Ida Gräfin Hahn-Hahn
Faustine
Ida Gräfin Hahn-Hahn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXVI

Acht Tage vergingen bis zu Mengens Abreise, und Faustine blieb in einer Nebelwolke von Traurigkeit. Im Reiche der Gefühle ist dieser Zustand der unbehaglichste, weil er keinen Kampf zuläßt, weil man warten muß, bis Sonne oder Wind den Nebel zerstreuen, und oft der gefährlichste, weil man mit umdämmerten Blicken häufig bis an den Rand des Abgrundes tappt, zuweilen in ihn hinabstürzt. »Wie kann er gehen!« dachte Faustine. »Sieht er, fühlt er nicht, wie notwendig er mir ist? Notwendig wie die frische Luft, wie der Frühling! Ach, der Frühling kommt, und er geht!«

Bisweilen machte sie sich selbst Vorwürfe, wiederholte sich, daß einige Wochen schnell verstreichen, daß er heimkehren werde, daß auch Andlau, nach seinem letzten Brief zu schließen, bald kommen müsse, und daß alsdann für sie alle eine Erhöhung des Reizes im lebendigen Verkehr eintreten könne. Aber das lag so fern, gleichsam hinter den Nebelwolken ihrer Traurigkeit. Sie sah es nicht klar. Der Schmerz der Entbehrung lag ihr näher als der Trost des Genusses einer zweifelhaften Zukunft. Sie wußte nicht, ob Mengen und Andlau an einander Behagen finden würden. Beide waren schroff und scharf, dieser eisig, wenn er unangenehm berührt sich fühlte, und jener in demselben Maß schneidend, zwei Naturen, die sich mit dem Schwert gegenüberstehen mußten, sobald sie nicht Hand in Hand gingen.

Faustinen war in ihrer tiefsten Seele beklommen und unheimlich. Hätte sie den Mut, die Stärke und die Besonnenheit gehabt, den Verhältnissen fest ins Auge zu sehen, so wäre ihr bald genug klar geworden, daß in Marios Entfernung ihr aller Heil lag, und sie hätte durch ein gefaßtes: »Fahre hin!« dem Schicksal vorbeugen können, das sie zerbrach, als es in seiner vollen Macht über sie herbrauste. Sie hätte durch eine ruhige Darlegung ihrer innersten Seelenverbindung mit Andlau Mengen auf einmal, ehe er ein Wort gesagt, durch einen einzigen kurzen Schmerz in sein altes Gleichgewicht, wenigstens äußerlich, zurückgestellt, und in dem seinen das ihre gefunden. Sie hätte alles das tun können, was sie nicht tat, eben weil ihr Mut, Stärke und Besonnenheit fehlten.

Gegen Klemens war sie während dieser Zeit viel freundlicher oder eigentlich sanfter als sonst, wo sie ihm nicht leicht ein Wort hingehen ließ, ohne es zu rügen, sobald es über seine Grenze sprang. Jetzt hörte sie nicht so scharf hin, oder sie hatte Mitleid mit seiner Torheit. Was den Frauen ihr Mitleid für Schaden tut, das ist nicht zu beschreiben und nicht zu begreifen, wenigstens nicht von den Männern zu begreifen, die für die Frauen alle möglichen Empfindungen, nur kein Mitleid hegen. Im Haß und in der Liebe als Überwinder, vernichtend, grausam, vor den Frauen zu stehen, ist ihre Wonne, ihre Lust, ihr Triumph, ihre Natur. Und die Frau, die darüber klagt, ist falsch. Es hat noch jeder Simson seine Delila gefunden! Aber daran tut der Mann unrecht, in jeder Mitleidsäußerung ein Liebeszeichen zu sehen. So weit müßte er aus seiner Natur heraustreten und die fremde Eigentümlichkeit erkennen. Mitleid ist eine Tochter des allgemeinen Wohlwollens, und die Frau hat viel mehr Wohlwollen für den Mann, in dem sie von Haus aus eine Stütze und den Begründer ihres Glückes sieht, als er für sie hat, die er doch nur, alles in allem, als eine sichere Beute betrachtet. Daher wird die Frau durch eines Mannes Neigung nicht immer zur Erwiderung, doch gewiß immer zum Mitleid gestimmt, vorausgesetzt, daß ihr keine Verbindung mit ihm droht, wie es bei Kunigunden und Feldern war, – und sie wird Dinge tun und sagen, die ihm ja nur den Mangel an Liebe freundlich verbergen sollen. In solchem Verhältnis ist es nur seine, niemals ihre Schuld, wenn er ein Lächeln, einen holden Blick, ein süßes Wort als ein Versprechen künftiger größerer Gaben betrachtet. Die Frau ist gleich dem Kinde heftig, glühend, leichtgerührt; hernach vergißt sie das, und das macht ihr der Mann zum Verbrechen. Es ist aber ihre Natur, so wie die seine Barbarei ist. Nur nie Mitleid mit dem Manne geäußert! Er mißbraucht es allemal.

Klemens jubelte heimlich: »Ich wußte wohl, daß ich sie rühren würde!«

Anfänglich war sein brennendster Wunsch nicht weitergegangen, als seine Liebe geduldet zu sehen. Nun wünschte er schon, sie erwidert zu wissen. Er gestand es sich freilich nicht ein, aber im Herzen rechnete er schon darauf; denn was wäre es für eine wunderliche Liebe, die keine Erwiderung begehrt? Gar keine Liebe.

»Mengen geht,« so lautete Walldorfs Rechnung. »Sie wird ihn vermissen, weil er ihr eine angenehme Gesellschaft ist, doch von einer Neigung kann nicht zwischen ihnen die Rede sein, da diese Trennung stattfindet. Hingegen wird Andlau kommen. Aber ist denn da noch die alte Liebe? Fast sechs Monate hat er sie verlassen, und sie lebte während der Zeit ruhig und heiter. Wo ist der Mensch, der wie ich ohne ihren Blick in Verzweiflung untergeht? Nein, mir, meinem lodernden Herzen gehört sie einzig an.«

Bisweilen saß er ihr viertelstundenlang schweigend gegenüber, und sie schwieg auch. Sie malte oder zeichnete. Klemens kam gern in den frühen Morgenstunden, wo er gewiß war, sie allein zu treffen; späteren Besuchen räumte er das Feld und war am glücklichsten, wenn er sie zwanglos bei ihren gewohnten Beschäftigungen, die sie seinetwegen nicht unterbrach, häuslich und traulich fand. Darum begehrte er auch keine Plauderei mit ihr. Sie durfte sich in ihre Arbeit, ihre Gedanken vertiefen. Das tat sie auch. Fiel es ihr dazwischen ein, es sei doch sehr unfreundlich, sich gar nicht um des armen Klemens Anwesenheit zu kümmern, so sah sie gütig zu ihm auf oder nickte ihm einen holden Gruß zu, gleichsam seine Nachsicht erbittend. Er aber meinte dann, sie freue sich über seine Anwesenheit; und sagte sie, um doch einigermaßen für seine Unterhaltung zu sorgen: »Da liegt ein hübsches Buch, lieber Klemens. Lesen Sie doch ein oder das andere Kapitel!« so war er glückselig, weil er dachte: »Sie wünscht, daß ich bleibe; sonst könnte sie mich ja gehen heißen.« Faustine wünschte aber hinsichtlich seiner gar nichts als ihn vor Ausartung der Torheit in Verwilderung geschützt zu wissen.


 << zurück weiter >>