiederholte und prägte sich fest ein, was alles sie mit Andlau aufgab, aber sie gab ihn auf. »Es gibt keinen Stillstand für mich,« dachte sie. »Rastlos muß ich vorwärts, – und ist das nicht eins und dasselbe mit aufwärts?«

Sie kehrte zu ihren alten Gewohnheiten, zur Malerei, zur Gesellschaft zurück. Ihre Freunde fanden sie nicht so frei, leicht und heiter wie sonst. Man war gespannt, ob sie sich wieder in das alte Geleise zurückfinden werde. Klemens ging häufiger denn je bei ihr aus und ein und nahm immer mehr das Gebaren eines unentbehrlichen Freundes an. Sie wehrte ihm nicht, denn bei hundert Dingen war er ihr bequem und bei tausend gleichgültig. Er wünschte glühend, ihr alles zu ersetzen, jede Lücke auszufüllen, dann – wähnte er – bliebe ihr nichts übrig, als seine Liebe zu erwidern. Faustine sprach weder von Andlau noch von Mengen. Daraus folgerte Klemens, sie sei auf gutem Wege, beide zu vergessen.

Mario schrieb fast täglich. Seine hohe Sicherheit erquickte Faustine. Hätte er ihr gesagt, er müsse ihr den Weg zum Orion bereiten, so würde sie sich darauf verlassen haben. Die hilflose Einsamkeit, in der sie auf der Welt stand, machte ihr diese Zuversicht zum Bedürfnis. »Der edle Mann schützt so gern,« dachte sie, »und wer bedarf mehr des Schutzes als ich?«

Marios Eltern waren nicht erfreut über den Entschluß des Sohnes.

»Das ärmste Mädchen, nur unbescholten, wäre mir eine liebere Tochter,« sagte die Gräfin Mengen; und der Vater sprach:

»Nach Deiner Beschreibung muß sie eine Kirke sein! Hast Du Dich fangen lassen, mein armer Mario?«

Mario lächelte. Der absichtlosen nachlässigen Faustine wäre eine planmäßige Eroberung unmöglich gewesen.

Seine Schwestern warfen sich entzückt in seine Arme, als sie seine Verlobung erfuhren.

»Welch ein unbegreifliches Glück für Dich, Mario!« rief Mathilde, und Marie flog zu Kunigunden, um ihr diese Jubelbotschaft mitzuteilen. Dann mußte Kunigunde kommen und den Eltern all das Gute und Schöne von Faustinen erzählen, was sie den beiden Schwestern erzählt hatte, und Mario war gerührt von der tiefen Freudigkeit, mit der sie es tat.

»Sie hat mich getröstet, gestärkt und erhoben, als alle mich niederbeugten; sie hat mir zugelächelt, als niemand von mir wissen mochte, und in dem entscheidenden Augenblick, wo tätige Hilfe mir not tat, habe ich sie bei ihr gefunden.«

Weit mehr noch erzählte Kunigunde von Faustinens Schönheit, Anmut und Fähigkeiten, und sagte zuletzt:

»Ich bin einmal darüber ausgelacht worden, dennoch muß ich sie stets mit dem Mädchen aus der Fremde vergleichen. Ich kenne sonst niemanden, der ihr ähnlich wäre oder der mich an sie erinnerte.«

»Ach Gott,« seufzte die Gräfin Mengen, »wie soll ein so außergewöhnliches Geschöpf in den Familienkreis passen?«

»Wie die Sonne in die Welt, gute Mutter,« sagte Mario.

»Mario ist aber einmal verliebt! Ganz erschrecklich verliebt!« flüsterte Marie heimlich Mathilden zu.

»Liebt Dich Faustine in demselben Maße, wie Du sie liebst?« fragte ihn der Vater.

»Die Liebe läßt sich nicht messen und wägen,« antwortete Mario lächelnd, »und bei niemandem weniger als bei Faustinen. Ihre Liebe fliegt.«

»Und fliegt davon, mein Sohn!« warf die Mutter ein. »Solche Frauen, genial, ungewöhnlich, über dem Alltäglichen, und wie man sie nennen mag, haben so selten die Klarheit, Ruhe, Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue, mit denen man einzig und allein glücklich sein und machen kann.«

»Vor drei Monaten, liebe Mutter, habe ich mir und Faustinen selbst das alles gesagt. Aber ich liebe sie, und wie sie nun einmal ist, so beglückt sie mich.«

»Und so soll sie uns willkommen sein!« sagte der alte Mengen und gab dem Sohne die Hand.

Mario küßte sie und rief:

»Ich wußte es, Vater!«


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