Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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IX

»Wieder ein Sommer dahin!« sagte Faustine, als sie mit Andlau Ende Oktober bei kurzen Tagen und nebeligem Wetter in Mainz, auf der Heimkehr begriffen, eintraf. »Wie soll ich es fertig bekommen, die ganze Welt zu sehen? Bald reicht das Geld nicht aus, bald die Zeit nicht. Heute wollen die Verhältnisse es nicht dulden, und morgen gibt es Umstände, die es unmöglich machen. Am liebsten schnürte ich mein Bündelchen, zöge Männerkleider an und streifte umher. Es sieht nur etwas vagabundenmäßig aus. Ich könnte in keinen Salon gelangen, und eine Gräfin Obernau, der die Salons verschlossen sind, ist eine verlorene Person. Dafür zu gelten, kann ich mich nicht entschließen, und so muß ich mir denn den Hauptspaß des Lebens versagen.«

»Du bist im Mittelpunkt Deines Lebens so fest, Ini. Wie können die Strahlen, die davon auslaufen, in solcher ewig zitternden Bewegung sein? Wäre meine Seele nicht der Deinen gewiß, so würdest Du mir große Sorge machen.«

»Ist unnütz!« sagte sie. »Mein Herz ist fest; darauf kannst Du Felsen bauen. Gibt es etwas Zuverlässigeres in der Natur als die Magnetnadel? Nun, sie zittert immer hin und her, und weist doch unverrückt gen Norden. Nur in der Polnähe weicht sie ab. Dahin komme ich aber nicht. Ich bleibe im Tropenklima . . . . Wollen wir nicht in den Dom gehen? Es regnet nur ein ganz klein wenig.«

»Du bist eine unermüdliche Kirchengängerin! Wir haben gewiß über hundert Kirchen in diesen drei Monaten besehen, und wie wenige darunter gefunden, die in reiner Vollkommenheit den Gedanken des Baumeisters auf die Nachwelt gebracht. Zerstört, geflickt, überpinselt, ausgebaut, angebaut, ruiniert durch barbarische Vernachlässigung und Geschmacklosigkeit, standen sie da, wie wunderschöne Menschen mit Kröpfen am Halse und Warzen auf der Nase.«

»Leider wahr! Aber mein Auge ist ein geschickter Heilkünstler und trennt die Auswüchse vom Körper. Und dann ist diese Stadt mit ihrem Dom noch eine von den alten entstandenen, keine neuzeitliche gemachte, die plötzlich aufschießt, weil der Monarch eine hübsche Avenue zu seinem Schloß haben will, oder weil die Leute reich werden wollen und darum Häuser auf Aktien bauen. Wie ich sie hasse, diese charakterlosen flachen öden Häuser mit ihren hunderttausend blanken Fenstern! Kann darin Häuslichkeit gedeihen, kann Treue darin wohnen? Wenn ein Wagen vorbeifährt, zittern Tür und Fenster; wenn der Wind weht, bebt das ganze feige Ding, als bäte es ihn untertänigst um Verzeihung, daß es wagt, noch auf den Füßen zu stehen! O ihr lieben stillen alten Häuser, die ihr bescheiden mit der schmalsten Seite auf der Gasse steht, um eure Nachbarn nicht zu beeinträchtigen, um euch nicht in die Breite zu verflachen, wie gut bin ich euch! Hinter euren starken Mauern und sparsamen, aber weiten Fenstern, in eurer verschwiegenen Tiefe, in euren traulichen, geräumigen, gewölbten Zimmern, da ist es doch noch möglich, Gedanken zu haben, die sich auf Häuslichkeit beziehen. Wäre ich ein Mann, so holte ich mir nur aus solchem Hause eine Frau. Mädchen, in einem Hause von Heute erzogen, sind es für fremde Augen. Alle Welt guckt da hinein und fragt neugierig. Was tust Du? Was treibst Du? Die Sonne scheint in all die Fenster wie in einen Glaskasten, wo die Blumen vor der Zeit blühen müssen. Aber für die Mädchen ist Schatten gut, stiller kühler grüner Schatten. Da bleiben sie frisch, frisch von Wangen, frisch von Seele. Es gibt aber gar keine Wundermädchen mit frischen apfelblütnen Wangen mehr! Sie müssen so viel lernen, so viel schöne Künste treiben. Das ermattet, und glaube mir, es hängt alles mit den heutigen Häusern zusammen. Wäre ich ein Mann, ich schlenderte durch die altertümlichen Gassen und schaute rechts und schaute links. Da auf einmal, in jenem dunkeln Hause, wo über der gewölbten Tür drei Eicheln ausgehauen sind, im Erdgeschoß am offenen Fenster, das mit Gitterstäben geschützt ist, die aber so weit geschweift sind, daß die Katze im Ausbug Raum hat und auch der große Blumentopf, aus dem sich die Kapuzinerkresse emporrankt, – verstehst Du, lustige Kapuzinerkresse, kein rührseliger Efeu! – da sitzt ein herziges Mädchen und arbeitet fleißig. Sie arbeitet nicht hastig, nicht gebückt wie eine Magd, wie ums liebe Brot, sondern aus anmutiger Gewohnheit der Beschäftigung. Gute Gedanken steigen mit der Nadel hinauf und herab, vom Kopf zum Herzchen, und die schelmischen Lippen summen ein Lied. Das Haar hängt ihr leicht und lose, wie Gott will, an den Wangen herab; die Augen, wenn sie sie aufschlägt, blicken ernst und verweisen gleichsam dem Munde seinen Mutwillen. Das Mädel müßte meine Liebste werden! Alle Tage ginge ich zweimal vorüber, einmal am Morgen, einmal am Abend. Grüßen täte ich nicht, das wäre befremdlich; aber ohne Gruß würden wir nach und nach ganz bekannt. Dann legte ich mir einmal morgens den Zwang auf, nicht vorbeizugehn, damit abends ihre Augen fragten: Aber wo warst Du denn heute früh? – O Anastas, komm, wir wollen das Haus suchen und das Mädchen! Heiraten kann ich es zwar nicht . . . .«

»Aber ich kann es,« sagte Andlau, neckend.

»Ebensowenig!« rief Faustine und warf mutwillig und stolz den schönen Kopf zurück, als brauche sie sich nicht einmal die Mühe zu geben, ihn anzusehen, um ihn zu fesseln.

»Und welchen Ersatz willst Du denn dem armen Mädchen dafür bieten, daß es nicht geheiratet wird?«

»Ich will es malen.«

»Brav! Das wird ein hübsches Bildchen werden,« sagte Andlau und machte trotz Nebel und Wind einen Spaziergang mit ihr. Er freute sich ihres schönen Talents, nicht bloß weil es ihm Wonne war, sie zu bewundern, sondern weil er es betrachtete wie einen Kanal, in den sich der übervolle Strom ihres Wesens wohltätig ergoß, ohne die Ufer zu zerstören. Ihren Phantasien lieh er immer Gehör. Ihren Gedankensprüngen setzte oft sein Urteil, seine Meinung, Schranken; niemals seine Laune. Darum war Faustine außerordentlich verwöhnt durch seinen Umgang. Sie fand jeden andern langweilig und unfruchtbar, bei dem sie nicht dieser Teilnahme, dieser Ermunterung, diesem Verständnis begegnete. Er hatte sie daran gewöhnt, sich rücksichtlos, absichtlos, in unbefangener keuscher Freiheit vor ihm zu offenbaren; darum wurde es ihr schwer, sich in die zurückhaltenden, abwehrenden Formen der Gesellschaft zufügen; und sie tat es auch nur innerhalb selbstgewählter Grenzen, die angeborener Takt und kein Herkommen ihr bestimmten. Aber eben deshalb fühlte sie sich nur bei Andlau glücklich. » Mon aller n'est pas naturel, s'il n'est à pleines voiles! sprech ich mit Montaigne,« sagte sie. »Wenn ich in der kleinen Nußschale oberflächlicher Gespräche und nichtsbedeutenden Verkehrs kreuzen muß, so legt sich dieses Unbehagen gleich einer eisernen Schlafmütze auf meine Stirn, und lieber rede ich in dreimal vierundzwanzig Stunden keine Silbe, als in einer Stunde unaufhörlich von den Fliegen, die brummen, und den Mücken, die stechen.« Andlaus Liebe war ihr die Frühlingslust, in der sie wie die Lerche ihre Flügel ausbreitete, sich hob und steigend und singend hängen blieb.

In Frankfurt fand Andlau einen Brief vor, der ihm den Tod seiner Mutter meldete und den Wunsch seiner Brüder, ihn bei der Ordnung der Geschäfte zu sehen.

»Sie brauchen mich,« sagte Andlau. »Sie wollen einen Zeugen haben, daß keiner von ihnen mit dem Pistol in der Hand dem Andern ein Goldstück mehr abgefordert hat, als ihm zukommt.«

»Du willst in den Elsaß?« fragte Faustine ungläubig. »Willst mich verlassen? Anastas, tue es nicht! Ich in Dresden, Du jenseits des Rheins, – das liegt zu weit auseinander!« Sie schlang die Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn, ängstlich und fest wie ein junger Vogel unter den Flügel der Mutter. Sie hatte die großen diamantenen Augen einer Gazelle, und mit diesen Augen sah sie ihn so zärtlich und traurig an, daß er sie mit seinen Küssen schloß, denn er fühlte, wie sein Herz an Diesen Strahlen zerschmolz.

»Ich kann meinen Brüdern nützlich sein,« sagte er, »vielleicht dazu beitragen, daß alles in Liebe und Güte abgetan wird. Meine Mutter mag ihren Liebling, meinen jüngsten Bruder, bevorzugt haben, und ich fürchte sehr, Hippolyt wird es sich nicht wollen gefallen lassen. Jeder handelt für seine Familie; jeder behauptet, das Recht seiner unmündigen Kinder vertreten zu müssen . . . .«

»Himmel!« unterbrach ihn Faustine. »Wie hasse ich alle diese Verhältnisse, die unter der Firma Familie den Menschen in gefühlempörende Zustände bringen! Kaum hat ein Wesen die Augen zugetan, das für uns das ehrwürdigste unter der Sonne war, so stürzen wir heißhungrig über den Nachlaß her und zanken uns im Angesicht der geliebten Leiche um die klägliche Erbschaft. Alle Andacht und Trauer geht unter in Berechnungen und Auseinandersetzungen. Und dann heißt es: Meinetwegen führe ich diesen Prozeß nicht und für mich werfe ich dieses Testament nicht um, aber meiner Kinder wegen!«

»Liebe Ini, ich will ja versuchen, ob ich meine Brüder daran hindern kann.«

»Ja, das schmerzt mich eben, Anastas! Wenn sie Dich ruhig an das Grab Deiner Mutter treten ließen, wenn Ihr Euch an diesem Grabe freundlich und ernst die Hände drücken wolltet, so spräche ich zuerst: Gehe hin! Aber um zu verhindern, daß sie sich bei dieser unglückseligen Erbschaft totschlagen oder bestehlen, dazu bist Du viel zu gut! Dazu ist die Polizei da, ich meine die Gerichtsleute, die Grenzwächter auf dem Mein- und Dein-Gebiete, die Flurschützen, die da aufpassen, daß keiner eine Traube vom Weinberg nasche. Nur sie selber dürfen naschen für ihre Mühe.«

Doch was Faustine auch vorbringen mochte, Andlau blieb bei seinem Entschlusse.

»Einige Wochen vergehen schnell; das hast Du ja im Laufe des Sommers erfahren,« sprach er, »und welche Freude, wenn wir uns nach der Trennung wiederhaben!«

»Weil ich es bereits erfahren habe,« entgegnete Faustine weinend, »so bin ich ja mit dieser Erfahrung gleichsam abgefunden. Ich brauche sie nicht mehr. Und wie kannst Du wissen, ob nach einigen Wochen alles abgetan sein wird? Nimm mich wenigstens mit, als Dein Page verkleidet etwa.«

»Ich werde Dich erst nach Dresden bringen,« sagte Andlau, ohne den letzten Vorschlag sonderlich zu beachten, »und dann zurückreisen.«

»Du bist ein eiskalter Mensch!« rief sie und warf unwillig seine Hand aus der ihren.

»Das kann wohl sein,« entgegnete er sanft.

»Und ich sehe durchaus nicht ein, warum ich Dich liebe.«

»Das habe ich nie eingesehen und es Dir auch oftmals gesagt.«

»Aber da ich Dich nun einmal liebe,« rief sie, wieder mit süßer schmeichlerischer Stimme, »so schmerzt mich die lange dumpfe Trennung tödlich! Dich nicht?«

»Faustine, Du kennst mich, Du weißt, daß mein Leben in Dir ist, daß Du nicht bloß mein Glück, nicht bloß meine Liebe, nein, mein Glaube und meine Hoffnung bist, daß Deine Kristallseele mich gleichgültig gemacht hat gegen alle staubigen buntgefärbten flitterhaften Erscheinungen, daß neben Dir nichts, unter Dir eine Welt steht, daß ich von der Ewigkeit nichts wünsche als Dich, weil ich in der Ewigkeit nur Dich, den schönsten Gottesgedanken, sehe! Das weißt Du und fragst, als ob Du nichts wüßtest! Mache mir nicht das Herz schwer und glaube nur, ich vermisse Dich durch die Trennung weit mehr als Du mich. Du setzst Dich an Deine Staffelei und malst und schaffst, und vergißt bei Deinen Schöpfungen alle Schmerzen, vielleicht alles Glück. Die Phantasie pflanzt goldene Stäbe rings um Dich her, und Deine Trauer rankt sich an ihnen empor, und Du stehst schnell in einer duftenden blühenden Laube, die Du selbst gezogen hast. Der Mensch deutet die Dinge, wie er sie versteht, nach seinen Fähigkeiten. Du bist so reich, daß Dir die Welt ein Wunderland ist. Ein vorübergehendes Leid wird für Dich ein Brunnen tiefer Freuden. Das solltest Du doch wissen!«

»Ja,« sagte sie, »ich mag aber doch kein Leid! Mag nicht aus dem tiefen Brunnen mühsam das helle reine Freudenwasser emporziehen! Ich tue es nur, wenn ich eben muß, weil ich meine, es sei doch besser, als die Arme schlaff herabhängen zu lassen; aber lieb hab ich solche Arbeit nicht.«

»Hernach, Engel, ruhst Du doppelt süß bei mir!«

»Aber einstweilen trägt mich niemand auf Händen, muß ich ganz allein auf der harten Erde stehn . . . .«

»Wünschest Du einen Stellvertreter?«

»Nein.«

»Sonst könntest Du ja Klemens Walldorf kommen lassen,« sagte Andlau lächelnd, »der, nach allem was Du mir von ihm erzählt hast, überglücklich wäre, Dich auf Händen tragen zu dürfen.«

»O ja,« erwiderte Faustine gelassen, »das glaube ich recht gern. Nur fehlt mir die heilige Zuversicht, daß wir nicht beide der Sache überdrüssig werden. Ich fürchte, er läßt mich fallen oder ich springe herunter.«

»Aber bei mir hast Du es nie gefürchtet?«

»Nie!« sagte sie sorglos.

Ein solches Nie! ist die größte Ehre, die eine Frau einem Mann erzeigen kann.

Andlau hatte so oft schon Ähnliches von ihr gehört und gesehen, daß er nicht überrascht davon sein konnte; allein hingerissen und bezaubert war er immer von neuem durch die anmutige Nachlässigkeit, die gedankenlose Grazie, mit der sie stets das zu treffen wußte, was sie instinktmäßig als das Schönste erkannte.

»So lange ich noch bei Dir bin, will ich mein schönes Vorrecht nicht bloß bildlich gebrauchen,« sagte er, hob Faustine empor und hielt sie in beiden Armen an seine Brust gedrückt. »Sonnenstrahl, Rosenduft, meine Ini, bist Du für mich Weib geworden? Wirst Du mir nicht verschweben in den beweglichen unfaßbaren Elementen, woraus Du durch ein Wunder geschaffen bist wie die Aphrodite aus dem Schaum des Meeres? Oder hast Du selbst das Wunder getan und Dich wie eine Fee sichtbar in der Welt gemacht?«

Faustine lag leicht auf seinen Armen; ihr Haar hing aufgelöst herab; ihre Augen waren halb geschlossen, nach ihrer Art. Wenn es nichts zu sehen gab, sparte sie sich gern die Mühe, sie zu öffnen, und blickte nach innen.

Sie sagte:

»Rede nur weiter! Es klingt gar schön! Ich freue mich, wenn Du einmal mit meinen Worten sprichst und aus Deiner kühlen Weise heraustrittst.«

»Aber ich verweichliche Dich zu sehr!« sagte er, wie sich besinnend, und stellte sie auf den Fußboden zurück und küßte ihr lockiges Haar, als sei es der Schleier einer Heiligen. Er trieb Abgötterei mit seinem geliebten Idol.

Seiner Absicht treu, um ihr die Langweiligkeit der einsamen herbstlich trüben Fahrt zu ersparen, brachte er sie nach Dresden, und Faustine, die, wenn sie glücklich war, wohl in die Ewigkeit hinüber sah, jedoch nicht über das irdische Heute hinweg, dachte nicht daran, daß ihr am erreichten Ziel der Abschied bevorstand, und war während der Reise so liebenswürdig, daß Andlau selbst zu glauben anfing, er bringe den Wünschen seiner Brüder ein unermeßliches Opfer.

Manche Menschen werden immer liebenswürdiger, je mehr Augen sich auf sie richten; nicht aus Eitelkeit, sondern weil ihnen der allgemeine Beifall Zuversicht gibt und sie anregt. Andere sind am liebenswürdigsten einem einzigen Menschen gegenüber, wenn dieser ihrer Eigentümlichkeit zusagt; viel Augen, viel Fragen, viel Einwürfe stören sie. Es kommt dabei sehr auf die jedesmaligen Gaben an, sogar auf körperliche. Wer witzig ist, wer schlagende Antworten gibt, wer eine elegante Form des Ausdrucks, ja gar eine wohltönende Sprache besitzt, der fühlt sich behaglich im größeren Kreise. Wo Ernst und Sinnigkeit vorherrschen, wo die Rede nicht schimmert, wo der Ton der Stimme leise ist, da sind weniger Zuhörer willkommen. Faustine, wie fast alle einsamen, das heißt ohne großen Familienkreis lebenden Menschen, hatte eine leise Stimme. Wo eine bedeutende Schar von Geschwistern ist, mit denen man doch auf gleichem Fuß stehen, oder von Kindern, denen man befehlen muß, da wird die Stimme von selbst laut und dröhnend. Sie soll gehört werden und bisweilen übertönen. Aus dem Hause bringt man diese Gewohnheit in die Gesellschaft hinüber. Wer allein lebt, ohne Kinder, ohne großes Hauswesen, nur mit einem oder zwei Menschen in vertrautem Umgang, der ist nicht imstande, in einem übervollen Salon zu sprechen, es müßte denn sein, daß alles schwiege, wenn er redete. Faustine hatte eine leise Stimme, die immer leiser wurde, je inniger und eindringlicher sie sprach. Es ward zuletzt wie ein Klingen der Seele, aber ganz verständlich, so wie man die Äolsharfe und das Murmeln des Baches ganz genau versteht. Daher sprach sie in der Gesellschaft nur mit ihren Nachbarn rechts und links, sie machte kein allgemeines Aufsehen, aber der jeweilige Nachbar war in ihrem Banne, wenn sie sprach, was auch nicht immer geschah. Den Wecker an der Uhr stellt man auf eine bestimmte Stunde; dann schnurrt er sein Stückchen ab. Der Mensch ist keine Sprechmaschine, die ihr gegebenes Thema abhaspelt. Von innen muß er angeregt werden, nicht von außen, wenn er etwas Gescheites hervorbringen soll.

In Faustinen war alles vereinigt, um sie Andlau gegenüber am liebenswürdigsten zu machen; ein Hauptgrund aber war der, daß er sie liebte. Es ist die schwierigste Aufgabe für eine Frau, auf die Dauer und durch lange Jahre hindurch, liebenswürdig wie keine andere für den Mann zu bleiben, mit dem sie verbunden ist. Die entnervende Gewohnheit weht über ihn hin wie feuchte Luft über eine Harfe, und die Saiten erschlaffen. Ihre Liebe reicht nicht aus. Aber die Sache wird ihr sehr leicht gemacht, sobald er sie liebt; und dies seltene Glück hatte Faustine.


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