Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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XII

Schon zwei Monat waren vergangen, Andlau kam nicht wieder. Die Geschäfte seiner verstorbenen Mutter waren in großer Unordnung. Seine Brüder hatten lebhafte Neigung, ihren Nachlaß zu teilen; gar keine, ihn zu entwirren. Er stand mit seiner großartigen Uneigennützigkeit so frei zwischen ihnen beiden, daß sie gleiches Vertrauen zu ihm hegten und ihn beschworen, das Ganze in seine Hand zu nehmen, um es zu schlichten. »Das Gut meiner verstorbenen Mutter muß erst verkauft werden,« schrieb er an Faustine. »Das mag sich bis zum Frühling hinziehen. Solange müssen wir Geduld haben, meine Ini! Dann bin ich frei und doppelt meiner Freiheit froh, weil ich sie durch ein Opfer mir erkauft habe. Meine Geschäfte sind langweiliger Art. Ich muß hier- und dorthin fahren, muß mit diesen und jenen Leuten unterhandeln. Nun das ist nichts für Dich! Dir soll ich von andern Dingen erzählen! Süße und Liebe, wer kann auch anders als von süßen und lieblichen Dingen zu Dir sprechen? Wer kann anders als zu Deinen Füßen niedersinken und Dich anbeten, nicht weil Du schön, nicht weil Du anmutig bist, nicht weil Du diesen oder jenen Vorzug hast, sondern nur weil es eine Wonne ist, ein Geschöpf anzubeten, das, wie von silbernen Flügeln getragen, über die staubige Erde hingeht. Der Gedanke an Dich ruht mich aus, wenn ich müde bin vom unnatürlichen Treiben der Menschen; erfrischt mich, wenn mir die Seele welk wird von ihrem Lügenhauch; erhebt mich, wenn Zweifel an Treue und Wahrheit mich beschleicht. Du bist für mich das Ein und Alles der Schönheit. In Dir habe ich alles vereint, und ein Atom Deines Wesens beseelt mir jede Erscheinung des Lebens. Die Frauen haben größeren Einfluß auf die Männer als umgekehrt. Sie sind so subtil, daß sie in das gesamte Lebensgeäder des Mannes wie Balsam oder wie Gift eindringen. Obgleich es ihrer Eitelkeit schmeichelt, wollen die Frauen doch nichts von diesem ungeheuren Einfluß wissen, weil sie sich vor der Verantwortung fürchten, die er nach sich zieht. Aber er ist unleugbar.

»Hier stirbt ein Mensch, weil ihm seine Liebste untreu geworden ist, ein gemeiner Mensch. Hör an die Geschichte! Es war ein wunderhübsches Bauernmädchen auf dem Gut meines jüngsten Bruders, das einzige Kind ihrer Eltern, der Stolz des Dorfes, Braut von einem jungen Knecht, der nicht reich war, nicht hübsch, kurz keine andern Vorzüge hatte als den, daß er sie und sie ihn liebte. Ein reicher Bauernsohn aus der Nachbarschaft, ein Jäger meines Bruders, hatte um das Mädchen geworben und war spöttisch abgewiesen worden. Sie hatte ihren Schatz! Diesen Herbst sollte die Hochzeit sein. Ehe es so weit kam, schien wohl eine Veränderung mit dem Mädchen vorgegangen; aber wie das gewöhnlich ist, das fiel allen erst ein, nachdem sich die Sache aufgelöst hatte. Drei Tage vor der Hochzeit geht sie mit ihrem Bräutigam zum Jahrmarkt in die Stadt. Da tritt bei einer Bude ein junger Soldat, etwas betrunken, zu ihr heran und sagt ein paar Worte, die das Mädchen und ihren Bräutigam zittern und erbleichen machen. Letzterer ruft dem Soldaten zu: Du lügst! und er erwidert lachend: Es steht ja der Verena auf der Stirn geschrieben! Da, ohne sich einen Augenblick zu besinnen, ohne ein Wort zu sprechen, nimmt der Knecht das Messer, das er eben gekauft, und stößt es dem Mädchen bis ans Heft in den Busen. Sie starb binnen vierundzwanzig Stunden, unaufhörlich wiederholend, daß ihr Liebster recht daran getan, sie zu töten, denn sie sei ihm falsch gewesen und habe auch keinen ruhigen Tag mehr gehabt, seit sie sich mit dem Soldaten zu weit eingelassen. Der Soldat, schnell ernüchtert, beschwor die Ärzte, das Mädchen zu retten, und beteuerte immer bei Seele und Seligkeit, er habe nur in trunkenem Mute gesprochen, er wisse nichts von dem Mädchen. Der unglückliche Mörder, in Kerker und Banden, sagte nichts als: Ich will sterben, denn das Verenli ist falsch gewesen und die Welt taugt nichts. – Weiß der Himmel, welch Urteil ihm man sprechen wird.

»Ist das nicht eine hübsche Geschichte? Du meinst, nur in höheren Ständen, unzerstreut durch Arbeit und die niedrigen Bedürftigkeiten des Daseins, könne sich die Liebe bis zur höchsten Leidenschaft ausbilden, und nichts halte ihr besser das Gleichgewicht, als wenn man sich um das tägliche Brot bemühen müsse. Hier hast Du einen Beweis vom Gegenteil. Vielleicht ist es eine Ausnahme; wie ich denn überhaupt eine gewaltige, dauernde Liebe zu den Ausnahmen rechne, beim Volk wie bei den Vornehmen. Jene kommen nicht dazu, weil ihre Seelenkräfte unentwickelt bleiben beim öden Handwerk; diese, weil das hohle entnervende Treiben der Gesellschaft auf sie wirkt wie Regenschauer auf Vogelflügel; sie verlieren ihre Elastizität. Und selbst wenn sich bei allen Klassen die Tatkraft vollkommen entfaltete, so fände man deshalb kaum häufiger die Liebe, denn sie ist wie das Genie etwas, das man empfängt, nicht erstrebt; und man könnte sie in ihrer Unwillkürlichkeit kapriziös nennen, wenn man sie nicht lieber göttlich nennen mag. Lebe wohl, Du – meine Göttin mag ich nicht sagen; sie sieht kläglich außer dem Bereich des Lebens, als habe sie Schiffbruch gelitten! Mein Engel, das ist so abgebraucht wie die Rosenwangen und Lilienhände der Dichter, die nachgerade ganz welk sein müssen! Was bleibt da übrig als. Meine Ini, lebe wohl!«

Als Faustine diesen Brief empfing, war sie fertig mit ihren Gemälden, fertig mit ihren Büchern, fertig mit Phantasie, Beschäftigung und Geduld. Sie hielt es für eine Unmöglichkeit, zum mindesten noch drei Monate diese Lebensweise fortzuführen, denn nicht ihr Körper allein, auch ihr Geist war abgemattet durch die wechsellose, spannende, schaffende Richtung ihrer Gedanken. »Wenn mir der Himmel doch irgend etwas recht Schönes bescheren wollte!« dachte sie. »So eine echte Weihnachtsfreude! Ich könnte sie brauchen.«

Es war ganz dunkel in ihrem Zimmer. Sie lag auf dem Sofa, von wachen Träumen so umschwirrt, daß sie fast dem Einschlafen nahe war, denn sie hatte angestrengt gemalt, um keine unvollendete Arbeit ins nahende neue Jahr hinüber zu nehmen. Da hörte sie die äußere Tür des Vorzimmers aufgehen, hörte darin flüstern und leise auftreten; aber sie mochte nicht klingeln und fragen, was es da gebe. Plötzlich fiel ihr ein, Andlau könne sie mit seinem Besuch überraschen wollen, und sie sprang auf. Doch ebenso schnell nahm sie ihre vorige Stellung wieder ein. Der Scherz sollte ihm ganz gelingen; sie wollte ihn erst erkennen, wenn er vor ihr stand. Sie blieb unbeweglich; nur ihr Herz schlug atemraubend in jubelnder Erwartung.

Die Tür ging auf. Kaum aber war eine Männergestalt eingetreten, von der Faustine nicht einmal die äußern Umrisse erkennen konnte, so wußte sie auch, daß es nicht Andlau war. Sie richtete sich auf, schellte und fragte zu gleicher Zeit mit eiskaltem Tone:

»Wer ist so gütig, mir diesen seltsamen Besuch zu machen?«

»Ich! Nehmen Sie es nicht übel!« war die Antwort.

»Klemens Walldorf? Willkommen tausendmal! Aber, Bester man läßt sich melden bei einer Dame!«

»Ich habe Ihre Kammerfrau gefragt, ob Sie zu Hause, allein und wohl wären . . . .«

»Da wußten Sie freilich Bescheid, aber ich nicht! Und was wollen Sie denn nun eigentlich hier in Dresden?«

Es ward eine Lampe hereingebracht und vor ihr auf den Tisch gestellt. Faustine war zufällig wundervoll beleuchtet. Glänzende Lichtstreifen fielen auf ihr schwarzes Atlaskleid und verrieten ihre liebliche Gestalt. Der weiche Nacken, die zarten Hände tauchten aus den dunklen Falten auf, und die Farben, die dem Anzug fehlten, lagen alle auf ihrem holden Antlitz. Klemens war bewundernd in ihren Anblick versunken und vergaß zu antworten.

»Bitte, geben Sie mir meinen Arbeitskorb von jenem Tische!« sagte Faustine. »Ich finde es zwar nicht sehr verbindlich, neben der Unterhaltung an einer Stickerei zu arbeiten, aber Sie scheinen kein Freund der Plauderei zu sein und deshalb auch wohl kein Feind der Stickerei.«

Klemens ermannte sich, holte den Korb; statt ihn aber ihr zu geben, behielt er ihn und sagte:

»Sie fragten, was ich hier wolle? Nun, zum Beispiel den Inhalt dieses Körbchens besehen. Darf ich?«

»Bürden Sie sich doch nicht mutwillig die Plage des Besehens auf, hier, wo wirklich Augen und Seele zum Genuß mannigfacher Schönheit aufgespart werden sollten!«

Klemens untersuchte genau die kleinen Arbeitsgerätschaften des Körbchens, indem er sagte:

»Fingerhut und Schere von Kokosnuß? Das ist sauber gemacht und dauerhaft nebenbei, zu dauerhaft für eine vorübergehende Mode. Ein Fläschchen von Hyalith; ein Bleistift in Schildkrot; den Behälter mit Silber eingelegt, – niedlich! Aber welche abscheulich plumpe Nadelbüchse von Porzellan!«

»Abscheulich? Unglücklicher! Sie ist anbetungswürdig. Rokoko!«

»Ein Erbstück Ihrer Urgroßmutter vielleicht, und respektabel als solches . . . .«

»Nichts von respektabel! Das ist ein unmodisches Wort, und Rokoko ist modisch par excellence

»Wie Sie befehlen! Wenn es nur nicht schön sein soll. Dies Täschchen von russichem Leder mit Ihren Besuchskarten gefällt mir besser! Ah ein Brief!« (Es war Andlaus letzter Brief.) »Es muß angenehm sein, Ihnen schreiben zu dürfen.«

»Viel angenehmer, mit mir zu plaudern.«

»Sind Sie mit mir zufrieden, daß ich Ihnen nicht geschrieben habe?«

»Ich bin ganz damit zufrieden. Jetzt legen Sie die Sächelchen wieder hübsch ordentlich in den Korb! So. Das Grüne Gewölbe wäre besichtigt!« Sie lachte so munter, daß Klemens auch ganz heiter ward.

Er rief:

»Dresden gefällt mir herrlich. Morgen besehe ich die Bildergalerie, – die Ihre.«

Felderns Eintritt störte seine Heiterkeit, und noch mehr störte es ihn, daß Faustine sagte:

»Meine einsiedlerische Laune ist vorüber! Ich werde viel ausgehen und mich sehr freuen, wenn man mich häufig besucht. Graf Mengen, mein bester Feldern, soll mir sehr willkommen sein. Ich schmachte förmlich nach Gesellschaft, nach Mitteilung, nach Anregung.«

»Und warum haben Sie es zu diesem Punkt kommen lassen, gnädige Gräfin?«

»Künstlerlaune, lieber Feldern! Ich bin zwar nur eine armselige kleine Dilettantin, aber ich habe große Anlagen zu einer echten Künstlerin, nämlich maßlose Launen. Ich treibe alles by fits and starts

»Dadurch wird die tiefe Einheit Ihres Innern doppelt interessant.«

»Alle Welt sagt, ich sei interessant! Ich wüßte gern, was sich alle Welt unter diesem Worte denkt, und ob überhaupt etwas.«

»Ein Gemisch von Eigenschaften, die sich scheinbar widersprechen: tiefer Ernst und Kindesheiterkeit, zum Beispiel eine sanfte Seele und ein starkes mutiges Herz, Laune und Gemütlichkeit, männliche Entschiedenheit und jungfräuliche Grazie . . .«

»Habe ich denn alles?« fragte Faustine verwundert.

»Nein, weit mehr,« sagte Klemens trocken.

Feldern sah ihn überrascht an. Er glaubte bereits den höchsten Grad der Bewunderung an den Tag gelegt zu haben.

Faustine sagte:

»Lieber Feldern, ich empfehle Ihnen diesen meinen jungen Freund hier, Herrn von Walldorf, Bruder meines Schwagers, der hergekommen ist, um Dresden recht gründlich kennen zu lernen.«

»Ganz und gar nicht,« sagte Klemens, wieder sehr trocken.

»So geben Sie selbst Ihre Gründe an!« entgegnete Faustine.

»Ich bin gekommen, um Sie zu sehen, und nun, da diese Absicht erreicht ist . . . .«

»Fahren Sie nach Oberwalldorf zurück?« rief sie lachend.

»Will ich schlafen gehen.«

»Um morgen in besserer Stimmung wiederzukommen, hoffe ich.«

Feldern sah dem Abgehenden nach und sagte:

»Der junge Mann scheint keine besonders gute Erziehung genossen zu haben.«

»Keine gute, das ist wahr! Aber zum Glück auch keine schlechte, sondern gar keine. Daher fehlt ihm manches, aber verdorben ist nichts. Nehmen Sie sich freundlich seiner an!«

»Sobald Sie ein gleiches für meinen Freund Mengen tun.«

»O, der hat es nicht nötig. Er ist seit sechs Monaten hier, hat festen Fuß gefaßt in der Gesellschaft und überall . . .«

»Wenn Sie wüßten, wie er Ihre Bekanntschaft wünscht!«

»Sonderbar! Was weiß er denn von mir?«

»Er hat Sie zweimal gesehen, in der Ferne zwar nur . . .«

»Ach,« rief Faustine, »er hat mich gesehen! Ja, dann begreife ich.« Feldern lächelte. »Warum lächeln Sie?« fuhr sie fort. »Muß ich Ihnen denn auseinandersetzen, was doch sehr einfach, daß der frische, unvorbereitete Eindruck einer Persönlichkeit genügend ist, um uns ihre Bekanntschaft wünschen oder meiden zu lassen. Dann haben wir keine Vorurteile für oder gegen; und die unbefangene Seele weiß, was sie brauchen kann und was nicht. Es ist wirklich ein Jammer, daß man garnicht mehr unbefangen sprechen darf. Alles wird uns als Eitelkeit gedeutet.«

»Wenn die Deutung Sie nicht trifft, so werden Sie mir deshalb nicht zürnen.«

»Nein, nur bedauern, daß Sie sich selbst um das Vergnügen bringen, an die Unbefangenheit zu glauben.«

»O Gräfin, man muß sehr jung, sehr unerfahren oder sehr verliebt sein, um das zu glauben, – nicht den Frauen gegenüber. Das ist unmöglich. Nur einer einzigen Frau gegenüber! Es liegt ein Abgrund von Lügenhaftigkeit in ihnen!«

Faustine entsetzte sich fast, den sonst so gemessenen vorsichtigen Feldern sich so heftig äußern zu hören. Welche Erfahrung, welche Kränkung mußte ihn getroffen haben, um einen so ungewöhnlichen Ausbruch zu veranlassen!

Ehe sie noch eine Erwiderung gefunden, wandte aber Feldern das Gespräch, indem er sagte: »Also morgen darf ich Mengen herführen und Sie entschuldigen, daß es früh geschehen wird, denn ich muß hinausreiten, und die Geschäfte wälzen sich erdrückend auf mich.«

Er ging bald.

»Was sind das alles für wirre Zustände!« dachte Faustine bei sich. »Darf man sich gar nicht mit den Menschen einlassen, ohne im Sturm umgewirbelt zu werden, wie jene Verdammten in Dantes Hölle? Darf man keinem die Hand reichen, ohne befleckt oder verwundet zu werden? Und warum stehe ich denn so friedlich-glücklich zwischen all dem Wirrsal? O mein Anastas!«


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